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BASLER STÄNDERATSWAHL 2003 |
BüZa nach Basler Art:
Die angewandte Verlegenheit
Es war ein Bild mit Exklusivitätswert: Die Präsidenten der verbündeten Basler Parteien FDP, CVP und Liberalen sassen zusammen mit der Präsidentin der weniger geliebten SVP an einem Tisch und beschwörten die Demokratie: Jede der vier bürgerlichen Gruppierungen kandidiert mit einer eigenen Bewerbung für den Ständerat - aber nur im ersten Wahlgang. Im entscheidenden zweiten Wahlgang unterstützen die Parteien betont solidarisch jene(n) der vier KandidatInnen, die im ersten Durchlauf am meisten Stimmen erhielt. So soll in Basel der Jahrzehnte alte sozialdemokratische Ständerats-Automatismus gebrochen werden.
Clever, was sich die vier bürgerlichen Parteien da ausgeheckt haben: Nicht sie selbst bestimmen, wer ihr gemeinsamer Kandidat wird, sondern die Stimmenden selbst. Es handelt sich um eine eigentlich Volks-Nomination, die auf den ersten Blick geeignet ist, die linke Favoritin Anita Fetz aus dem Rennen zu werfen. Der von den Parteispitzen zelebrierte bürgerliche Schulterschluss soll Mehrheits-Massen mobilisieren.
Doch diese in der Geschichte Basels einmalige Variante der um die SVP erweiterten "Bürgerlichen Zusammenarbeit" (BüZa), wie sie im Baselbiet unter Einschluss der SVP ebenso lange erfolgreich praktiziert wird, hat mehr als ein Handicap:
Nicht mehr die Parteien entscheiden souverän, wen sie den Wählenden als ihren besten Trumpf vorschlagen wollen - als bester Kandidat gilt, wer im ersten Wahlgang am meisten Stimmen erzielt. Dieses Selektionsverfahren hat einen populistischen Anstrich und erinnert an eine Jekami-Veranstaltung. Der Wahlgang mutiert zum wahltaktischen Stimmungsbarometer im Echtheits-Test. Was nur eines heissen kann: Die Parteien wissen selbst nicht, wen sie für die Spitzenkandidatur halten.
75 Prozent der vier Kandidaten werden auf der Strecke bleiben - oder im Volksmund "verheizt" werden. Dies vermindert die Selektionsqualität: Top-Kandidaten wie der Freisinnige Jörg Schild ihn dargestellt hätte, stellen sich bei dieser eklatant hohen Ausfallrate nicht zur Verfügung.
Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass der an ein Macht-Mandat drängende, kämpferische SVP-Kandidat Bernhard Madörin, der erst noch vor wenigen Wochen scharfe Kritik an FDP, CVP und Liberale richtete, der Kronkandidat des zweiten Wahlgangs wird. Mit welcher Glaubwürdigkeit und Leidenschaft bürgerliche Parteien wie die CVP für seine Wahl als Ständerat zu kämpfen bereit wären, die zur SVP noch vor kurzem klar auf Distanz gegangen waren, ist ebenso wenig erkennbar wie die Motive, die zu einer leidenschaftlichen bürgerlichen Mobilisierung führen sollen.
Wahrscheinlicher dürfte das Gegenteil sein: Die Demotivierung des bürgerlichen Wählersegments wie auch der Kandidierenden selbst, wenn Anita Fetz im ersten Wahlgang alle ihre Gegenbewerber(innen) meilenweit hinter sich lässt und mit dem Sieger-Bonus in die zweite Wahlrunde geht. Eine zweite Wahlrunde im übrigen, die auch ohne Ständerats-BüZa absehbar gewesen wäre.
Schon an der Medienorientierung entging aufmerksamen Beobachtern nicht, dass dieses erstaunliche Vorgehen nichts mit einer spontan erwachten Herzensliebe von FDP, CVP und Liberalen mit der SVP zu tun hat. Diese Lösung, die dem Volk die Nominierung des Spitzenkandidaten überlässt ist, ist das Eingeständnis, dass die bürgerliche Lichtgestalt gegen den linken Anspruch schlicht nicht vorhanden ist.
Darin äussert sich auch eine Krise der vier Parteien, die offenbar nicht mehr in der Lage sind, potenziell mehrheitsfähigen Führungsnachwuchs zu bilden. Wenn Wahlen künftig auch noch gleich zur Spitzenkandidaten-Kür dienen, könnte an die Parteien die Frage gestellt werden, wozu es sie überhaupt noch braucht.
Ihre Meinung.

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25. März 2003
ECHO |
"Anita Fetz ist politisch kaum angreifbar"
Manchmal ist man auch nur so stark, wie es der Gegner zulässt, lautet einer der Fussball-Weisheiten. Anita Fetz verkörpert eine Politikerin, welche in ihrer thematischen Bandbreite fähig ist, den ganzen Kanton zu vertreten. Ähnlich wie ihre Vorgänger, Carl Miville und Gian-Reto Plattner, hat sie unter Beweis gestellt, dass sie auch zu Wirtschaftsfragen kompetent Stellung beziehen kann, und sich nicht auf ideologische Phrasen reduziert, wie es in ihrer Partei teilweise üblich ist. Der Bekanntheitseffekt sowie ihre telegen überzeugende Art wird sie mit grosser Wahrscheinlichkeit zum Sieg führen. Unter diesen Voraussetzungen ist es verständlich, dass sich auf der Gegenseite niemand als Verlierer in Szene setzen möchte. Zumal Anita Fetz politisch kaum angreifbar scheint, und vielleicht ausser zu schnellem Aktivismus kaum Schwächen zeigt.
"Niemand will allein das Opferlamm spielen"
Es ist bezeichnend, dass sich schon vor Wochen einigermassen variable Kandidaten zurückzogen im Wissen, dass sie gegen Anita Fetz kaum eine Chancen haben. Was jetzt abläuft, zeigt doch nur, dass niemand alleine das Opferlamm spielen möchte. Peinlich dürfte es nach dem ersten Wahlgang bei den Bürgerlichen zugehen, wenn die Frage beantwortet werden muss, wer nun der "bessere" Kandidat für einen zweiten Wahlgang sei. Wahrscheinlich wird dann der eine oder andere Kandidat dieses Spiel nicht mehr mitmachen. Damit wäre der Scherbenhaufen perfekt.
Bruno Heuberger
Oberwil BL
"Fehlende Einigung wird als kluger Schachzug präsentiert"
Bereits im Februar wurde Anita Fetz nominiert, also war man sehr gespannt auf die bürgerliche Gegenkandidatur. Aber nichts dergleichen, man konnte sich auf keine Person einigen. Dies wird nun als besonders kluger, wahltaktischer Schachzug präsentiert, mit dem man einen zweiten Wahlgang erzwingen will. Es wird alles nicht helfen, der Name der zukünftigen Basler Ständerätin ist bereits jetzt bekannt! Diese Wahl wird dem Wohl des Kantons Basel-Stadt und der ganzen Nordwestschweiz nützen.
Willi Rehmann-Rothenbach
Binningen
"Politischer Sauglattismus
Seit Monaten unterhalten uns die Medien in Wort und Bild mit vergnüglichen Berichten über die vergebliche Suche der Basler FDP nach einer Ständeratskandidatur. Nachdem die Liberalen dreimal hintereinander den Verlierer stellen durften, sind nun nach Auffassung der Bürgerlichen die Freisinnigen an der Reihe. Die Opferbereitschaft ihres Personals ist aber verständlicherweise beschränkt.
Nun wurde uns für die nächsten Tage pünktlich gegen den 1. April, aber wenigstens nach der Fasnacht ein "Überraschungscoup" angekündigt. Dieser soll jedoch nicht in der Lancierung einer aussichtsreichen Gegenkandidatur zu Anita Fetz bestehen, sondern in der Präsentation von vier Ständeratskandidaten aller bürgerlichen Parteien, SVP inklusive.
FDP, CVP und LDP werden damit ihrer politischen Verantwortung nicht gerecht. Sie sind nicht in der Lage, der Wählerschaft eine klare, inhaltliche und personelle Alternative vorzustellen. Statt dessen sollen die Wählerinnen und Wähler den bürgerlichen Parteiführungen die Arbeit abnehmen und im ersten Wahlgang der Ständeratswahlen die beste Kandidatur für das Finale aussuchen. Eine Bankrotterklärung erster Klasse.
Hohn und Spott wurde 1995 über die Frauenliste ausgegossen, als sie für die Nachfolge von Hansruedi Striebel in den Regierungsrat 13 Kandidatinnen aufstellte. Acht Jahre haben FDP, LDP, CVP und SVP gebraucht, um dieses Niveau der politischen Auseinandersetzung zu erreichen.
Im Interesse einer spannenden Wahl und der vielbeschworenen politischen Kultur wäre es gut, wenn auf diese einmalige Art von politischem Sauglattismus verzichtet würde.
"Lieber bürgerlich als ex-Poch"
Im Baselbiet hat sich der erfolgreiche Schulterschluss der Bürgerlichen bestens bewährt. Es ist zu wünschen, dass dies in Basel-Stadt ebenfalls gelingen möge, damit die Region mit einer starken bürgerlichen Stimme in Bern vertreten ist. Auf eine äusserst linke Vertretetung möchte ich jedenfalls nicht POCHen.
Patrice J. Baumann
Münchenstein
"Bankrott-Erklärung"
Natürlich ist dies eine Bankrott-Erklärung.
Heidi Portmann
SP-Landrätin
Arlesheim
"Dies ist eine bürgerliche Ständerats-Kapitulation"
Wer diese Mitteilung der baselstädtischen BüZa als "Ständerats-Überraschung" bezeichnet verkennt die wirkliche Situation im Nachbarkanton. Diese Strategie der Bürgerlichen ist eine "Ständerats-Kapitulation." Die Aussage ist klar: Wir haben niemanden in der Stadt-BüZa, der Anita Fetz ernsthaft das Wasser reichen kann.
Eric Nussbaumer
Frenkendorf
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EUROAIRPORT |
Das EuroAirport-Drama
und der Alibi-Protest aus Basel
Was sich derzeit
um den EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg abspielt, ist recht absonderlich.
Wer die Entwicklung mit nur halbwegs offenen Augen beobachtet, kommt
nicht darum herum, sich diese tüchtig zu reiben. Da baut die
neue nationale Fluggesellschaft Swiss in Basel Linie
um Linie ab, während gleichzeitig kein Ersatz in Sicht
ist, dafür teure Infrastruktur-Ausbauten
erkennbar sind. Da spricht Basel-Stadt einen zweistelligen Millionenbetrag
Aktienkapital zum Aufbau der Swiss unter der Auflage, dass die Airline
"die Interessen aller Landesflughäfen angemessen berücksichtigt",
und keine zwei Jahre später kehrt genau diese Gesellschaft,
ohne die es für den EuroAirport schon mittelfristig kein Überleben
gibt, Basel den Rücken.
Während sich aber der EuroAirport schon auf den Worst
Case vorbereitet, herrscht in politischen und wirtschaftlichen
Kreisen Basels noch immer gemächliche Ruhe.
Am schärfsten äusserte sich noch die Basler "IG Luftverkehr".
Als OnlineReports vor einigen Wochen Andreas Burckhardt, den Direktor
der Basler Handelskammer, um seine Meinung befragte, startete er
zwar misstrauisch das Tonband, liess aber weder warnende Töne
noch eine Spur von Tatendrang erkennen. Vergangenen Freitag gab
die Handelskammer dann blauäugig ihrer "Erwartung"
Ausdruck, "dass die Swiss, bevor allfällige Entscheide
fallen, das Gespräch mit der Regierung und der Wirtschaft als
wichtige Stakeholder sucht". Besser könnte nicht zum Ausdruck
gebracht werden, dass es die Interessenvereinigung der Wirtschaft
verschlafen hat, rechtzeitig die Alarmglocke zu ziehen: Über
die Abbau-Anträge entscheidet der Verwaltungsrat heute Montag.
Nicht viel überzeugender ist die verbale Entrüstung ("Kahlschlag am EuroAirport"), die die Basler Regierung gleichentags äusserte. Eine Regierung notabene, die mit SP-Wirtschaftsminister Ralph Lewin im Verwaltungsrat des Flughafens vertreten ist und längst öffentlich hätte Alarm schlagen müssen. Lewins verkrampfte Zurückhaltung ist schwer verständlich. Es scheint, als sei dem Verwaltungsrat daran gelegen, die offensichtlichen Existenzprobleme des EuroAirports gegenüber der Öffentlichkeit zu verschleiern. Welche offizielle Instanz schlägt denn in Basel rechtzeitig Alarm - und nicht erst dann, wenn die Misere schon Tatsache ist?
Es ist absurd: Die Linke, dem Flughafen-Ausbau sonst kritisch gegenüber stehend, hat das Thema wenigstens mit einem harten parlamentarischen Vorstoss an sich gerissen und - man höre! - die Bereitschaft bekräftigt, den Flughafen nicht vor die Hunde gehen zu lassen. Doch wo bleiben die Freisinnigen? Die Liberalen? Die CVP? Die Handelskammer? All jene, die in den letzten Jahren mit flammenden Appellen für den Ausbau des EuroAirports die Werbetrommel gerührt haben?
Heute Montag also will der Swiss-Verwaltungsrat weitere massive Sparmassnahmen beschliessen. Dies vor dem Umstand, dass der Standort Basel der Airline letztes Jahr 100 Millionen Franken Verluste eingeflogen hat, wie die SonntagsZeitung berichtete. Insgesamt 800 Mitarbeiter und 15 Flugzeuge sollen abgebaut werden. Vor diesem Hintergrund entpuppen sich die jetzigen Verlautbarungen jener, die das entschlossene Engagement für den Flughafen als Motor der regionalen Wirtschaft rechtzeitig hätten organisieren müssen, als Alibi-Proteste ohne jede Wirkung. Wenn die Region über alle Einzelinteressen hinweg für den EuroAirport einstehen soll, dann jetzt.
Ihre Meinung.

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24. Februar 2003
ECHO
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"Attraktives Landefeld für Billigflieger"
Mit dem Geld, das die Basler Regierung in den letzten zehn Jahren unter dem Titel "Flughafen" in den Sand gesetzt hat, könnten das Theater Basel und auch die Universtät spielend jene zusätzlichen Mittel erhalten, welche immer wieder erfolglos in der Landschaft eingefordert werden. Über Jahre hinweg. Beim Flughafen, ein Fass ohne Boden, gibt es zwei Wege, wie die Verluste sozialisiert werden können. Entweder man lässt ihn in Konkurs gehen. Dann tragen Banken und andere Gläubiger die Verluste oder man subventioniert den Flughafen, dann stehen die Steuerzahler für die Verluste gerade. Auf alle Ewigkeit. Ein Konkurs hätte den Vorteil, dass der in eine neue Gesellschaft überführte und dann auch privatisierte Flughafen mit erheblich niedrigeren Betriebskosten neu durchstarten könnte. Das wiederum hätte den Vorteil, dass Billigflieger ein attraktives Landefeld erhalten würden und wir von Basel aus zu attraktiven Preisen verschiedenste Destinationen anfliegen könnten. Siehe Genf. Unter uns: Mir ist es ziemlich egal, ob ich mit Swiss oder mit einer anderen Gesellschaft zum Beispiel nach London fliege. Hauptsache, die fliegen ab Basel.
Manfred Messmer
Arlesheim
"Es braucht die Vierte Macht!"
Sehr guter Kommentar zur Flughafen-Problematik. Bravo! - Anscheinend braucht es da "die Vierte Macht", um da einige Leute endlich wachzurütteln.
"Auf die nationale Fluggesellschaft nicht angewiesen"
Jeder Stakeholder muss grundsätzlich daran interessiert sein, dass seine Aktien gewinnbringend angelegt und betreut werden. Ist dies nicht der Fall, rät jeder halbschlaue Anlageberater, das angelegte Kapital so schnell wie möglich abzuziehen und eine finanziell oder strategisch aussichtsreiche Alternative zu finden. Die Region Nordwestschweiz verfügt zusammen mit ihren Partnern im Elsass und Südbaden über einen trinationalen, internationalen, modernsten Anforderungen entsprechenden Flughafen. Weshalb - so stellt sich hier die Frage an die Basler Politiker und Wirtschaftsverbände - sind wir so auf die imagemässig angeschlagene und zürich-befohlene nationale Fluggesellschaft angewiesen. Lufthansa und die Star Alliance könnten den bevorstehenden Abgang mehr als optimal ergänzen. Denn matchentscheidend sind in Zukunft nicht die Airlines sondern der Service am Boden (Flugzeug- und Passgierabfertigung etc.) und da hat Basel gegenüber Zürich wortwörtlich "an Boden gewonnen". Was jetzt noch fehlt, ist ein Bahnanschluss. Ich wünsche mir, dass die Region Nordwestschweiz als Wirtschaftsraum mit geringem Dynamikverlust und grossem Wachstumspotenzial endlich zu mehr Selbstwertgefühl findet und die regionalen Vorteile klar zum Nutzen und Wohl der eigenen Bevölkerung umsetzt. Die Zeiten, in denen wir mit verstohlenen Blicken nach dem "Wirtschaftswunder-Raum2 Zürich schauen mussten, sind vorbei, seitdem die Börsenblase wie ein grosser Traum geplatzt ist. Wir brauchen Zürich nicht - aber Zürich braucht uns und unsere zielorientierten Wirtschaftskapitäne! Moritz Suter lässt grüssen.
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BEKIFFTE SCHÜLER |
Bekiffte Schüler machen
die Schule zur Farce
Die OnlineReports-Meldung über die Amok-Drohung eines kiffenden PG-Schülers an der Sekundarschule Sissach hat in der ganzen Region heftige Debatten ausgelöst. Zu Recht. Aber dabei darf es nicht bleiben. Das Thema muss auch künftig - und öffentlich - zu reden geben.
Ein 14-jähriger Schüler, der sich mit einem Tageskonsum von fünf Joints selbst als starken Kiffer bezeichnet, drohte in der Pause mit einem Amoklauf. Dies, nachdem er in der Schulstunde am Handy herum gespielt hatte, worauf ihm Lehrerin das Spiel-Zeug abnahm. Die Schulleitung entschloss sich, die Polizei einzuschalten, die den Schüler vom Schulhaus holte und in eine Basler Spezialstation einwies.
Sofort hagelte es Proteste: Die SchülerInnen spielten den Vorfall herunter, der Betroffene habe nicht übermässig gekifft, die Schulleitung habe überreagiert. Während ein Vater sich bei der Lehrerschaft beklagt haben soll, dem Schüler sei bei der Wegweisung ein Sack über den Kopf gestülpt worden, verlautbarte ein Polizeisprecher, von "Abführen" könne keine Rede sein.
Kiffen und Schule sind Themen, die sich hervorragend für dogmatische Grabenkämpfe eignen. Doch darum kann es hier nicht gehen. Das Problem ist weder das Kiffen an sich noch die Frage, ob auch Lehrer gelegentlich zum Selbstgedrehten greifen. Die zentrale Frage ist die grundsätzliche: Welches Mass an Lernignoranz den Lehrkräften noch zuzumuten ist und welche moralische Instanz sich das Herz fasst, einige grundlegende gesellschaftliche Werte wenigstens in der Schule noch durchzusetzen.
Wer täglich fünf Joints intubiert, dem darf unterstellt werden, dass er dieses Vergnügen nicht nur nach Schulschluss praktiziert. Und wenn Lehrkräfte offen darüber zu reden beginnen, sie seien kaum noch in der Lage, überhaupt Schulstoff zu vermitteln - unter anderem, weil Kiffen den Eleven offenbar mehr Spass macht -, dann gilt Alarmstufe rot. In dieses groteske Bild passen junge Kirchgänger, die auf den Hinterbänken mit Walkman-Kopfhörer im Ohr zu Rap und Marley wippen und so ihre Religionspflicht absitzen, derweil der Pfarrer von der Kanzel das Evangelium verkündet.
Ohne einer Kriminalisierung des Hanfkonsums das Wort reden zu wollen, das Thema ist letztlich: Autorität. Wie erfrischend ist festzustellen, dass neue, kollektive und animierende Vermittlungsformen in die Schulstuben eingezogen sind und die realitätsferne Ein-Weg-Pädagogik von damals abgelöst haben. Dies heisst aber nicht, dass sich die Schule jedem Mega-Trend zu unterwerfen hat. Platz haben in der Schule weder Kiff noch Sniff und Suff.
Der jetzt betroffene Schüler, der auch nur Symptom für eine fragwürdige Entwicklung ist, braucht deswegen nicht stigmatisiert zu werden. Aber die Debatte über den tolerierbaren Stand der Nebelgrenze im Klassenzimmer muss öffentlich fortgesetzt werden - auch auf dem Niveau der Lehrerverbände. Die Forderung muss heissen: Klare Köpfe in der Schule! Sonst wird sie zur Farce. Das gilt nicht nur für Sissach, sondern Sissach ist diesbezüglich überall.
Ihre Meinung.

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19. Dezember 2002
ECHO
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"Ohne Regeln kann keine Gemeinschaft funktionieren"
Danke für Ihren differenzierten Kommentar! Kiff und Suff gehören in der Tat aus den Schulen verbannt. Die Schule darf und soll Regeln aufstellen, ohne die kann nämlich keine Gemeinschaft funktionieren. Und das ist durchaus ohne eine generelle (Re)Kriminalisierung des Cannabis-Konsums - mit dem damit verbundenen Repressionsaufwand - machbar. Die Diskussionen um Liberalisierung oder Verbot von Cannabis werden erst mit Abschluss der Revision des Betäubungsmittelgesetzes ein Ende finden. Hier gilt es, den Umgang mit Cannabis klar, realistisch und griffig zu reglementieren, mit einem kontrollierten Zugang und einer Überprüfung der Qualität, aber vor allem mit einem unmissverständlichen Bekenntnis zum Jugendschutz. In der Zwischenzeit ist Aufklärungsarbeit zu leisten, noch und noch und mit immer neuer Kreativität. Gesellschaftliche Tatsachen zu ignorieren oder unterdrücken zu wollen, bringt nichts. Die Dinge ändern sich aber, wenn ein Umdenken stattfindet. Wenn sie wirklich wissen, was sie sich damit antun, wollen die Jugendlichen nicht mehr kiffen. Und darauf kommt es an.
Simone Abt
Landrätin SP
Binningen
"Ich kann jeden einzelnen Satz unterschreiben"
Als ehemaliger Schulpflegepräsident der Sekundarsschule Sissach gratuliere ich Ihnen zu Ihrem ausgezeichneten Kommentar. Ich kann jeden Satz einzeln unterschreiben, insbesondere ist mir der Begriff der "Lernignoranz" aufgefallen.
"Alles ist am Wanken"
Es scheint mir bedenklich, was heute in der Schule und ausserhalb alles abgeht. Das Kiffen wird wirklich verharmlost. Die Erwachsenen nehmen die Kinder nicht mehr ernst. Es gibt Frauen, welche Kinder als Prestige haben, wie z.B. Ihren BMW. Viele Erwachsene sind keine Vorbilder. Alte Tugenden zählen heute nichts mehr, deshalb ist innerhalb und ausserhalb der Familie ein Zerfall zu sehen. Die Lehrerschaft, die ihre Aufgaben noch ernst nimmt, wird von den Eltern kaum unterstützt. Man zieht nicht am gleichen Strick. Die Politiker haben einige Aufklärungsbroschüren bewilligt und dies kostet dem Bürger viel Geld. Meistens werden diese Broschüren kaum gelesen. An den Schulen werden Präventivmassnahmen ergriffen, doch ohne die Unterstützung der Eltern und Erzieher bringt auch dies nicht viel. Grundwerte sind nicht mehr vorhanden und so ist alles am Wanken. Sicher dürfen Schüler nicht bekifft sein. Ich richten den Aufruf an die Erwachsenen, die Kinder wieder ernst zu nehmen, sich vor allem Zeit zu nehmen, etwas Positives zu unternehmen. Die Lehrer müssten wieder etwas mehr in die Natur gehen mit den Schülern. Wir haben unsere schöne Schöpfung vergessen. Im Frühjahr die schönen Blumen, Bäume, Tiere und die frische Landluft. Auch sollte wieder besser auf die Ernährung geschaut werden. Die Leute sind übersäuert, weil sie zuviel Süsses und zuviel Fleisch essen. Weil sie so sauer sind, sind sie auch so aggressiv. Wenn man nur wollte, es wäre so schön auf dieser Erde - auch für die Schüler in der Schule. Lehrer und Eltern müssten härter durchgreifen und besser zusammenarbeiten. Im übrigen hat vor allem die Frau ihre Aufgabe nicht mehr wahrgenommen seit der Emanzipation. Schade. Dies kostet dem Steuerzahler viel Geld. Ich empfehle die Broschüre "Drogen nein danke". Zu beziehen bei der Polizei oder der Schweizerischen Koordinationsstelle für Verbrecherprävention, Postfach 230, 8021 Zürich.
Margrit Blatter
SD-Landrätin
Reigoldswil
"Wir alle sind in der Verantwortung"
Ihr Kommentar spricht mir aus dem Herzen. Irgendwie stimmt halt der alte Spruch "zu Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland" doch. Traditionelle Wertvorstellungen haben nichts mit Wertekonservatismus zu tun, sondern manchmal ganz einfach nur mit Stil und Anstand, dem gegenseitigen Umgang untereinander. Die Schule kann nicht reparieren, was zu Hause an Fehlentwicklungen läuft, sie kann aber mithelfen. Wir alle sind in der Verantwortung: Eltern, LehrerInnen, PolitikerInnen. Wir müssen Anstand und Kultur vorleben, damit unsere Jugend auch wieder Vorbilder hat und Werte vermittelt erhält!
Barbara Umiker
Leiterin Kommunikation Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basel-Landschaft
Liestal
"Die Gesellschaft praktiziert zahllose Widersprüche"
Was regen wir uns denn über kiffende Jugendliche auf: Sie können es gar nicht besser wissen, weil sie es nicht besser erleben mit unserer gesellschaftlichen Moral, die immer doppelbödiger wird: Da läuft diese Gesellschaft einerseits Sturm gegen das Rauchen an sich und gegen die Zigaretten-Werbung im Besonderen, gleichzeitig soll aber das Kiffen freigegeben und neuerdings Wein- und Bier-Reklame an den Regionalsendern erlaubt werden. Bereits Realität ist ja auch die staatliche Gratis-Abgabe von Heroin an schwer Süchtige. Oder: Da toleriert diese Gesellschaft, dass Velofahrer die primitivsten Spielregeln im Strassenverkehr missachten, fordert aber gleichzeitig laufend neue Strafverschärfungen und Einschränkungen für den motorisierten Verkehr. Diese Gesellschaft will auf der einen Seite, dass Sexualstraftäter rigoros lebenslänglich verwahren werden und läuft gegen Frauen-Gewalttäter Sturm, handkehrum fordert sie (zumindest ein Teil dieser Gesellschaft) jedes nur erdenkliche Verständnis für jene Rechtsbrecher, die - nach gerade trendigen Wertvorstellung - zu irgendwelchen sozial benachteiligten Minderheiten gehören und deshalb unbedingt Schonung brauchen.
Solange in unserer Gesellschaft solche und eine Vielzahl weiterer gravierender Widersprüche hemmungslos praktiziert und damit unsere Spielregeln des Zusammenlebens laufend nach eigenem Gutdünken und persönlichen Wertmassstäben zurechtbiegt, darf sich diese Gesellschaft nicht darüber beklagen, wenn dies die Jugendlichen übernehmen und sich nach ihren eigenen Wertmassstäben verhalten. Spielregeln sind da, um eingehalten zu werden. Oder aber, wir ändern sie ganz demokratisch, wenn sie überholt sind. Etwas dazwischen darf es eigentlich nicht geben, sonst herrscht bald einmal das nackte Chaos.
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DUGGINGEN ENTLÄSST |
Dugginger Entlassung:
Eine abgekartete Sache
Ursula Gygax ist die derzeit wohl bekannteste kommunale Finanzverwalterin im Baselbiet. Am 19. November hat sie vom Gemeinderat Duggingen den Blauen Brief erhalten.
Der Gemeinderat kann es drehen und wenden, wie er will: Die Kündigung war eine offensichtliche Retourkutsche, weil sich Ursula Gygax erlaubte, gegen den amtierenden Gemeindepräsidenten Reinhard Vögtlin Strafanzeige einzureichen. Die Buchführerin war der Meinung, mit Vögtlins Lohnausweis über die Bezüge als Gemeindeoberhaupt sei etwas nicht in Ordnung. Und sie wollte nicht als Mitwisserin und potenzielle Mittäterin schweigen und sich potenziell mitschuldig machen. Missbräuchlich war die Strafanzeige nicht, sonst hätte die Justiz nicht massenhaft Akten aus der Gemeindeverwaltung beschlagnahmt.
Da kann der amtierende Vizepräsident Richard Köhli noch so entschlossen bekunden, jetzt "reinen Tisch" machen zu wollen. Die Affäre stinkt zum Himmel. Wie eine missliebige Finanzverwalterin loswerden, wenn sie während 13 Jahren fachlich zu keinen Einwänden Anlass gibt? Durch die planmässige Aufstockung ihres Pensums, bis es für die Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern nicht mehr zumutbar ist. Die Visura-Studie, die den Dugginger Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zur Rechtfertigung vorgelegt wurde, war eine reine Alibi-Übung: Der Gemeinderat hatte die Stellenaufstockung schon vorher beschlossen - notabene erst nach Einreichung der Gygax-Anzeige und ohne mit ihr das Gespräch gesucht zu haben.
Dies deutet auf Behörden-Mobbing hin. Ein schlechtes Signal aus Duggingen, das doch angeblich den Neuanfang plant. Miserabel auch, dass die Dugginger Bevölkerung ihre Finanzverwalterin so billig abservieren lässt. Vielleicht war es bei vielen auch die Angst vor den Dorf-Gewaltigen, die zum Schweigen riet. Besonders bedenklich aber sind die Voten, die in jene Richtung gehen, Ursula Gygax habe ja mit einem Eklat rechnen müssen. Fast scheint es so, als wäre den Duggingern - und ihren Gemeinderat - eine Finanzverwalterin lieber, die schweigt, wenn ihr Gewissen Courage einfordert. So bleibt ein "Neubeginn" mit den alten Zweifeln behaftet: Jede Nachfolge weiss nun, welche Regeln in Duggingen gelten.
Ob Reinhard Vögtlin, als Gemeindepräsident und routinierter Politiker zu Vorbildfunktion verpflichtet, mit seinen Bezügen und deren steuerrelevante Bescheinigung korrekt umgegangen ist, muss die Justiz klären. Wenn aber nur schon zutrifft, dass ein Gemeinderatskollege Vögtlins Lohnausweis unterschrieb, der nicht Zugang zur Lohnbuchhaltung hatte, dann musste die Finanzverwalterin die Notbremse ziehen. Dazu indes hat sich der Gesamt-Gemeinderat bisher nicht geäussert. Auch ein Signal.
Ihre Meinung.

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21. November 2002
BASLER LADENSCHLUSS |
Auch ein Basler Hansruedi Gysin
hätt's nicht geschafft
Es gibt kein Deuteln: Die Volksinitiative "fir en offe Basel" ist kläglich gescheitert. Das Volk hat der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten eine klare Absage erteilt. Es bleibt somit wie bis anhin beim Ladenschluss um 18.30 Uhr (werktags) und 17 Uhr (samstags) sowie beim Donnerstag-Abendverkauf bis 21 Uhr. Eine 7-Tage-Liberalisierung gilt einzig für bestimmte Verkaufsgeschäfte rund um den Bahnhof SBB.
Im Baselbiet war Gewerbedirektor Hans Rudolf Gysin mit einer ähnlichen Vorlage deutlich erfolgreicher. Doch wenigstens so viel darf den jungbürgerlichen Initianten attestiert werden: Auch ein Hans Rudolf Gysin hätte diese Vorlage in Basel nicht durchgebracht. Von einer geballten links-gewerkschaftlichen Front, wie es sie im Baselbiet nicht gibt, erfolgreich bekämpft wurde die soziale Frage: Sonntags- und Nachtarbeit, zerrissene Elternteile, kaputtes Familienleben. Dieses Argument dürfte auch sozial denkenden bürgerlichen Kreisen überzeugend gewirkt haben.
Die Abstimmung vom Wochenende hat aber auch unter einer landesweiten politischen Grosswetterlage gelitten: Das Volk hat den Glauben an die Wunder grenzenloser Liberalisierung offensichtlich verloren - das Abstimmungsergebnis zum Elektrizitätsmarktgesetz ist ein untrüglicher Hinweis darauf. Die Auswüchse des Börsenbooms bis hin zu den grosskalibrigen Abzockern der Wirtschaft - dies alles hat zu einer Riesenportion Skepsis unter den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern geführt.
Anderseits war auch das Gespenst der sozialen Katastrophe, mit dem die Gegner der Initiative operierten, etwas gar übertrieben. Die Anzahl schlaftrunkener Nacht- und Sonntagsarbeitenden hätte sich wohl auch in Basel-Stadt in Grenzen gehalten - dort nämlich, wo der Markt, sprich: die Kundenseite, von schrankenlosen Öffnungszeiten gar keinen Gebrauch machen will.
Ihre Meinung?

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27. August 2002
ECHO |
"Gewerkschaften in vielen Fragen erzreaktionär konservativ"
Leider war die Kampagne der Befürworter zu wenig verständlich und ging entsprechend daneben. Wahrscheinlich hätte Hansruedi Gysin das schlauer angepackt. Schade, dass die in vielen Fragen erzreaktionär konservativen Gewerkschaften zusammen mit den ebensolchen und oft etwas naiven Kleinlädeli-Besitzer einen Schritt zur positiven Entwicklung Basels verhindert haben. Was zum Thema Ladenschluss zudem leider kaum jemand begreift: Es geht gar nicht unbedingt darum, ob Läden offen oder zu sind, sondern darum, ob es Aufgabe des Staates ist, das Verkaufen beispielsweise einer Wurst um 18.25 zu gestatten, aber um 18.31 zu verbieten. Wenn man sich gleichzeitig rund um die Uhr - legal - im Haschladen nebenan mit dem "notwendigen" Stoff versorgen kann. Ich hoffe, es unternehme bald jemand einen neuen Anlauf.
Hans Rudolf Bachmann
Basel
"Manager haben das Volk hellhörig gemacht"
Mit sehr grossen Versprechen und Illusionen ist vor ein paar Jahren die Liberalisierungswelle eingeläutet worden. In der Zwischenzeit haben diverse Verantwortliche selbst durch undurchsichtige finanzielle Manöver, kriminelle wirtschaftliche Handlungen und persönliche Bereicherungen dazu beigetragen, dass das Volk sehr hellhörig und dadurch sehr skeptisch geworden ist gegenüber solchen Luftschlössern, die bis jetzt hunderttausende Arbeitsplätze kosteten und noch kosten werden. Dafür lohnten sich solche Abenteuer für ein paar wenige Grossaktionäre. Beispiele gibt es im In- wie Ausland zur Genüge. Ob das heutige Abstimmungsergebnis (Abfuhr Elektrizitätsgesetz, Ladenöffnungszeiten) den Verantwortlichen zu denken gibt? Es ist zu befürchten: Nein. Doch die nächsten sogenannten "Liberalisierungen" werden es schwer haben, so lange solche Manager immer noch das Sagen haben. Und es fällt auf, dass manche bekannte Namen immer wieder vorkommen, und immer öfters bei anderen Firmen.
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POLIZIST
SCHIESST |
Bericht
Ein schiessender Polizist ist keine schiesswütige Polizei
Schockierend, was sich am Dienstagmorgen am Kleinhüninger Salmenweg ereignete: Ein 45-jähriger Mann, Polizist von Beruf, lauert im Morgengrauen seiner Freundin auf und schiesst ihr durch Taxischeiben in Kopf und Hals - so, dass ihr Überleben einem Wunder gleichkäme. Motiv sind Beziehungsprobleme. Vielleicht wollte sie von ihm nichts mehr wissen.
Wer Ordnungshüter ist, geht nicht nur bei der Ausübung seiner Profession ein erhebliches Risiko ein. Auch sein Verhalten als Privatmann wird - wie jenes von Pfarrern, Richtern oder hohen Politikern - gern an höheren ethischen und moralischen Massstäben gemessen. Wer von Staates wegen Gesetz und Moral verkörpert, so die landläufige Meinung, müsse auch als ziviler Bürger über jeden Zweifel erhaben und die Rechtschaffenheit in Person sein. Wird hingegen ein gewöhnlicher kommerzieller Berufsmann gewalttätig, ist seine Berufsbezeichnung in der Regel kein Thema.
Über den betrunkenen Mann, der am Salmenweg das ganze Magazin seiner Dienstpistole verfeuerte, ist bisher nichts Nachteiliges bekannt. Sein Leumund ist in Ordnung, seine Personalakten enthalten keine dunklen Flecken. Aber: Er ist Polizist von Beruf. Da kann er sich weniger leisten als der durchschnittliche Erdenbürger: Wer als Privatmann zur Gewalt greift, verwirkt jegliche staatliche Autorität. Das muss jeder Polizeiangestellte wissen.
Falsch wäre hingegen der Eindruck, die Basler Polizei entwickle sich langsam zur schiesswütigen Truppe. Denn es ist klar auseinander zu halten, dass der Polizeikorporal in seinem privaten Umfeld versagt hat - und nicht im Dienst. Sofern nicht entsprechende Indizien auftauchen, die auf aussergewöhnlichen Stress oder gar Mobbing am Arbeitsplatz hinweisen, darf die Basler Kantonspolizei nicht in die Verantwortung hineingezogen werden.
Anders verhält es sich mit den beiden Polizisten, die vor einiger Zeit im Elsass einen lumpigen Autodieb erschossen, der selber keine Waffe trug. An diesem Einsatz haftet bis auf den heutigen Tag der Stempel des professionellen Versagens. Über strafrechtliche Schuld oder Unschuld werden die Richter entscheiden müssen. In einem weiteren Fall des tödlichen Schusswaffengebrauchs im Schwarzwaldtunnel war Notwehr nachgewiesen.
Das Fazit: Ein schiessender Mann, von Beruf Polizist, macht noch keine schwiesswütige Polizei. Die interessante Frage ist viel mehr, unter welchen Umständen ein Privatmann durchdrehen kann, der beruflich im Umgang selbst mit extremen Stress-Situationen ausgebildet wird. Und weshalb niemand rechtzeitig die elende Verfassung des Kollegen bemerkte.
Ihre Meinung?

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27. August 2002
ECHO |
"Differenziert und gut"
Ihr Kommentar zum Drama des Basler Polizisten ist sehr differenziert und gut. Das sage ich aus meiner Sicht als Kommunikationschefin einer benachbarten Direktion, zu der die Polizei auch gehört - aber auch als als Chefin der beiden Leiterinnen unserer Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt.
Barbara Umiker
Leiterin Kommunikation
Justiz-, Polizei und Militärdirektion Basel-Landschaft
Liestal
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SCHWEIZER
PARAPLEGIKER-STIFTUNG |
Bericht
Guido A. Zächs tragischer Ablasshandel
Guido A. Zäch, Präsident der Schweizer Paraplegiker-Stiftung und der Gönnervereinigung sowie Direktionspräsident des Paraplegikerzentrums Nottwil, hat zwei Gesichter. Jene überaus gewinnende - manche sagen: unwiderstehlich charmante - Art im persönlichen Umgang, sein grenzenloser Ehrgeiz im Einsatz für die Querschnittgelähmten und sein charismatisches Sendungsbewusstsein. Zäch ist unter Paraplegikern und Angehörigen die Marke der Hoffnung. Seine Verdienste sind fraglos.
Doch Zäch hat seine Ziele auch mit Mitteln verfolgt, die in einem schroffen Kontrast zu seinem durch die Propaganda vermittelten Bild des verständnisvollen Wohltäters stehen. Er hat in der Behandlung und Betreuung der Paraplegiker eine Marktlücke erkannt und die Chance rücksichtslos genutzt. Schon früh war der Name Zäch mit Zoff verbunden: Bloss Chef des Basler Paraplegikerzentrums zu sein, genügte ihm nicht. Er wollte mehr. Er wollte Grosses tun, in die Geschichte eingehen. In der von ihm erfundenen Paraplegiker-Stiftung und in der parallel dazu etablierten Gönnervereinigung sah er die Werkzeuge zur Verwirklichung seiner Träume.
Doch beim Aufbau seines Lebenswerks verlor Zäch den Bezug zu den Grenzen. Er beging fundamentale wirtschaftliche und politische Fehler - von der Spendergeldvernichtung durch Investition in unrentable Immobilien über undurchsichtige Manöver wie dem Einzug in die Zofinger Gönner-Villa bis zur verbalen Entgleisung. Dem Autor dieser Zeilen drohte Zäch im Rahmen der Recherche über die Zofinger Villa, auch er könne einmal "durchdrehen wie Günther Tschanun". Und er fügte an: "Da haben Sie eine grosse Verantwortung." Einen Basler Journalisten der damaligen "Nordschweiz" zitierte er nach einem kritischen Artikel in sein Büro, wo er ihm unter Tränen vorwarf: "Sie haben meine Karriere zerstört."
Anderseits nutzte er die Medien schamlos für seine Ziele aus. Zu seiner Basler Zeit drohte er, er werde einen Direktor "in den Medien fertig machen" oder Verantwortliche "spitalreif schlagen". Öffentlich kritisierte die damalige Bürgerratspräsidentin Marie-Agnes Massini Zächs "unakzeptables menschliches Verhalten". Der Autokrat umgab sich mit einem ihm ergebenen Stab von Mitarbeitenden und Trägerschaften. Und vor allem: Über alle und alles, was in seinem Paraplegiker-Reich geschah, gar über sich selbst, übte er die Kontrolle aus.
Wohl auch beflügelt von seinen enormen Erfolg als Spendenmaschine hat Guido Zäch die Zeichen an der Wand nicht erkannt: Die Gönnergelder flossen so reichlich, dass sich der Paraplegiker-Chef in seinem Verhalten bestärkt sah und den Pegelstand des gesellschaftlich Tolerierbaren nicht mehr erkannte. Wie weit er seine Stiftung auch strafrechtlich schädigte, wird der Prozess zeigen.
Offensichtlich aber muss Zäch sein überdimensionales Engagement zum Wohle der Querschnittgelähmten und die ihm entgegen brandende Bewunderung als eine Art Ablasshandel dafür verstanden haben, eigene moralische und charakterliche Normen für sich in Anspruch nehmen zu dürfen.
Wer ihn davor warnte, sich in seinem System von Filz, Freund und Feind selbst zu verstricken, verlor seine Gunst. Guido A. Zäch hat sich diesbezüglich als lernunfähig erwiesen. Statt zu Ende seines in mancherlei Beziehung einzigartigen beruflichen Werdegangs die Früchte seines Lebenswerks zu geniessen, muss er jetzt als Angeklagter vor Gericht. Dabei hätte er selbst es in der Hand gehabt, seine Geschicke anders zu lenken. An warnenden Stimmen hat es nicht gefehlt.
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19. August 2002
ECHO |
"Mit einem Zäch-Rücktritt wäre dem Paraplegikerzentrum gedient"
Vor über 20 Jahren war ich in Basel zusammen mit Guido Zäch im Vorstand einer Genossenschaft für Hilfsmittel für Behinderte. Ich habe Guido Zaech als intensiven Menschen in Erinnerung, der ausser seiner Ansichten und Meinungen nichts respektierte. Er war überhaupt nicht konsensfähig. Durch ein Behinderten-Ferienlager, das ich mit meiner Sanitätseinheit als WK erlebte, lernte ich auch Chefärzte des Paraplegikerzentrums (das damals noch in Basel war) kennen: erstaunlich, wie gestandene Ärzte und sogar Oberärzte Angst vor ihrem despotischen Chef hatten!
Guido Zäch ist mir als wenig sympathischer Mensch in Erinnerung geblieben. Bestimmt widmet er sich seiner Aufgabe mit grosser Hingabe und Identifikation, wahrscheinlich bis zu dem Punkt, dass er die personifizierte Stiftung darstellt und ihm daher alles erlaubt ist. Aber seine Haltung hat auch viele fähige Ärzte dazu gebracht, andere berufliche Chancen wahrzunehmen. Ich bin überzeugt, dass dem Paraplegikerzentrum und seiner Stiftung mit einer Demission Guido Zächs gedient wäre.
Jean-Pierre Salzmann
San Francisco
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RADIO
BASILISK |
Bericht
Tamedia kauft "Basilisk":
Ein Schachzug mit Tragweite
Christian
Heeb hat es in seiner unberechenbaren Art während Monaten weggeschwindelt
und jetzt musste er es selbst verkünden: Der Zürcher Tamedia-Verlag
kauft für gegen 24 Millionen Franken den Basler Privatradiosender
"Basilisk".
Eines wird auf Anhieb augenfällig: Während sich die Basler Mediengruppe durch den Verkauf des Jean-Frey-Verlags von ihrem Zürcher Engagement zurückzieht, weitet mit der Tamedia ein führendes Zürcher Verlagshaus seine Tätigkeit nach Basel aus. Die Basler Mediengruppe behält zwar in der Region eine starke Rolle, aber ihre Position als eigenständiges Unternehmen wird geschwächt.
Die Tamedia sitzt jetzt in der Lokalradio-Bastion mitten in der Basler City. Und mit dem radiophonen Basler "Kraftpaket" (so Präsident Hans Heinrich Coninx) im Portfolio kann das Zürcher Verlagshaus seine zügige Expansionsstrategie nun erst recht fahren: Mit "Radio 24" und der Werbeakquisitionsfirma "Belcom", von Roger Schawinski übernommen, verfügt die Tamdia im Millionen-Zürich neuerdings über ein starkes Lokalradio-Standbein. Mit "Basilisk" und seiner Werbefirma "Medag" errichtet die Tamedia jetzt das Basler Pendant. Nun fehlen nur noch der Radio-Raum Bern und die Zustimmung der Behörden - und die Kontrolle über das wirtschaftliche "goldene Dreieck" wäre perfekt.
Auffällig übereinstimmend sprechen sowohl Basler Mediengruppe wie die Tamedia vom "konsequenten Ausbau der Multimedia-Strategie". Doch während beim Plan der Basler Mediengruppe, die Mehrheit am Liestaler Sender "Radio Edelweiss" zu übernehmen, kein auf Anhieb plausibles Konzept erkennbar wird, offenbart sich die Tamedia-Story glasklar.
Denn mit Basel und allenfalls Bern verfügte der Zürcher Medienkonzern nicht nur eine Art private sprachregionale Senderkette. Sie wäre vor allem in der Lage, gewinnträchtige Werbekombis der grossen Marken zu akquirieren und damit die ursprüngliche Lokalradio-Landschaft in eine Zweiklassen-System zu formieren: Hier die grossen Tamedia-Sender, dort der Rest der Schweiz.
Für Basel und die Basler Mediengruppe brisant ist die Rolle der neuen Tamedia-Medag als Firma, die den grössten Teil der TeleBasel-Werbung akquiriert: TeleBasel ist existenziell abhängig von den Werbeeinnahmen. Davon wiederum ist die Basler Mediengruppe tangiert, die auf TeleBasel mehr Fernseh-Präsenz erringen möchte. Der Gedanke ist da nicht fern, dass auch die Tamedia, die mit "TeleZüri" auch schon Fernsehen produziert, im Gärtchen von TeleBasel ihr Plätzchen beanspruchen möchte.
Zwar sind Heeb und sein Firmengefährte Hansruedi Ledermann nach wie vor die Aushängeschilder des "Basler Musigsänders", aber sie sind nicht mehr die Strategen. Die Strategien werden jetzt in Zürich gemacht. Das ist noch keine Katastrophe - zumal die Tamedia historisch eine inhaltsorientierte publizistische Linie verfolgt und dem Sauglattismus wohl wenig Begeisterung abgewinnen kann. Auch als Radio "Zürilisk" kann "Basilisk" ein attraktiver journalistischer Sender werden.
Aber Basel würde sehr gut daran tun, die vergessene Medienpolitik oder wenigstens das Medienbewusstsein wieder in den Vordergrund zu rücken. Es geht dabei auch darum, die unabhängigen neuen Basler Medienprodukte - wie OnlineReports - zu integrieren, statt darauf zu warten, bis Zürcher Verlage entdeckt haben, welches Potenzial in ihnen steckt.
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29. Mai 2002
Echo |
"Den Basler Medien Sorge tragen"
Ich bin mit dem Kommentar von Peter Knechtli sehr einverstanden. Es ist wirklich nötig, zu den Basler Medien Sorge zu tragen, vor allem auch zur Unabhängigkeit von TeleBasel.
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SITTENPOLIZEI-CHEF
GRAND |
Bericht
Rotlicht-Entscheid gegen TeleBasel: Unverständlich
Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) hat dem Basler TV-Sender TeleBasel einen bösen Rüffel erteilt: Der Bericht über den Basler Sittenpolizeichef Marcel Grand vom vergangenen November verletze dessen Persönlichkeitsrechte ebenso wie das Sachlichkeitsgebot.
TeleBasel hatte in Bild, Text und Ton darüber berichtet, dass sich Grand im Oktober von einer russischen Nachtclub-Chefin in den Konkurrenz-"Club 14" zu einem Mineralwasser habe einladen lassen. Und dass dabei die Russin ausfällig geworden sei und Bierdeckel gegen eine Tänzerin geworfen habe. Darauf hin reichte "Club 14"-Chef Peter Senn bei Polizeidirektor Jörg Schild Beschwerde ein und warf Grand und den Bewilligungsbehörden strafrechtlich relevante Verfehlungen vor: Nötigung, Bestechung, Verletzung von Amtsgeheimnissen.
Dies war allerdings nicht Gegenstand des Beitrags. Vielmehr ging darin es einzig um den dienstlichen Cabaret-Besuch Grands in Begleitung einer Nachtclub-Managerin, der mit Sicherheit Fragen nach dem ethischen Standard eines sensiblen Fahndungsbereichs aufwirft.
Nach Meinung der Medienwächter war dieser Sachverhalt zu wenig relevant - weil er eben nicht die strafrechtlichen Aspekte betraf -, um den Chefbeamten identifizieren zu dürfen. Aufmachung und Moderation seien geeignet gewesen, Grand zu Unrecht anzuschwärzen.
Sicher hat der TeleBasel-Beitrag seine formalen Schwächen: Etwa das Standbild Grands mit der Textmarke "Unsittlich?". Das Fragezeichen macht deutlich, dass die Unsittlichkeit eigentlich nur unterstellt und nicht klar belegt werden konnte. Es fehlten zudem Statements des politisch verantwortlichen Polizeidirektors Jörg Schild oder führender Parlamentarier. Im Gesamteindruck stand Grand fraglos in der Kritik - nicht im strafrechtlichen, aber im ethisch-professionellen Sinn.
Aber die wortreichen Erwägungen der Beschwerdeinstanz haben ebenso ihre Mängel. Sie wirken abstrakt, kopflastig und wenig beeinflusst von journalistischer Erfahrung in einem Milieu, das seine eigenen Regeln im Umgang mit Recht und Wahrheit hat. Das Dramatische am Entscheid: Im Effekt spricht die UBI den elektronischen Medien das Recht ab, über einen tatsächlich fragwürdigen Vorfall um einen Chefbeamten überhaupt zu berichten und ihn mit Namen zu benennen.
Wer die Wächter-Funktion der Medien nicht nur in Sonntagsreden anerkennt, muss auch damit leben wollen, dass sie bei entsprechenden Indizien mögliche Interessenkollisionen von Chefbeamten thematisieren. Das ist grundlegende journalistische Pflicht. Es darf Öffentlichkeit und Politik nicht egal sein, wenn ein leitender Beamter der Basler Sittenpolizei in Begleitung einer Nachtclub-Managerin ein Konkurrenz-Cabaret besucht und sich dort einladen lässt - wenn auch nur zu einem Mineralwasser. Es ist auch nicht unerheblich, wenn diese Nachtclub-Managerin Bierdeckel gegen eine Tänzerin wirft, ohne dass der Chefbeamte dagegen interveniert. Und es darf keinen Zweifel daran geben, dass der Sittenfahnder im dienstlichen Auftrag keine andern Interessen vertritt als die öffentlichen. Wenn selbst der Polizeidirektor von einer "Provokation" spricht, sind zumindest Fragen nach der Glaubwürdigkeit, Unbefangenheit und Professionalität des Sittenpolizeichefs erlaubt und nötig. Hier ist es Aufgabe der Medien, Öffentlichkeit herzustellen und Ross und Reiter zu nennen.
TeleBasel ist in keiner Weise einem Phantom hinterher gesprungen, sondern hat den dienstlichen Umgang des Sittenpolizeichefs zu Recht aufgegriffen. Wenn Polizeidirektor Jörg Schild, der behördliche Kumpanei im Rotlichtmilieu nicht zu dulden bereit ist, seinem Chefbeamten in diesem Fall "augenscheinlich ungeschicktes Handeln" bescheinigt, ist die These des Beitrags bestätigt. Mehr noch: TeleBasel hat sogar ausgelöst, dass die Polizei von höchster Stelle aus sensitive Ermittlungsbereiche überprüft und gar ein personelles Rotationssystem gegen Filzerscheinungen in Erwägung zieht.
Dass dieser demokratisch wertvolle Aspekt durch das Mediengericht UBI in keiner Weise gewürdigt wurde, ist absolut unverständlich. Ob Sittenwächter Grand an jenem Abend "unsittlich" gehandelt hat, ist eine Frage der Interpretation. Das prädikat "ungeschickt" trifft auf jeden Fall zu: Es ist regierungsrätlich abgesegnet.
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24. Mai 2002
SEX-FALL
WEHRLI |
Bericht
Freispruch im Sex-Fall Wehrli:
Die Justiz im Grenzbereich
Das Baselbieter Strafgericht hat entschieden: Freispruch für den Prattler CVP-Politiker Samuel Wehrli vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs seiner damals weniger als zehnjährigen Tochter.
Wir wissen - und haben dies in der Hauptverhandlung auch so wahrgenommen -, dass die Beweise für einen Schuldspruch zu wenig "hart" sind. Da sind zwar sehr ernst zu nehmende Aussagen eines Mädchens, das sich über unerlaubte Annäherungen seines Vaters über Jahre hinweg beschwert, da sind auch Psychotherapeuten und Schulpsychologen, die den Aussagen von Melissa einen hohen Wahrheitsgehalt attestieren.
Aber: Keine Spermaspuren auf der Bettwäsche, kein pornografisches Material im Haushalt und keine Schnäpschen, mit denen Wehrli seine Tochter angeblich gefügig machen wollte. Auch ist, wie die gynäkologische Untersuchung ergibt, Melissas Hymen unversehrt. Schliesslich kommt es auch zu einer polizeilichen Befragung, die mit ihrer suggestiven Tendenz für das Gericht schlicht nicht brauchbar ist. Dass die Justizbehörden über keine verlässlich prozesstauglichen Befragungsstandards verfügen, ist gerade in einem solchen Fall ein unglaublicher Mangel, der noch Folgen haben müsste. Auch wenn während des Prozesses mehrheitlich mit einem Schuldspruch gerechnet wurde, konnte das Gericht nicht einen Vater ins Zuchthaus verweisen und gesellschaftlich ruinieren, dessen Schuld nicht hieb- und stichfest zu beweisen ist.
Vom Zweifel des Gerichts hat der Angeklagte profitiert. Sicher aber ist auch heute nicht, dass die inkriminierten Vorfälle oder Variationen davon nicht tatsächlich vorgefallen sind. Wir wissen es nicht und dürfen es dem nun Freigesprochenen auch nicht unterstellen. Die Gesellschaft muss damit leben, dass es auf die brisante Fragen, die Melissa aufgeworfen hat, keine juristische Antwort geben kann.
Dass Samuel Wehrli nach seinem Freispruch in Tränen ausgebrochen ist, ist verständlich - nach all dem, was ein solcher Prozess an Vorwürfen und Verletzungen mit sich brachte. Aber die Prattler Kämpfernatur darf sich nicht als Sieger fühlen und nun nicht seinerseits inszenieren, was er seiner ehemaligen Frau vorgeworfen hat: Einen Rachefeldzug. Dass die Mutter, auf Anregung einer Beratungsstelle, bei der Polizei Anzeige erstattete, ist nachzuvollziehen. Diesen Schritt zu tun, war ihre Pflicht und Verantwortung.
Die erschütterndste Szene dieses Prozesses war es denn auch, als die Mutter unter Tränen schilderte, wie das Kind zur Spurensicherung auf den Gynäkologenstuhl musste: Sie verstehe jetzt jede Frau, die trotz Verdachts auf sexuelle Übergriffe von einer Anzeige bei der Polizei absehe. Diese Einschätzung ist aus der Optik der Betroffenheit verständlich.
Aber nein, dies wäre der falsche Weg. Im Gegenteil: Jeder Mutter, die einen ernsthaften Verdacht auf sexuelle Vergehen hegt, muss Mut zugesprochen werden, die dafür vorgesehenen rechtsstaatlichen Verfahren in Anspruch zu nehmen. Dies umso mehr, je "härter" die Beweislage ist und ein blosser Feldzug gegen den Ex-Mann ausgeschlossen werden kann. Den Beratungsstellen kommt dabei eine grosse Verantwortung zu. Offen bleibt jedoch, ob die Justiz in solchen Fällen, wo sie mit dem vorhandenen Instrumentarium offensichtlich an ihre Grenzen stösst, anzeigende Frauen nicht nachhaltiger unterstützen könnte. Durch Beratung, aber auch intensive Nachbetreuung. Man stelle sich einmal die Lage vor, in der sich Melissas Mutter, die ihren Ex-Mann angezeigt hat, heute befindet.
Es ist eher nicht anzunehmen, dass Staatsanwalt Boris Sokoloff, der nicht weniger als dreieinhalb Jahre Zuchthaus gefordert hatte und jetzt mit einem Freispruch konfrontiert ist, gegen das Urteil appellieren wird. Sofern der Freispruch rechtsgültig wird, haben Melissa, ihre Mutter und ihr Vater ein Recht auf Normalisierung ihres Lebens. Die Wunden der letzten Jahre sind gross genug.
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18. Mai 2002
Echo |
"Detaillierte Medien-Schilderungen beflügeln die Phatasie des Publikums"
Mit der ganzen detaillierten Veröffentlichung um die vorgeworfene Schädigung der eigenen Tochter werden doch vor allem die neugierigen Bedürfnisse in der Öffentlichkeit bedient! Detailreiche Schilderungen aus Untersuchungen und Gerichtsverhandlungen beflügeln die Phantasie vieler LeserInnen... Aufschlussreich sind die Formulierungen in den Medien wie "Schändung" und andere sensible Begriffe. Es ist klar, dass in der Sexualerziehung von Kindern und Jugendlichen immense Probleme bestehen. Dass sie verdrängt werden und nur durch beispielhafte Prozesse an die Öffentlichkeit dringen, erleben wir seit ein paar Jahren. Geändert wurde nie etwas. Würden die Kinder eine Sexualerziehung von Kindsbeinen an geniessen, dann würden sie nicht erst unter Polizeibefragung zum Reden gezwungen! Dann würde man Geschädigte auch nicht zu Opfern stilisieren und ihnen öffentlich Schande aufbürden! Als Schwuler kann ich da nur den Kopf schütteln, denn wenn es um schwule Kinder und Jugendliche geht, dann wird mit aller Gewalt verhindert, dass sie selbstbewusste und lebensfrohe Menschen werden können. Als "Opfer" wurden sie nie anerkannt. Interessanterweise aber erheben auch wieder die Mütter in späteren Jahren, nach Scheidung und Trennung, Vorwürfe an ihre "schwul gewordenen" Ex-Ehemänner, obwohl doch sie das Versteckspiel und die Lügen durchstossen haben! Ich kann nicht umhin, zu beobachten, dass für Machtkämpfe und Enttäuschungen in Zweierbeziehungen immer wieder die Sexualität instrumentalisiert wird - da ist dann von Achtung und Respekt keine Rede und Schreibe mehr! Die Regenbogenpresse "lernt" uns dies ja an den beispielhaften Prominenten. Geschädigte Menschen können sich in ihrem weiteren Leben vorsehen - Opfer bleiben es meist ihr Leben lang.
Peter Thommen
Schwulenaktivist
Basel
"Betroffene stehen ratlos und alleine da"
Für mich stellt sich die Frage, wie sich eine Mutter verhalten soll, wenn Verdacht auf sexuellen Missbrauch besteht. Zwei Jahre hat es nun gedauert, bis der Angeklagte, mangels Beweisen, freigesprochen wurde. Die Betroffene, nämlich Melissa selbst, war die einzige Zeugin, sie hat sich überwunden und hatte gegen ihren eigenen Vater ausgesagt. Dieser bestreitet alles und bekommt Freispruch. Wo ist nun die Wahrheit? Wieviel zählt die Aussage eines Kindes? Vor lauter Gutachten, Meinungsäusserungen verschiedener Leute, Medienkommentaren und sich stapelnden Akten hat man wohl den Überblick verloren und der leidigen Geschichte einfach ein Ende gemacht. Trauriges Fazit: Die Betroffenen stehen nach all ihren Bemühungen ziemlich ratlos und allein da.
"Aus Ihrem Kommentar spricht fühlbares Engagement"
Ich möchte Ihnen ein Kompliment machen. Die Nähe und Intimität, welche aus Ihrem Kommentar spricht, das fühlbare Engagement, aber auch die Kenntnis der Hintergründe, ist überaus wohltuend. Wenn ich die übrige Presse dazu Revue passieren lasse, beginne ich zu ahnen, welcher Dschungel sich da auftut, welcher Angelpunkt an Macht, Täuschung oder eben sauberer, objektiver Information sich offenbart. Ich denke da vor allem an den Fall Borer. Ist in solchen Fällen ein normaler Konsument all dieser Presse- oder Medienerzeugnisse überhaupt noch fähig, den Spreu vom Weizen zu trennen? Was ich als das Besondere in Ihrem Kommentar empfand, ist die plastische, ins Detail gehende Betrachtung, ein dreidimensionales, farbiges Bild glaubt man zu sehen. Die Konkurrenz, soweit ich sie gelesen habe, blieb da bei 2D und Graustufen.
Marcel Endress
Gelterkinden
"Fachkräfte missbrauchen unsere Kinder"
Ich bin erschüttert über die Fachkompetenzen von Begutachtern und Untersuchern, die selbst auf dem Buckel von Kindern keine Selbstbegrenzung findet. Im Fall Wehrli liegt einmal mehr der Tatbestand von Kindswohlmissbrauch vor, aber nicht durch den Vater. Kein Einzelfall, wie man immer wieder aus Zeitungsberichten mit Beschreibungen aus Gerichtsverhandlungen und von Suggestionstechniken der Befrager entnehmen kann. Wenn Fachleute Offizialdelikte (Kindswohlmissbrauch) begehen, bleibt es ruhig. Wenn Väter schon nur Verdächtigungen ausgesetzt werden, beginnt eine "Hexenjagd". Der Fall Wehrli ist nicht fertig. Die Zeche werden sonst andere Kinder und Väter bezahlen, die, die morgen mit den grossartigen Fachkompetenzen den gleichen etablierten Begutachtern und Untersuchern konfrontiert sein werden. Das gleiche Spiel von neuem? Trägheit darf hier keinen Platz finden.
"Wieder Vertrauen in die Untersuchungsbehörden herstellen"
Tochter, Mutter und Vater haben jetzt ein Anrecht, dass Ruhe einkehrt und sie in Ruhe gelassen werden. Fakt ist, dass das Gericht von den Untersuchungsbehörden im Regen stehen gelassen wurde. Der Freispruch ist mehr als vertretbar. Wer sich nichts hat zu Schulden kommen lassen hat, kann auch nicht verurteilt werden. Nebst Beweisen für die Anklage des Staatsanwaltes, fehlten dem Gericht offensichtlich auch die Indizien. Ich frage mich, wie weit die Untersuchungsbehörden für diese Entwicklung ihre Verantwortung gegenüber den Betroffenen, aber auch gegenüber dem Gericht und Staat zu tragen haben. Wenn offensichtliche Mängel vorliegen, ist diese Frage mehr als berechtigt. Für ein förderliches Vertrauen in ihr Handeln haben die Untersuchungsbehörden jedenfalls nicht gesorgt. Dass sich ein betroffener Vater gegen die schweren Anschuldigungen wehrt, ist mehr als verständlich. Um so mehr, wenn er ein unbescholtener Staatsbürger ist und mit seinem politischen Engagement in der Öffentlichkeit mehr als andere wahrgenommen wird. Auch sei die Frage erlaubt, ob und wie der Kinderschutz überhaupt funktioniert. Kinderschutz, so wie ich ihn verstehe, bedeutet für mich Schutz nach allen Seiten und Entwicklungen, die ein so sensibles Verfahren tragischerweise mit sich bringen. Als Frau und auch als Mutter einer Tochter bin ich der Auffassung, dass nach dem Vorliegen der Erkenntnisse aus den verschiedenen Gutachten, die Untersuchungsbehörden den Sachverhalt bezüglich Kinderschutz und Anklage mit mehr Fingerspitzengefühl hätten angehen müssen. Aus der Distanz betrachtet, fehlt mir die Unvoreingenommenheit und Neutralität der Untersuchungsbehörden. Ich komme vom Eindruck nicht los, dass ein Vater oder ein Mann bereits bei gemachten Anschuldigungen zum Täter abgestempelt und auch so behandelt wird. Zurück bleibt ein Scherbenhaufen und für die Direktbetroffenen eine Katastrophe. Für die nahe Zukunft bleibt die Hoffnung und Zuversicht, dass der Staat und andere dafür vorgesehene Stellen und Institutionen die Zivilcourage und Mut aufbringen werden, die fatale Entwicklung aufzuarbeiten und wieder Vertrauen in die Untersuchungsbehörden herstellen.
"Meine Aussage war auf den Augenblick der Untersuchung bezogen"
Wenn Sie schreiben, jeder Mutter, die einen ernsthaften Verdacht auf sexuelle Vergehen des Vaters hegt, müsse Mut zugesprochen werden, den dafür vorgesehenen rechtsstaatlichen Weg zu beschreiten, dann teile ich diese Meinung voll und ganz. Meine Aussage vor Gericht ("Ich verstehe jetzt jede Frau, die trotz Verdachts auf sexuelle Übergriffe von einer Anzeige bei der Polizei absieht"), war nur auf den Moment bezogen, in dem ich meine Tochter auf dem Gynäkologenstuhl erlebte - keinesfalls generell. Im Gegenteil: Auch ich möchte allen Frauen dazu raten, trotz Hürden, enormem finanziellem Aufwand, Angst und vielen Tränen, sich beraten zu lassen und beim kleinsten Verdacht die Ratschläge der Fachleute zu befolgen.
Die Mutter von Melissa
(Name der Redaktion bekannt)
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POLITIKER-PFUSCH |
Bericht und Leser-Echo
Die Bussen-Motion von Remo Franz: Das ist Pfusch
Der Baselbieter CVP-Landrat Remo Franz wollte den Automobilisten und ihren Verbänden - und möglicherweise auch sich selbst - einen Dienst erweisen: Er reichte fuchsteufelswild eine Motion ein, in der er sich dagegen wehrt, dass der Staat durch Tempo-Bussen offensichtlich zunehmend erfolgreich mit Automobilisten Kasse macht.
Daraus ist genau das Gegenteil geworden: Franz hat sich in einem Anflug geistiger Tempobolzerei zu einem Vorstoss hinreissen lassen, für den sich die Autoverbände schämen müssen. Es ist offensichtlich, dass er seine Motion weder von besonnenen Parteikollegen noch von einem PR-Profi hat gegenlesen lassen. Sonst wäre ihm nicht das Freudsche Malheur passiert, zur Gesetzesübertretung aufzurufen: "Gegen offensichtliche Missachtung der Geschwindigkeitsbegrenzungen ist nichts einzuwenden."
Mit seinem Pfusch, der nun populistisch das Feld dafür ebnet, die Arbeit der Baselbieter Polizei pauschal durch den Kakao zu ziehen - um sich hinterher über deren mangelnde Motivation zu beklagen -, hat der Aescher Politiker ein Eigentor geschossen. Nicht einmal auf seine parlamentarische Narrenfreiheit kann er sich berufen.
Dabei hat sich Franz möglicherweise an ein Thema heran gemacht, das durchaus einer genaueren Überprüfung Wert wäre. Denn es ist ausser Frage, dass Tempokontrollen je nach Standort durchaus als Schikane an- und ausgelegt werden können. Allerdings hätte es der politische Anstand geboten, zuerst einmal die präzisen Informationen einzuholen: Wo liegt das Schwergewicht der Kontrollen? Gibt es offensichtlich schikanöse Blechpolizisten? Gibt es einen Trend zu Sittenverwilderung auf der Strasse? Nach welchem Konzept führt die Polizei Tempo-Kontrollen durch?
Auf solche Abklärungen glaubt Remo Franz verzichten zu können, bevor er sich ein Urteil anmasst. So leistet er der Entwertung des parlamentarischen Betriebs weiter Vorschub. Und desavouiert alle Kolleginnen und Kollegen, die sich vor Einreichung eines Vorstosses noch einen Moment Denkarbeit leisten.
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20. April 2002
JEAN-FREY-INVESTOREN |
Bericht
Jean-Frey-Investoren: In der Freyheit liegt die Chance
Jetzt ist der Schuss draussen. Die meisten Namen der neuen Besitzer des Jean-Frey-Verlags sind bekannt. Auf den ersten Blick fällt dreierlei auf:
Der - zumindest finanziell - starke Mann ist mit einem Anteil von 25 Prozent der 72jährige Financier Tito Tettamanti. Trotzdem gehört er einstweilen nicht dem Verwaltungsrat an.
Mit Ausnahme von Heinz Wermelinger (CM Crossmedia) und dem Berner Burger Charles von Graffenried (Besitzer der "Berner Zeitung") sind keine Personen mit grosser Erfahrung im Mediengeschäft dabei.
Es handelt sich um breit gestreutes bürgerliches bis rechtsbürgerliches Kapital; Vermutungen, dass frühere Roche-Kapitäne sich als Rentner-Hobby ein Medienhaus halten wollen, sind unbegründet.
Letzte Gewissheit über die Kräfteverhältnisse besteht indessen nicht, da immerhin 20 Prozent der Kapitaleigner ihre Identität nicht bekannt geben.
Aus der Zusammensetzung des bekannten Aktionariats lässt sich der Schluss ziehen, dass keine grossen Medienkonzerne massgeblich mitmischen und dass keine parteipolitische Kraft - wie etwa Christoph Blochers SVP - den untauglichen Versuch unternehmen wollte, sich in Bonsai-Berlusconischer Manier ein Stück Medienmacht unter den Nagel reissen zu wollen.
Eine solche Polit-Strategie hätte ohnehin nichts getaugt: Weder wäre das ganze Firmenkonstrukt glaubwürdig geworden noch hätten pluralistische Titel wie "Weltwoche" und "Bilanz" auch nur den Hauch einer Chance gehabt, auf dem Lesermarkt zu überleben. Von einem "Beobachter" von SVP-Gnaden schon gar nicht zu reden. Umgekehrt erschien allerdings die Art, wie sich die "Beobachter"-Redaktion vorschnell an die Brust des Marktmächtigsten Ringier zu werfen wagte, statt das neue Aktionariat erst unvoreingenommen zu prüfen, sachlich nicht nachvollziehbar. Heute lässt sich zumindest sagen, dass unter den neuen Jean-Frey-Aktionäre keine medienfeindlichen Schreckgestalten auszumachen sind.
Allerdings muss sich durch Tatbeweis erst noch weisen, wie weit es den Investoren - wie bisher suggeriert - auch um idealistisches Engagement ("Medienvielfalt") geht und nicht nur nur ums schnelle Geschäft oder um ideologischen Einfluss.
Die bisherigen Beteuerungen - antizyklisches Verhalten, Rentabilität erst in drei bis fünf Jahren - weisen zumindest auf langfristige Anlageinteressen hin. Rentabel kann die Gruppe - und insbesondere die kriselnde "Weltwoche" - aber nur werden, wenn ihre Journalistinnen und Journalisten über die grösst mögliche Medienfreyheit verfügen. Die Investoren müssen sich darum angesichts ihrer breit gestreuten privaten und geschäftlichen Interessen bewusst sein, dass sich Konflikte mit unabhängig recherchierenden Journalisten nicht vermeiden lassen.
Wenn "Weltwoche", "Bilanz" und "Beobachter" mit einer vorbildlichen Medienfreyheit antreten können, wie sie in den siebziger und achtziger Jahren noch die Debatten der Berufsverbände prägten, und wenn das Marketing-Management dieses idealistische Kapital geschickt auszunützen versteht, dann haben sowohl die Titel wie die Investoren eine Erfolgschance.
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29.3.2002
JEAN-FREY-COUP |
Bericht
Die galoppierende Entwertung der "Weltwoche"
Im Dauer-Drama um die Zukunft des noch von der Basler Mediengruppe kontrollierten Zürcher Jean-Frey-Verlags ("Weltwoche", "Bilanz", "Beobachter", "TR7") kündigt sich ein neuer Akt an: Nicht an Ringier geht der Verlag, sondern zur Zwischenlagerung an die Investmentbank Swissfirst, die die Anteile bei bislang unbekannten institutionellen und privaten Investoren platziert.
Im medialen Urteil kommt die Basler Mediengruppe, die Ringier knallhart vor den Kopf gestossen hat, mehrheitlich schlecht weg: Der Verkauf trage "Züge einer Verzweiflungstat", kommentierte die NZZ, die dem Basler Verlagshaus um Matthias Hagemann "mangelnde Vertragstreue und schlechten Stil" attestierte.
Eine verlässliche Bewertung des Streits der Presse-Titanen ist in Tat und Wahrheit derzeit kaum abzugeben: Es liegen schlicht zu wenig Grundlagen vor, um den wahren Bösewicht verlässlich zu orten.
Da bringt es letztlich niemanden weiter, wenn sich beide Verlage gegenseitig "eklatante" oder auch nur gewöhnliche "Vertragsverletzung" vorwerfen. Wir haben die Verträge bisher nicht im Wortlaut gesehen. Vielleicht haben beide Recht: Die Basler Mediengruppe hat tatsächlich parallel verhandelt und entsprechende Vertragsbestimmungen verletzt; vielleicht hat aber auch Ringier auf Zeit gespielt und den Preis für die Prestige-Titel Stück für Stück, Millionen um Millionen, herunter gepokert.
Soviel steht fest: Haupt-Hypothek im Verkaufs-Paket "Jean Frey" ist nicht das Loch in der Pensionskasse, sondern die desolate wirtschaftliche Situation der "Weltwoche". Da mag Matthias Hagemann noch so lange - und aus nachvollziehbaren Motiven - vom "Qualitätstitel" schwärmen, Chefredaktor Roger Köppel noch sehr vom "intellektuellen Tischgespräch" träumen - in Wirklichkeit hat die "heisseste Kartoffel des Medienwesens" (so die "Südostschweiz") zu viel Kredit verspielt. Das seit einem Jahr geführte luftige Tamtam um den "Relaunch", die überkandidelten Ankündigungen eines neu erfundenen Journalismus und schliesslich die unerträglich lange Unsicherheit über die neuen Besitzverhältnisse beschleunigen den Niedergang des früheren Top-Titels.
Ob der erfolgreiche TV-"Arena"-Dompteur Filippo Leutenegger, ohne Erfahrung im Vermarkten von Printprodukten, als neuer Konzernchef den Turnaround der "Weltwoche" schaffen kann? Wir würden's ihm und der Presselandschaft gönnen. Nur zweifeln wir daran. Wenn sich journalistische Qualität nur noch auf Beschwörung beschränkt und selbst Ressortleiter in Redaktionen die "Weltwoche"-Lektüre inzwischen für entbehrlich halten, ist Alarmstufe rot angesagt.
Das Wirtschaftsmagazin "Bilanz" und "Beobachter" werden auch die jetzige Kampfphase unbeschadet überstehen. Aber wenn sich die "Weltwoche" mehr von der Reputation der Vergangenheit nährt als von ihren aktuellen Recherchenleistungen, dann wird sie zum Anachronismus. Und die Fütterungsbereitschaft der Investoren zum Pokerspiel.
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10.2.2002
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