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"Es gibt kein Zurück": Basler Regierungsräte Schneider, Schild, Tschudi

Zollfreistrasse: Es wird geräumt und gerodet

Basler Regierung sieht keinen Spielraum mehr / Gegner protestieren und bereiten sich auf Widerstand vor

VON PETER KNECHTLI

Gerade rechtzeitig vor dem Wahlkampf wird es ernst um die Zollfreistrasse: Die Basler Regierung sieht keinen Spielraum für Verhandlungen mehr und bereitet sich auf die Fällung der Bäume im Projektgebiet vor. Die Gegner organisieren den Widerstand und protestieren gegen die Haltung der Regierung, die nicht nur Volksrechte missachte, sondern auch massgebliche Gutachten.

Die Botschaft, die der Basler Regierungspräsident Jörg Schild (FDP), Justizminister Hans Martin Tschudi (DSP) und Baudirektorin Barbara Schneider (SP) heute Montagmorgen verkündeten, liess keine Zweifel mehr offen: Die Regierung - so beschloss sie vergangenen Dienstag - sieht keinen "keinerlei Spielraum" mehr, den Bau der Zollfreistrasse zwischen Lörrach und Weil zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Dies, obschon die siebenköpfige Basler Exekutive einstimmig der Meinung sei, dass dieses 740 Meter lange Strassenstück entlang dem Flüsschen Wiese "nicht mehr zeitgemäss" sei, wie Schild vor den Medien sagte. Der Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz, auf dem das Strassenprojekt beruht, sei jetzt zu erfüllen - selbst auf die Gefahr hin, dass die "Zollfreie" zum grossen Wahlkampfthema werde.

Räumung und Rodung stehen unmittelbar bevor

"Es gibt kein Zurück. Der Bau steht kurz bevor." Mit diesen knappen Worten trug Regierungsrätin Barbara Schneider - eine entschlossene Gegnerin des antiquierten Projekts - den Regierungsentscheid in aller Deutlichkeit mit. Und Polizeidirektor Schild betonte, dass die Schonfrist der Brutzeit, die den Vögeln im Uferwald gewährt wurde, nun vorbei sein. Die Räumung des Geländes und die Rodung der für die Brücke notwendigen Bäume stehe unmittelbar bevor, sagte Schild, ohne sich genau in die Karten blicken zu lassen ("wir erreichten nicht noch Tribünen"). Die konkreteste Terminangabe des Regierungspräsidenten war "Anfang September".

Es seien sämtliche rechtlichen Abklärungen getroffen worden, ohne noch ein aussichtsreiches Schlupfloch zu finden, sagte Schild. Er forderte die zur Besetzung der Bäume entschlossenen Gegner der Zollfreistrasse auf, "eine Konfrontation zu vermeiden". Schild zeigte Verständnis für das politische Anliegen der Gegner, gewichtete aber einen zentralen Grund stärker: "Wir können es uns nicht leisten, als vertragsverbindlicher Partner unglaubwürdig zu werden."

Initiative "kann Bau nicht stoppen"

Daran ändere auch die "Wiese-Initiative", die kürzlich mit 6'200 Unterschriften eingereicht wurde nichts: Der Staatsvertrag stehe höher, die Initiative könne ihn "nicht aushebeln", Völkerrecht habe "Vorrang". Dennoch werde die Regierung dem Grossen Rat "höchstwahrscheinlich" beantragen, die Initiative für "rechtlich gültig" zu erklären, erklärte Justizdirektor Hans Martin Tschudi. Doch selbst eine allfällige Annahme des Begehrens in der Volksabstimmung hätte "keine rechtlichen Konsequenzen auf den Bau", weil sich die Initiative nicht direkt auf das Bauprojekt beziehe, sondern auf den generellen Schutz des Wiese-Uferwaldes.

Im Detail wies die Regierung sämtliche von den Gegnern vorgebrachten Argumente vom Tisch. Der Vergleich des Zollfreie-Staatsvertrags mit dem nach Meinung der Strassenbau-Gegner von Deutschland nicht eingehaltenen Staatsvertrag von Lugano, der auch den fraglichen Bahnausbau im deutschen Rheintal beinhaltet, sei nicht stichhaltig. Das Luganeser Abkommen sei bloss eine "Planungsrichtlinie", wogegen sich der Zollfreie-Staatsvertrag auf die konkrete Umsetzung eines Projekts beziehe, sagte Tschudi. Sein Juristen-Kollege Schild wiederum ergänzte, auch das Berner Artenschutz-Abkommen, auf das sich die "Wiese-Initiative" beruft, könne "den Bau der Strasse nicht verhindern".

Ebenso sei eine Etappierung des Baus Anfang der neunziger Jahre zwischen Basel-Stadt und dem Regierungspräsidium Freiburg vereinbart worden. Das Gutachten des Baselbieter Kantonsrichters Andreas Brunner, der den Baubeginn vor Durchführung sämtlicher Enteignungen - zwei Parzellen sind noch nicht im Staatsbesitz - als illegal bezeichnet hatte, sei indes "nicht stichhaltig", weil private Dritte aufgrund der Technischen Vereinbarung, auf die sie sich berufen "keine Rechte" hätten. Derzeit gehe es einzig um den Bau der Brücke, für die sämtliche Rechte vorlägen; das Teilstück am Fusse des Schlipf werde später gebaut. Das Geld dazu, so Schild, "fehlt nicht", sei ihm versichert worden.

Gefällte Bäume wieder herstellen?

Etwas heikler stellt sich das Problem bei zwei Einsprechern, die vor Gericht bemängelt hatten, dass sie über die Verlängerung der Rodungsbewilligung durch die Basler Regierung im Mai 2001 (gültig bis 30. Juni 2006) nicht informiert worden seien. Das Basler Verwaltungsgericht unter Präsidentin Marie-Louise Stamm habe der Beschwerde letzten Freitag die aufschiebende Wirkung entzogen, sagte Justizdirektor Tschudi. Was er den Medien aber nicht sagte, war der zweite Teil des Gerichtsbeschlusses: Falls der Rekurs später gutgehiessen werden sollte, müsse der "ursprüngliche Zustand" wieder hergestellt werden. Wie dies mit gefällten Bäumen zu bewerkstelligen ist, konnte kein Regierungsmitglied erklären. Hans Martin Tschudi zeigte sich aber aufgrund der Begründung der abgelehnten aufschiebenden Wirkung überzeugt, dass der Rekurs vor Gericht materiell keine Chance habe.

Grossräte verlangen Sondersitzung

Angesichts der Zuspitzung des Jahrzehnte dauernden Konflikt haben heute Morgen 33 Grossrätinnen und Grossräte aus fünf Parteien im Rathaus um die Einberufung einer ausserordentlichen Grossratssitzung gebeten. Dabei soll der Grosse Rat "zu seiner Meinungsbildung umfassend über die gegenwärtige Situation und über das mögliche weitere Vorgehen informiert werden". Expertinnen und Experten sollen zu hängigen Fragen angehört werden. Die Sitzung soll, wie es weiter heisst, "auch zur Klärung der Verantwortung zwischen Bund und Kanton beitragen". Wie am Rande der Medienkonferenz bekannt wurde, hat das beauftragte Bauunternehmen - die deutsche Tochterfirma des beauftragten Bauunternehmens bei den deutschen Behörden wegen der bisherigen Bauverzögerung einen Schadenersatz von 283'000 Euro "angemeldet".

Die "Zollfreie"-Gegner um den Arzt Martin Vosseler aber wollen nicht aufgeben: Nachdem sie sich am Wochenende bereits durch einen Experten in gewaltlosem Widerstand ausbilden liessen und an Seilen auf Bäume kletterten, planen sie jetzt weitere rechtliche Interventionen beim Bund.

6. September 2004

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"Vom Industriekanal zum Fischgewässer"

Der Bau der Zollfreistrasse soll mit folgenden Auflagen vorangetrieben werden: Im Gebiet Landesgrenze – Zoll Weilstrasse – Mühleteich – Wiese soll grossflächig für künftige Generationen ein Naturschutzgebiet mit Auenwald angelegt werden. Die Wiese soll in diesem Gebiet renaturiert, also vom Industriekanal zum ansprechenden Fischgewässer und künftigen Laichplätzen von Lachs und anderen selten gewordenen Fischen ausgebaut werden. So bekommen die Naturschützer auf lange Sicht ein tolles Beobachtungs- und Erholungsgebiet das den Namen Auenwald verdient, die geplagten Anwohner der verkehrsreichen Strassen in Riehen, Lörrach und Tüllingen erhalten die schon lange ersehnte Ruhe vom übermässigen Strassenverkehr. Es zeigt sich, dass mit etwas gutem Willen, Natur und Zivilisation mit- und nebeneinander leben könnten, doch vielen fehlt der Glaube. Herr Vosseler würde sich besser für diese friedliche Kompromisslösung einsetzen, statt den sinnlosen "Kampf" gegen die "Zollfreie" weiter zu führen.

Rolf Schneeberger-König
Riehen



"Regierungsmehrheit und Bundesrat waren zu feige"

Artikel 22, Absatz 2 des Staatsvertrags über die Zollfreistrasse vom April 1977 besagt klipp und klar: "Ergeben sich bei der Durchführung des Vertrages erhebliche Schwierigkeiten oder ändern sich die bei seinem Abschluss bestehenden Verhältnisse wesentlich, werden die Vertragsstaaten auf Verlangen eines Vertragsstaates in Verhandlungen über eine angemessene Neuregelung eintreten." Leider sind sowohl die Mehrheit der Basler Regierung als auch der Bundesrat zu feige, um die durch das Volk mit mittlerweile an die 7'500 Unterschriften und zahlreichen Rechtsschriften dokumentierte Wahrnehmung, wonach sich die Verhältnisse seit '77 wesentlich geändert haben, ernst zu nehmen und Neuverhandlungen zu verlangen. Zu den wesentlich geänderten Verhältnissen gehört etwa der jüngere und damit höherwertige Staatsvertrag der sogenannten "Berner Konvention" über den Artenschutz; die Regio-S-Bahn (welche durch die Zollfreie massiv konkurrenziert würde); der Klimawandel und die gesamteuropäischen und weltweiten Gesetze und Protokolle zu dessen Vermeidung (Bsp. Kyoto-Protokoll) und so weiter und so fort. Wer diese wesentlichen Änderungen der Verhältnisse negiert, behauptet wider besseres Wissen, unsere Gesellschaft und das Bewusstsein der Menschen sei seit den 70er Jahren stehen geblieben. Das wäre wahrlich ein schlechtes Zeugnis für ebendiese Politkreise! Wer heute trotz all den genannten, wesentlich geänderten Verhältnissen Neuverhandlungen ablehnt, verletzt Artikel 22 Absatz 2 des Staatsvertrags über die Zollfreistrasse!

Dieter Stumpf-Sachs
Koordinator "Wiese-Initiative"
Basel


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