© Foto Peter Knechtli OnlineReports ![]() "Ich liebe den Ständerat heiss": Designierter Präsident Gian-Reto Plattner Vom wilden Linken zum Mann der Mitte Der Basler Sozialdemokrat Gian-Reto Plattner wird Präsident des Ständerats VON PETER KNECHTLI Jammern die beiden Basel gern und zu Recht über die Missachtung durch die Rest-Schweiz an ihrer Repräsentanz an der Spitze des Ständerates gibt es nichts zu mäkeln: Vor vier Jahren sass der freisinnige Baselbieter Rechtsprofessor René Rhinow auf dem Thron, kommendes Jahr wird es der sozialdemokratische Basler Physikprofessor Gian-Reto Plattner (62) sein. Das Präsidium der Kleinen Kammer - es ist der achte Basler Amtsinhaber seit Besehen des Bundesstaates - wird gleichzeitig Abschluss und Höhepunkt von Gian-Reto Plattners zwölfjährigem Mitwirken in der Bundespolitik sein. Zu den nächsten Wahlen will er nicht mehr antreten. Auch wenn er seinen Rücktritt für fällig hält, bleibt kein Moment Zweifel, dass sich Plattner aus einer Oase seiner Leidenschaft zurückzieht. Ich liebe diesen Rat heiss, bekennt in waschechtem Bündner Dialekt der linke Intellektuelle, der den Ständerat vorzugsweise als Sénat helvétique und Ältestenrat definiert. In seinem Schwärmen über die transformierende Rolle der kleinen Parlamentskammer schwingt durchaus auch der Stolz mit, als ökologischer Linker den stolzen Stadtstaat
Er tut dies gemessen an seiner Akzeptanz in der Bevölkerung mit Bravour. Als Nachfolger seines Parteifreundes Carl Miville schaffte er die Erstlings-Wahl 1991 gegen heutigen Basler Finanzminister Ueli Vischer nur mit einer Differenz von 34 Stimmen, so dass eine Nachzählung nötig wurde. Doch vier Jahre später schlug er den liberalen Wirtschaftsanwalt Thomas Staehelin so deutlich, dass 1999 nur noch die aussichtslose SVP den Kandidaten Peter Adam ins Rennen schickte. Heute ist Gian-Reto Plattner, geprägt durch die Harmonisierungs-Mechanik des Ständerates, unbestritten mehrheitsfähig: Der junge Wilde hat sich in die Mitte bewegt. Vereinnahmung durch den höheren Diskurs Dies macht ihn bei einem Teil seiner Anhängerschaft suspekt. Damals, als Fraktionspräsident im Basler Grossen Rat, verkörperte er mit Bart im Pullover den linken Bündner Naturburschen, der tatsächlich in ihm steckt. So vermittelte er mit AJZ-Jugendlichen und so schuf er als Kommissionspräsident ein fortschrittliches Umweltschutzgesetz. Mit seiner Wahl in den Ständerat verschwanden Bart und Handgestricktes. Die Vereinnahmung durch den gepflegten politischen Diskurs schlug sich als Erstes im Äusseren nieder. Später verkrachte sich Gian-Reto Plattner mit seiner Parteikollegin und früheren Nationalrätin und fundamentalen Gentech-Kritikerin Margrith von Felten: Der Naturwissenschafter Plattner bekämpfte mit Leidenschaft und zum Wohlgefallen der Pharma-Information, die nur ein Stockwerk unter seinem heutigen Arbeitsplatz als Vizerektor der Universität residiert, die Genschutz-Initiative. Sein Kredo: Die Menschheit kann aus nichts aussteigen, weder aus der Bio- und Gentechnologie noch aus ihrer sonstigen Geschichte, sie kann sie nur zu lenken versuchen bis zum Ende. Schwerpunkt Wirtschafts- und Forschungsinteressen Plattner ist genügend rollenbewusst, um zu erkennen, dass er mit seinem Stände-Auftrag einen Teil seiner politischen Klientel vor den Kopf stösst. Doch zum einen habe er hier wirklich seine persönliche Überzeugung geäussert, zum andern habe ein Basler Ständerat die Pflicht, Wirtschafts- und Forschungsinteressen zu vertreten. Kommt seine familiäre Affinität dazu: Plattners Vater war
Was ihm links-grüne ParteigenossInnen als Kniefall vor den Interessen der Pharmakonzernen auslegten, trifft indes nicht pauschal zu. Plattner vertrat nur punktuell die Linie der Pharmaindustrie. In andern Fällen scheute er sich nicht, den heimischen Baronen die Stirn zu bieten. Als er einmal mit spitzer Anspielung (Laffmann-Horosch, Möhringer-Bannheim) einen Vorschlag zur Besteuerung von Holdinggesellschaften als Subventionierung von Familienaktionären durch die öffentliche Hand geisselte, folgte postwendend die fernmündliche Bitte von Roche-Boss Fritz Gerber um ein klärendes Gespräch. Auch über Werbeauftritte der Stiftung Gen Suisse hat Plattner schon öffentlich fassungslos den Kopf geschüttelt. Freunde im Freisinn Fremd fühlt er sich in der SP nicht im Entferntesten: Die gebildeten Liberalen sind heute in der SP. Der Bürgersinn ist bei uns am besten entwickelt. Wenn es jedoch einen guten Freisinn gäbe, könnte er sich als Linksliberaler auch dort heimisch fühlen. Politische Brücken hat er längst geschlagen - etwa, wenn er sich dabei ertappt, zu den zuverlässigsten Supportern von Finanzminister Kaspar Villiger (ein
Freisinnige sind auch immer wieder dabei, wenn Plattner mit ausgedehnten privaten Berg- und Pässewanderungen der Drang nach Bewegung in der Natur durchbrennt. Da kann schon mal sein, dass ihn ein bürgerlicher Ratskollege hinter einem Felsen als Mitwanderer überrascht. Ansonsten überlässt er bei seinen Fuss-Reisen nichts dem Zufall. Auf einer ausgeklügelten Excel-Tabelle plant der Vater von fünf erwachsenen Kindern aus erster Ehe alle Daten mit wissenschaftlicher Akribie, von der Höhendifferenz bis zum Leistungskilometer. Plattner effizient: Das "4 k"-Programm Leistungsoriertiert will er als Präsident auch den Ständerat führen: "Ich bin immer auf Effizienz aus." Sein 4 K-Programm: Kurz, konzis, konkret, konzilliant. Nach aussen will er die faszinierende Funktion des Ständerats stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung tragen. Politische Ambitionen hat Gian-Reto Plattner keine mehr. Dagegen will er sich weiterhin für Hochschulen, Forschung und Technologietransfer engagieren. Ich kämpfe mit Leidenschaft aus Lust an der Auseinandersetzung, sagt er in seinem Rektoratsbüro gleich gegenüber dem Kollegiengebäude. In Blue Jeans und Flanellhemd, die Ärmel zurückgekrempelt. Gian-Reto Plattner: Seine Facetten
Fehlt eine wichtige Facette? Mailen Sie uns Ihr Echo. OnlineReports bringt's.
22. November 2002
|
Zurück zu Politik
Zurück zur Hauptseite
© by Peter Knechtli