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© Foto by Museum Rietberg

"Grösster denkbarer Kontrast": Zürcher Museum Rietberg, Eingang

Weihevolle Distanz, starke Ruhe

Das neue Museum Rietberg in Zürich: Ein passender Rahmen für die aussereuropäische Kunst

VON AUREL SCHMIDT

Museen haben Konjunktur. Das hat nicht so sehr damit zu tun, dass es immer mehr zu sammeln und aufzubewahren gibt, sondern weil ihr Besuch zu einem modernen Lebensstil gehört.

Völkerkundemuseen profitieren dabei vom erweiterten Blick von heute auf die Welt, der durch die globale Betrachtungsweise geprägt wird. Ferne, fremde Kulturen sind näher gerückt, sie nehmen Anteil an unserem Leben wie wir an ihrem.

Im vergangenen Herbst ist das Musée des arts premiers ("Branly") in Paris eröffnet worden, in Zürich hat das Museum Rietberg jetzt eben seine Ausstellungsfläche um das Doppelte erweitert. In Basel wird das Museum der Kulturen in den nächsten Jahren umgebaut und neu eingerichtet.

Das Museum Rietberg beherbergt eine beachtliche Sammlung aussereuropäischer Kunst aus der Vergangenheit. Die Schwerpunkte liegen in Asien und Afrika. Mit 10'000 Objekten ist der Bestand eher klein, aber von erlesener Bedeutung. Der Neubau macht es jetzt möglich, einen grösseren Teil der Bestände als bisher zu präsentieren. Die neuen Fazilitäten geben den Objekten mehr Raum und bringen sie so besser zur Geltung.

"Jedes Objekt hat seinen eigenen Platz
in einem eigens bestimmten Raum."

Der Wiener Architekt Adolf Krischanitz und der Schweizer Architekt Alfred Grazioli mit Bürositz in Berlin haben sich eher zurückgehalten und auf einen "Bilbao-Effekt" (Grazioli) verzichtet. Eine gläserne Eingangshalle gegenüber der Wesendonck-Villa, dem bisherigen Hauptgebäude des Museums, dominiert den äusseren Eindruck. Von aussen lässt sie sich als Smaragd beschreiben, innen ist der Eingangsbereich lichtdurchflutet und fasst den Blick von innen nach aussen und von aussen nach innen in einem durchscheinenden Bild zusammen, als seien die Grenzen aufgehoben. "Wir wollten Räume für die Kunst schaffen, nicht die Kunst für Räume verwenden", bemerkt Alfred Grazioli dazu.

In der Eingangshalle fallen die Decke aus hinterleuchtenden Onyx-Platten und die künstlerische Gestaltung von Helmut Federle auf (Sichtbeton, der im Lauf der Zeit mit Goldfolien, für zehn Franken zu erwerben, zugeschichtet werden soll, ähnlich wie in asiatischen Tempeln). Von hier aus - von draussen nach drinnen, vom Licht ins Dunkel, von der Natur zur Kunst - führt der Weg in das erste Untergeschoss.

Um den Mittelteil sind verschiedene Räume angeordnet. "Im Museum Rietberg hat jetzt jedes Objekt seinen eigenen Platz in einem eigens bestimmten Raum und in einer eigenen Präsentationsform", sagte Albert Lutz, der Museumsdirektor. Dazu tragen die Farben und die Lichtführung bei. Die Objekte sind nach geografischen Überlegungen verteilt.

"Die Skulpturen in ihrer Distanz
und Ruhe auf sich einwirken lassen."

Im zweiten Untergeschoss ist Raum, der frei für Wechselausstellungen bespielt werden kann. Zur Eröffnung ist die Ausstellung "Kannon" in Zusammenarbeit mit dem Nationalmuseum Nara in Japan eingerichtet worden. Kannon (japanisch, Avalokiteshvara auf Sanskrit) ist der Bodhisattva des Mitgefühls, derjenige, der die höchste Stufe der Erleuchtung erlangt hat, aber darauf verzichtet, in das Nirwana einzugehen und den Menschen beisteht, die sich noch in der Welt des Leidens aufhalten. "Sein mitleidvoller Sinn ist wunderbar und wie eine grosse Wolke" (Lotus-Sutra).

Die Ausstellung umfasst nur 34 Objekte, deren Platzierung an ein Tempelinneres denken lässt. Ihre Bedeutung geht nicht unmittelbar aus ihnen selbst hervor. Am besten ist es, die Bodhisattva-Skulpturen in ihrer weihevollen Distanz, in ihrer starken Ruhe meditativ auf sich einwirken zu lassen.

Es gibt im neuen Museum Rietberg noch einen weiteren neuen, originellen Raum. Im Schaudepot werden in unstrukturierter Form unzählige Objekte ("schöne, miserable, Fälschungen", so Albert Lutz) in Vitrinen vorgestellt. Man kann damit anstellen, was man will, zum Beispiel Entdeckungen machen. Was nicht der schlechteste Umgang mit ihnen wäre.

Das Schaudepot stellt den Kontrast zur Konzeption her, wie in allen übrigen Räumen des Hauses die Objekte präsentiert werden. Seit der Gründung des Museums Rietberg im Jahr 1952 und in Übereinstimmung mit dem Gründungsdonator Eduard von der Heydt versteht sich das Museum Rietberg als Kunstmuseum. Darin unterscheidet es sich vom Völkerkundemuseum Zürich, wo Kultur, Zivilisation und Kontext bestimmend sind.

"Der Akzent
wird auf das Ästhetische gelegt."


Den Akzent auf das Ästhetische zu legen, war bei der Museumsgründung und später in den Jahren vor und nach 1968 bestimmt ein Sakrileg. Das Objekt aus fremden Kulturen hatte in seinem Alltags- und Ritual-Zusammenhang gesehen zu werden. "Das war eine völlig falsche Auffassung", stellt Lorenz Homberger, Vizedirektor des Museums, fest. Am Beispiel afrikanischer Plastiken gelingt ihm der Nachweis, dass deren Schöpfer ein Kunstverständnis hatten, das unserem eigenen erstaunlich nahe kommt. Nur das Wort "Kunst" war nicht bekannt. Für die meisten Besucher dürfte der Zugang zu den Objekten über die ästhetische Bedeutung sowieso der naheliegendste sein.

Die allermeisten Gegenstände sind in Vitrinen ausgestellt. Das entrückt sie und hebt sie zugleich in ihrer in sich ruhenden Einzigartigkeit und befremdenden, aber auch einprägsamen Ausstrahlung hervor. Es isoliert und individualisiert sie. Auf diese Weise treten sie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Der grosse französische Naturwissenschafter Georges Buffon (1707-1788) und Goethe haben beide immer wieder betont, wie wichtig das Anschauen ist, weil es die Voraussetzung von Denken, Verstehen und Wissen bildet. Für Goethe war es ausgemacht, "dass wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren" ("Zur Farbenlehre", Vorwort).

So muss man im Museum Rietberg die ausgestellten Objekte lange und aufmerksam betrachten und von den Formen zu den Einsichten und Erkenntnissen voranschreiten. In den Ausstellungsräumen wird konsequent auf lange Beschreibungen, Monitore und so weiter verzichtet. Kurze Angaben müssen genügen, aber immerhin bekommt man beim Besuch ein Heft in die Hand gedrückt, in dem jeweils für jeden Saal mit den darin enthaltenen Werken das Wichtigste zum Verständnis pointiert zusammengefasst ist.

Was für die Ausstellung "Kannon" gilt, lässt sich auf das ganze Haus anwenden: Schauen, betrachten, nachdenken, verstehen, ermessen (was eigentlich die Übersetzung von "meditieren" ist). Die Stille, die man antrifft, die Konzentration, die sich dabei entfaltet, steht im denkbar grössten Kontrast und Widerspruch zur lärmigen Welt draussen. Man muss den Museumsbesuch früh antreten, um, beeindruckt von der Wirkung, noch eine Stunde anhängen zu können.

Museum Rietberg, Zürich. Info: www.rietberg.ch

In einem weiteren Beitrag wird sich OnlineReports mit der Situation des Museums der Kulturen in Basel befassen.

17. Februar 2007

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