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"Ideologisch nicht so vorgeprägt": Grüner Regierungsratskandidat Guy Morin*

Ein Politiker, der es nur gut meint
mit dieser Welt

Der Grüne Guy Morin hofft als Basler Regierungsratskandidat auf seine Panaschier-Kraft

VON PETER KNECHTLI

Der grüne Politiker und langjährige Basler Grossrat Guy Morin (47) will in die Kantonsregierung. Er soll mithelfen, die bürgerliche Mehrheit zu kippen und eine links-ökologische Exekutive zu installieren. Ob der praktizierende Arzt eine Wahlchance hat, ist unsicher, aber mit seiner soliden und zugänglichen Art holt er Stimmen auch bürgerlich-liberalen Lager.

Es riecht noch nach Kaffee und er wischt die letzten Überreste vom Morgenessen vom massiven hölzernen Küchentisch. Dies ist das Zentrum der vierköpfigen Familie: Guy Morin, seine Frau, eine selbstständige Bewegungs- und Atmungstherapeutin, und die Kinder Meret (12) und Benedict (10). Politik und insbesondere die Kandidatur als Regierungsrat ist Vaters Sache. So sind wir allein bei unserem Gespräch, einzig das junge Tigerkätzchen Amadeus, seit drei Monaten Mitglied der Familie, leistet uns Gesellschaft und will schliesslich von ihrem Halter gestreichelt werden.

Wert legen die Morins auf ihre Privatsphäre; immerhin lässt sich der Kandidat nach einigem Zureden doch am Tisch fotografieren. Er gibt später sogar eine Kostprobe seiner musikalischen Neigung: Auf den fünfhundert Pfeifen der imposanten Hausorgel, dem dominierenden Requisit in der Stube, intoniert er, streng die Brille auf, kirchliche Choräle von Bach und Brahms.

Beim täglich geübten Musizieren ergibt sich eine Schnittstelle zu DSP-Justizdirektor Hans Martin Tschudi: Auch er spielt Hausorgel, auch er lernt bei Münster-Organist Felix Pachlatko. Aber politisch ziehen die beiden andere Register. Dies zeigte sich jüngst am Beispiel der umstrittenen Zollfreistrasse in Riehen. Tschudi und mit ihm die ganze Regierung sieht offiziell "keine Möglichkeit mehr", den mit Deutschland staatsvertraglich verbrieften Strassenbau zu verhindern - Guy Morin glaubt fest an die "grosse Chance, dass der Europäische Gerichtshof in Strassburg das Projektgelände unter Schutz stellt". Sollte zudem die Wiese-Schutz-Initiative von der Basler Bevölkerung angenommen werden, dann, glaubt der grüne Kandidat, "ist der Bau für die Kantonsregierung nicht mehr machbar".

Wesensverwandtschaft mit Martin Vosseler

Während viele "Zollfreie"-Gegner schon die Hoffnung aufgegeben hatten, war Guy Morin diesen Frühling einer der wenigen Politiker, die dem Plan des Gegners der letzten Stunde, Martin Vosseler, folgte und aus Überzeugung auf dem bedrohten Projektgelände an der Landesgrenze in Riehen campierte. "Der Glaube versetzt Berge", fasst Morin in Worte, dass er als früherer pietistisch-christlicher Jugendarbeiter und heutiger spiritueller Mensch im Widerstand gegen die 740 Meter Strasse eine Botschaft von tieferer Bedeutung zu vermitteln glaubt.

Die Begegnung mit dem Arzt Martin Vosseler am Wiese-Ufer war für Arzt Guy Morin nicht neu. Vosseler war es, der Morin in den achtziger Jahren motivierte, das Sekretariat der "Aerzte gegen Atomkrieg" zu übernehmen. Bethlehem-Wanderer Vosseler war es auch, der Morin in die Real-Politik führte: 1988 war es, als Vosseler den damals parteilosen Guy Morin am Tag vor Abgabetermin motivierte, mit ihm zusammen auf der Basler "Landesring"-Liste für den Grossen Rat zu kandidieren. Beide wurden gewählt. Doch während Vosseler, der heute noch "einer meiner besten Freunde ist", nach weniger als einem Jahr desillusioniert das Mandat abgab, blieb Morin den Mühlen des Parlamentsbetriebs 13 Jahre lang treu.

Er hat sich in dieser Zeit auch bei politischen Gegnern einen Namen als besonnener, im Ton moderater, in der Sache aber harter Verfechter einer ökologisch nachhaltigen und gerechteren Welt geschaffen. Anders als an der Orgel vergreift er sich im politischen Ton nie, er scheint sich immer unter Kontrolle zu halten, auf Aggression reagiert er sanft, Emotionen hält er zurück. Bei den Grünen und nicht in der SP politisiert er, weil er "ideologisch nicht so vorgeprägt" sei ("ausser der Bergpredigt, aber das ist keine Ideologie"). Der SP stehe er "nahe", zu Parteipräsident Beat Jans gebe es inhaltlich "so gut wie keinen Unterschied".

Gegen Rationierung im Gesundheitswesen

Morin, der in öffentlichen Auftritten zuweilen hölzern und humorlos wirkt, zeigt im privaten Gespräch eine sehr umgängliche, lockere und offene Art. So erzählt er, wie ihm der BaZ-Polit-Porträtist "Minu" die hoffnungslose Frage stellte, ob er auch schon mit einem Mann geschlafen habe. Er schildert, als Familienangehöriger mit Neuenburger Wurzeln einem Glas Wein nicht abgeneigt zu sein. Oder er bekennt, einmal ein Hasch-Gutzi genossen zu haben, was "zum furchtbarsten Erlebnis meines Lebens" ausartete: "Ich hatte das Gefühl, ich sterbe."

Aber ncht immer kommen seine Antworten wie aus der Hüfte geschossen. Wird er beispielweise nach seinen politischen Erfolgen im Grossen Rat gefragt, bläst er erst einmal sekundenlang aus als befände er sich mitten in einer Yoga-Übung. Dann nennt er einen von ihm als Präsident der Gesundheitskommission verfassten Bericht über die Frage zur Rationierung im Gesundheitswesen, die die damalige SP-Sanitätsdirektorin Veronica Schaller öffentlich aufzuwerfen wagte. Fazit: Es herrsche Konsens, "im Moment keine Beschlüsse dahin gehend zu fassen, den Patienten therapeutische Leistungen vorzuenthalten".

Gegen "Ausgrenzung" der Armen

Über den religiösen Sozialismus politisiert in Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses war Morin Teil der Friedensbewegung. Noch heute fokussiert er seinen Blick auf die grossen Entwicklungen und Fehlentwicklungen dieser Welt. Armut, Ignoranz und "Ausgrenzung" der Armen und Bedürftigen durch die Besitzenden beschäftigen ihn besonders. In seiner Hausarztpraxis im St. Johann-Quartier, in der er ein 80-Prozent-Pensum belegt, begegnet der Präsident der Basler HMO-Hausärztevereinigung und Mitinitiator des HMO-Gesundheitsplans immer häufiger Menschen, die ungerechtfertigt durch die Maschen des sozialen Netzes fallen. Vom Gesuch auf Auszahlung einer IV-Rente bis zum Entscheid habe es vor sechs Jahren ein Jahr gedauert, heute müssten Antragsteller zwei bis zweieinahlb Jahre warten. Morin: "Die Hürden sind heute eindeutig höher. Man muss sich die Rente richtiggehend erkämpfen."

Den Vorwurf, als Arzt selbst Grossverdiener zu sein, muss er sich nicht machen. Zusammen mit dem 40-Prozent-Erwerb seiner Frau komme die Familie auf ein Einkommen von rund 130'000 Franken. Damit kommt er als Eigenütmer eines Reiheneinfamilienhaus auf dem ans noble Bruderholzquartier grenzende Jakobsberg gut zurecht. Der Spross einer aus Frankreich zugewanderten Hugenotten-Familie mit maurischen Wurzeln und Sohn eines Ciba-Geigy-Ökonomen lässt es sich die Teilnahme am eigenständigen Quartierleben und weiterer gemeinnütziger Funktionen nicht nehmen - sei es als Kopräsident des Quartiercirkus Bruderholz oder damals als Mitbegründer des Drogenstammtisches.

Hoffnung auf viele Panaschierstimmen

Guy Morin glaubt bei den Wahlen am kommenden Wochenende an ein gutes persönliches Ergebnis. Immer schon habe er dank überparteilicher Akzeptanz "viele Panaschierstimmen gemacht", was auch mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängen könne. Was ihn am Wahlkampf am meisten verwunderte, war - "abgesehen von der Rathaus-Arena auf OnlineReports" - die beinahe völlige Absenz einer inhaltliche Auseinandersetzung: "Es gab fast keinen Dialog. Jeder hat seine Anliegen vorgetragen. Es geht mehr um Atmosphärisches und die individuelle Befindlichkeit."

Um Befindlichkeit freilich geht es ihm auch, aber, ganz Arzt, zu klar definierten Zeiten und ganz privat: Der Mittwochabend gehört ihm und seiner Frau. "Das lassen wir uns nicht nehmen." Dann bekochen sie sich gegenseitig. Und denken am massiven hölzernen Küchentisch wohl manchmal an Zeiten zurück, als sie sich in der ökumenischen Gemeinschaft Taizé im Burgund kennen lernten: In der Warteschlange beim Essenfassen.

* Auf dem Basler Jakobsberg

18. Oktober 2004

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