© Screenshot OnlineReports "Normales Arzt-Patienten-Verhältnis": Medizinportal von Medgate In der Sprechstunde bei den Tele- und Cyberdoktoren Immer mehr Patientinnen und Patienten holen per Telefon oder Internet ärztlichen Rat VON ELSBETH TOBLER Die Telekonsultation hat den Gesundheitsmarkt verändert. Rund um die Uhr können Kranke und Gesundheitsinteressierte ärztlichen Rat per Telefon oder medizinische Informationen via Internet einholen. Bald ergänzen telemedizinische Applikationen diesen Service. Diese Angebote kommen den Interessen der aktuellen Politik entgegen, die auch im Gesundheitswesen sparen will und dies möglichst ohne Qualitätseinbussen. Während Patienten und Fachleute das Angebot rege nutzen, gibt es auch kritische Stimmen. Wem der Magen drückte oder der Hals kratzte, der ging bisher zur Ärztin oder zum Arzt. Catherine D.* spart sich manchmal den Weg ins Wartezimmer und greift zum Telefon. Prompte medizinische Ratschläge erhält sie von einem der hiesigen Medizinalportale. Als Geschäftsfrau, die viel unterwegs ist, nimmt sie die fernmündliche Expertenhilfe gerne in Anspruch. 80 Millionen Menschen suchen Fernhilfe Cathrine D. ist kein Einzelfall. Weltweit suchen laut Gesundheitsexperten täglich rund 80 Millionen Menschen medizinische Hilfe per Telefon oder Internet. In ländlichen Gebieten, wo die nächste Arztpraxis oder Klinik weit entfernt ist, oder auch nachts kann die Telekonsultation die medizinische Versorgung sinnvoll ergänzen. Auch die Schweizer stehen der Fernvisite aufgeschlossen gegenüber. Im Berner Call-Center Medi-24 erteilen 26 Gesundheitsberaterinnen mit Unterstützung von Ärzten täglich rund 250-mal medizinischen Rat. Im medizinischen Beratungszentrum Medgate in Basel werden täglich bis zu 200 Telepatienten von 26 Ärztinnen und Ärzten betreut. Der 24-
Im Schnitt dauert es 15 Minuten, bis die Telefon-Einschätzung vorliegt. Durch gezielte Fragen zur Anamnese versucht der Telearzt, die gesundheitlichen Probleme des Anrufers zu erfassen. Eine Triage-Software unterstützt ihn bei der Erarbeitung der Symptomatik-Analyse und der anschliessenden Empfehlung. Erfahrungsgemäss reicht bei fast jedem zweiten Hilfesuchenden ein Tipp zur Selbstmedikation: Bettruhe, Tee trinken und abwarten. Berufsordnung verbietet Ferndiagnosen Die Teledoktoren helfen allerdings nicht nur in akuten Krankheitssituationen, sondern begleiten auch chronisch kranke Menschen. "Denn sie sind oft verzweifelt und hoffen auf das beruhigende Wort eines Mediziners", stellt Megate Chefarzt Stefan Schäfer fest. Daneben registriert er immer öfter Patienten, die weiteren Rat ("Second Opinion") zu präventiven Massnahmen, einer Diagnose, einer Operation oder einer Therapie einholen. Ferndiagnosen sind per Berufsordnung verboten, solange ein Arzt den Patienten nicht gesehen hat. Deshalb stellen die Medizinalportale auch keine Rezepte oder Atteste aus. Trotzdem betrachten die Teleärzte ihre Beziehung zu den Anrufenden als ganz normales Arzt-Patienten-Verhältnis. Über das "Gschpüri" und die Intonation der Stimme ist der Anrufer meistens recht gut einzuordnen. "Wenn man allein auf das Zuhören und Fragen per Telefon angewiesen ist, braucht man viel Erfahrung und Fachkompetenz", erläutert Hans Heinrich Brunner, Präsident der Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH. Dennoch sei die Fehlerquote in der Telekonsultation bis anhin gering. Sie liege vorwiegend im administrativen Bereich, beispielsweise die Vermittlung falscher Arztadressen oder die unnötige Anforderung einer Ambulanz. Regelmässige Weiterbildung, die übrigens Medi-24 und Medgate als FMH-anerkannte Fortbildungsstätte anbieten, und interne Tests sollen die Qualität der medizinischen Teleberatung hierzulande in Zukunft sichern. Da Medizinalportale den Status einer Arztpraxis haben, schützt nach Auffassung des FMH-Präsidenten die ärztliche Sorgfaltspflicht vor Fehleinschätzungen. Fähigkeitsausweis FMH für Telemedizin Weil jedoch immer mehr Firmen in die Telefon- und Webberatung abwandern, setzt sich Brunner für Qualitätsmanagement und Finanztransparenz ein. Langfristig werde sich auch die Berufsordnung ändern müssen. "Ein Fähigkeits- respektive Fertigkeitsausweis FMH im beratenden wie auch telemedizinischen Bereich ist dringend nötig." Was Brunner sehr beunruhigt: "Es fehlt an übergeordneten Sicherheitsstandards." Die Tele- und Online-Services entsprechen zwar dem schweizerischen Daten- und Personenschutzgesetz. Doch selbst die besten Verschlüsselungsmechanismen und gesetzlichen Regelungen bieten keine absolute Sicherheit.
Eine Möglichkeit, Qualität und Sicherheit in der Teleberatung zu optimieren, sieht Andy Fischer, Arzt und Geschäftsführer von Medgate, in der Sensibilisierung und Selbstverpflichtung der Mitarbeiter sowie in der Evaluierung der Leistungen durch Dritte. So macht sich das ärztliche Beratungszentrum Erfahrungen aus dem angloamerikanischen Raum zunutze und arbeitet nach den Prinzipien der Zertifizierungsfirma URAC (www.gqmg.de/Links/quallinks.htm). Mit entsprechenden Reglementen beschäftigt sich auch die Schweizerische Gesellschaft für Telemedizin (SGTM), die gemeinsam mit der FMH auf Massnahmen im Bereich Daten- und Persönlichkeitsschutz setzt. Darüber hinaus wollen die beiden Organe und weitere Partner auf Bundesebene Leitlinien erarbeiten, die den Informationsfluss zwischen Ärzten, Kliniken, Leistungsträgern und Medizinalportalen eindeutig regeln. Skepsis gegenüber Selbstdiagnose und Selbstmedikation Hinter diesen Diskussionen steht die Sorge der Schweizer Ärzte um die Qualität der medizinischen Betreuung. Denn zahlreiche in- und ausländische E-Mail-Doktoren und virtuelle Therapeuten drängen auf den Markt. Sie können einerseits eine Brücke zwischen Arztpraxis, Spital und Alltag schlagen. Andererseits schicken Patienten sorglos
Siegel soll zur Glaubwürdigkeit beitragen Und auch hier sollen Qualitätssiegel den Weg durch den E-Health-Dschungel weisen. Bereits ein Klassiker ist etwa das Logo der Schweizer "Health on the Net Foundation" (HON-Code), das garantiert, dass die betreffenden Websites und E-Mail-Services von qualifizierten Fachleuten betrieben werden. Hier handle es sich, so Gunther Eysenbach von der Universität Heidelberg, allerdings nur um eine freiwillige Zusage verschiedener Anbieter, sich an bestimmte Regeln zu halten. Dies geht dem Cybermediziner indes nicht weit genug. Er fordert eine regelmässige Überprüfung der Dienste. Hohe Qualität und die Einhaltung medizinisch-ethischer Richtlinien
Gut informierte Patienten werden schneller gesund und können mit einer Diagnose besser umgehen. Das belegt auch eine dänische Studie. Hinter den geäusserten Bedenken der Schweizer Ärzte verbirgt sich laut Sachverständigen oftmals die Angst vor Konkurrenz und einem allzu mündigen Patienten. "Dabei soll die Telekonsultation die traditionelle Medizin und Notfallversorgung ergänzen sowie die Selbstverantwortung der Patienten stärken", tritt Hans Heinrich Brunner dieser Skepsis entgegen. Das liege auch im Interesse der Politik, die das gute, aber derzeit teure Gesundheitssystem langfristig finanziell entlasten müsse. Orientierungshilfe hat grosse Bedeutung Positive Erfahrungen mit der "elektronischen Gesundheitsoffensive" haben die Briten gemacht. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1998 belegt, dass 75 Prozent der Anrufer ihren ursprünglichen Behandlungsplan geändert und beispielsweise einen notfallmässigen Spitalbesuch durch eine Konsultation in der Praxis ersetzt haben. Auch in der Schweiz scheint die eigene Entscheidungsfindung im Krankheitsfall naturgemäss nicht immer die beste zu sein. Dies geht aus einer Studie hervor, die das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern (ISPM) kürzlich vorgelegt hat. "Grosse Bedeutung bekommt hier die Triage als Orientierungshilfe, wie sie die städtischen Notfalldienste oder ein Call-Center leisten", erklärt der Arzt Christian Simonin, Geschäftsführer von Medi-24, die vom ISPM regelmässig untersucht wird. "Denn zwei Drittel der befragten Patienten wählten bei akuten gesundheitlichen Problemen entweder den falschen ersten
Seit Anfang 2001 führt auch das College-M, eine unabhängige Forschungsstiftung der Schweizer Verbände von Gesundheitsberufen, im Auftrag von Medgate eine Studie durch. Sie soll bis Ende 2003 den Nutzen der Telekonsultation und die Patientenzufriedenheit evaluieren. Dazu werden zahlreiche Daten erhoben, etwa ob der Patient nach der ärztlichen Beratung wusste, was zu tun war, und ob er die Empfehlung befolgte. Eine erste Stichprobe ergab eine Zufriedenheit von über 90 Prozent der Befragten. Dass dabei laut Experten auch noch Kosten gespart werden könnten, belegt die Tatsache, dass viele Bagatellfälle ohne Spitalnotfall- oder Arztbesuch behandelt werden konnten. Krankenversicherer sehen in der Telefonberatung deshalb einen Weg, ihre Kosten zu senken, und nutzen Medizinalportale vermehrt als Partner. Chronisch Kranke sollen besser betreut werden Nicht zuletzt wollen Experten Vorteile und Spareffekte in den telemedizinischen Applikationen erkennen. Diese werden unter der Bezeichnung "Disease Management" von Schweizer Kliniken, Arztpraxen und
Andy Fischer von Medgate sieht die vernetzte medizinische Zukunft vor allem in der besseren Zusammenarbeit von Ärzten und Spitälern, der Prävention, der Betreuung chronisch Kranker sowie der effizienteren Erfassung, Verwaltung und Übermittlung von Daten. Angst vor dem technischen Quantensprung Doch nicht überall stossen die neuen Serviceangebote auf Gegenliebe. Der diabeteskranken Rentnerin Sofia K.* macht der technische Quantensprung Angst. Statt der anonymen Netzmedizin hätte sie lieber weiterhin "ihren netten Hausarzt um die Ecke". Eine weit verbreitete Ansicht, die auch die Fachleute ernst nehmen. Fischer warnt denn auch vor einem sorglosen Umgang mit den technischen Hilfsmitteln. Auch in Zukunft werde der persönliche Kontakt zwischen Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen. Trotz der neuen Technologien wird die Interaktion von Mensch zu Mensch bleiben weil die Maschine die Empathie gegenüber einem Patienten niemals werde nachvollziehen können. * Name geändert
14. Januar 2003 |
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