Online Reports Logo
Werben Sie hier
um Ihre Online-Zielgruppe.
061 271 63 64
werbung@onlinereports.ch

Wir möchten diese Story abdrucken
Tipps für Stories
Meine Meinung zu dieser Story
Hier Suchbegriff eingeben

Werbebanner auf dieser Seite platzieren
Zurück zur Hauptseite
Meine Meinung zu OnlineReports



"Garant für Stabilität": Tunesischer Präsident Ben Ali, Ehefrau Laila


Kalte Raffgier: Die düstere Rückseite der tunesischen Ferienkulisse

Familienclans um Präsident Ben Ali plündern das touristisch attraktive Land systematisch aus

VON BEAT STAUFFER

Tunesiens Ruf in Sachen Menschenrechten ist seit einigen Jahren schwer angeschlagen. Doch da Präsident Ben Ali stets ein zuverlässiger Bündnispartner des Westens war, die Islamisten mit harter Hand bekämpfte und Tunesien überdies als Insel der Stabilität und Prosperität gilt, waren westliche Regierungen bis anhin bereit wegzusehen. Nun sickert immer mehr nach aussen, dass das Land von einer Hand voll Familienclans systematisch ausplündert wird. Ben Alis Tunesien erinnert immer mehr an die Endphase des Suharto-Regime in Indonesien.

Es sollte ein fettes Geschäft werden. Rote Korallen von der unberührten Nordküste Tunesiens bearbeitet, zu Gebetsketten zusammengefügt und nach Saudiarabien exportiert, versprachen satte Gewinnmargen. Der einzige Haken an der Sache: Eine staatliche Lizenz zur Ausbeutung und Ausfuhr der geschützten Korallen war kaum zu erhalten. Es sei denn, man wende sich an Mourad Trabelsi, einen Mann mit dubioser Vergangenheit und besten Beziehungen zum Präsidentenpalast in Karthago: Trabelsi ist der Schwager des tunesischen Präsidenten Ben Ali und
First Lady Laila verfügt über eine unheimliche informelle Macht.“
Bruder der First Lady Laila Trabelsi, die angeblich hinter den Kulissen die Fäden zieht und über eine unheimliche informelle Macht verfügt.

In dieser Situation befand sich der damals 35-jährige Farid A., der ein paar Jahre im Aargau gelebt und sich Anfang der neunziger Jahre in Tunesien als Geschäftmann mit Schwerpunkt im Immobiliensektor etabliert hatte. Die Geschäfte florierten, und Farid bewohnte zusammen mit seiner Schweizer Ehefrau eine Villa in einem schicken Viertel in der Nähe von Tunis.

Farid tat, was in Geschäftskreisen in Tunis bis heute üblich ist: Er wandte sich im Frühjahr 1997 direkt an Mourad Trabelsi, um das nicht ganz einfache Korallengeschäft in Gang zu bringen. Trabelsi willigte ein und stellte die Konditionen: 150'000 Dollars auf die Hand für die nötigen Bewilligungen und eine Beteiligung von 20 Prozent am Geschäftsgewinn. Die Dollars gingen in einem Luxushotel in Gammarth über den Tisch, ohne Quittung, wie dies bei dieser Form von Geschäften üblich ist.

Stoff für einen Kriminalroman

Farid wartete einige Wochen. Doch nichts geschah. Anrufe im Büro Trabelsi fruchteten nichts. Rund drei Monate später entschloss sich Farid A., in dieser Sache beim Staatspräsidenten vorstellig zu werden. Er schrieb einen Brief an Ben Ali mit Kopie ans Justizministerium. Farid A. hat diesen Schritt bis heute bereut. Denn wer sich in Tunesien mit dem Familienclan des Präsidenten anlegt, dies seine Erfahrung, kommt nicht ungestraft davon. Farid berichtet in Anwesenheit seines Anwalts, der eigens zu diesem Zweck in die Schweiz gereist ist, über das, was ihm seither widerfahren ist. Es wäre Stoff für einen Kriminalroman.

In Kurzform zusammengefasst, lautet seine Geschichte wie folgt: Wenige Wochen nach der Intervention beim Staatspräsidenten fand in zahlreichen Villen der noblen Küstenvororte eine Razzia statt, an der grosse Mengen harter Drogen beschlagnahmt wurden. Über 300 Personen wurden verhaftet, die meisten von ihnen aus der High Society von Tunis. Darunter waren auch der bereits erwähnte Mourad Trabelsi und Sofiane Ben Ali, ein Enkel des Staatpräsidenten. Dessen Vater, Moncef Ben Ali, war in den neunziger Jahren in Frankreich wegen Heroinhandels in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden; General Ben Ali war es damals in letzter Minute gelungen,
Ben Alis Sohn wurde in Frankreich wegen Heroinhandel verurteilt.“
seinen missratenen Sohn nach Tunesien in Sicherheit zu bringen. Dieser Prozess, die so genannte "Couscous-Connection", erregte in Frankreich grosses Aufsehen.

Einen eben so grossen Skandal stellen die Verhaftungen von Drogen konsumierenden Angehörigen der"jeunesse dorée" in der tunesischen Hauptstadt dar. Doch die beiden Mitglieder der Präsidentenfamilie entkamen auf mirakuköse Weise dem daraufhin angestrengten Prozess. Wer ausgesagt habe, die beiden hätten nichts mit der Sache zu tun, sei mit einer minimalen Strafe davon gekommen, behauptet Farid A. Er selber wurde von einer anlässlich der Razzia verhafteten Algerierin des Drogenhandels beschuldigt; eine Aussage, die diese Zeugin später widerrief. Da er der tunesischen Justiz gründlich misstraute, verliess Farid umgehend das Land. Im Abwesenheitsverfahren wurde er später zur Höchststrafe von 35 Jahren Gefängnis verurteilt; ohne jegliche rechtliche Grundlage, wie sein Anwalt zu Protokoll gibt.

Seit beinahe vier Jahren lebt Farid nun mit einer falschen Identität in einem europäischen Land. Nach Tunesien kann er wegen der gegen ihn ausgesprochenen Gefängnisstrafe nicht mehr zurückkehren, und die Schweizer Niederlassungsbewilligung wurde ihm nach der Scheidung von seiner Ehefrau entzogen. Nun hat sich Farid A. zur Flucht nach vorn entschlossen: Mit allen Mitteln will er die Herrschaft der räuberischen Familienclans in Tunesien denunzieren.

Kein Unschuldslamm

Farid A. ist alles andere als ein Unschuldslamm. Er hat, wie es scheint, selber Geschäfte am Rande der Legalität betrieben und aus eigenem Antrieb mit Mourad Trabelsi, der einst in Italien im Gefängnis sass, Geschäftsbeziehungen aufgenommen. Doch Farid kennt das System, mit Hilfe dessen sich die erwähnten Familienclans Macht und Reichtum sichern, von innen. Stundenlang erzählt er in allen Details über die üblen Praktiken von Mourad Trabelsi und Konsorten. Sein Fazit: Die verschiedenen Clans im direkten Umfeld des Präsidenten Ben Alis scheuen vor keinen Mitteln zurück, um sich die wirtschaftliche Macht im Land unter den Nagel zu reissen. Rechtliche Schranken existieren dabei für die betroffenen Famlienclans praktisch keine. Ganz im Gegenteil: Wer sich mit Trabelsi und Konsorten anlegt, bekommt es mit der Justiz zu tun.

Seit kurzem dringen immer wieder Informationen über die räuberischen Aktivitäten der erwähnten Familienclans an die Öffentlichkeit. Im vergangenen Sommer denunzierte die Journalistin Sihem Ben Sedrine in einer Sendung des in London domizilierten TV-Senders al-Mustaqilla entsprechende Machenschaften von Mourad Trabelsi. Ben Sedrine wurde bei ihrer Rückkehr nach Tunesien sogleich verhaftet und erst sechs Monate später unter internationalem Druck wieder frei gelassen. Kamel el Taief, ein ehemaliger Berater von Präsident Ben Ali, gab im November letzten Jahres in einem Artikel in Le Monde zu Protokoll, Tunesien werde von einer "Mafia" regiert, die sich aus Personen aus der Familie des Präsidenten zusammensetze. Kamel el Taief, der selber aus einer einflussreichen Familie stammt, wurde wegen dieser Aussagen kürzlich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, offiziell wegen Beleidigung von Staatsbeamten und des Islam, was bei allen Beobachtern ungläubiges Kopfschütteln auslöste.

Insider packen aus

Vor allem aber versucht die in Paris erscheinende Oppositionszeitung "L'Audace" seit Jahren, die Machenschaften des Ben-Ali-Clans ans Tageslicht zu bringen. Unter der Rubrik "Die sieben Familien, die das Land ausplündern" schreibt Slim Bagga, der Chefredaktor des Blattes, schonungslos über Vetternwirtschaft, Filz und Korruption im Umfeld der mächtigen Familienclans. Diese Artikel hätten ihm schon mehrere Prozesse eingetragen, erklärt Slim Bagga der AZ in Paris. Der Familienclan Ben Alis habe sich aber im letzten Moment von einem gegen ihn angestrengten Prozess zurückgezogen. Man befürchtete offenbar zuviel Publizität.

Bagga legt seine Worte nicht auf die Goldwaage. Tunesien werde von einer "Bande von 'Voyous'", von Ganoven, beherrscht und systematisch ausgeplündert. "Pillage", Plünderung, sei das einzige Wort, mit dem sich der Sachverhalt angemessen beschreiben lasse. Auch Moncef Marzouki, der prominenteste Oppositionelle des Landes, der seit Ende letzten Jahres in Paris lebt, kommt zu ganz ähnlichen Schlüssen.

Diese Plünderung des Ressourcen Tunesiens verläuft, so Slim Bagga, in groben Zügen wie folgt:

Die Mitglieder der Familienclans beanspruchen Bankkredite in Millionenhöhe, die sie nie zurückbezahlen. Gesamthaft sollen sich bei tunesischen Banken im Lauf der letzten Jahr rund vier Milliarden Dinars, (etwa sechs Milliarden Franken) "faule" Kredite angehäuft haben.

Bei grossen Staatsaufträgen und bei Investitionen ausländischer Firmen schalten sich die Familienclans als "Vermittler" ein und beziehen happige Kommissionen, nicht selten in zweistelliger Millionenhöhe. Aus diesem Grund soll sich die Firma ELF-Aquitaine aus Tunesien zurückgezogen haben.

Clanmitglieder beschaffen sich unter Ausschaltung der Konkurrenz Einfuhrlizenzen für Konsumgüter. Zum Teil importieren sie diese Güter auch illegal und verscherbeln sie auf den grossen Schwarzmärkten des Landes.

Bei allen staatlichen Bewilligungsverfahren schalten sich die Clans ein und beziehen dafür saftige Schmiergelder. Kürzlich soll der Trabelsi-Clan in Tunis gar eine Art "Consulting"-Büro für Schwierigkeiten im Umgang mit Zoll- und Steuerbehörden eröffnet haben.

Die Clans erstehen für symbolische Beträge Ländereien der ehemaligen französischen Kolonialherren, die vor Jahren in Staatsbesitz übergegangen sind. Anschliessend parzellieren sie diese und verkaufen sie mit enormen Gewinnmargen weiter.

Mit derartigen Methoden, so Slim Begga, hätten sich die aus äusserst bescheidenen Verhältnissen stammenden Familien Ben Ali und Trabelsi riesige Vermögen zusammengerafft. Durch eine geschickte Heiratspolitik und strategische Allianzen verstärkten sie zusätzlich ihre wirtschaftliche Macht. An allen bedeutenderen wirtschaftlichen Transaktionen des Landes seien heute diese Familienclans direkt oder indirekt beteiligt. Doch sie führten auch regelmässig erbittere Kämpfe um die lukrativsten Pfründe, merkt Bagga höhnisch an. Kürzlich hätten
Die tunesischen Clans führen auch erbitterte Kämpfe um ihre Pfründe.“
sich die Clans der Chiboub und der Trabelsis gerade um den Import von iranischen Pinienkernen gestritten.

All diese Machenschaften verursachen dem tunesischen Staat einen Schaden von einigen hundert Millionen Dollars jährlich allein durch den Wegfall von Steuer- und Zolleinnahmen. Doch auch die gesamte tunesische Wirtschaft hat darunter zu leiden: Einige bedeutende Banken, so Slim Bagga, stünden knapp vor dem Konkurs. Vor allem aber habe die grassierende Korruption zu einer ungeahnten Demoralisierung bei weiten Teilen der Bevölkerung geführt. Auf der Strasse seien Filz und Korruption sowie der hemmungslos zur Schau gestellte Reichtum der herrschenden Clans das Thema. In der Bevölkerung mache sich immer mehr Empörung breit.

Erdrückende Indizien

Die illegale Bereicherung der mächtigen Familienclans lasse sich zwar zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in allen Details beweisen, sagt Moncef Marzouki, der wohl prominenteste tunesische Oppositionelle, der gegenwärtig an einer Pariser Universität als Gastprofessor tätig ist. Dies liege an der Art dieser Geschäfte und an der vollkommen fehlenden Transparenz in solchen Dingen in Tunesien. Doch die Indizien seien erdrückend. Täglich würden von Mitgliedern der Clans Gesetze gebrochen oder mit raffinierten Mitteln umgangen; dies lasse sich etwa im Hafen von Tunis mit blossem Auge feststellen.

Wenn Ben Ali nicht von der politischen Bühne abtrete, sehe er schwarz für die Zukunft Tunesiens, sagt Marzouki. Doch für den Westen ist der tunesische Präsident immer noch ein Garant für Stabilität und ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus.

Vieles in Tunesien erinnert immer zunehmend an die Endphase des Suharto-Regimes in Indonesien oder an andere Diktaturen, die plötzlich von einer jahrelang unterdrückten Bevölkerung weggefegt wurden. Vielleicht wäre es an der Zeit, das kleine "Musterland" im Norden Afrikas und seinen Herrscher, der es wie seine eigene Domäne verwaltet, etwas genauer anzuschauen. Bevor es zu spät ist.


TUNESISCHE OPPOSITION

Kein Ort des Widerspruchs: Präsidentenpalast in Karthago


"Tunesien wird immer mehr zu einem Ganovenstaat"

Interview mit dem in Paris lebenden Medizinprofessor und tunesischen Oppositionspolitiker Moncef Marzouki

OnlineReports: Wie beurteilen Sie als ehemaliger Präsident der tunesischen Menschenrechtsliga die gegenwärtige Lage in Tunesien?

Moncef Marzouki: In Tunesien werden regelmässig kriminelle Akte im Auftrag des Staates begangen. Es beunruhigt mich sehr zu sehen, wie sich mein Land mehr und mehr zu einer "Voyoucratie", einem Ganovenstaat entwickelt, in dem selbst elementarste Rechtsgrundsätze verletzt werden. Diese Entwicklung halte ich für sehr gefährlich. Tunesien wird immer mehr zu einem Land, das der rohen Gewalt und dem alltäglichen Terror ausgeliefert ist. Der gegenwärtige Machthaber gibt sich nicht einmal mehr die Mühe zu verhindern, dass gewisse Dinge an der Spitze des Staates nicht geschehen können.

OnlineReports: Ist Präsident Ben Ali für diese Entwicklung verantwortlich?

Marzouki: Ben Ali führt dauernd einen doppelbödigen Diskurs.}Ich bin überzeugt, dass er als ehemaliger Geheimdienstoffizier über alle wichtigen Vorgänge in Tunesien informiert ist. Deshalb halte ich ihn dafür verantwortlich. Ein Politiker kann allerdings auch Opfer seines eigenen Systems werden. Es ist vor allem dieses System das mich beunruhigt. Ich könnte mir sehr gut vorstellen dass Ben Ali eines Tages abtreten müsste, das von ihm ins Leben gerufene System aber bliebe. Wir fordern deshalb nicht nur den Weggang von Ben Ali, sondern auch die Auflösung seines Machtapparats.

OnlineReports: Die in Paris erscheindende Oppositionszeitung "L'Audace", aber auch andere Kritiker behaupten, Tunesien werde von einflussreichen Familien im Umkreis des Staatspräsidenten "ausgeplündert".

Marzouki: Alle Tunesier wissen das. Es ist das zentrale Thema auf den Strassen und in den Kaffeehäusern, und dies aus zwei Gründen: Erstens hat die Plünderung des Landes enorme Ausmasse angenommen. Zweitens geben sich die Plünderer nicht mal mehr die Mühe, diskret aufzutreten. Die unglaubliche Korruption ist einer der Hauptgründe, weshalb das tunesische Volk Ben Ali und sein Regime total ablehnen.

OnlineReports: Hierzulande ist immer wieder die Ansicht zu hören, Ben Ali führe zwar Tunesien mit harter Hand, zu seinen Gunsten sprächen aber die Stabilität und der relative Wohlstand des Landes.

Marzouki: Ich bin entrüstet über einen solchen Diskurs und verurteile kategorisch diese opportunistischen "Demokraten", die für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit in ihren Ländern eintreten, die sich aber anderswo problemlos mit Diktaturen abfinden. Diese "Demokraten" behaupten, Demokratie sei ein Luxus für Länder der sogenannten dritten Welt. Das ist schlicht arrogant. Vor allem aber glauben sie, diese Diktaturen schützten den Westen vor dem Islamismus. Da täuschen sie sich gewaltig. Schauen Sie: Ben Ali hat in den letzten zehn Jahren vor allem Krieg gegen demokratische Parteien und Menschenrechtsgruppierungen geführt. Ich bin überzeugt davon, dass diese sogenannten "Demokraten" sowohl ihren Ländern als auch uns einen sehr schlechten Dienst erweisen. Denn es sind gerade solche diktatorischen Regimes wie dasjenige Ben Alis, die dem Terrorismus Auftrieb geben.

OnlineReports: In welchem Mass ist das Regime von Ben Ali international bereits diskreditiert?

Marzouki: Ben Ali geniesst im Ausland kaum mehr Kredit. Jedermann weiss dass das heutige Tunesien ein undemokratischer Staat ist, in dem Vetternwirtschaft und Korruption blühen. Mit dem tragischen Anschlag in Djerba im April dieses Jahres hat sich gezeigt, dass es auch mit der viel gerühmten Stabilität nicht so weit her ist.

OnlineReports: Welche Unterstützung geniesst Ben Ali noch in Tunesien?

Marzouki: Ben Ali wurde anfänglich vom gesamten tunesischen Volk und auch von mir persönlich unterstützt. Zwar hatte ich gegenüber Ben Ali aufgrund seiner politischen Laufbahn schon immer Vorbehalte. Doch ich gab ihm in dieser besonderen historischen Situation dennoch einen gewissen Kredit. Diesen Kredit hat er endgültig verspielt. Heute, vierzehn Jahr nach seiner Machtübernahme, hat er das ganze Volk gegen sich: die Islamisten zu hundert Prozent, die Linke, die Kommunisten, die Demokraten und auch die untere Mittelschicht. Dies aus zwei Gründen: Die Elite wegen des Mangels an Freiheiten, die breite Bevölkerung wegen der grassierenden Korruption.

OnlineReports: Das tunesische Volk hat das Referendum, welches Ben Ali eine weitere Amtszeit ermöglicht und lebenslängliche Immunität garantiert, mit offiziell über 99 Prozent der Stimmen angenommen. Was folgern Sie daraus?

Marzouki: Das tunesische Regime hat nach altbewährter Manier die Wahlresultate gefälscht. Für mich ist klar: Präsident Ben Ali muss weg, ansonsten sehe ich schwarz für die Zukunft des Landes. Denn dieser Mann ist weder fähig, das Land auf einen demokratischen Weg zu führen, noch willens, sich zu ändern und die Zeichen der Zeit zu erkennen.

OnlineReports: Welche Botschaft richten Sie an die Menschen in Europa?

Marzouki: Meine Botschaft ist die folgende: Übt Druck aus auf eure Regierungen, damit diese ihrerseits Druck auf Ben Ali ausüben. Ein Machtwechsel in Tunesien ist dringend nötig; Ben Ali muss gehen. Der Übergang zu einer echten Demokratie muss allerdings auf friedliche Weise, ohne Gewaltexzesse und Blutvergiessen vor sich gehen".

Interview: Beat Stauffer



BEZIEHUNGEN

Basler Gross-Unternehmen in Tunesien:
Weitnauer gut im Geschäft


bst. Welche Erfahrungen machen Basler Unternehmen, die in Tunesien tätig sind? OnlineReports hat drei Firmen aus der Region Basel zu diesem Thema befragt: Weitnauer, Novartis und Clariant.

Am bedeutendsten ist das Tunesien-Engagement der Handelsfirma Weitnauer. Sie führt grosse Duty Free-Läden auf den sechs internationalen Flughäfen das Landes. Weitnauer hält selber 100 Prozent des Aktienkapitals ihrer tunesischen Tochtergesellschaft in den Händen. Umsatzzahlen gibt die Firma nicht bekannt, erklärt aber immerhin, dass es sich um ein "bedeutendes Geschäft" handle.

Der Spezialitätenchemiekonzern Clariant verfügt in Tunesien über einen Betrieb mit knapp hundert Mitarbeitenden. Das Stammhaus hält nur 50 Prozent der Aktien von "Clariant Tunisie", die anderen 50 Prozent werden von tunesischen Aktionären gehalten. Das vor rund 30 Jahren gegründete Unternehmen ist im Wesentlichen eine Verkaufsorganisation; Produktionsanlagen bestehen keine. Über den Umsatz kann Clariant aus technischen Gründen keine Aussagen machen; gemessen am Gesamtumsatz von rund 10 Milliarden Franken sei er als unbedeutend.

Für das Pharmaunternehmen Novartis hat der tunesische Markt nach eigenen Aussagen bloss eine geringe Bedeutung. Die Produkte werden an ein staatliches Unternehmen verkauft, wobei die Verkaufsaktivitäten laut Mediensprecherin Doris Wissler "durch einen externen Partner erfolgen".

Mit den Familienclans der Ben Ali, Trabelsi und Chiboub, die im Verruf stehen, die tunesische Wirtschaft durch Korruption und Vetternwirtschaft im grossen Stil zu schädigen, will keine der angefragten Firmen in Berührung gekommen sein. "Mit Mitgliedern der drei angeführten Familien stehen wir weder direkt noch indirekt in Verbindung", lässt etwa der Mediensprecher von Clariant verlauten. Ebenso kategorisch fällt auch die Antwort von Weitnauer aus, während Novartis von "Geschäftsbeziehungen, die durch normale und klare Verträge" geregelt seien, spricht.


2. August 2002

Zurück zu Gesellschaft
Zurück zu Politik
Zurück zur Hauptseite

© by OnlineReports