Christoph Blocher "kann nicht Stellung nehmen" Die IG Farben in Auschwitz © Bildquelle: Bayer AG Unternehmensgeschichte, Gedenkstätte Museum Auschwitz ![]() "Niemals etwas erfahren": IG-Farben-Manager Johann Giesen, Häftlingskolonne 1944 beim Marsch zur IG Farben-Baustelle Das dunkelste Kapitel in Christoph Blochers Ems Chemie Das Spezialchemie-Unternehmen profitierte von Johann Giesen, der in der Nazi-Zeit in Auschwitz tätig war VON LUKAS STRAUMANN* UND FLORIAN SCHMALTZ Seit fünf Jahren kämpft SVP-Nationalrat Christoph Blocher gegen jede Entschuldigung oder Wiedergutmachung der Schweiz für ihre Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus. Jetzt decken Recherchen von OnlineReports auf: Ausgerechnet Blochers Ems-Chemie, die frühere Holzverzuckerungs AG (Hovag), profitierte nach dem Zweiten Weltkrieg massgeblich vom Know-How eines Mannes, der unter den Nazis Manager in Auschwitz war. "Wie ein Feldherr" sei er in der Firma aufgetreten, sagt ein ehemaliger Ems-Mitarbeiter über Johann Giesen. Ein anderer beschreibt ihn als "sehr gebildete, anständige und stilvolle Persönlichkeit". Ob Haudegen oder gediegener Industriekapitän, in einem Punkt sind sich alle Befragten einig: der deutsche Chemiker spielte nach dem Krieg als Forschungsleiter eine zentrale Rolle in Ems. Giesen war Manager in Auschwitz In die Schweiz geholt wurde Johann Giesen durch den Ems-Firmengründer und Blocher-Ziehvater Werner Oswald. Diesem half er, die Emser Fabrik vom kriegswirtschaftlichen Treibstoffwerk zu einem modernen Chemieunternehmen umzubauen. Dabei kam ihm seine Erfahrung beim deutschen Chemiekonzern IG Farben zustatten. Giesens bedeutendste Aufgabe während des Krieges: die Planung und Überwachung neuer Produktionsanlagen in Auschwitz, wo IG Farben ein gigantisches neues Chemiewerk errichtete. Beim Werksbau an der grössten Mordstätte der Nazis ging der
Als Direktor des ostdeutschen IG Farbenwerks Leuna besuchte Giesen Auschwitz in den Jahren 1941-1944 häufig und nahm dort an zahlreichen Bausitzungen teil. Giesen war Experte für die Herstellung von Methanol, das von der deutschen Wehrmacht für die Herstellung von Flugzeugtreibstoff sowie als Vorprodukt für Sprengstoffe benötigt wurde. Für diesen Teil des neuen Werks lag die Federführung bei den Chemikern und Ingenieuren von Leuna. Zur Feier war auch Auschwitz-Kommandant Höss geladen Im Sommer 1942 machte sich Johann Giesen für eine beschleunigte Produktionsaufnahme von Methanol in Auschwitz stark, um von den Nazi-Behörden mehr Baumaterialien und Arbeitskräfte zu erhalten. Das Protokoll der Baubesprechung vom 24. August 1942 hält fest: "Auf Wunsch von Dr. Giesen ist zu prüfen, ob Auschwitz Mitte nächsten Jahres die Produktion von Methanol mit zunächst einem, und 2 Monate später mit einem weiteren Aggregat aufnehmen kann. Wäre dies möglich, so ist mit stärkerer Unterstützung von höherer Stelle zu rechnen." Mitte Oktober 1943 war es dann soweit: der erste Tankwagen mit Methanol verliess Auschwitz - für IG Farben Grund zu einer Feier, zu der auch der KZ-Kommandant von Auschwitz Rudolf Höss geladen war. Im wenige Kilometer entfernten Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau lief zu diesem Zeitpunkt die Vernichtungsmaschinerie der Nazis auf Hochtouren: bis zur Räumung des Lagers im Januar 1945 wurden mindestens
Kriegswirtschaftlich war der von Giesen aufgebaute Methanolbetrieb von grosser Bedeutung: die Wehrmacht war auf ihrem Rückzug nach der Kriegswende dringend auf Treibstoff und Munition angewiesen. 1944 produzierte IG Farben in Auschwitz rund 29000 Tonnen Methanol - das entsprach 15 Prozent der gesamten deutschen Produktion. Giesens Erfolg zahlte sich aus: er erhielt im September 1944 ein Angebot für die Gesamtleitung der Methanolproduktion in der Nazi-Kriegswirtschaftsorganisation. Giesen erklärte sich für "selbstverständlich bereit", den Job zu übernehmen: er setzte seine Karriere im Dritten Reich auch fort, als Hitlers Ende nur noch eine Frage der Zeit war. Leuna-Connection: Wirtschaftsspionage für Ems Die Wende nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 schaffte Giesen problemlos. Die Alliierten hielten ihn für politisch unbelastet und betrauten ihn mit der Leitung des ehemaligen IG Farben-Werks Uerdingen bei Düsseldorf, das unter britischer Kontrolle stand. In dieser Funktion traf Giesen im Februar 1947 erstmals den Schweizer Werner Oswald, der 1936 die damalige Holzverzuckerungs AG (Hovag) und spätere Ems-Chemie gegründet hatte. Oswald war auf der Suche nach technischem Know-How zur Umrüstung seiner Bündner Produktionsanlagen. Giesen vermittelte nicht nur chemisches Fachwissen zur Kunststoffherstellung, sondern auch eine Reihe von
Ende 1949 kamen die Briten Giesens Kontakten mit der Hovag auf die Spur. Die Affäre flog auf, weil Giesen zwei Techniker nach Ems geschickt hatte, die dort "ohne irgendeine Gegenleistung" eine Produktionsanlage in Betrieb setzten. Giesen wurde wegen Bilanzfälschung und des Verrats von Fabrikationsgeheimnissen fristlos entlassen. Doch für den 53jährigen Industriellen war gesorgt: er siedelte bald in die Schweiz über und wurde von Oswald auf dem firmeneigenen Schloss Haldenstein bei Chur fürstlich einquartiert. 1952 wurde Giesen in den Verwaltungsrat des Unternehmens gewählt, das 1960 in Emser Werke umbenannt wurde und später in der Ems-Chemie Holding aufging. Erst 1967 trat Giesen aus dem Verwaltungsrat zurück - zwei Jahre bevor der junge Jurist Christoph Blocher in die Firma eintrat. Nazi-Know-How rettet Emser Werke Für Oswalds Unternehmen zahlte sich die Zusammenarbeit mit Giesen aus. Die Treibstoffherstellung war nach dem Krieg überflüssig und unrentabel geworden. Durch die Umstellung auf neue Produkte gelang es, die Emser Fabrik trotzdem weiterzuführen. Von besonderer Bedeutung war die mit Hilfe ehemaliger Leuna-Chemiker aufgebaute Produktion der Kunstfaser Perlon, einem Konkurrenzprodukt zu Nylon. In Anlehnung an den Standort in Graubünden wurde diese "rein schweizerische" Polyamidfaser Grilon genannt. Noch heute vertreibt die Ems-Chemie verschiedene Kunststoffe auf Polyamidbasis unter der Marke Grilon. Dank der Unterstützung durch Giesen und andere in der Nazi-Kriegswirtschaft geschulte Fachleute schaffte die Emser Fabrik den Umbau vom staatlich gestützten Treibstoffwerk zum modernen Chemieunternehmen. 1983 wurde sie vom langjährigen Oswald-Vertrauten Christoph Blocher erworben. Eine der wenigen Publikationen zur Firmengeschichte erwähnt denn auch "die wertvolle Mitarbeit" von Johann Giesen bei der Betriebsumstellung als "der geborene Praktiker und Vollender". Über seine Tätigkeit bei IG Farben schweigt sich Blochers Ems-Chemie bis heute aus. __________ * Lukas Straumann ist Historiker und freier Journalist in Bern. Er ist Co-Autor der Bergier-Studie "Schweizer Chemieunternehmen im Dritten Reich". Florian Schmaltz ist Historiker in Berlin und Verfasser verschiedener Publikationen zu IG Farben. Heute ist er beim Forschungsprojekt der Max-Planck-Gesellschaft über die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus tätig.
26. August 2002 |
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