Fotos OnlineReports, Claude Giger "Unausgewogen und verzerrt": Sandimmun-Kontrahenten Stähelin (links), Borel Zu viele Entdecker-Lorbeeren Der Basler Forschungs-Krimi: Eine Expertise gibt Aufschluss über den Streit um die Entdeckung des Milliarden-Präparats Sandimmun von Novartis VON PETER KNECHTLI Der Basler Forschungskrimi um die Entdeckung des Novartis-Erfolgspräparats Sandimmun ist mindestens teilweise geklärt: Heute steht fest, dass sich Professor Jean François Borel mehr Lorbeeren an den Hut gesteckt hat als ihm zustehen. Novartis-Konzernchef Daniel Vasella persönlich war es, der eine zähe Altlast beseitigen wollte: Den von Sandoz übernommenen, seit bald zwanzig Jahren erbittert geführten Forscher-Streit darüber, wer Entdecker des Wirkstoffs Cyclosporin A war, der zum Aufbau des Erfolgs-Medikamentes Sandimmun führte. Das sensationelle Präparat, das weltweit schon Zehntausende Menschen vor dem Tod gerettet hat, unterdrückt die Abstossung von transplantierten Organen, ohne gleichzeitig Krebs hervor zu rufen. Gutachter von der Konkurrenz Zwei unabhängige emeritierte Ikonen, die bei der früheren Sandoz-Konkurrenz beschäftigt waren, wählte Vasella als Gutachter aus: Karl Heusler, früherer Pharma-Forschungschef von Ciba-Geigy, und Professor Alfred Pletscher, ehemaliger Forschungschef bei Roche und ex-Präsident des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds. Sie hatten die Rolle jener beiden Forscher abzuklären, die sich noch heute die Erfindung von Sandimmun streitig machen. In den meisten wissenschaftlichen Publikationen taucht der Biologe und nachmalige Berner Professor Jean François Borel (68) als der Entdecker der sensationellen Wirkung des Pilzextraktes auf. Er war es auch, der zahlreiche hohe wissenschaftliche Auszeichnungen - auch in Form von Geldpreisen - entgegennahm. Der ebenso selbstbewusste wie blendend kommunizierende Borel ("Ich war der product champion in der Firma") hatte selbst intensiv an seinem Image als Wirkstoff-Koryphäe gebosselt - und damit seinen eher introvertierten Chef und Duzfreund, den mittlerweile 75-jährigen Basler Krebsforschungsspezialisten Hartmann Stähelin, ins Offside gestellt. "Ich war häufig der Spielmacher" Erst Jahre nach der Entdeckung in den Sandoz-Labors, aber umso heftiger nahm Stähelin für sich in Anspruch, "dass der entscheidende Versuch in meinem Labor stattgefunden hat". Sein Hauptverdienst sei, "dass ich dafür sorgte, dass im Screening ein Test auf Immunsuppression aufgenommen wurde". In der Erfindungsgeschichte um Sandimmun sei es zu "Wissenschaftsbetrug" und "Geschichtsfälschung" gekommen. Borel dagegen sieht seine entscheidende Leistung darin, dass er im November 1970 den Test für Antikörper-Nachweis "mit dem Effekt veränderte, dass man die Immunsuppression des Cyclosporin fand". So, wie Borel heute spricht, glaubt er noch immer, den entscheidenden Teil zur Sandimmun-Entwicklung beigetragen zu haben: "Stähelin war ängstlich und liess mich in den Sitzungen die Substanz vertreten. Ich ging immer zu den Leuten. Ich habe den Stier an den Hörnern gepackt. Ich war sehr häufig der Spielmacher und motivierte Leute", sagte er zu OnlineReports. Es sei "auffallend, dass es praktisch keinen Bericht gibt, der von Stähelin unterschrieben ist. Die Entwicklungs-Berichte für Stufen-Übergänge sind von mir allein unterschrieben". Expertise kritisiert Borel Die jetzt in "Swiss Medical Weekly" publizierte Recherche von Heusler und Pletscher macht deutlich, dass die Sandimmun-Entdeckung im Wesentlichen ein Teamwork war und sich Borel auch mit unsauberen Mitteln zum zentraler Entdecker des Wirkstoffs inszeniert hatte. In seinem Hauptwerk "Die Geschichte von Cyclosprin A" vom September 1981, in der sich Borel in schamloser Ich-Form als alleiniger Entdecker deklarierte, unterliess er es, die Hauptstudie zu zitieren, an der neben Borel, Feurer und Gibler auch Stähelin massgeblich beteiligt war. Doch die Schelte geht weiter. "Unkorrekterweise" habe er für sich beansprucht, das erste Papier publiziert zu haben, das Cyclosporin erwähnt habe. Auch habe Borel zu Unrecht betont, nur dank seinem hartnäckigen Widerstand gegen das Management, das die Entwicklung der Verbindung habe aufgeben wollen, sei das Wundermittel gefunden worden. Die Experten dazu: "Wir konnten in den Sandoz-Dokumenten keinen Nachweis finden, der diesen Anspruch rechtfertigt." Zudem sei die Präsentation der frühen Cyclosporin-Geschichte in der internationalen Literatur "manchmal unausgewogen und verzerrt" gewesen, Borels Rolle sei "überbetont" worden. In einem Satz erfährt Hartmann Stähelin sogar Satisfaktion: Er habe zur Entdeckung der biologischen Effekte "mindestens gleich viel" beigetragen wie Borel. Borel spricht von "Formfehlern" Gegenüber OnlineReports räumte Borel ein, er habe "ein paar Formfehler gemacht". Dass er sich - mit Chef Stähelins Untersützung - vehement für die Weiterverfolgung des Projekts ausgesprochen habe, lasse sich damit belegen, dass das Sandoz-Management im ab 1973 gültigen Zehnjahresplan die Immunologie und die Onokologie aus dem Forschungsprogramm gestrichen habe. "Hör auf mit dem Zeugs", habe man ihm bedeutet. Trotzdem habe er das Projekt hartnäckig weiter verfolgt. Er empfinde indes "keinen Hass auf Stähelin", der ihn seinerzeit "gut beraten" hatte. Borel: "Mit der neusten Expertise kann ich leben." Ob auch Stähelin darin genügend Anerkennung findet, ist fraglich. Jedenfalls will der damalige Sandoz-Forscher, wie es seiner zurückhaltenden Art entspricht, "vorläufig keine Stellungnahme abgeben". Kein Wunder bleibt indes, weshalb der Streit so unerbittlich geführt wird: In ersten Annahmen war der Jahresumsatz von Sandimmun auf acht, später auf 25 Millionen Franken geschätzt worden. Heute spielt das Präparat über zwei Milliarden Franken in die Novartis-Kasse.
Vorgeschichte Preis für Hartmann Stähelin 8. Juli 2001 |
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© by Peter Knechtli