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Foto ONLINE REPORTS

"Partnerschaften überlegen": Medien-Akteure Heinz Wermelinger, Peter Hartmeier


Die Druckmaschinen am Portal zum Cyberspace

Der Merger von AOL und Time Warner wird auch die Schweizer Medienlandschaft umkrempeln.

VON PETER KNECHTLI

Der Mega-Merger von America Online (AOL) und Time Warner revolutioniert die globale Medienentwicklung: Die Schweizer Kommunikationshäuser, noch stark an gedruckte Produkte gebunden, sehen sich durch die Gross-Konkurrenz Internet herausgefordert. Noch herrscht grosse Irritation.


Peter Hartmeier, der Geschäftsführer des Verlegerverbandes "Schweizer Presse", versucht schon gar nicht mehr, sein Erstaunen zu verbergen: "Ich fühle mich sprachlos", reagierte er auf den spektakulären Zusammenschluss von AOL und Time Warner zu Beginn dieser Woche. "Es zeichnet sich neue Weltwirtschafts-Ordnung ab. Was im Grossen stattfindet, kann auch im Kleinen abgehen."

Fachleute sind sich einig: Die faktische Uebernahme des Traditions-Medienhauses Time Warner ("Time", "Life", "Fortune", CNN) durch den jung-dynamischen Internet-Dienstanbieter AOL (Compuserve, Netscape, Kooperation mit Bertelsmann) ist nicht nur von seiner Dimension her neuartig (Börsenkapitalisierung über 300 Mia. Dollar). Er signalisiert auch einen nie dagewesenen Kooperationsschub unter Anbietern von Medieninhalten und Internet-Providern. Ziel: Noch mehr Betrieb am Bildschirm.

Basses Erstaunen rief die Mammut-Hochzeit auch in den Chefetagen der Schweizer Medienhäusern hervor. "Ich bin überfordert, mir vorzustellen, was dieser spannende Deal alles auslösen kann", reagierte Beat Lauber, in der Ringier-Geschäftsleitung für Neue Medien zuständig. "Ueberrascht" zeigte sich Matthias Hagemann, Präsident der Basler Mediengruppe ("Basler Zeitung", Jean-Frey-Verlagsgruppe): "Die Börsenkapitalisierung der Internetfirmen hat nun reale Konsequenzen. Das ist ein Vorgang, der einem zu denken geben muss."

Internetfirmen kaufen Medienhäuser

Aehnlich auch die Reaktionen in der Romandie. Tibère Adler, Konzernleitungsmitglied des führenden welschen Medienhauses Edipresse: "Das ist eine Lektion, die Spielregeln haben plötzlich geändert." Früher habe sich Edipresse überlegt, die Internet-Aktivitäten im eigenen Haus zu entfalten oder eine Internetfirma zu kaufen. "Heute kaufen Internetfirmen Medienhäuser."

Noch tun sich viele Schweizer Print-Unternehmen mit den Neuen Medien schwer - nicht nur, weil immenses Kapital in teuren Produktionsmitteln gebunden ist. Unklar ist auch, wohin die Reise im Cyberspace überhaupt geht und wer hierzulande letztlich die bestimmenden Kräfte sein werden.

Beschränkten sich die meisten Medienunternehmen bisher, ihre gedruckten Verlagsobjekte authentisch in Websites abzubilden, stossen einzelne in Kooperationen vor, die dem Beispiel AOL Time Warner im Kleinformat verwandt sind.

TA-Media kooperiert mit Blue Window

Relativ weit in der Entwicklung ist TA-Media ("Tages-Anzeiger", "Sonntags-Zeitung", TV3). Das Zürcher Medienhaus steht über seine Internet-Tochter "Winner Market" vor dem Abschluss einer Kooperation mit der Swisscom-Tochter Blue Window, mit 300'000 Access-Kunden der grösste Schweizer Internet-Provider. Die Allianz unter wechselseitiger Beteiligung - mit einer TA-Minderheitsbeteiligung an Blue Window - sieht den Aufbau eines hochfrequentierten Internet-Portals vor, auf dem Bluewin die Kunden bringt und die TA-Media ihr Rubrikengeschäft wie Stellenvermittlung oder Immobilien platziert. Absicht: Aufbau eines "elektronischen Marktplatzs" (so Bluewin-Sprecher Sepp Huber) und Beteiligung am Umsatz, der über diesen E-Commerce generiert wird.

Wie ein Eingang zu einem virtuellen Shopping Center aussehen könnte, zeigt ansatzweise das Haus Edipresse (www.edicom.ch), das nicht nur seine Titel ("24heures", "Le Matin", "Tribune des Genève"), sondern auch eine breite Zusatzpalette wie Kultur, News, Reisen, Weine und CDs anbietet. Edipresse gehört mit zur Deutschschweizer Verlegergruppe "Pressweb", die unter swissclick.ch Autos, Immobilien und Stellen vermittelt.

Online-Medien ganz oben auf der Dringlichkeitsstufe

Etwa fünf Millionen Franken hat Edipresse laut Tibère Adler in den letzten vier Jahren in Internet-Aktivitäten investiert. Und schon letztes Jahr fiel der Entscheid, noch "mehr und schneller zu investieren". Die Pläne von AOL und Time Warner zeigten immerhin, dass "Inhalte sehr gefragt sind". Adler: "Das ist immerhin ein Trost."

Das Basler Mediengruppe, die den virtuellen Veranstaltungskalender "Bluebanana" anbietet, will laut Präsident Matthias Hagemann "die Online-Medien mit deutlich höherer Priorität gewichten". So werden die "Bilanz" ihre Wirtschaftskompetenz und der "Beobachter" seine Beratungs-Knowhow "in neue Online-Felder einbringen". Aber, so Hagemann: "Wir verfallen nicht in hektischen Aktivismus."

Inhalte und Marken pflegen

Mit über einem Dutzend Webseiten seiner Verlagsprodukte ist Ringier im Internet, aber auch mit dem Zürich-Portal "zhol.ch" und der Stellenvermittlung Human Line. Auch bei Beat Lauber ist durch den US-Mega-Deal keine Hektik ausgebrochen: "Wir müssen die Inhalte und Marken pflegen und nicht die Art, wie wir die Marken verbreiten."

Allerdings mag Lauber nicht ausschliessen, dass sich die Medienhäuser im vergleichsweise unbedeutenden Marktplatz Schweiz mittelfristig mit ausländischen Uebernahmeofferten - etwa von yahoo! oder Bertelsmann - konfrontiert sehen werden. Der neuerdings im Besitz der englischen NTL befindliche Schweizer Kabelriese Cablecom ist laut Chef Ueli Dietiker derzeit "am Abstecken von strategischen Allianzen mit Unternehmen, die im Internet tätig werden wollen". Konkret gehe es der Internet-Tochter Swissonline, mit 150'000 Kunden Nummer zwei im Schweizer Provider-Markt, um den Aufbau eines Portals "in Richtung Inhalte und E-Commerce".

Bertelsmann-Online-Chef warnt vor Passivität

Wie aggressiv die Provider-Szene aufgemischt wird, zeigt die am Donnerstag bekannt gewordene Uebernahme von agri.ch und Span durch den englischen Telekom-Multi Cable&Wireless. Vor dem Verkauf steht auch der in Basel domizilierte Provider Datacomm.

Heinz Wermelinger, Chef von Bertelsmann Online International (BOL), der zuvor AOL Europa zu voller Blüte brachte, warnte gegenüber ONLINE REPORTS: "Als Schweizer Verleger würde ich mir strategisch gut überlegen, ob ich nicht Partnerschaften eingehen soll." Auf das Joint Venture, das AOL zusammen mit Bertelsmann in Form von AOL Europa betreibt, habe "der Deal in Amerika keinen Einfluss". Dass die Schweiz schnell in den Einflussbereich unerwarteter Medien-Fusionen gerät, glaubt Wermelinger nicht: "Man würde zuerst andere Länder in Europa anschauen."

Scharfe Konkurrenz für den traditionellen Journalismus

Die Schweizer Medienhäuser stehen angesichts der wachsenden Bedeutung Online-Nutzung und E-Commerce vor der grössten Herausforderung ihrer Geschichte. Zum einen droht mittelfristig - nach amerikanischem Vorbild - eine massive Umschichtung der Besitz- und Einflussverhältnisse. Zum andern werden agile Internet-Medien das klassische Verständnis des Print-Journalismus in seinen Grundfesten erschüttern. Nicht nur sind Internet-Informationsdienste schneller als Fernsehen und Radio, sie erfüllen auch "gewisse Funktionen wie Nachschlagen, Resultatdienste, Kleinanzeigen oder Börsenkurse besser an die gedruckte Presse" (so Beat Lauber). Verlegerverbands-Chef Hartmeier: "Immer stärker gefragt ist die Fähigkeit der Medienunternehmen, multimediale Bedürfnisse zu jeder Tages- und Nachtzeit zu stillen.

Die Verschiebung des Informationsbezugs vom Papier zur digitalen Internet-Plattform wird den Strukturwandel und den Verlust an Titeln in der Schweizer Presse beschleunigen. Aber die Qualitätspresse wird sich auf reduziertem Niveau bewähren können. Ringier-Mann Beat Lauber sieht sogar einen "Revival des klassischen Qualitäts-Journalismus".

Zimmermann: "Inhalte werden begehrt sein"

Trotz des spektakulären US-Deals sehen sich die einheimischen Medien-Manager "nicht in der Sackgasse", sagte "Schweizer-Presse"-Geschäftsführer Peter Hartmeier: "Die Schweizer Verleger leben noch ganz stark vom lokalen Schweizer Markt. Und für diese Inhalte besteht ein massives Interesse." Matthias Hagemann: "Die Printmedien mussten sich schon immer verändern und den neuen Bedingungen anpassen." Vor allem die grösseren Medienhäuser haben laut TA-Media-Geschäftsleiter Kurt W. Zimmermann "die Chance, als Vollservice-Anbieter die Wertschöpfungskette zu verbreitern und mit ihren qualitativ hochstehenden Inhalten bei Internet-Providern begehrt zu sein."



15. Januar 2000

REPORTS KOMMENTAR

Foto Claude Giger

Schweizer Presse hat eine Chance: Mit neuer Qualität

Was America Online und Time Warner in diesen Tagen vormachten, hat die Chefs und Strategen der Schweizer Medienhäuser unvorbereitet getroffen: Den Kommunikations-Profis blieb das Wort im Hals stecken.

Die Gefühle der Beklemmung sind verständlich: Was die US-Wirtschaft demonstriert, wird mit verminderter Verzögerung auch auf dem Alten Kontinent unerbittliche Realität. Was, wenn die Druckpressen in wenigen Jahren still stehen, weil Zeitungen und Zeitschriften schon auf dem Rollband veraltete Makulatur und die Internet-Inhalte von gestern sind?

Der Presse einen raschen Tod vorauszusagen, wäre fahrlässig und ohne jeden Bezug zur Realität. Die gedruckten Medien werden Bestand haben.

Doch: Ihnen steht ein weiterer Anpassungsschritt bevor - vermutlich der einschneidenste seit Jahrzehnten. Insbesondere die Tageszeitungen vermögen mit dem Tempo des Internet nicht mehr Schritt zu halten. Sie müssen einen neuen Weg in einen neuen Entfaltungsraum finden. Sie müssen Zusammenhang-Hersteller und Hintergrund-Beleuchter werden. Die Aktualitäten werden durch das Internet bedürfnisgerechter abgedeckt.

Das heisst auch: Der neue Print-Anspruch erfordert einen hochqualifizierten Journalisten-Typus, der die neuen Ansprüche erfüllt. Gefragt sein werden folgende Fähigkeiten:

Zusammenhänge zu erkennen und mit hohem Mass an Unabhängigkeit aufzudecken,
Entwicklungen zuverlässig antizipieren zu können,
dynamische Prozesse zu erkennen und zu beschreiben,
ein erstklassiges Informanten-Netz aufzubauen und zu pflegen,
eine sensible Gesprächskultur auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

So wird sich auch das Erscheinungsbild der Zeitung verändern. Sie wird umfangmässig abspecken, den Anspruch auf thematische Vollabdeckung aufgeben und mit kleineren, aber hochqualifizierten und motivierten Redaktionen arbeiten. Sie wird in die Weiterbildung ihrer Journalisten deutlich mehr Geld als heute investieren, verfügt aber damit über ein Team, das den Fortbestand der gedruckten Presse langfristig sichert. So wird die Bedrängung durch das Internet zur kreativen Chance.

Peter Knechtli
Verantwortlicher Editor

 



MEDIEN ECHO AOL-FUSION
AOL Tome Warner / Auswirkungen auf Schweizer Medien

"Vollzeitung hat Zukunft"

Ich habe Ihren Artikel über allfällige Auswirkungen des AOL-TimeWarner-Deals für die Schweizer Medienlandschaft gelesen und finde ihn umfassend und gut recherchiert. Mit Ihrem Kommentar stimme ich jedoch nur insofern überein, als ich ihn als eine mögliche Variante der Zukunft sehe. Persönlich glaube ich, dass die bedeutenderen Tageszeitungen auch in Zukunft Vollzeitungen sein werden. In den USA wird heute mehr gedruckt denn je, allen Online-Angeboten zum Trotz.

Matthias Hagemann
Präsident "Basler Mediengruppe"

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(c) by Peter Knechtli