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"Weltmeister im Diagnostizieren"

Boehringer-Mannheim: Roche-Chef Fritz Gerber verblüffte mit seiner bisher grössten Akquisition

VON PETER KNECHTLI

Nach der Fusion von Ciba und Sandoz zur Novartis vom vergangenen Jahr war auch vom dritten Pharma-Multi auf dem Platz Basel ein ähnlicher Schritt erwartet worden. Jetzt hat Roche-Präsident Fritz Gerber den grossen Deal lanciert und elf Milliarden Franken freigemacht - aber auf einem ganz andern Gebiet, als die Auguren das Gras wachsen hörten.

Nicht Pharmakonzerne wie Zeneca, SmithKline Beecham oder Astra sind die Auserlesenen, sondern mit Boehringer Mannheim ein weltweit operierender Konzern, der mehr als die Hälfte seines Umsatzes im Diagnostikgeschäft erzielt und den Sparten-David Roche mit einem bisherigen Umsatz von gerade mal 750 Millionen Franken auf einen Schlag an die Weltspitze katapultiert. (Kommentar)

Mit der Akquisition der Boehringer-Mannheim-Gruppe wird Roche, wie sich Divisionsleiter Jean-Luc Belingard ausdrückte, "Weltmeister im Diagnostizieren".

Die ungewohnt freudige Formulierung aus Manager-Mund ist durchaus auch nach innen gerichtet. Denn Curt Engelhorn, der 71jährige Firmenpatron, verkauft sein Familienunternehmen nicht aus Not, sondern aus sachlichem Kalkül. Bevor er vor drei Wochen mit Fritz Gerber handelseinig wurde, prüfte er Allianzen und Partnerschaften mit andern europäischen, amerikanischen und japanischen Firmen und gar den Börsengang. Schliesslich machte Roche, ebenfalls ein ausgeprägtes Familienunternehmen, das Rennen.

Die kritische Grösse fehlte

Nicht mangelnde Rendite oder ein verpasster Anschluss an die vom Markt nachgefragten Analysesysteme, Testgeräte und Reagenzien sind dafür ausschlagebend, dass das Pionierunternehmen der Labordiagnostik 138 Jahre nach seiner Gründung die Selbständigkeit aufgeben muss. Nicht fehlende Innovationskraft hat Verkauftszwang geschaffen; Boehringer hat schon in den siebziger Jahren die Politik des Patient Care verfolgt, "das Labor zum Patienten zu bringen" - was beispielsweise Diabetikern eine sofortige Anzeige ihrer Blutzuckerwerte ermöglichte.

Vielmehr ist Boehringer ein Musterbeispiel für die unbarmherzigen Zwänge und Veränderungen, denen sich die gesamte Chemie- und Pharmabranche schon seit einiger Zeit ausgesetzt sieht: Dem Unternehmen fehlte die kritische Grösse und Finanzkraft, um im rauhen Markt überleben zu können.

Boehringer-Präsident Gerald Möller machte gestern keinen Versuch, dieses Faktum zu vertuschen. Zwar sei die "Globalisierung der Firma mit kreativen Konzepten betrieben" worden, sagte er, doch seien die Herausforderungen seiner Branche in den letzten Jahren gewaltig gestiegen. Möller: "Evolutionäres Wachsen über viele Jahre ist heute im globalen Markt und Wettbewerb teurer als je zuvor, weil es schneller erfolgen muss als in der Vergangenheit. Wir konnten nicht Marktführer bei Diagnostika bleiben bei gleichzeitiger Globalisierung und Verbreiterung des Pharmageschäfts." Anderseits wäre es "wegen der ausserordentlich erfolgreichen Arbeiten der letzten Jahre falsch und unseren Mitarbeitern gegenüber unfair gewesen", die Pharma-Sparte zugunsten der Diagnostika aufzugeben.

Da blieb nur eine Diagnose: Verkaufen.

Und Roche, der kerngesunde, aber etwas im Schatten von Novartis stehende Kraftprotz mit seinen liquiden Mitteln von über 15 Milliarden Franken, war zur grössten Transaktion ihrer 100jährigen Firmengeschichte bereit. "Wir zahlen keinen Rappen mehr als das, was wir an Wert bekommen", machte Finanzchef Henri B. Meier deutlich, weshalb sein Unternehmen so tief in die Schatulle zu greifen bereit ist.

Für die elf Milliarden kauft sich Roche die nicht sonderlich spektakuläre Erhöhung des Marktanteils im Pharmabereich von 2,7 auf 3,3 Prozent und eine Verbesserung von Weltrang neun auf Rang sechs. Zudem eine verstärkte Wachstumsdynamik in den Therapiegebieten Herz-Kreislauf, Stoffwechsel, Onkologie und Osteoporose. Wie ein Geschenk in den Schoss fällt Roche die profitble amerikanische Firma "DePuy", eine auf dem Gebiet künstlicher Hülftgelenke und orthopädischer Produkte führende Firma. Doch Branchenkenner gehen aber davon aus - und Fritz Gerber mochte es gestern mindestens nicht dementieren -, dass diese Mitgift möglicherweise schon bald als Spin-Off das Weite sucht.

Wirklich abgesehen hatte es Roche einzig auf das Diagnostikgeschäft. Diese Division glänzte im vergangenen Jahr zwar trotz stagnierender Nachfrage und Preisdruck mit den schönsten Verkaufszuwächsen (+18 Prozent) innerhalb des Konzerns, aber die Rentabilität liess zu wünschen übrig.

Mit der Boehringer Akquisition hat Roche diesbezüglich die Hausaufgaben gemacht und Voraussetzungen dafür geschaffen, die Gewinne in eine solide zweistellige Grössenordnung zu führen.

Im Pharmabereich steht der entsprechende Quantensprung noch aus. Dort besteht nach wie vor Handlungsbedarf. Allerdings stellt sich die Frage, ob akquisitoriche Opportunitäten überhaupt vorhanden sind, und ob Roche den Willen und die Mittel hat, eine weitere grosse Uebernahme zu lancieren. Grund: Strategische Pharma-Uebernahmen sind heute unvernünftig teuer und mithin äusserst riskant. Ciba und Sandoz hatten dieses Problem vor ihrer Fusion nicht. Die Konstruktion war im Gegenteil genial: Durch Aktien-Tausch musste nicht nur kein Geld berührt werden, der Wert der Papiere stieg auch noch galoppierend.

An diesem kapitalistisch-kreativen Muster wird sich Roche orientieren und als frischgebackener Weltmeister der Diagnose besonderen Wert darauf legen, die Weichen auch im Pharmageschäft richtig zu stellen.

26. Mai 1997

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