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Bundesfeier-Aggression: Wollen wir Tote am 1. August?

Gefragt sind neue Fest-Formen, nicht noch mehr Spektakel

Aus einer Handfeuerwaffe wird einem 11-jährigen Mädchen, das aufs grosse Feuerwerk wartet, auf der Basler Johanniterbrücke ins Bein geschossen. Eine Petarde trifft nicht gerade diskret Feiernde auf einem Boot im Rhein. Ein Betrunkener schiesst einen Feuerwerkskörper in die Menge, weil er nichts zu trinken erhält, und fügt einem Unbeteiligten Verbrennungen dritten Grades zu. Aus Allschwil wird ein Zwischenfall gemeldet, weil ein 14-Jähriger an einem Feuerwerkskörper herummanipulierte. In Allschwil, Oberwil, Aesch und Frenkendorf kommt es zu Vandalenakten, bei denen Briefkästen, Fahrzeuge und Telefonkabinen in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Petarden und Raketen wurden immer gezündet - von Jungen und Junggebliebenen - Unfälle und Brände gab es immer. Feuerwerk hat seine eigene Faszination und Illusion. Was wir heute aber erleben, hat mit damit nichts mehr zu tun: Die Knallerei, die sich immer weiter in Tage und Wochen vor dem 1. August vorverlagert, vor Spitälern und Altersheimen nicht schonend Halt macht und schliesslich scharfe Schüsse braucht.

Wenn immer weniger Festredner immer weniger zu sagen haben und ihnen immer weniger Leute zuhören wollen - aus häufig gut nachvollziehbaren Gründen -, sich gleichzeitig aber die Feier eines im Urgemeinschaftlichen gründenden Anlasses nur noch in Knallerei und zunehmender Aggression erschöpft, dann wird die Bundesfeier zur Perversion. Was allein in der Region Basel die sogenannten "Bundesfeiern" überschattete, hat eine traurige Qualität, die auf der Ebene der Politik und vor allem der Fest-Veranstalter zum Thema werden muss. Wollen wir Tote am 1. August?

Die Bundesfeier macht Sinn. Heute vielleicht mehr denn je. Die Gemeinschaftlichkeit, durch die genannten Zwischenfälle sichtlich verspottet, müsste zentrales Thema werden. Neue Festformen sind gefragt. Fest-Formen, die Nachbarschaften beleben, neue Beziehungen schaffen und uns letztlich klar machen, dass wir Teil eines verantwortlich handelnden Ganzen sein sollten. Als Aggressions-Ventil taugt der Anlass nicht.

2. August 2001


Ex-Stasi-Mann Schindhelm als Theater-Aushängeschild:
The end


Seine Vergangenheit behielt der Basler Theaterdirketor für sich, bis es nicht länger ging


Der Basler Theaterdirektor Michael Schindhelm hat seit 1984 hinter dem Pseudonym Manfred Weih als "Inoffizieller Mitarbeiter" während mindestens drei Jahren mit der Stasi kooperiert. Diese Selbstenthüllung inszenierte Schindhelm, nachdem er Mitte Dezember in die Akten der Gauck-Behörde hat Einsicht nehmen können.

Noch am Dienstagabend hatte Schindhelm an einer leidenschaftlichen öffentlichen Diskussion im Theater-Foyer über den eklatanten Besucherschwund um fast die Hälfte des Rekordstandes unter Horst Statkus debattiert. Lob umschmeichelte ihn, aber auch harte Kritik brandete ihm entgegen.

Schindhelm, ein hochtalentiertes Kind des Ostens, hat sich im Basler Theater als Erneuerer, teamorientierter Chef und schreibfreudiger Publizist profiliert: Er hat aber auch offen und selbstkritisch kommuniziert wie selten ein Manegenleiter vor ihm. Und jetzt das. Aller Wahrscheinlichkeit nach ergriff Schindhelm die Flucht nach vorn, weil er annehmen musste, dass seine wie auch immer geartete Vergangenheit im Dienste der damaligen DDR-Staatssicherheit über andere Quellen an die Öffentlichkeit dringen würde.

Da mögen ihm Regierung und Theater-Aufsicht - mit redlichen Argumenten - noch so sehr die Stange halten. Das Vertrauen in den Repräsentanten Schindhelm ist verletzt. Wie Realsatire erscheit künftig die Auseinandersetzung mit staatlicher Autorität und totalitären Systemen am Basler Theater, solange an seiner Spitze ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter steht. Lange hat sich das aufziehende Gewitter angekündigt. Spät holt Michael Schindhelm das Schicksal seiner Geschichte ein. Vielleicht geschieht Unrecht, weil jenseits von Schindhelms subjektiver Schilderung niemand mehr überprüfen kann, was damals wirklich war. Sicher ist heute nur eines: Ein ex-Stasi-Mitarbeiter wird in Basel nicht Theaterdirektor bleiben können. The end.

12. Januar 2001

ECHO
"Fast alle haben sich ähnlich verhalten"
"Muss er nun gehen, weil die Moralonkel in den Feuilletons nun aufjaulen? Hat er seinen Job als Chef verwirkt? Ich glaube das nicht. Erstens ist das alles schon zehn und mehr Jahre her, zweitens passierte das in einem totalitären Staat, in welchem mindestens 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sich ähnlich verhalten haben. Drittens ist die Grenze zwischen Opfer und Täter in diesen Dingen immer fliessend. Viertens: Müssen wir uns hier als Richter aufspielen? Aber vielleicht hat Herr Schindhelm sich so seinen Abgang kalkuliert
spektakulär zurecht gelegt respektive provoziert. Dann wärs gutes Theater."

Edwin Tschopp
Basel



Zeba-Streik: Der grosse Modellfall einer Konfliktlösung

Wie die Basler Regierung die Eskalation eines Arbeitskonflikts verhinderte

Am Anfang stand die Privatisierung und der Lohnkonflikt. Schliesslich der Streik. Hand aufs Herz: Würden Sie für 3'000 Franken im Monat arbeiten, blutige Laken waschen und vielleicht eine Frau und zwei Kinder ernähren? Ich nicht. Ich begreife, dass Zeba-Mitarbeitende gegen Lohnsenkungen aus grundsätzlichen Motiven entschlossen in den Streik traten. Aus Angestellten wurden Abgestellte.

Ich verstehe aber auch die wirtschaftlichen Zwänge und die Gefahr, dass die Basler Grosswäscherei und ihre sozialen Regeln in einem liberalisierten System nicht mehr überlebensfähig sind. So entsteht die klassische Konfliktsituation.

Basel war auf den besten Weg, in der ganzen Schweiz als Streik- und Streit-Stadt in Erinnerung gerufen zu werden. Die frühere Gewerkschaftsfunktionärin Veronica Schaller hat bei der Privatisierung des Betriebs auf der ganzen Linie versagt. Sie hat diese Konfliktsituation weder antizipiert noch mit dem nötigen menschlichen und emotionalen Beistand abgefedert und dazu möglicherweise noch mit der Schlafmützigkeit der Gewerkschaften gerechnet.

Doch genau zu jenem Zeitpunkt, als der Lohnkonflikt am erbitterten Widerstand der Betroffenen und ihrer Unterstützung durch die Bevölkerung zu eskalieren drohte, entschloss sich die Regierung zum einzig richtigen Schritt: Obschon sie zuvor das Ende des Entgegenkommens angekündigt hatte, machte sie nochmals einen Schritt auf die Streikenden zu, indem sie 30 Zeba-Stellen im Lohnbesitzstand durch den Staat zu übernehmen bereit ist.

Mit dem Projekt "Streitlos" versucht Basel im Kleinen heute schon, Streitereien durch Vermittlung und Gespräch statt durch Gerichte zu lösen. Insbesondere der Liberale Ueli Vischer, Sozialdemokrat Ralph Lewin und der Freisinnige Jörg Schild haben mit ihrem diplomatisch klugen Vorschlag jetzt gezeigt, wie scheinbar unlösbare Differenzen auch im Grossen entschärft werden können, ohne dass eine Partei das Gesicht verliert. Dafür verdient die Regierung grosses Lob. Sie hat der Schweiz jetzt Basel als Konfliktlösungs-Modell vorgeführt, das möglicherweise schon in andern Städten oder Unternehmen zur Anwendung gelangen könnte: Das übergeordnete Interesse an der Erhaltung des Betriebs steht über Rechthaberei und Starrsinn.

Denn jetzt mussten die Gewerkschaften von ihren Powerplay abrücken und Hand zu einer Lösung bieten. Sonst hätten sie den Rückhalt in der Öffentlichkeit verloren und ihr verständlicher Kampf wäre statt zum Erfolg zum politischen und menschlichen Desaster geworden.

3. Dezember 2000




Bürgerlicher Triumph bringt Basler Linke in Bedrängnis

Bürgerliche Viererliste erringt im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit

Das Ergebnis der Basler Regierungsratswahlen lässt nach dem ersten Wahlgang keinen Zweifel offen: Die Bürgerlichen sind im Vormarsch, sie haben die Wahlen ohne Wenn und Aber gewonnen und verfügen jetzt in der Exekutive über die absolute Mehrheit. Die Freisinnigen sind für den gesundheitlich bedingten Rückzug ihrer Frauenkandidatur mitten im Wahlkampf mit einem Spitzenergebnis ihrer beliebten Wahllokomotive Jörg Schild entschädigt worden. Auch Carlo Conti hat sich als CVP-Sanitätsdirektor, obschon erst wenige Monate im Amt, hervorragend bewährt. Am glücklichsten dürfen aber die Liberalen sein, die nicht nur ihren Finanzdirektor Ueli Vischer glanzvoll bestätigen konnten, sondern mit Nationalrat und Gewerbedirektor Christoph Eymann auf Anhieb zwei Sitze eroberten.

Somit steht nach dem ersten Wahlgang fest: Der als Neuling kandidierende Oeko-Liberale Christoph Eymann wird entweder eine amtierende Sozialdemokratin oder den DSP-Justizdirektor Hans Martin Tschudi über Bord werfen. Die Wiederwahl schaffen dürfte Barbara Schneider, die das Absolute Mehr - Riesenpech! - um nur gerade zwei Stimmen verfehlte. Zittern dagegen müssen Tschudi und Veronica Schaller, die deutlich abgeschlagen wurden.

Wäre Veronica Schaller im Sanitätsdepartement geblieben, so wäre ihr das heikle Geschäft um die Wahl des neuen Museumsdirektors erspart geblieben, das ihr im bürgerlichen Lager stark geschadet hat. Mit ihrem eigenwilligen, manchmal ans Starrköpfige abgleitende Regierungsstil hat sie in der vergangenen Legislaturperiode aber nicht nur bürgerliches, sondern auch linkes Wahlpotenzial verärgert. Dies wurde spätestens dann deutlich, als Teile der Gewerkschaften den sozialdemokratischen Bewerbungen - und insbesondere Veronica Schaller - die Unterstützung entzogen. In der Privatisierung der Zentralwäscherei und dem anschliessenden Konflikt um massive Lohnkürzungen machte die frühere VPOD-Sekretärin tatsächlich eine denkbar schlechte Figur. Das Museums-Wahlgeschäft und der Zeba-Konflikt waren Mega-Themen im Minusbereich, die Rechte und Linke intensiv gegen Schaller ins Feld führten, wogegen die Linken gegenüber den bürgerlichen Kandidaten nichts Vergleichbares auffahren konnten. Die Sozialdemokraten machten im Wahlkampf einen eher zerrissenen, orientierungslosen und machterhaltenden Eindruck.

Auch Tschudi vermochte gegenüber der letzten Wahl nicht zuzulegen: Er sitzt als DSP-Mann nun einmal zwischen Stuhl und Bank und ist darauf angewiesen, im Amt während vier Jahren Wahlkampf zu betreiben, was ihm nachhaltig Ecken und Kanten kostet.

Mit Christoph Eymann erhält die Regierung einen undogmatischen Brückenbauer und Finanzdirektor Ueli Vischer einen seiner engsten Privat- und Parteifreunde zum Regierungskollegen. Ob im zweiten Wahlgang am 26. November Tschudi oder Schaller gewählt wird - am bisherigen Regierungskurs wird sich nicht allzuviel ändern - auch wenn Eymann wohl deutlich häufiger mit den Bürgerlichen stimmen wird als bisher das Zünglein an der Waage Tschudi. Allerdings wird sich dabei auch zeigen, ob Eymann nach der auch mit linksgrünen Stimmen gewonnenen Wahl die vermittelnde Position beibehalten oder zum verlässlichen bürgerlichen Mehrheitsbeschaffer wird.

Sicher ist heute schon, dass Eymann nach seinem Nationalrats-Rücktritt in Bern als Vermittler über Parteigrenzen hinweg eine Lücke reissen wird. Die Nachrückende liberale Christine Wirz-von Planta ist als bürgerliche Hardlinerin fast das Gegenteil Eymanns und hat mit Linken und Grünen so gut wie nichts am Hut.

22. Oktober 2000




Veronica Schaller hat mutig entschieden

Basler Regierung wählt Bernhard Bürgi und nicht Theodora Vischer zum neuen Museumsdirektor

Ob Veronica Schaller mit der Wahl von Bernhard Bürgi als neuer Basler Kunstmuseums-Direktor richtig entschieden hat, wird erst die Zukunft zeigen. Der Auserwählte soll seine Chance haben. Sicher ist aber ist schon heute: Ihr Entscheid ist mutig und in gewisser Weise wohltuend zugleich.

Was Frau Schaller letztlich bewogen hat, der Regierung den Zürcher Kunsthalleleiter vorzuschlagen und nicht Theodora Vischer, die Leiterin des Museums für Gegenwartskunst und Schwester das Finanzdirektors, ist noch nicht ergründet. Es mögen tatsächlich kunstpolitische, kreative und kommunikative Argumente gewesen sein. Es kann aber auch die unüberhörbare Botschaft gewesen sein, dass in Basel-Stadt die Regierung regiert. Und dass sich die Regierung ihre Unabhängigkeit auch vom so genannten Establishment nicht nehmen lässt.

Das Mäzenatentum - angeführt von der Emanuel Hoffmann Stiftung - hat in Basel eine lange und grossartige Tradition, die ihresgleichen sucht. Aber das Mäzenatentum ist ein Tabu: Weil hier immer wieder zweistellige Millionenbeträge fliessen, erstarren Basel und auch ein Teil der Feuilletonisten in Andacht. Dabei gäbe es zentrale Frage zu diskutieren, die durch den jetzt entstandenen Wirbel offenkundig wird: Erlaubt die Spende des Nationalbankgebäudes an das Kunstmuseum der Spenderin Maja Oeri, in der Auswahl der neuen Leitung eben dieses Museums die entscheidende Selektion zu treffen?

Nein. Das Mäzenatentum darf nicht über dem politischen System stehen. Es muss ein unschätzbarer Wert an sich sein und bleiben wollen. Und es müsste sich vermehrt auch der öffentlichen Diskussion stellen. Nie dürfte auch nur die Spur eines Eindrucks erweckt werden, dass mit grosszügigen Spenden mehr als ausschliesslich gemeinnützige Interessen verbunden sind. Indem Maja Oeri, Präsidentin der Emanuel Hoffmann Stiftung und als Mitglied des Findungsgremiums richtungsbestimmendes Mitglied der Kunstkommission, Theodora Vischer zur Frau ihrer Wahl deklarierte, hätte dieser Eindruck entstehen können.

Insofern haben Vernonica Schaller und mit ihr drei weitere Regierungsmitglieder einen klärenden Entscheid getroffen, der in seiner innenpolitischen Bedeutung weit über die reine Personenwahl hinaus geht: Es ist die Bestätigung dafür, dass die Kunstpolitik - und damit auch die Kunstmarktpolitik - nicht Privatsache ist, sondern demokratischen Spielregeln zu folgen hat.

30. September 2000



Auch "Fight to win" bedeutet: Wer nicht genügt, fliegt

Zum Rückzug der umstrittenen Killer-These von Novartis-Pharma-Chef Thomas Ebeling

Thomas Ebeling, seit 1. September neuer Chef der Pharma-Division von Novartis, hat seinen Marketing- und Verkaufskadern aus aller Welt den neuen Tarif durchgegeben: "Kill to win – No prisoners" (Töte, um zu gewinnen – Keine Gefangenen) stand eindringlich auf einer Folie, die er an einem Meeting in Paris an die Wand projizierte.

Selbst wenn der jüngste Profit-Hoffnungsträger aus dem Novartis-Stall natürlich nicht zur physischen Attacke auf den Konkurrenten aufrufen wollte, so ist die Devise doch verantwortungslos und entwaffnend zugleich. Verantwortungslos darum, weil sich der militante Befehl vorzüglich eignet, als Freipass für unappetitliche Geschäftspraktiken jeder Art missverstanden zu werden. Entwaffnend deshalb, weil er – unkommentiert konzernweit auf dem Intranet abrufbar - ein eklatantes Kommunikationsdefizit belegt. Wenn schon den ausgebildeten Psychologen Ebeling beim Komponieren der Brachial-Regel keine Schreibhemmung erfasste, so hätte mindestens der Kommunikationschef die Notbremse ziehen und die Publikation im Intranet unterbinden müssen. Killer-Devisen gehören nicht in die Zehn Gebote eines seriösen Unternehmens, das erst noch bei jeder Gelegenheit seinen hohen ethischen Standard unterstreicht. Keine Frage: Mit einigen seiner Zehn Gebote ist Thomas Ebeling zum Start als neuer Pharma-Chef ein grober Schnitzer unterlaufen.

Machen wir uns aber nichts vor: Der eine Blick ins taktische Labor von Novartis bietet keine Exklusivität, sondern nur das Beispiel dessen, mit welchen Bandagen hinter den Kulissen des globalen Wettbewerbs generell gekämpft wird: Wer auf dem internationalen Parkett nicht überdurchschnittliche Leistung erzielt, steht über kurz oder lang auf verlorenem Posten.

Konzernchef Daniel Vasella darf die gute Absicht unterstellt werden, sich mit der Ernennung des gnadenlosen Leistungsbolzers Ebeling an die Spitze seiner Königsdivision für das Überleben seines Konzerns entschieden zu haben. Auch wenn sich die Nummer zwei im Hause Novartis diese Woche lernfähig gezeigt und die "Kill to win"-Regel flugs durch die Soft-Version "Fight to win" entschärft hat, so ändert sich an seiner Politik nichts: Die Ergebnisvorgaben werden noch strenger, der Erfolgsdruck an der Verkaufsfront nimmt weiter zu, selbst die lange Zeit unangetasteten Besitzstände in Forschung und Entwicklung geraten plötzlich ins Wanken. Wer die Leistung nicht bringt, verliert den Job.

Die Überlebensrezepte sind quer durch alle Industriesparten die gleichen: Schneller und besser werden. Wer allerdings daran glaubt, dass die Beschleunigung der Wirtschaft erst am Anfang steht, sollte das Pulver zur Anfeuerung seiner Belegschaften nicht vorzeitig verschiessen. Nach "Kill" ist keine Steigerung mehr möglich.

4. September 2000



Die fatale Wende der sogenannten "Justiz-Affäre"

Basler Strafgericht spricht Graziella Klages der falschen Anschuldigung schuldig

Je mehr Details über die sogenannte "Basler Justiz-Affäre" ans Tageslicht kommen, um so deutlich wird die destruktive Energie, die sie freisetzte. Es war ein Desaster durch und durch: Entlassene und versetzte Justizbeamte, eine abwechselnd mit Vergewaltigungs-Geschichten und freiwilligem Zellen-Sex an der Nase herum geführte Öffentlichkeit; ein wohl zeitlebens stigmatisierter Polizeibeamter; eine Graziella Klages, die jetzt als Einzige als strafrechtlich Verurteilte dasteht.

Nukleus des Desasters waren gewisse Medien, die sich damals zeitweise in einen regelrechten Enthüllungsrausch empor stilisierten ("Basler Justiz in Mafia-Hand"). Der Prozess in Basel machte erneut beschämend deutlich, vor welch zwielichtiger Doppelrolle gewisse Journalisten nicht zurückschreckten: Hier scheinbar gütiger Helfer - dort publizistischer Profiteur.

Wenn der inszenierte Skandal der Justiz Anlass gegeben hat, glaubwürdig zu werden, dann müssten die Protagonisten der "Justiz-Affäre" mit dem Schuldspruch gegen Graziella Klages zufrieden sein. Wer jetzt aber immer noch vor "faschistoiden Zuständen" in der Justiz warnt, wie es Verteidiger Peter Zihlmann getan hat, gesteht implizit ein, dass die Medien-Bombardemente an der "Justiz" nichts Grundlegendes verändert haben.

Graziella Klages kann einem leid tun: Niemand schützte sie wirksam vor der Torheit der falschen Beschuldigung und der Wucht der Oeffentlichkeits-Wirkung, sie geriet zum Vehikel, Spielball und letztlich wohl Opfer jener, die es angeblich so gut mit ihr meinten. Dass das grosse "Finale" eines "Skandals", von dem seine Enthüller damals träumten, in der Verurteilung ihrer Kronzeugin besteht, ist Tragik und Lehrstück zugleich.

15. Juni 2000



Justiz-Streit um Peter Albrecht: So geht es nicht

Zur öffentlichen Schelte der Basler Staatsanwaltschaft an Haftrichter Albrecht

Der Basler Strafgerichtspräsident Peter Albrecht steht zur Staatsanwaltschaft nicht erst in einem gespannten Verhältnis, seit er vor eineinhalb Jahren das neue Amt des Haftrichters übernommen hat. Wer das politische Geschehen am Rheinknie seit Jahrzehnten überblickt, erinnert sich an die ostentativen Missfallens-Äusserungen des damaligen Staatsanwalts und heutigen Polizeidirektors Jörg Schild: Nachdem das Gericht seinen auf Peter Albrecht gemünzten Befangenheitsantrag abgelehnt hatte, zeigte Schild an der laufenden Gerichtsverhandlung demonstrativ Desinteresse und liess es in seinem Plädoyer für eine immerhin achtjährige Freiheitsstrafe bei wenigen Sätzen bewenden.

Der Konflikt zwischen Exponenten der Justiz und der Strafverfolgung ist naheliegend: Hier die Staatsanwaltschaft, die die Interessen der Fahndung (packen, festhalten, sicher stellen) verständlicherweise höher bewertet als Richter Peter Albrecht, der sich stärker an ethischen und reglementarischen Fragen orientiert.

Dass die Staatsanwaltschaft jetzt den Konflikt über die Öffentlichkeit austrägt, kann als Ausdruck der Verzweiflung interpretiert werden, ist aber höchst fragwürdig. Offensichtlich ist die Gesprächskultur zwischen Staatsanwaltschaft und Richter so gestört, dass die Organe der Strafverfolgung nicht einmal mehr auf Gesprächsangebote Albrechts eingehen.

Peter Albrecht ist anerkannter Strafrechts-Experte und vertritt als juristisches Gewissen konsequent die Grundrechts-Interessen von tatsächlichen und vermuteten Tätern. Er steht auch offen dazu, seine Meinung nicht als die allein richtige einzuschätzen. Thomas Hug, der Erste Staatsanwalt, sollte Albrechts Gesprächsofferte rasch annehmen. Das Image der Basler Staatsanwaltschaft hat in den letzten Jahren gelitten - keineswegs nur aus eigenem Verschulden. Es ist aber unnötig, das öffentliche Vertrauen mit Attacken der eben gelieferten Art erneut zu strapazieren.

17. Mai 2000



Zum Porträt des "Regionaljournals":
OnlineReports ist kein Labyrinth

Zum Vorschlag, Information im Internet zu fragmentieren

Das "Regionaljournal" Basel von Schweizer Radio DRS hat am Dienstagabend OnlineReports porträtiert. Der Beitrag von Patrick Bürgler war ausgewogen und fair. Hingegen kam darin der als Basler "Internet-Spezialist" eingeführte Thomas Brenzikofer zu Wort, dem in mehreren Punkten zu entgegnen ist. Im Internet gehe es darum, "die Information in einzelne Teile aufzubrechen" und "nicht auf einen Tätsch 7'000 Zeichen ins Netz zu hängen", kritisierte er ("sehr handgestrickt") an OnlineReports. Vielmehr müssten die Informationen mit "Sogwirkung" über "verschiedene Stationen" verabreicht werden.

Dem widersprechen wir entschieden: Bewusste Vorgabe unseres Konzepts war der rasche und möglichst direkte Zugang zu relevanten Informationen. Mit einem einzigen Klick sind die regelmässigen Besucherinnen und Besucher von OnlineReports auf der Story - ohne Umwege durch ein Labyrinth, die zwar dem Produkt zu zusätzlichen Pageviews verhelfen, aber eher publikumsverachtend sind. Auf Hits, die nur aufgrund eines Hindernislaufs der Zugreifenden zustande kommen, verzichten wir gern.

Praxisfern ist auch die Einschätzung, 7'000 Zeichen seien der Online-Gemeinde nicht zuzumuten. Hat Herr Brenzikofer eine Ahnung! Die Beiträge, die auf OnlineReports am häufigsten angesteuert werden, sind in aller Regel deutlich länger als 7'000 Zeichen. Das äusserst positive Echo, das OnlineReports beim stetig wachsenden Publikum auslöst, spricht für sich. So lobt beispielsweise PubliGroupe-Topmanager Hans-Peter Rohner das "ausgezeichnete Site-Konzept" und attestiert ihm "beträchtliches Zukunftspotenzial".

2. Mai 2000



Wenn die Polit-Lektüre zum Schlafmittel wird

Partei-Organe: Sündhaft teuer, Inhalt unsäglich

Es ist ein altgedientes Baselbieter FDP-Mitglied, das in die Tasten griff und sich den Ärger spontan vom Leibe schrieb: "Sackschwach!", bemängelte der langjährige Oberwiler Gemeindepräsident Rudolf Mohler, sei das freisinnige Parteiorgan "Baselbieter Post" geworden: Da stünden Gemeindewahlen bevor und die Parteizeitung bringe es nicht fertig, auch nur eine Zeile darüber zu berichten. "Diese Kantonalpartei scheint seit längerem den Boden verlassen zu haben und sich irgendwo im Orbit aufzuhalten, sicher nicht mehr im Baselbiet."

Das sind starke Worte eines Parteigängers, der zum treuen Baselbieter FDP-Fundament gehört und auch jahrelang öffentliche Mandats-Ehre wahrnahm. Aber Rudolf Mohler hat Recht. Mehr noch: Nicht nur die FDP-Gazette, auch die gedruckten Sprachrohre der SP, der CVP und der Liberalen sind längst zu gesammelten Werken der Trostlosikgkeit geworden. Ihre Lektüre fordert von Leserinnen und Lesern Mühsal und Geduld ab, der Erkenntnisgewinn liegt im Promillebereich. Die Basler SP beispielsweise macht ihr jüngstes "SPektrum" mit der "Eidg. Quoten-Initiaitve" auf, derweil ihre Baudirektorin im wütenden Wohnumfeld-Abstimmungskampf in etlichen Nöten steckt.

Respekt vor den ehrenamtlichen Macherinnen und Macher der verschiedenen Partei-Gazetten. Wer aber glaubt, auf journalistischen Ansatz derart offensichtlich verzichten zu können, muss sich die Frage stellen, ob der Aufwand an Ressourcenbindung und finanziellem Einsatz den Ertrag rechtfertigt. Wenn letztlich nicht mehr Inhalte, sondern nur noch, wie Rudolf Mohler richtig bemängelt, Small-talk-Bildli und Unverbindlichkeit die Parteiarbeit reflektieren, entsteht am Schluss Bedarf nach einer neuen Bewegung: der Schweizerischen Fötteli-Partei.

25. Februar 2000

REPORTS ECHO
REPORTS-Kommentar über Parteiblätter als Schlafmittel

"Leider ist Ihre Feststellung richtig: Die Politlektüre auch der SP ist zum Schlafmittel verkommen. Mir selbst, damals Oberwiler SP-Präsident, als Gewerkschafter Mitglied des Kantonalvorstandes und Präsident der Gemeindekommission Oberwil, wurden schon Artikel 'unterschlagen', damit ja nirgends angeeckt wird. Es wird die Konfrontation gescheut, man/frau könnte ja auch eigene Sympathisanten 'verdeupen'... So kann keine notwendige und breite Entscheidungsfindung stattfinden. Ich verstehe auch Ruedi Mohler, ein politischer Mitstreiter aus meinen früheren Oberwiler Polit-Zeiten, da alle Parteien am Gleichen kranken. Warum nicht öfters mal einen sogenannten freien Journalisten oder eine freie Journalistin anheuern, um einem Thema mal so richtigen Schwung zu verleihen? Wer hat da Berührungsängste? Wird das Echo gescheut? Oder hat jemand Angst vor schlafenden Hunden? Wer die Zeichen einer guten Öffentlichkeitsarbeit noch nicht bemerkt hat, gehört früher oder später zu den Verlierern. Und muss sich weiter mit einfältiger, unattraktiver Hausmannskost zufrieden geben, die sicher niemanden mehr vom Hocker jagt (respektiv ins Wahllokal)."

Bruno Heuberger
Oberwil
b.heuberger@bluewin.ch





Deutscher Bann für Gentech-Mais von Novartis/Syngenta

Bevölkerung lässt sich gentechnisch veränderte Nahrungsmittel nicht aufzwingen

Obschon die wirtschaftlichen Aussichten des Pharmakonzerns Novartis eine Befreiung aus den Ertrags-Tief versprechen, dürfte die Konzernleitung nicht von grundlegenden Sorgen befreit sein: Am Mittwoch hat Deutschland faktisch den Anbau von gentechnisch verändertem Bt-Mais verboten - ein Riesenproblem für die strategische Planung.

Zwar wird sich schon in absehbarer Zeit die Firma Syngenta, in die das Novartis-Agro-Geschäft integriert wird, mit dieser politischen Realität auseinandersetzen müssen. Aber am Problem ändert sich nichts: Ein grosser Teil der Bevölkerung lehnt Gen-Food ab.

Konservative amerikanische Forscher sagen uns heute, wer biologische Äpfel esse, sei "egoistisch und der Umwelt abträglich", gentechnisch veränderte Lebensmittel seien "unbedenklich". Der verunsicherten Kundin freilich nützen solche Ansichten wenig. Sie gehören viel eher in die Kategorie jener informationspolitischen Fragwürdigkeiten, die viele Pharmafirmen seit Jahren begehen.

Wo ein Wert-Urteil nicht mehr rational, sondern auf Glaubens-Basis gefällt wird - und beim Gen-Food ist dies zweifellos der Fall -, ist es wenig ratsam, die Bevölkerung ohne Rücksicht auf ihre tiefsitzenden Ängste mit einseitigen Meinungen überzeugen zu wollen. Schon die Atomindustrie hat versucht, eine Risiko-Technologie an der Bevölkerung vorbei zu etablieren. Eine ähnliche Durchsetzungsstrategie war bei der Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen zu beobachten.

Wer heute eine Technologie installieren will, welche die Öffentlichkeit direkt tangiert, kann dies nur mit der Bevölkerung tun und nicht gegen sie. Hier sind die Pharmafirmen zu lange in ihren Elfenbeintürmen verharrt. Ob sich das Vertrauensdefizit je wird wettmachen lassen, ist nach dem Entscheid in Deutschland offener den je.

17. Februar 2000




Die "Justiz-Affäre" ist eine Medien-Affäre

Im Drama um die drei Basler Justizbeamten haben alle geschnitzert - die Medien am meisten

Kein Zweifel: Der Liestaler Untersuchungsrichter Beat Meyer ging mit den ihm zugetragenen Informationen der Graziella Klages unangemessen um. Sein Vorgesetzter Hans-Rudolf Kuhn, der Präsident der Baselbieter Ueberweisungsbehörde, war ebenso überfordert. Der ehemalige Staatsanwalt Dominik Utzinger wagte sich wohl an der Seite der Affären-Kumpel etwas zu hautnah ins Milieu vor. Doch nach Einstellung des Verfahrens gegen ihn wird klar: Was unter dem Schlagwort "Justiz-Skandal" mit nie dagewesener Eigendynamik die Basler Justiz in die Nähe der Mafia rückte, entpuppt sich als gigantischer Trugschluss: Die Grundannahme - Korrumpierung der Justiz durch die Halbwelt - war falsch.

Die Folgen dieses Falles sind verheehrend. Zerbrochene Karrieren, vorzeitige Pensionierung und ungeahnte psychische Spätfolgen - auch im Verhältnis zwischen den beiden Basler Justizbehörden. Die in Vorwürfen dieses Kalibers vielleicht wenig erfahrene Land-Justiz scheiterte am professionellen Umgang mit den Vorwürfen. Doch die sog. "Justiz-Affäre" ist nicht in erster Linie ein Versagen der Justiz. Sie ist in erster Linie eine Affäre der Medien. Sie haben zumindest in der ersten und entscheidenden Phase im wesentlichen nachgeplappert, was ihnen die themenführende Boulevardpresse an immer neuen Schein-Enthüllungen und fetten Schlagzeilen vorsetzte - egal, wie zuverlässig die Quellen waren.

Daraus gilt es für Journalisten selbstkritisch Lehren zu ziehen. Junge Medienwissenschafter werden in Prüfungsarbeiten vielleicht schon bald die klägliche Rolle enthüllen, welche die Presse als so genannte "Vierte Gewalt" im Staat in diesem speziellen Fall gespielt hat: Sie war die Wächterin über ihre eigenen Verkaufs-Interessen.

15. Februar 2000



Männer-Trickli an der FDP-Kandidaten-Kür

Der Kelch von Amt und Würden geht an den freisinnigen Frauen vorbei

Im dritten Wahlgang hat der Elektra-Birseck-Vizedirektor Adrian Ballmer (53) am Baselbieter FDP-Parteitag die Nomination als Regierungsrats-Kandidat geschafft. Adrian Ballmer ist eher der patriarchalisch als partnerschaftlich orientierte Politiker. Er wirkt konservativ und irgendwie noch stark im Links-Rechts-Schema fixiert. Aber der Präsident der Liga der Steuerzahler wäre als neuer Kantons-Kassenwart ohne Zweifel fähig, das Erbe Hans Fünfschillings ganz im Sinne der Freisinnigen zu verwalten.

Der Entscheid am Mittwochabend fiel demokratisch, ebenfalls ohne Zweifel. Dennoch riecht die Nomination etwas stark nach "Männer-Trickli": Haben die beiden Männer den Rückzug des Unterlegenen nach dem zweiten Wahlgang abgesprochen? Behaupten wollen wir's nicht. Aber sicher ist eins: Die Baselbieter FDP-Frauen sind nicht zu beneiden. Wenn es um Amt und Würden geht, sind sie chancenlos.

Das gilt für die 42jährige Juristin Sabine Pegoraro, der zur Nomination nur gerade fünf Stimmen fehlten. Das galt vor ihr aber auch für eine lange Liste von fähigen und engagierten FDP-Frauen, die im entscheidenden Moment Männern den Vortritt lassen mussten - von Christine Baltzer über Béatrice Geier bis Rita Kohlermann.

Fast die Hälfte der FDP-Delegierten bevorzugte am Dienstagabend in Münchenstein eine profilierte Frauen-Kandidatur, die gegen SP-Mann Urs Wüthrich ihren offensichtlichen Reiz gehabt hätte. Dass jetzt der konservative Männer-Wert knapp obenauf schwang, dürfte in der Partei noch zu reden geben. Denn die FDP verfügt über Frauen-Köpfe, die zu mehr fähig sind als bloss zu netter Dekoration.

PS: Wie frau es machen könnte, können auch künftige SP-Kandiatinnen von den FDP-Männern Ballmer und Steiner lernen.

20. Januar 2000



Fünfschilling-Wahl: Kein Grund für linke Krokodilstränen

Claude Janiak hat sein Hauptziel - Bern - erreicht, nun eben als Nationalrat

Gratulation, Hans Fünfschilling, zur Wahl als neuer Baselbieter Ständerat! Seine Wahl war keine Sensation, sondern allgemein erwartet worden. Nur zeigt sich, dass blosses Extrapolieren aus dem ersten Wahlgang im zweiten Wahlgang durchaus seine Tücken haben kann - auch wenn ein promovierter Mathematiker wie Hans Fünfschilling im Spiel ist. Sein Kalkül nämlich, dass er beim zweiten Versuch einen schönen Teil der SD-Keller-Wähler auf sich ziehen dürfte, ging nicht auf. Auch schien sich das Engagement der Bündnispartner SVP und CVP, die ihr Heu im Trockenen hatten, in Grenzen zu halten. Sicher ist: Die Linken und Grünen haben diesmal besser mobilisiert als die bürgerliche Allianz.

Eine Sensation hätte nämlich beinahe der SP-Kandidat Claude Janiak geschafft. Vielleicht noch ein entschlossener Einsatz und eine unkonventionelle Idee in der Adtranz-Kontroverse - und der Binninger Anwalt hätte für die Ueberraschung des Jahres gesorgt - etwa so, wie Peter Schmid damals den Freisinnigen Jean-Luc Nordmann in einer Regierungsrats-Ersatzwahl bezwang. Die Grünen haben offensichtlich geschlossen zu Janiak gehalten.

Merkwürdig: Bei den Freisinnigen war die Stimmung am Wahlsonntag trotz des Siegs eher gedämpft, bei den Sozialdemokraten schienen in bälde die Korken zu knallen.

Hans Fünfschilling, dem keiner wirklich böse sein kann, wird in Bern einen guten Job leisten, aber er wird ihn den Bürgerinnen und Bürgern zu Hause im Baselbiet offensiver als bisher kommunizieren müssen. Die Nachfolge des Liberalen René Rhinow verpflichtet: An Fünfschilling darf die Erwartung geäussert werden, dann und wann mit originellen und innovativen Vorschlägen aufzufallen.

Für Claude Janiak geht keine Welt unter: Er ist als neuer Nationalrat gewählt. Zusammen mit der kämpferischen Susanne Leutenegger Oberholzer wird er in Bern ein Power-Duo bilden können, das in der SP-Fraktion schon bald unüberhörbar sein wird.

28. November 1999



Fünfschilling-Janiak: Am Rechtsrutsch kann's nicht liegen

Warum SP-Ständeratskandidat Claude Janiak einen schweren Stand hat

Die Ausgangslage für den zweiten Wahlgang der Baselbieter Ständeratswahl ist klar: FDP-Finanzdirektor Hans Fünfschilling tritt gegen alt SP-Landratspräsident Claude Janiak an.

Rein rechnerisch steigt Fünfschilling als Favorit ins Rennen. Und zwar nicht, weil er besser ist als Janiak, sondern weil er die politische Mehrheit in diesem Kanton vertritt. Auch gilt er als betulich und vernünftig, Ausrutscher, die mit bösen Stürzen enden, musste er bisher nur beim Tennisspiel hinnehmen. Weshalb er bessere Voraussetzungen für das Amt im Stöckli haben soll als Janiak, ist nicht einleuchtend. Auch Janiak, ein schneller Denker und kluger Kopf, hat grosse politische Erfahrung.

Das aktuelle Hauptargument der SP, sie sei über den "massiven Rechtsrutsch" (so Präsidentin Elisabeth Nussbaumer) geschockt und deshalb sei mit Claude Janiak eine Korrektur fällig, ist allerdings schon fast in Blocherscher Art populistisch: Es war SPS-Präsidentin Ursula Koch, die nach einem ersten Trauma wegen falscher Hochrechnungen mit unverholener Erleichterung feststellte, ein Erdrutsch nach rechts habe gar nicht stattgefunden, höchstensfalls habe die SVP stark zugelegt, aber weitgehend auf Kosten kleinerer Rechtsaussen-Parteien. Damit fällt das Haupt-Wahlmotiv der SP in sich zusammen. Das beste Argument der SP wäre: Janiak bewegt mehr, er ist dynamischer als Fünfschilling.

Doch die Schwierigkeit, Fünfschilling zu schlagen, wird darin liegen, dass der Kassenwart für Linke wie Rechte ein denkbar schlechtes Feindbild hergibt. Anders war es vor zwanzig Jahren, als SP-Herausforderer Edi Belser den amtierenden FDP-Standesherr Werner Jauslin unter anderem darum schlug, weil der sich ungeniert als AHV-Knauserer exponiert hatte. Die angeblich tiefgründige Verärgerung über die Umstände von Fünfschillings Nomination ist herbeigeredet: Wenn es - wie am 28. November - um die Wurst geht, könnte die manchmal ins Astronomische abhebende Unfassbarkeit dem Finanzdirektor zum entscheidenden Vorteil gereichen.

27. Oktober 1999



Auf dem Weg zum (Fast)Zwei-Parteien-System

Die grossen Bewegungen der National- und Ständeratswahlen 1999

Nein, ein deutsches Polit-System mit Regierung und Opposition steht uns nach den Wahlen vom Wochenende nicht ins Haus. Aber der Weg in diese Richtung.

Die Indizien sind überdeutlich: In Basel hat das "Bündnis" mit seinen fähigen Köpfen in Margrith von Felten das politische Zugpferd verloren, die SP in Christine Keller eine kompetente Sozialpolitikerin. Traditionelle Rechtsaussen-Parteien hatten keine Chancen. Mit der schlagartig erstarkten SVP, die es in Basel-Stadt ohne konkretes Programm per Kaltstart in den Nationalrat schuf, ist bloss so etwas wie ein Normalzustand eingetreten. Im Baselbiet traf es - der ominöse Blocher-Brief hat vielleicht noch mitgeholfen - mit Rudolf Keller den Zentralpräsidenten der Schweizer Demokraten am rechten Rand, um ein Haar wäre die Grüne Ruth Gonseth gescheitert. Damit ist möglicherweise der langsame Niedergang der ehemaligen "Nationalen Aktion" ebenso eingeläutet wie jener der Oeko-Partei. Heute ist schwer vorstellbar, mit wem die Grünen nach Gonseth dereinst die hohe Wahl-Hürde schaffen wollen. Beiden Rand-Parteien fehlen jene prägenden Themen, die nicht auch von SP oder SVP aufgenommen werden könnten.

Auch die CVP, die in beiden Halbkantonen ihren bisherigen Status verteidigte, hat keineswegs Grund zur Freude. Die SP kam mit Glück davon, aber auch ihr fehlt ausserhalb des Wahlkampfs die Zugkraft: Sie hat kein unverkennbares Profil. Der kaum erwartete FDP-Erfolg des politisch unbeschriebenen Crossair-Kaders Paul Kurrus - der SVP-Stimmenmitgift zu verdanken - lag wohl auch an seinem überdurchschnittlichen privaten Promotions-Aufwand, ohne den es wahrscheinlich der abgewählte Oberbaselbieter Landrat Kurt Schaub geschafft hätte. Gut möglich, dass die SVP anstelle der FDP zwei Sitze geholt hätte, wenn sie auch Auns-Vize Christian Miesch ins Rennen gechickt hätte.

Dass sich Ausdauer nach einem Parteiwechsel auszahlt, haben die beiden ehemaligen Poch-Nationalrätinnen Susanne Leutenegger Oberholzer und Anita Fetz erfahren: Sie treffen sich jetzt als Sozialdemokratinnen wieder in Bern. Diese Begegnung könnte typisch sein für die zu Blockbildung neigende Parteien-Entwicklung zu Beginn des neuen Jahrtausends.

24. Oktober 1999



Vertrauenssprung durch Tatbeweis

Novartis ist auf unsicherem Kurs

Nicht nur wegen der ausgesprochen lustlosen Börsen-Bewertung bleibt Novartis ein Thema. Auch die Umstände, unter denen Daniel Vasella das fusionierte Weltunternehmen führt, bewegen anhaltend die Gemüter.

Kritische Information wird auch bei Novartis gern tief gestellt, ja - schon scheint es seit einiger Zeit - in der Information nach innen verschwiegen. Als die SonntagsZeitung kurz vor den Sommerferien Restrukturierungspläne im Sorgenkind Agro-Geschäft öffentlich machte, war Novartis die offizielle Bestätigung der Streichung von weltweit 1'100 Stellen gerade einen einzigen Satz wert.

Nun wird tranchenweise bekannt, dass auch in der Königssparte Pharma energisch der Sparstift angesetzt wird. Mit Grund: Novartis ist drauf und dran, die für kurze Zeit errungene Spitzenstellung im Pharma-Bereich einzubüssen und ins Mittelfeld zu fallen, wenn nicht rasch Tritt gefasst werden kann.

Doch knallharte sektorweite Kostensenkungsprogramme, wie sie der mit US-Sitten bestens vertraute Pharma-Chef Jerry Karabelas nun verordnet, bergen in einem Konzern, der zwei Kulturen vereinigt, zwei besondere Risiken. Mit der reorganisationserprobten Sandoz-Fraktion kann Karabelas so agil sparen - mit der zahlenmässig stärkeren, liberal geprägten Ciba-Belegschaft hat er ein Problem. Kommt dazu: Im Zeitpunkt der Fusion vor drei Jahren wäre die jetzige Sparrunde plausibel zu erklären gewesen. Heute ist sie das Eingeständnis dessen, dass die damals errechneten Synergien ungenügend waren, um den neu entstehenden Firmenkoloss auf sicheren Kurs zu steuern.

So verwundert nicht, dass Novartis auch gegenüber der Oeffentlichkeit an Aufwand knausert, um die Sparpolitik offen und klar zu beziffern. Weit geschickter wäre es, diese Programme mit Botschaften zu verknüpfen, die den teils bis an die Grenze des Zumutbaren belasteten Mitarbeitern - bis ins Büro des Konzernchefs - auch eine Perspektive bieten.

Karabelas scheint eine Sparpolitik in Schritten zu verfolgen. Die Vermutung ist daher erlaubt, dass die 85 Stellen, die in der Basler Produktion bis Ende Jahr verschwinden, nur eine von zahlreichen weltweiten Abbautranchen bilden.

An der Ergebnisschwäche seiner Pharma-Sparte und an der Qualität der Produkte-Pipeline ist Jerry Karabelas nicht Schuld, aber er trägt dafür die Verantwortung. Und er sitzt nicht nur auf einem Schleudersitz, sondern gleichzeitig "auf einem Melkstuhl, der auf alle Seiten kippen kann", wie ein ehemaliger Pharma-Topmanager meint. Lange kann er sich im Vergleich zur Konkurrenz harmlose Wachstumsraten nicht mehr leisten.

Sei es eine geschickte Uebernahme, die Teilung des Doppelmandats an der Konzernspitze oder - am besten - ein neues Präparat der Mega-Klasse: Novartis braucht über alle Divisionen hinweg in naher Zukunft einen Vertrauenssprung durch Tatbeweis. Bevor andere das Gesetz des Handelns diktieren.

9. August 1999


Laufener Spital-Affäre: Ein ziemlich mickriger Schlussbericht

Die Baselbieter GPK und ihre Rolle als Oberaufsicht - letztlich auch über die Spitäler

Der Bericht der Baselbieter GPK-Sonderkommission macht den suspendierten Chefarzt Arnold Kaiser zum eigentlichen Urheber des Laufentaler Spital-Debakels. Dagegen kommen die politisch Verantwortlichen - sowohl in der Exekutive wie in den fachlichen und parlamentarischen Aufsichtsgremien - mit Schonung davon. Die geschilderten Fakten belegen immerhin: Edi Belser, dem in diesem Fall zahlreiche Schnitzer unterliefen, hätte viel früher eingreifen müssen; statt dessen liessen er genauso wie die Aufsichtskommission der Spitäler und nicht zuletzt die Geschäftsprüfungskommission des Landrates den Konflikt eskalieren bis zur angeblichen "Todesdrohung". Fazit: Die Zeiten schonungsloser Aufdeckung durch die parlamentarische Oberaufsicht scheinen vorbei. Der Bericht ist - nach 13 Wochen Untersuchung - keine analytische Glanzleistung, seine Präsentation war nur noch ein müder Abklatsch dessen, was einmal das stolze Selbstverständnis des Landrates prägte: Die Fähigkeit, Dinge beim Namen zu nennen und auch eigene Fehlleistungen zu anerkennen. Wenn die GPK schon die Funktion der Oberaufsicht beansprucht, dann hätte sie mindestens einige selbstkritische Worte über ihre eigene Rolle in der Spitalaffäre verlieren müssen. Es ist den Damen und Herren Parlamentariern zu empfehlen, sich wieder einmal den GPK-Schlussbericht zur Watrag-Affäre des damaligen FDP-Landrates Rudolf Andreatta zu Gemüte zu führen - als mustergültiges Beispiel, wie auch die Laufener Spital-Affäre hätte ungeschminkt und nachhaltig aufgearbeitet werden können.
HINTERGRUND

20. April 1999


Mit Pestiziden ganzheitlich

Die vorgeschlagene Pestizid-Verbrennung im Novartis-Ofen ist eine grosse Chance

Die SonntagsZeitung hat mit ihren Berichten den Ball ins Rollen gebracht: Heute liegt ein Vorschlag vor, wie der schlecht ausgelastete Sondermüll-Ofen von Novartis besser oder gar voll ausgenützt werden kann. Die Idee, die vorliegt, ist in mehrfacher Hinsicht bestechend und nützlich: Gefährliche Pestizide, die irgendwo in einem Schuppen der Dritten Welt unkontrolliert vor sich hin dümpeln, werden mit Krediten der Schweizer Entwicklungshilfe in Basel entsorgt. Hier steht die nach Angaben der Betreiber "modernste Sondermüll-Verbrennungsanlage der Welt".

Die beiden Basel, Novartis und auch das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft stehen der Idee positiv gegenüber. Die Umsetzung aber - Stichwort Amtsschimmel - wird nicht einfach sein: Da werden nicht nur die diplomatischen Vertretungen in den Destinationsländern Abklärungen treffen müssen, da werden innert nützlicher Frist auch etliche Ämter des Bundes und der Kantone ein respektables, funktionsfähiges Management aufbauen müssen. Schliesslich muss die gute Idee finanziert werden mit einem Jahresbudget in zweistelliger Millionenhöhe. Dieses Budget wird nur dann zu akquirieren sein, wenn alle Beteiligten ihren finanziellen Beitrag leisten und selbst die Liefer-Länder in Form von personeller Ressourcen oder infrastruktureller Unterstützung (Labors und ähnliches) eingebunden werden.

Der Einwand, der dabei schnell auf der Hand liegt - die Subventionierung von Novartis mit Entwicklungshilfegeldern -, ist gänzlich abwegig. Novartis wird mit den Dritte-Welt-Pestiziden nicht das grosse Geschäft machen. Es wird überhaupt kein Geschäft werden, sondern nicht mehr als ein nötiger Job. Dafür wird schon der Wettbewerb sorgen. Zudem wird der Konzern auch preisliche Zugeständnisse machen müssen und letztlich wohl weniger als den Selbstkostenpreis lösen. Gleichzeitig macht es Sinn, einen qualitativ hochstehenden Ofen mit hochgiftigen Stoffen statt verlegenheitshalber mit Lösungsmitteln zu füttern, für deren Entsorgung jede bessere Industrieanlage ebenso ausreichte.

Der wirklich kreative Vorschlag einer Aargauer Kleinfirma weist jene praktischen Merkmale von Ganzheitlichkeit auf, von denen die Festredner der Theorie so häufig schwärmen. Hier ist ein Projekt vorhanden, das modellhaft umgesetzt werden kann und allen Beteiligten nur nützt - der gefährdeten Bevölkerung vor Ort wie auch hiesigen Finanzverwaltern. Der Schweiz stellt sich die sinnreiche Möglichkeit einer globalen Altlasten-Sanierung, die letztlich eine ethische Verpflichtung darstellt.

18. Januar 1998


Plattner ist abgehoben

Der Basler Ständerat Gian-Reto Plattner müsste vom hohen Ross herabsteigen

Wer sich bei Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten über den Basler Ständerat Gian-Reto Plattner umhört, erfährt ein Bild, das eine gemeinsame Aussage enthält: Er politisiere engagiert, kompetent und effizient - aber er hocke auf dem hohen Ross und habe das Gefühl über seine Aussenwirkung komplett verloren. Wer seine Meinung nicht teile, erachte er als Nonvaleur.

Der Eindruck stimmt: Plattner ist abgehoben. Vielleicht stand er gar nie mit beiden Füssen auf dem staubigen Boden der Partei, die er vertritt und die ihm zur Wahl in den Ständerat verholfen hat. Dass er als Naturwissenschafter und Vertreter des Pharma- und Forschungskantons Basel-Stadt gegen die Genschutz-Initiative antritt, kann ihm nicht verübelt werden. Die Art und Weise, wie er dies tut, erweckt dagegen den Eindruck, er wolle an gewisser politischer Seite gefallen. Wenn er sich schon als Vertreter der gesamten Basler Bevölkerung versteht, täte er gut daran, mit dem delikaten Thema etwas behutsamer umzugehen.

Plattners Brief-Aktion in Ständerat war unseriös. Das schludrige Papier einiger deutscher Europarats-Abgeordneten, mit dem Plattner im Ständerat Stimmung machen wollte, wimmelt von sprachlichen Fehlern. Es scheint in aller Eile hingerotzt worden zu sein - ohne den Anspruch zu erheben, die Meinung der SPD ausgewogen zu repräsentieren. Typisch für Plattner: Er hat sein Vorgehen bloss mit "in der Sache gleichgesinnten Menschen" besprochen, die Kritik nach eigener Aussage aber kaum begriffen, und sich dennoch bei Fraktion und Partei entschuldigt.

Die politische Laufbahn Plattners weist beachtliche Aufstiege auf, aber auch Pirouetten und gewagte Klettertouren. Nach seiner Ablehnung der Energielenkungsabgabe und dem folgenden Streit mit der Greina-Stiftung und der Gen-Aktion im Ständerat muss er aufpassen, dass sich seine sozialdemokratische Basis nicht von ihm abwendet.

21. Dezember 1997


Phantom Sozialverträglichkeit

Die Novartisierung der Schweiz schreitet voran. Auf die Banken-Fusion reagieren die Politiker ratlos. Gefragt sind neue Arbeitszeitmodelle.

Wieder verliert die Schweiz 7’000 Arbeitsplätze - nicht ganz unerwartet: Die Fusion zweier Grossbanken war vorauszusehen. Nach Novartis und dem CS-Winterthur-Deal ist es schon die dritte Mammut-Fusion innerhalb von weniger als zwei Jahren.

Das Erdbeben in der Wirtschaftswelt nimmt damit noch kein Ende - viel eher stehen wir wohl erst am Anfang einer gigantischen Strukturumschichtung. Die Karten der Konzerne werden völlig neu gemischt. Weitere Entscheide der jüngsten Grössenordnung werden in andern Branchen folgen.

Was haben uns die Politikerinnen und Politiker anzubieten? Ausser Worten der Anteilnahme und berechtigter scharfer Kritik an den masslosen Kapitalgewinnen nichts. Auch die Forderungen der Personalvertreter nach sozialverträglichen Lösungen taugen wenig. Gänzlich deplaziert sind die ebenfalls dargereichten Rezepte, alles beim alten zu belassen.

Niemand kann heute mit gutem Grund behaupten, die Fusionen und Kostensenkungen durch Rationalisierungsgewinne seien der falsche Weg, den unerbittlichen Sturmböen der globalen Wirtschaftslandschaft zu begegnen. Eine solides Urteil wird erst in fünf bis zehn Jahren möglich sein.

Soviel ist vorauszusagen: Wahrscheinlich trifft zu, dass sich die heutigen Entscheide mittel- und langfristig auch für die vor dem Eintritt in die Arbeitswelt stehenden Schülerinnen und Schüler, aber auch für die jungen Berufsleute bezahlt machen werden. Nur ist das für die von Kündigungen Betroffenen ein schwacher Trost: Ein Stellenverlust, und wird er noch so grosszügig entschädigt, kann ebenso wenig sozialverträglich sein wie die unmoralischen Kursgewinne der Investoren. Die Politikerinnen und Politiker ebenso wie die Gewerkschaftsvertreter sind mit der Adaption des Begriffs längst auf die wohltemperierte Terminologie der Abbau-Akteure hereingefallen.

Zur Klimaverbesserung haben die Banken-Bosse bisher nicht beigetragen. Es ist unschwer zu ahnen, dass die sozialen Spannungen in unserem Land wachsen werden. Lange wird die arbeitende Bevölkerung nicht mehr bereit sein, den Börsenboom mit Stellenverlust zu bezahlen. Die Kapitalgewinnsteuer ist auf den ersten Blick zwar eine verlockende Möglichkeit zur Bekämpfung kapitalistischer Auswüchse. Wie weit sie dem Werkplatz Schweiz auf Dauer allerdings dienlich wäre, ist zumindest fraglich.

Nur noch eines kann soziale Unruhen verhindern: Eine radikal neue, solidarische Arbeitszeitpolitik, die wohl etwas weniger Komfort, aber immerhin Arbeit und Verdienst für alle ermöglicht - im Falle der Union Bank of Switzerland und in allen noch bevorstehenden Fusionen und Übernahmen. Dazu sollten nicht nur die anteilnahmsvollen Politikerinnen und Politiker, sondern auch die rationalisierenden Entscheidungsträger der Wirtschaft im eigenen Interesse Hand bieten.

8. Dezember 1997

Roche andersrum

Nach der Diagnostik die Pharma: Fritz Gerbers Anti-Strategie

Roche-Präsident Fritz Gerber hat alle genarrt: Von Astra bis Zeneca machten die Pharmafirmen als Übernahmekandidaten die Runde - jetzt griff er mit Boehringer Mannheim im Diagnostiksektor zu. Über Nacht wird Roche damit weltweit Nummer eins in dieser zukunftsträchtigen und vorzüglich zum Hauptgeschäft Pharmazie passenden Sparte.

Die grosse Frage ist jetzt aber, auf welche Weise der Basler Konzern den für seine Zukunft entscheidenden Pharmabereich in eine überlebenssichere Position an die vorderste Weltspitze manövriert. Der neue Platz sechs, Boehringer sei Dank, reicht nicht aus.

Denkbar wäre ein Grosseinkauf. Doch die Preise liegen jenseits, für Zeneca gegen 50 Milliarden Franken. Einen solchen Poker wird der Roche-Patron nicht eingehen, auch wenn er entschlossene Schritte keineswegs scheut: Pionierartig nahm er für die Mehrheit an Genentech schon Anfang der neunziger Jahre Milliarden in die Hand, später ebenso für Syntex und jetzt erst recht für Boehringer. Aber die Mittel setzt der Tycoon aus dem Emmental stets mit Bedacht ein.

Möglich ist auch ein kreativer Merger nach dem Vorbild von Novartis, der zwar die finanziellen Ressourcen schont und den Firmenwert steigert, aber von der Eigentümerfamilie erst die Bereitschaft zur Teilung von Macht und Einfluss abverlangt.

Fritz Gerber dürfte als Anti-Strategie wider die Merger-Mode schliesslich den behutsamen Weg wählen: Die Arrondierung wichtiger Therapiegruppen wie Immunologie oder Herz-Kreislauf durch sehr gezielte kleinere Allianzen - so, wie es die Übernahme von "Tastemaker" innerhalb der Division Riechstoffe und Aromen vorgemacht hat. Auf die Gefahr hin, als Underperformer zu gelten, könnte die Roche-Pharmasparte in fünf Jahren mit einer neuen Produkte-Generation und einer gefestigten inneren Kultur aufwarten, während die Konkurrenz noch immer Fusions-Traumata verarbeitet.

27. Mai 1997

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