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© Foto by John Adams

"So phantastisch": Komponist John Adams
Tönende Anspielungen
Musik auf CD: Zwei Werke voller Anspielungen des amerikanischen Komponisten John Adams
VON AUREL SCHMIDT
Seit Tagen höre ich auf meinem CD-Player zwei Werke des amerikanischen Komponisten John Adams, die so phantastisch und anregend zum Anhören sind, dass ich Peter Knechtli sofort einen Text darüber zur Veröffentlichung bei OnlineReports.ch anbieten muss - den Sie eben angefangen haben zu lesen und der nach dieser Einleitung so weitergeht:
Who is who? John Adams ist ein Vertreter der Minimal Music, die mit der Variation von minimalen Patterns operiert. Unter anderem hat er die Oper "Nixon in China" geschrieben. Die beiden Werke auf der neuen CD haben mit einer hochgestimmten New Age-Verfassung zu tun. Oder, je nachdem, wie man die zwei Stücke hört, mit Charles Ives, wie dies aus dem Titel "My Father knew Charles Ives" des einen Stücks hervorgeht.
"Klang-Elemente ändern sich laufend
und kaum merkbar."
Ives war ein anderer amerikanischer Komponist, der von 1874 bis 1954 lebte, in seinen Werken Kirchenchoräle, Märsche und Folk Songs verarbeitete und damit eine vergleichbare Wirkung erzielte wie durch die Verwendung von Patterns, von Klang-Elementen, die sich kaum merkbar laufend wandeln.
John Adams nimmt in dem Stück zwar explizit Bezug auf Ives, sagt aber im Booklet zur CD auch, dass sein Vater Carl Adams, der mit einer Klarinette als Mitglied der Ed Murphy's Band auf dem Cover abgebildet ist (Bild), Ives natürlich nicht gekannt hat. Das ist Fiktion. Aber unter Umständen hätten sich beide doch kennen können. Beide lebten in Neu-England und beide waren erklärte Anhänger des Transzendentalismus.
An dieser Stelle muss eine kurze Erklärung eingeschoben werden, was unter Transzendentalismus zu verstehen ist. Es handelt sich dabei um eine geistige Reformbewegung um 1830 in Neu-England, deren Vertreter Emerson, Thoreau und andere an den deutschen Idealismus anknüpften und eine neues Lebensgefühl verbreiteten.
Wenn man "My Father knew Charles Ives" hört, muss man an "Central Park in the dark" von Ives denken oder an "The &Mac226;Saint Gaudens' in Boston Common" aus den "Three Places in New England", wo ein Kind wie im Traum eine "marching band" sich nähern, vorüberziehen und wieder entfernen hört. Adams spielt mit den Mustern und Formen, die Ives verwendet hat, und erzielt bei denen, die sich auskennen, ein Augenzwinkern.
Die drei Teile heissen "Concord", "The Lake" und "The Mountain". Concord ist der Name der kleinen Stadt im Bundesstaat Massachusetts, wo die Transzendentalisten lebten, das amerikanische Weimar; der See weckt den Eindruck eines impressionistischen Sommeridylls und dürfte, was die Inspiration betrifft, mit dem Waldensee identisch sein, an dessen Ufer Henry David Thoreau von 1845 bis 1847 in einem selbstgebauten Blockhaus lebte und das Buch "Walden" schrieb, ein Hauptwerk des Transzendentalismus. "The Mountain" gibt das Erreichen eines Gipfels wieder, nicht wie in der "Alpensinfonie" von Richard Strauss, sondern im Sinn der gleitenden Tonsprache der Minimal Music.
Das sind viele Anspielungen und Bezugspunkte, auf die Adams im Booklet eingeht - in einem lesenswerten Beitrag, was man von den wenigsten Begleitpublikationen zu CDs sagen kann. Adams' Bemerkungen bilden ein Assoziationsfeld, ein Netz, ein Archiv. Es wird klar: Nichts steht für sich allein, eins führt zum anderen, alles ist mit allem verbunden.
"Das ist fast ein Familienalbum."
Andere Bezüge stehen im anderen Stück "The Dharma at Big Sur" auf der Doppel-CD im Vordergrund. Nach Adams' eigenen Bemerkungen gibt die Musik den Eindruck wieder, der entsteht, wenn man die Landmasse des nordamerikanischen Kontinents durchquert hat und an der Westküste, am Pazifik, angekommen ist.
Adams bezieht sich hier ausführlich auf Jack Kerouac, den Schriftsteller der Beat Generation ("On the Road"), auf Sufi-Musik sowie auf die amerikanischen Komponisten Lou Harrison, dem der erste Teil dieses Werks, "A New Day", gewidmet ist, und Terry Riley, den er mit dem zweiten Teil mit dem Titel "Sri Moonshine" in Verbindung bringt. Das ist fast ein Familienalbum.
Diese Bezugnahmen zeigen, dass hier eine völlig andere musikalische Tradition aufgerufen ist als diejenige in Europa von Schönberg bis Boulez. In Amerika führt die Linie von Ives über John Cage zur Minimal Music (besonders La Monte Young). Sie schliesst Jazz (Anklänge aus den Werken von George Antheil oder George Gershwin) und Rock-Musik nicht aus und erweist sich als viel inspirierter, innovativer, experimenteller als der verbissene ideologische Widerstand der Zweiten Wiener Schule gegen die Tonalität.
Der erste Satz von "The Dharma at Big Sur" ist eine "endless melody", ein langer, ruhiger Klangfluss, der zweite Satz ist stärker rhythmisch geprägt. Beide versetzen die Hörerschaft in eine erhöhte, beinahe spirituelle Stimmung, aber als Ganzes lebt das Stück von Tracy Silverman, der, begleitet von John Adams und dem BBC Symphony Orchestra, hinreissend elektrische Violine spielt und ...
Aber Halt! Genug! Das muss reichen. Ich höre mit dem Schreiben auf und setze mich wieder vor den CD-Player, um beide Stück noch einmal, ein weiteres Mal, zu hören.
John Adams: The Dharma at Big Sur/My Father knew Charles Ives. Nonesuch 7559-79857-2
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