Foto © Ruedi Suter OnlineReports ![]() Ausgestopft im Naturhistorischen Museum zu Basel: Tote Rabenkrähe Die Göttervögel sind vor allem Pechvögel Die Rabenvögel - jetzt beim Nisten und Brüten zu beobachten - werden zu Unrecht scharenweise umgebracht VON RUEDI SUTER Rabenvögel sind ausserordentlich gescheite Tiere. Sie galten einst als Göttervögel, und neuerdings verblüffen sie die Wissenschaft mit der Anfertigung von Werkzeugen. Vor allem aber spielen sie in der Natur als Aas- und Insektenvertilger eine wichtige Rolle. Dennoch werden die Rabenvögel verteufelt, gehetzt und getötet - in der Schweiz über 30'000 Tiere jedes Jahr. Der in Todesangst versetzten Krähe haben Jäger zuerst die Flugfedern abgeschnitten. Dann stopften sie den Vogel in die Krähenfalle, wo er verzweifelt herumflatterte und dauernd gegen den Maschendraht stiess. Zweck der brutalen und in ganz Europa verbreiteten Massnahme nahe des österreichischen Orts Attnang-Puchheim: Die Krähe sollte als Lockvogel ihre Artgenossen in die Falle locken. Sie wurde aber von Tierschützern entdeckt und befreit. Da der missbrauchte Vogel aber nicht mehr fliegen konnte, musste er zuerst ins Konrad-Lorenz-Institut nach Grünau zur Pflege gebracht werden. Sind dem Rabenvogel einmal die Flügel nachgewachsen, wird ihm die Freiheit geschenkt. Abertausende werden in der Schweiz jährlich umgebracht Dieser Rabenvogel hatte Glück im Unglück. Denn in der Regel verlieren Abertausende seiner Artgenossen durch die Angriffe der Jäger, Landwirte und Grundbesitzer ihr Leben. Allein in der Schweiz werden nach Angaben der Vogelwarte Sempach jedes Jahr über 15'000 Rabenkrähen, 10'000 Eichelhäher, 4'000 Elstern und 500 Kolkraben umgebracht. Die meisten werden im Freien erschossen - oder als Gefangene in den Fallen abgeknallt. Weshalb? Weil alle, die Rabenvögel töten, sagen, sie seien üble "Schädlinge": Sie würden scharenweise über die frischgesäten Felder, über Wiesen und Weiden herfallen und diese leer picken. Sie würden die Hasenbestände dezimieren und dem Niederwild zusetzen. Und sie würden
Doch selbst aus dem menschlichen Unterbewusstsein droht den schwarzen Rabenvögeln Gefahr. Der Todes- und Galgenvogel, der den Gehenkten die Augen aushackt oder Alfred Hitchkocks-Filmschocker "Die Vögel" wecken in vielen Menschen Angst und Aggressionen gegen die krächzenden Flugschatten. Dass der Kolkrabe auch seiner hohen Intelligenz und Langlebigkeit wegen zu früheren Zeiten ein Göttervogel war und in anderen Kulturen immer noch ein heiliges Tier ist, das wird in unserer Kultur gern verdrängt. Die Rabenvögel haben das Pech, dass ihr Lebensraum heute vorwiegend vom Menschen gestaltet wird. Werden die Bauern zu armen Tagen gefressen? Das ist gleichzeitig aber auch ein Vorteil, weil ihnen die Kulturlandschaften reichlich Nahrung bieten. Auch die Raben- und Saatkrähen wollen überleben, und so "bedienen" sie sich tatsächlich hin und wieder am frisch gesäten Sommergetreide, an Maiskörnern, Keimlingen und Salatsetzlingen. Doch fressen sie die Bauern deshalb zu armen Tagen? Nein, sagen die Wissenschaftler der Vogelwarte Sempach. Weil Umfragen in der Landwirtschaft ergaben, "dass wirtschaftliche Schäden, die durch Krähen hervorgerufen werden, lokal begrenzt und in ihrer
Insgesamt wird von den Vogelspezialisten festgestellt: Rabenvögel richten weit weniger Schäden an, als von vielen Vertretern der Bauern- und Jagdzunft gerne behauptet wird. Sie helfen oft sogar Schäden vermeiden - mit dem Vertilgen von Aas und Mäusen, von Insekten und Schnecken, die sich an Feldern und Reben gütlich tun (Rabenkrähen, Kolkraben). Zudem profitieren Waldohreulen, Turm- und Baumfalken von den verlassenen Nestern der Rabenkrähen und Elstern, um ihre eigene Brut gross zu ziehen. Der Eichelhäher verbreitet überdies als "Eichelsäeer" Eicheln im Wald. Bauern, welche die schwarzgefiederten Allesfresser achten, vermeiden Ernteverluste, indem sie ihre jungen Felder am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt und mit anderen natürlichen und lebensschonenden Schutztechniken bestellen. Die Unterscheidung zwischen Stock und Flinte - für Raben ein Kinderspiel Dennoch stehen viele der neun in der Schweiz lebenden Rabenvögel-Arten unter Dauerbeschuss. Weniger die Geschützten wie Alpendohlen, Alpenkrähen, Tannenhäher, Dohlen und Saatkrähen. Aber die Eichelhäher, Elstern, Raben- und Nebelkrähen sowie die Kolkraben. Diese Vögel gelten beinahe als Freiwild. Und obwohl sie derart gescheit sind, dass sie leicht zwischen einem Gewehr und einem Spazierstock unterscheiden können und selbst über ein ausgeprägtes Personengedächtnis zu verfügen scheinen, werden sie jedes Jahr zu Tausenden mit Tricks und Abschussprämien umgebracht. Doch das Morden, Ausrottenwollen und Vertreiben ist dumm, da es kaum etwas nützt: Die Grösse der Vogelbestände bleibt weitgehend gleich. "Werden Rabenvögel aus ihren Revieren
Ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Hannes von Hirschheydt untermauert diese Feststellung mit einer Beobachtung: Von Kantonen, wo den Rabenvögeln besonders heftig nachgestellt wird, treffen aus der Bevölkerung nicht weniger besorgte Meldungen ein wie aus jenen Ständen, die ihre Rabenvögel weitgehend in Ruhe leben lassen. Das ganzjährige "Feuer frei!" auf die Rabenkrähe sei im Bundesgesetz vorgesehen und werde von den Kantonen mit eigenen Erlassen präzisiert, erklärt René Urs Altermatt, Jagd- und Fischereiverwalter des Kantons Aargau. Wer sich dort beispielsweise als Grundbesitzer durch Krähen geschädigt fühle, müsse den Jagdaufseher benachrichtigen und könne "zum Selbstschutz" die ärgerlichen Fluggesellen gleich selbst ins Jenseits befördern. Mit Fallen würden aber die Rabenkrähen im Aargau kaum gejagt. Behördenangst vor Amokschützen Dies im Gegensatz zu einem grossen Nachbarkanton, dessen Mitarbeiter der Jagdverwaltung inständig bat, weder Kanton noch seinen Namen zu nennen. Grund: Man habe nach dem Massaker im Zuger Parlament nun selbst Angst, von einem "Spinner" angeschossen zu werden. Selbst beim polarisierenden Thema Rabenvögel, das die Gemüter überaus erhitzen könne, meinte der Staatsdiener. "Es ist zurzeit wieder absolut schlimm mit den Krähen. Eben gestern hat ein Schwarm von rund 60 Vögeln ein Maisfeld in der Grösse von zwei Hektaren
Besonders umstritten ist im Feldzug gegen den Pechvogel Krähe die Anwendung von Fallen. Obwohl in der Schweiz Schrotschuss und Kleinkaliberkugel bevorzugt werden, kommen auch Fallen zum Einsatz. Gemäss der EU-Vogelschutzrichtlinie sind Krähenfallen aber schlicht verboten. Mit gutem Grund: Sie fangen mit ihren Lockvögeln und Ködern nicht selektiv nur Krähen, in ihnen verfangen und verletzen sich auch geschützte Greifvögel wie Habichte und Bussarde. Doch Fallen, die nicht selektiv eine bestimmte Tierart fangen, dürfen gar nicht eingesetzt werden. Die österreichische Tierschutzorganisation "RespekTiere" schildert ihre Erfahrungen mit den Krähenfallen so: "Oft kämpfen die Tiere dann tagelang gegen die Gefangenschaft. Manchen sterben an Verzweiflung oder Verletzungen - noch bevor sie der Jäger aus der Falle holt, um die Krähen dann selbst zu töten. Es gibt aber nicht zuviele Vögel, sondern zuviele Krähenfallen und zuviele Jäger." Von einem generellen Bann der Krähenfallen in der Schweiz ist aber nicht die Rede. Auch nicht von einem Verbot der tödlichen Hatz auf nicht geschützte Rabenvögel. Hier hinkt die Schweiz der EU ebenfalls hintennach: Gemäss dem "Official Journal of the European Communities" gibt es keinen Grund, Rabenkrähen umzubringen. Sie sollen leben dürfen - als freie Wildtiere, wie und wo sie es wollen. Dass sie dies womöglich sogar "willentlich" wollen, kann neusten Forschungsergebnissen nach auch nicht mehr einfach ausgeschlossen werden. Wissenschafter staunten über "Betty" Denn das simple Weltbild zahlreicher Zeitgenossen, wonach der Homo sapiens das weitaus intelligenteste Lebewesen sei, an das keinesfalls blöde Tiere wie Delfine, Papageien oder Menschenaffen niemals herankommen
Auch dieses Experiment zeigt das, was alte Völker mit Beobachtung und Intuition schon lange festgestellt haben: Tiere können auch gescheit sein. Viel intelligenter jedenfalls, als wir es ihnen heute in der von Technik beherrschten und tierfeindlichen Zivilisation zugestehen wollen. 9. April 2003 |
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© by Peter Knechtli