Foto © Ruedi Suter ![]() Durchtrennter Hals: Schächtobjekt Kuh beim Ausbluten Schlacht-Kampf: Per Kehlen-Schnitt ins Jenseits befördert Die Schächtung ohne Narkose soll legal werden - zum Entsetzen der Tierschutzorganisationen VON RUEDI SUTER Der Schnitt durch die Kehle eines unbetäubten Tiers soll in der Schweiz salonfähig werden. Mit dem Schächten ohne Narkose will der Bundesrat islamischen und jüdischen Bürgern entgegenkommen. Tierschützer aber wehren sich vehement für ihre Schützlinge: Der Schächttod sei zu langsam, qualvoll und vermeidbar. Für den Streit um ein "schöneres" Sterben werden jetzt die Messer gewetzt. Die Todeskandidaten sind vor allem Hühner, Rinder, Schafe und Ziegen. Diesmal ist es ein Schaf. Es muss sterben: Schächtung. Sein Fleisch soll den Appetit der Menschen stillen. So wird es getötet, wie Millionen anderer "Schlachttiere" auf dieser Welt. Sterben zu müssen, ist immer schlimm. Egal wie, ob durch einen Schuss ins Hirn, einen Stich ins Herz, durch Kopfabhacken, Elektroschock oder einen Schnitt durch die Kehle. Was einem beim Sterben genau widerfährt, weiss niemand wirklich. Man hofft nur, es gehe schnell, angst- und schmerzlos. Geschächtete verfassen keine Erfahrungsberichte Das Schächten, das immer mal wieder auch an Menschen praktizierte Halsdurchschneiden, aber ist eine langsame Tötungsmethode. Bevor das Opfer sein Bewusstsein verliert und tot ist, vergeht Zeit. Wieviel Zeit und wie schmerzlich genau, darüber wird ohne Ende gestritten. Der Hauptgrund: Es gibt keine Berichte von Geschächteten über das Widerfahrene. Genausowenig wie es Berichte von Tieren über ihr Denkvermögen oder
Dass das zum Tod verurteilte Schaf - Symbol des alttestamentarischen Opfertiers - jetzt etwas merkt, ist aber zweifelsfrei: Es ist unruhig, und als es von kräftigen Männerfäusten an den Läufen gepackt und trotz verzweifeltem Zappeln und Blöken zu Boden gezwungen und gefesselt wird, hat es sichtlich Angst. Die Fäuste fixieren seinen Kopf und straffen den Hals nach hinten. Nun wird die scharfe Messerklinge angesetzt und rasch durchgezogen. Aus der weit klaffenden Halswunde schiesst das Blut unter den röchelnden Tönen des im Todeskampf zuckenden Schafes. Es dauert für den Beobachter qualvoll lange, bis das Tier endlich tot ist. Betäubungs-Verweigerung ist schlecht begründbar Fromme Juden und Muslime müssen ihre zur Mahlzeit bestimmten Tiere unbetäubt schächten - religiöser, moralischer und hygienischen Vorgaben wegen. Die Vertreter der betäubungslosen Schächtung beider Religionen praktizieren die rituelle Tötung des Mitgeschöpfes Tier als religiöse Opfer-Kulthandlung, bei dem auch das fliessende Blut eine vielschichtige Rolle spielt. Dabei stützt man sich auf Auslegungen der jüdischen Thora und des Talmuds oder des Korans. Diese Interpretationen aber werden seit Jahrhunderten auch von jüdischen wie muslimischen Gelehrten in einem Punkt kritisiert: bei der auch ihrer Meinung nicht haltbaren Weigerung, die Tiere vor der Schächtung zu betäuben, um so deren letztes und schlimmstes Leiden zu verkürzen. Dieser Meinung sind auch Gelehrte des Christentums, in dem wohl auf die Schächtung verzichtet wird, dessen Gläubige aber den Tieren in ihren Schlachtfabriken und in vielen anderen Bereichen ebenfalls Fürchterliches angedeihen lassen. Halal- und Koscherfleisch muss importiert werden Der Streit um das Schächten war immer schon emotionsgeladen und heikel, weil er auch religiöse Bereiche tangiert. Er führte vorletztes Jahrhundert zur ersten Volksinitiative des eidgenössischen Bundesstaates. Die Tierschutzvereine schafften es 1893 mit antisemitischem Rückenwind und einem hauchdünnem Ständemehr, die Schächtung verbieten zu lassen. So dürfen auch heute laut Tierschutzgesetz (TSchG) Tiere nur dann geschlachtet werden, wenn sie zuvor betäubt wurden. Damit ist auch die traditionelle Schächtung verunmöglicht. So muss das Halal- oder Koscher-Fleisch importiert werden. Über 300 Tonnen waren es im Jahr 2000. Dies aber wird hierzulande von vielen gläubige Muslimen und Juden als einschneidende Verletzung der Religionsfreiheit empfunden. Dem will jetzt der Bundesrat abhelfen: Ende September schickte er den Vorentwurf der Revision des Tierschutzgesetzes in die dreimonatige Vernehmlassung. Sein umstrittenster Vorschlag: Das Fallenlassen der
Was geschieht? Das Messer zerschneidet zuerst die vordere Halshaut, die Halsmuskeln und die besonders schmerzempfindliche Luft- oder Speiseröhre. Ebenso den sensiblen Kehlkopf. Dann werden die ebenfalls sehr empfindlichen Halsschlagadern durchschnitten, was sich sofort auf Blutdruck und Kreislauf auswirkt. Das gleichzeitige Zertrennen von Nervenbahnen verursacht beim bereits von unerträglichen Schnittschmerzen gepeinigten Tier zusätzliche Todesangst durch Atemnot: Es reisst die Augen auf und schnauft noch schneller. Dadurch schiessen Blut und Mageninhalt in die Lungen, was neue Erstickungsanfälle auslöst. Hilfloser Zeuge des eigenen Sterbens Der verstorbene deutsche Arzt Werner Hartinger - er verfasste ein Buch über das Schächten - beschrieb im Detail, wie geschächtete Tiere zum Zeugen des eigenen Sterbens werden: "Während des langsamen Ausblutens verstopfen vielfach die Gefäss-Enden der vorderen Halsarterien, so das regelmässig nachgeschnitten werden muss. Und das alles bei vollem Bewusstsein des Tieres, weil beim Schächtschnitt die grossen, das Gehirn versorgenden Arterien innerhalb der Halswirbelsäule ebenso wie das Rückenmark und die 12 Hirnnerven nicht durchtrennt sind und wegen der knöchernen Ummantelung auch nicht durchtrennt werden können. Diese noch intakten Gefässe versorgen weiterhin das ganze Gehirn noch ausreichend, so dass keine Bewusstlosigkeit eintritt." Wird das Opfer nachher gemäss Vorschrift noch an den Hinterbeinen aufgehängt, so der Mediziner weiter, werde das Gehirn weiter mit Blut versorgt. So bleibe das Tier "praktisch bis zum Auslaufen der letzten Blutstropfen bei vollem Bewusstsein". Der Beweis hierfür sei vielfach erbracht worden, indem man das Tier nach dem Ausbluten entfesselte. Hartinger: "Mit der entsetzlich klaffenden Halswunde strebte es meistens voll orientiert, bewegungsfähig und angstvoll dem Ausgang des Schlachtraumes zu und müsste durch den Bolzenschussapparat endgültig getötet werden." Ablenkungsmanöver namens "Antisemitismus" Dieser Schilderung setzt der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) seine Interpretation entgegen: Dank des sofortigen Blutdruckabfalls im Gehirn nach dem Schächtschnitt werde das Schlachtopfer ohnmächtig. Es leide deshalb nicht länger als nach der Betäubung mit dem Bolzenschuss oder dem Elektroschock. Alfred Donath, SIG-Präsident und selbst Mediziner, meint sogar, das Schächten sei für das Tier weniger qualvoll als andere Schlachtmethoden: "Die Annahme, das Tier würde beim rituellen Schlachten gequält, basiert folglich auf keinerlei nachweislichen wissenschaftlichen Argumenten.". Das Schächtopfer profitiere - im Gegensatz zur industriellen Massenschlachtung mit ihren auch nicht immer funktionierenden Bolzenschuss- und
Was stimmt also, was geschieht dem Tier wirklich?Die Geschächteten können keine Auskunft geben, weshalb sich Tierschützer auch "im Zweifelsfall für das Tier" und damit gegen das traditionelle Schächten wehren. Allerdings vertritt auch keine Religion die Auffassung, Tiere müssten absichtlich eines qualvollen Todes sterben. "Judentum und Tierschutz sind dasselbe" erklärte sogar Rolf Halonbrenner von der SIG-Geschäftsleitung laut dem jüdischen Wochenmagazin "tachless" letzten September in Bern. Halonbrenner soll aber noch etwas anderes gesagt haben: Tierschützer, die das Schächten (ohne Narkose, die Red.) verbieten wollten, seien "antisemitisch motiviert". Dies wäre eine demagogische Pauschalverurteilung, die billig vom Tier abzulenken versucht. Denn ausser dem Tierrechtler Erwin Kessler, der sich mit krassen Äusserungen den Vorwurf des Antisemitismus einhandelte, gaben die bekannten Tierschutzorganisationen der Schweiz nicht den geringsten Anlass zu einer derartigen Behauptung. "Irregeführte, manipulierte und ferngesteuerte Schächtgegner" Dennoch wird vom SIG versucht, mit dem Begriff "Antisemitismus" Stimmung zu machen. So ortet auch Professor Alfred Donath als Leserbriefschreiber verschiedener Zeitungen bei den Schächtgegnerschaft vor allem Judenfeinde, Manipulatoren oder schiere Ignoranten: "In der Schweiz geschah die Einführung des Schächtverbots eindeutig aus antisemitischen Gründen. Dies hat sich bis heute nicht wesentlich geändert. Sicherlich gibt es unter den Gegnern der Verbotsaufhebung viele redliche Menschen, die jedoch schlecht informiert, von einer irreführenden Propaganda beeinflusst, manipuliert und ferngesteuert sind. Der Tierschutzverein verlagert die Debatte absichtlich auf eine irrationale und emotionale Ebene. Er schiesst mit
Ein Kampf-Argumentarium, das nicht eben zur Erhellung eines schwierigen, von Emotionen beherrschten und nie ganz schlüssig zu beantwortenden Themas beiträgt. Sie erzeugt auch Widerspruch, selbst fachlicher Art. Zum Beispiel vom Berner Urs Schatzmann, Professor der Veterinärmedizin und laut "Tages-Anzeiger" "der zurzeit bestausgewiesene Schweizer Fachmann auf dem Gebiet". Sachlich hält der Tierarzt dem Menschenarzt Donath in der "Neuen Zürcher Zeitung" entgegen: "Dass es sich beim Schächten um eine qualvolle Art des Tötens handelt, kann nach heutigen Kenntnissen nicht von der Hand gewiesen werden." Die genaue Zeitspanne zwischen dem Schächtschnitt und dem sicheren Verlust der Empfindungsfähigkeit könne "nicht mit Sicherheit" angegeben werden, bestätigte Schatzmann auch gegenüber der "Basler Zeitung". "Kein wichtiges Ritual für Juden und Muslime" Diese Einschätzung wurde letzten Sommer von einem Expertenteam des Bundesamtes für Veterinärwesen (BVet) bestätigt. Es besuchte den Schlachthof von Besançon, wo Tiere für den Schweizer Markt geschächtet werden. Der Augenreflex sei bei einzelnen geschächteten Rindern und Kälbern noch bis zu 30 Sekunden nach dem Gurgelschnitt nachweisbar gewesen. Also waren die Tiere noch so lange bei Bewusstsein. Dies im Gegensatz zum Bolzenschuss, wo die Bewusstlosigkeit innert Sekundenbruchteil eintrete. "Nach diesem Besuch können die Behauptungen, wonach das Schächten nicht tierquälerisch sei, nicht bestätigt werden", folgerte das BVet-Team. Mit brisanten Argumenten wehrt sich auch der Jurist Sami Aldeeb gegen eine Lockerung des Schächtverbots. Der Dozent für arabisches und muselmanisches Recht am Institut für internationalen Rechtsvergleich ("Institut Suisse de droit comparé") in Dorigny studierte die rituellen Schlachtmethoden der Juden, Muslime und Christen. In einem Brief an Bundesrätin Ruth Metzler bietet er seine Hilfe an und stellt gleich klar: "Es ist nicht korrekt zu sagen, die Schächtung ohne Betäubung sei ein wichtiges Ritual für die Juden und Muslime". Was der Bundesrat nun wolle, sei auf Religionsebene nicht zu rechtfertigen, weder im Judentum, noch im Islam. Ein guter Grund mehr für den Tierschutz, am Betäubungszwang vor der Schächtung festzuhalten. Ohne irgendwelche Ressentiments gegen Andersgläubige - sondern schlicht und einfach dem wehrlosen Tier zuliebe. Rassismus-Experte Georg Kreis: Ja zur Aufhebung des Schächtverbots in der Schweiz
Ihre Meinung. ![]() "In seiner Polemik kaum zu überbieten" Der nur vordergründig als seriös und gut recherchiert erscheinende Artikel von Ruedi Suter ist in seiner Polemik und reisserischen Aufmachung kaum zu überbieten. Mit der sich im ganzen Text durchhaltenden Vermittlung des Bilds vom blutrünstigen Juden bzw. Moslems bedient sich Herr Suter jenen antisemitischen Argumenten, die bereits den Abstimmungskampf um ein Schächtverbot vor rund 100 Jahren begleitet haben. Dass sich Herr Suter in seinem Artikel vom Vorwurf des Antisemitismus freispricht, lässt sich nach einer genauen Lektuere des Artikels nur als Maskerade bezeichnen. Adina Levin und Erik Petry "Dem Abrücken von ethischen Fundamenten mutig widersprechen" Danke für Ruedi Suters exzellenten und sachlichen Artikel. Hier noch ein Gesichtspunkt, der mich - auf der anderen Seite des Rheins - beim Lesen seines Artikels beschäftigt hat. Es geht natürlich zunächst um die Tiere, es geht aber auch um uns abendländische Menschen. Im Zeitalter der Aufklärung wurde die "Befreiung des Menschen von den selbstauferlegten Ketten der (geistigen) Sklaverei" zum Programm, die "Erziehung des Menschengeschlechts" zu einer vernünftigeren, humaneren, fortschrittlicheren Gestaltung des Lebens wurde - bei allen Rückschritten - zum Fundament des Gemeinwesens. Die Trennung von Staat und Religion besagt, dass der Staat diesen Vernunftkriterien der Aufklärung alle - auch die christlichen - religiösen Praktiken unterwirft. Nun ist gerade im Westen angesichts der neuesten Terrorereignisse ein Abrücken von diesen ethischen Fundamenten unserer abendländischen Kultur zugunsten einer unbewussten Identifikation mit dem Angreifer zu beobachten. Dem sollte mutig widersprochen werden. Mit der Betäubung der Tieren beim Schächten wird nicht nur ihnen unnötiges Leiden erspart, unsere Regierungen bekennen sich damit auch zu Prinzipien der Vernunft und der Humanität, die wir zu Recht unseren Kindern weitergeben können mit der Aufforderung, diese in immer vertiefter Weise zu verwirklichen. Christian Hilbig "Artikel ist profund und hervorragend" Der Artikel von Ruedi Suter ist profund und hervorragend. Für mich gibts keine weiteren Fragen, nur eine Antwort. Wir müssen keine Kreatur für die Sättigung unseres Wohlstandsmagens ausbluten lassen - nicht mit oder ohne Narkose. Alles, was uns mit Augen und dadurch Seele oder Geist anblickt, verdient unsere Achtung und unseren Schutz. Das sollte doch der tiefste Sinn aller Religionen sein. Danke Ruedi Suter. Annemarie Mahlow "Ruedi Suter hätte Pulitzer-Preis verdient" Edi Borer "Sofort Blutrache zulassen!" Dieter Stumpf "Schächten ist Mord am Tier" Rolf Wehrli 22. Januar 2002 |
Zurück zu Ökologie
Zurück zu Politik
Zurück zu Gesellschaft
Zurück zur Hauptseite
© by Peter Knechtli