Grafik Novartis / Foto OnlineReports ![]() ![]() "Nicht so sicher": Marktmacht Nordamerika, Novartis-Chef Daniel Vasella Novartis will Schwergewicht in die USA verlagern Konzernchef Daniel Vasella kündigt strategische Neuausrichtung des Pharma-Unternehmens an VON PETER KNECHTLI Der Basler Pharmamulti Novartis will Präsenz und Stärke auf dem nordamerikanischen Kontinent massiv verstärken. Dies ist das Fazit eines brisanten Vortrags von Konzernchef Daniel Vasella. Er will sich die Option offen halten, die operative Führung in die USA zu verlegen. Die längerfristige strategische Neuausrichtung dürfte vor allem den Standort Basel tangieren. Daniel Vasella war nicht herausgefordert und nicht provoziert. Seine bisher brisanteste Aussage als Konzernchef von Novartis geschah auf vollkommen freiwilliger Basis: "Allerdings muss ich die Frage offen lassen, ob das operative Geschäft dereinst in die USA verlegt werden soll", offenbarte er laut Basler Zeitung diese Woche in Zürich der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer. Es war am Schluss seines Vortrags die spontane Antwort auf eine Frage aus dem Publikum. Vasella liess sich in die Karten schauen Branchenkenner sind der Meinung, dass sich diese Aussage in erster Linie auf die Königsdivision Pharma bezieht, die das eigentliche Kerngeschäft von Novartis darstellt. Der heiss umkämpfte US-Pharmamarkt ist nicht nur der grösste der Welt, er verspricht auch das stärkste Wachstum und die besten Gewinne (vgl. Grafik). Das strategische Statement der Novartis-Führung ist brisant: Noch nie in der jüngeren Geschichte der Basler Pharmakonzerne hat sich ein Konzernchef so tief in die Karten der Schwerpunkt-Bildung schauen lassen. Wenn in früheren Zeiten ein Basler Pharma-Fürst auch nur den Anschein einer Wegzugs-Absicht erweckte, ging postwendend ein Aufschrei des Entsetzens durch Bevölkerung und politische Repräsentanten. In diesen Tagen blieb es trotz alarmierender Schlagzeile ("Vasella erwägt Wegzug aus Basel") ruhig. Einzig die Basler Sozialdemokraten monierten, Vasella kokettiere "reichlich leichtfertig mit einer Verlagerung der Produktions-Tätigkeit in die Vereinigten Staaten". Dem Firmenchef wirft die SP vor, er habe "Tausende von Familien verunsichert". Der Verlust von Marktanteilen des Basler Pharmakonzerns dürfte weniger mit Standortfragen als vieler mit einer der "während längerer Zeit schlecht gefüllten Produkte-Pipeline" und "Fusionswehen" in Zusammenhang stehen. Basler Regierung will mehr erfahren Eine Klimasondierung von OnlineReports zeigt, dass spektakuläre Randbemerkung bei Mitarbeitenden und Politikern wie Gewerkschaften Verunsicherung und Ratlosigkeit auslöste. "Vasella kommunizierte bisher nicht fahrlässig", so SP-Wirtschaftssprecher und Grossrat Christoph Brutschin, "um so nachdenklicher stimmt die Aussage zur Verlegung des operativen Geschäfts". Wirtschaftsminister Ralph Lewin trafen Vasellas mögliche Umzugspläne unvorbereitet. Beim letzten Gespräch zwischen Novartis-Führung und Basler Regierung war die teilweise Geschäftsverlegung "noch kein Thema". Lewin zu OnlineReports: "Das ist nicht der Hit. Ich werde im Auftrag der Regierung mit der Novartis-Geschäftsleitung in Kontakt treten und schauen, was hinter der Nachricht steckt." "Nur operative Führung im Visier" Was allerdings mit dem "operativen Geschäft" genau gemeint sein könnte, ist selbst firmenintern reichlich unklar. Mutmassen die einen, dass gleich die ganze Pharma-Division in den Pharma-Supermarkt USA transferiert werden könnte, kann sich Brutschin "vorstellen, dass Marketing und Forschung die Zügelkandidaten sind, während Basel noch Produktionsstandort kleineren Stils bleiben könnte". Laut Novartis-Sprecher Mark Hill steht die Verlegung ganzer Divisionen nicht zur Debatte. Denkbar sei aber, die "operative Führung" einer Geschäftseinheit oder einer Division in den USA anzusiedeln. Als Beispiel nannte Hill den Sektor Consumer Health, der in Nord- und Südamerika 60 Prozent des Umsatzes erzielt, aber in Nyon VD seine operative Basis hat. Bereits in den USA angesiedelt sind der Krebsbereich (East Hanover) und das Kontaktlinsengeschäft Ciba Vision (Atlanta). Novartis spielt Bedeutung der Aussage herunter Offiziell spielt Novartis die Bedeutung von Vasellas Aussage herunter. Es sei im Vortrag um die enorme Bedeutung des rasch wachsenden amerikanischen Marktes gegangen, aber auch um Vorschläge, wie Europa für Pharmafirmen attraktiver werden könnte - beispielsweise durch Deregulierung und mehr staatliche Investitionen in die Grundlagenforschung. Vasella habe nicht von "Abbau" gesprochen. Die Interpretation lasse auch einen verstärkten Ausbau des USA-Geschäfts zu, wie der massive Ausbau der Ärztebesucher um 20 Prozent zeige. Laut Sprecher Mark Hill bestehen "keine Auszugs-Pläne". Die Bedeutung des Standorts Basel im Firmenkalkül lasse sich daran erkennen, dass Novartis nicht nur das Werk-Areal St. Johann langfristig in einen architektonisch ambitiösen Campus umwandle, sondern auch ein Drug Discovery Center (DDC) mit 300 Forschern plane. Ob es sich um neue Arbeitsplätze oder um die blosse Vereinigung bestehender Stellen handle, konnte Hill nicht sagen. Gewerkschafter Bonert: "Eine Erpressung" Eine Tonband-Abschrift der Original-Aussage belegt, dass Vasella den Hauptsitz des steuerlichen und des liberalen Klimas wegen in der Schweiz belassen will. Auf der operativen Seite aber sei er nicht so sicher ("Ich möchte es nicht ausschliessen"). Gewiss werde Novartis "die Option offen halten, die operationelle Führung in die USA zu verlegen". So lange - schränkte Vasella ein - die politische Umgebung freundlich bleibe, würde er sehr zögern, diesen Schritt zu tun. Als Beispiel einer freundlichen Umgebung nannte Sprecher Hill die Ablehnung der Genschutz-Initiative durch das Schweizer Volk. Die Verbindung von Standortfrage mit politischen Rahmenbedingungen sei "eine Erpressung", reagierte Mathias Bonert, Sekretär der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI). Dennoch besteht auch bei den Arbeitnehmer-Vertretern Erklärungsbedarf: "Wir werden uns bei Novartis anmelden." Bedenken hat Bonert vorläufig nicht: "Wir nehmen diese Ankündigung ehrlich gesagt nicht so ernst." Auch Roche verlagert Richtung USA Vielleicht wird sich die gewerkschaftliche Gelassenheit dereinst verflüchtigten, wenn das von Daniel Vasella ausgelöste Rätselraten über seine Umzugs-Pläne beendet ist. Mit Aventis, Pharmacia&Upjohn sowie AstraZeneca haben nicht nur ausserschweizerische europäische Pharma-Firmen ihre Präsenz in den USA massiv verstärkt. Auch Hoffmann-La Roche, an der Novartis neuerdings zu 20 Prozent beteiligt ist, hat diese Woche die Verlegung des Forschungsbereichs virale Erkrankungen vom britischen Welwyn Garden ins kalifornische Palo Alto angekündigt.
24. Juni 2001 |
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