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Foto zvg

Schonungslose Kritik am anachronistischen Hochschulsystem: Oekonom Thomas Straubhaar
Der Aufbruch des Elfenbeinturms von innen
Der Schweizer Oekonomie-Professor Thomas Straubhaar wird Präsident eines Top-Wirtschaftsforschungsinstituts in Deutschland
VON PETER KNECHTLI
Er fordert eine radikale Hochschulreform. Jetzt kann der junge Schweizer Oekonomie-Professor Thomas Straubhaar als neuer Präsident des renommierten Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWA aus seiner Theorie angewandte Praxis machen.
"Ich bin gerührt." In drei Worte Emotion fasste Thomas Straubhaar seine Reaktion auf die eben erfolgte Wahl durch die grüne Hamburger Wissenschaftssenatorin Krista Sager. Der 41jährige Schweizer Volkswirtschafter wird ab Oktober dieses Jahres neuer Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA).
Dieses gemeinnützige Weltwirtschaftszentrum zählt mit 150 Mitarbeitern und einem Budget von 17 Millionen Mark nicht nur zu "einem der sechs grossen deutschen Forschungsinstitute mit sehr gutem Namen" (so der Basler Prognos-Chef Hans Barth gegenüber ONLINE REPORTS). Es stellt auch regelmässig einen der "fünf Wirtschaftsweisen", und berichtet zweimal jährlich direkt der Bundesregierung über Konjunkturaussichten und die internationale Wirtschaftsentwicklung.
Seinen raschen Aufstieg schaffte der in Burgdorf aufgewachsene Oekonom im Ausland. Straubhaar: "Die Schweiz ist als Markt zu klein, um genügend gute und interessante Universitäts-Jobs anzubieten." Darum müssten junge Schweizer Akademiker "offen sein für den internationalen Raum, sonst verrennen sie sich sehr schnell in eine Sackgasse".
Straubhaar: "Linksliberal geprägt"
Zwar habilitierte er in Bern und Basel, doch kam er über Konstanz und Freiburg i.Br. nach Hamburg an die Universität der Bundeswehr, wo er seit sieben Jahren - heute als Institutsleiter - Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik unterrichtet. Seine "massgebliche professionelle Prägung" holte sich der Berner Volkswirtschafter nach eigenem Bekunden in einem Postdoc-Training an der linksliberalen Geistesschmiede der kalifornischen Universität Berkeley. Heute positioniert sich der Ordinarius politisch am Reformflügel links des Freisinns: "Ich bin reformfreudig, offen, international."
Aus dem fernen Hamburg irritierte Straubhaar hiesige Linkspolitiker in den letzten Jahren regelmässig mit Aufsätzen von ungewohnter Deutlichkeit und Schärfe zur radikalen Reform einer anachronistischen Hochschulpolitik. In analytisch plausibel gemeisselten Sätzen karikiert er die zugleich lehrenden und forschenden Universitätsprofessoren als "eierlegende Wollmilchsäue", plädiert für die Privatisierung der Hochschulen, für Studiengebühren, eine radikale Verkürzung und Verdichtung der Studienzeit und die Trennung von Bildungsangebot und Bildungsfinanzierung.
Straubhaar kennt die Ineffizienz aus der Praxis: "Wenn Fakten und Basiswissen am Ende einer mehrjährigen Ausbildung teilweise veraltet sind, und anderseits zu Beginn der Ausbildung noch offen ist, wie Tätigkeitsfelder und deren Anforderungen in fünf Jahren aussehen, bedarf es einer modularen Ausbildungsstruktur mit leicht austauschbaren Einzelteilen."
Als beispielhaft nennt er die von Grund auf restrukturierte Universität Basel, dessen Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum (WWZ) er von innen kennt: Mit ihrer Autonomie und ihrem Globalbudget dürfe sich diese Alma mater "international sehen lassen".
Nicht nur staatliche Bildungsmodelle sind sozial
Einen Gegensatz zu seinem progressiven Anspruch sieht er in solchen Postulaten nicht. Straubhaar zur SonntagsZeitung: "Die Denk-Katastrophe liegt in der Meinung, dass nur ein staatliches Bildungsmodell sozial ist." Sein Konzept sei "viel sozialverträglicher als jedes andere": Mit Stipendien, Darlehensmodelle und A-fonds-perdu-Zahlungen würden nur jene unterstützt, die selbst nicht in der Lage sind, das Geld vorzuschiessen. Wie die Ausbildung müssten künftig aber auch die Sozialversicherungen den neuen, patchworkartigen sozial-gesellschaftlichen Bedingungen besser Rechnung tragen.
Wer mit Straubhaar spricht, spürt schnell: Dieser Mann gehört zu einer Gelehrten-Generation ohne Standesdünkel und Berührungsängsten. Ein Mann des flexiblen Agierens mit Freude am intellektuellen Argument und praktischen Austausch zugleich. Thomas Straubhaar dürfte ein Geheimtip für alle Kräfte sein, die an der grassierenden Unbeweglichkeit hiesiger Hochschulen verzweifeln: "Wenn mich jemand fragt, bin ich offen. Aufdrängen würde ich mich aber nicht."
Sicherheit gegen Risiko eingetauscht
Mit dem neuen Volljob als Instituts-Chef hat Thomas Straubhaar demnächst die Möglichkeit, die eigenen Reformvorschläge im Selbstversuch zu prüfen: Er tauscht seinen als Lebensstelle konzipieren Lehrstuhl mit einer risikoreicheren Führungsrolle ein, in der er alle fünf Jahre durch Wahl bestätigt werden muss. "Wenn ich in meiner Arbeit nicht genüge, werde ich in fünf Jahren nicht wiedergewählt."
Existenzängste brauchen den Vater von drei Kindern mit einem künftigen Nettoeinkommen von rund 250'000 Franken nicht zu plagen: Das HWWA-Präsidium mit einer Professur auf Lebzeit an der Universität Hamburg ("eine Rückfalllinie") abgefedert.
Doch bevor die Wiederwahl ansteht, will Thomas Straubhaar sein neues Institutskonzept umgesetzt haben, das die 15köpfige Berufungskommission wie die Hamburger Behörden gleichermassen überzeugt hat. So radikal nämlich seine Vorschläge zur Hochschulreform sind, so entschlossen will er das seit drei Jahren führungslose Hamburger Forschungsinstitut umkrempeln. Stichworte: Europäisierung, Verstärkung des Ostseeraums und der Balkanstaaten, Flexibilität, Durchlässigkeit von Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Wirtschaftsdaten will er origineller, regionaler und nachfrageorientierter als bisher aufbereiten und Grosskonzernen offerieren.
Nutzwertorientierte Forschung verstärken
In der Hansestadt will der Schweizer Reformer - von Lehrverpflichtungen weitgehend befreit - den Elfenbeinturm von innen aufbrechen, dem Muff unter den Talaren den Garaus machen und "im Interesse der Steuerzahler" die nutzwertorientierte Forschung vorantreiben. Auch will er "früher oder später die Möglichkeit für ein europäisches Doktorandenstudium schaffen", kompakte Lehrgänge zur lebenslangen Weiterbildung anbieten und die noch stark Deutschland-orientierten Datenbanken internationalisieren.
Allerhöchste Priorität wäre in diesen Tagen der Aktualisierung der Instituts-Homepage einzuräumen. Wer dort den Begriff "Straubhaar" eingibt, hat Pech: "Ihre Suchanfrage führte zu keinem Treffer."
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