Löwe in der Wildnis: Wie wohl fühlt er sich im City-Zoo?

Der Zoo ist out, jetzt kommen die Naturschutzzentren

Langsam, aber sicher naht das Ende des Zoos als Museum lebendiger Tiere

Von Ruedi Suter

Der Zoo ist tot, es lebe das Naturschutzzentrum! Vier Schweizer Zoos und Tierparks - darunter auch der Basler Zoologische Garten - haben sich der Welt-Zoo-Naturschutzstrategie verschrieben und wollen die Tier- und Pflanzenarten direkt mit ihren angestammten Lebensräumen verbinden. Damit ist den Tieren geholfen und die Menschen lernen, die ökologischen Zusammenhänge zu verstehen. Ein visionäres Vorhaben mit Hindernissen.

Nur kurz blickte der wundervoll gemusterte Nebelparder aufmerksam durch das Panzerglas des Zürcher Katzenhauses auf die Dia-Leinwand im Besucherraum. Dann drehte sich der aus fernöstlichen Regenwäldern stammende Parder ab, um sich ins Geäst eines Baumtorsos zurückzuziehen. Dort starrte er in eine Beton-Ecke und liess den Schwanz Richtung Medienschar herunterhängen.

Den im Freien kaum je beobachteten Nebelparder interessierte es nicht, was vier engagierte Schweizer Zoo- und Tierparkdirektoren zur Aufwertung ihrer Anlagen an neuen Erkenntnissen und Vorsätzen vortrugen. Und dies sogar im Namen der Wildtiere, die sich uns Menschen gegenüber nicht äussern können. Doch Zoos wurden immer von Menschen für Tiere interpretiert. Und vor allem missinterpretiert.

Die Wildnis stirbt aus

Dass Zoologische Gärten aber nicht mehr so einfach als “Tiergefängnisse“ abgetan werden können, zeigte an der Pressekonferenz in Zürich wie zufällig eine Tafel der grössten Katze der Welt: Mit 531 Exemplaren leben heute bereits mehr Sibirische Tiger in Zoos als in der Wildnis (max. 230 Ex.).

Durch den weltweiten, kaum stoppbaren Vernichtungskrieg der Menschen gegen die letzten wilden Tiere bekommen Zoos eine vertieftere Existenzberechtigung, die man früher mit viel rhetorischer Akrobatik herbeizureden versuchte.

Oekologische Zusammenhänge erkennen

Seriöse Zoos sind heute eine wichtige Ergänzung des globalen Naturschutzes, lautete der Tenor an der Pressekonferenz zum Thema Schweizer Zoos und die Welt-Zoo-Naturschutzstrategie (WZN). Um deren Ziele effizienter zu erreichen, haben sich vier Schweizer Institutionen zusammengeschlossen: Zoo Zürich (Direktor Alex Rübel), Zolli Basel (Peter Studer), Tierpark Dählhölzli Bern (Bernd Schildger), Natur- und Tierpark Goldau (Felix Weber). Alle wollen, dass die Menagerie des 19. und der Zoologische Garten des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert durch sogenannte ?Naturschutzzentren“ ersetzt werden.

Peter Studer: ?Denn wenn die Menschen das System Leben auf diesem Planeten nicht auf gefährliche Weise destabilisieren sollen, dann muss Einsicht in die biologischen und ökologischen Zusammenhänge ihr Handeln bestimmen.“

Neues Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur

Dies ist ganz im Sinne der 1980 von der Welt-Zoo-Organisation (WZO), von IUCN, UNEP und WWF formulierten Welt-Zoo-Naturschutzstrategie, die flexibel zur Erhaltung der rasch verschwindenden Tierwelt und der natürlichen Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten beitragen will. Hauptziel: die Schaffung eines neues Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur.

Das Potential der Zoologischen Gärten kann folgendermassen genutzt werden:

- Durch die aktive Unterstützung der Erhaltung von Populationen bedrohter Arten und ihrer natürlichen Lebensräume.

- Durch die Mehrung der wissenschaftlichen Kenntnisse zum Nutzen des Naturschutzes.

- Durch die Förderung des öffentlichen und politischen Bewusstseins für die Notwendigkeit von Naturschutz.

- Und durch das Vorantreiben der verträglichen Nutzung natürlicher Ressourcen.

Was bedeutet dies nun konkret? Alex Rübel: “Heute betreiben die Zoos Erhaltungszuchten und zeigen lebende Tiere in Dioramen, die ihrem Lebensraum nachgebaut sind. Daraus sollen sich nun die Naturschutzzentren entwickeln. Diese verbinden die Arbeit innerhalb der Zoos mit den Anstrengungen im angestammten Lebensraum.“ Dabei würden die eigentliche Arterhaltung unter Einbezug aller dafür entscheidenden Faktoren wie auch die Darstellung ökologischer Zusammenhänge im Vordergrund stehen. Jedenfalls solle immer “das lebende Tier im Vordergrund stehen“, sagte Rübel.

14-Millionen-Projekt in Basel

Dass sich die organisierten Zoos mit ihren jährlich 600 Millionen Besuchern und entsprechenden Bildungsanstrengungen zu “Botschaftern eines globalen Schutzes der Tierwelt“mausern können, davon sind die vier Direktoren überzeugt. Auch haben sie bereits erste Pläne zur Umsetzung der Welt-Zoo-Naturschutzstrategie in Angriff genommen. So entsteht in Basel das 14-Millionen-Projekt “Etoscha“, eine neuartige Anlage mit afrikanischen Beutetieren. Dabei sollen auch die komplexen Beziehungen zwischen Tier, Natur und Mensch aufgezeigt werden.

Studer: “Die Menschen sollen mit den Gefahren, denen die Natur ausgesetzt ist, und den Problemen, die unüberlegtes, rücksichtsloses menschliches Handeln verursacht, nicht allein gelassen werden. Wir wollen ihnen zeigen, was jede und jeder Einzelne tun kann.“

In Zürich arbeitet der Zoo im Zusammenhang mit seinen Galapagos-Riesenschildkröten bereits eng mit Ekuador zusammen. Der Tierpark Goldau realisiert die Zoo-Naturschutzstrategie mit der Wiederansiedlung des Bartgeiers. Und im Tierpark Bern kümmert man sich entsprechend um die Rosaflamingo.

Umstrittene Auswahl der Zoo-Architekten

So nötig der Optimismus der Direktoren ist, so unsicher ist der Ausgang der globalen Übung. Dies fängt bereits in der Schweiz beim Bau der Zooanlagen an. Diese werden in Basel und Zürich von Architekturbüros gebaut, die sich ihr Wissen über Tierverhalten und Zooanlagen erst noch rasch aneignen müssen. Derweil gehen ausgewiesene Zooarchitekten leer aus, weil ihnen die nötigen politischen oder vetternwirtschaftlichen Verbindungen fehlen. Das Resultat, kritisieren diese Profis, seien häufig Neuanlagen, die den Anforderungen einer modernen Zooanlage und dem Wesen der Tiere nicht wirklich genügten. Diesen Vorwurf haben die Zoodirektoren an der Pressekonferenz allerdings vehement bestritten.

Ein weiterer Punkt, der die Umsetzung der neuen Welt-Zoo-Schutzstrategie in Frage stellt: Auch Zoos können gegen die unheimliche Zerstörungskraft laufender Entwicklungen kaum etwas ausrichten. Das zeigen nur schon die 120 bislang von Zoos wieder ausgesiedelten Tierarten, von denen gerade 15 stabil sind. Und dies zeigen die weltweite Verdrängung der Tiere durch die menschliche Bevölkerungsexplosion, der galoppierende Verlust der Wälder durch Abholung und Brände, die Wilderei und die Umweltverschmutzung.

Handkehrum wären heute viele der Tierarten ohne Rettungsanstrenungen längst schon ausgerottet. Zum Beispiel auch der Nebelparder im Zürcher Zoo, welcher sich leider nicht zu den Überlegungen der ihn vertretenden Herren Zoodirektoren äussern konnte.

9. September 1998

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(c) by Peter Knechtli