Der digitale Robin Hood gegen die Daten-Henne

Ein Daten-Pirat mit Thailand-Connection bietet auf dem Internet Gratis-Telefonauskunft an

Während sich die Swisscom mit dem Preisüberwacher um die Preise für Telefonbuchdaten streitet, bietet ein digitaler Robin Hood auf dem Internet Gratis-Adressen an.

Mit seinem Tauchpartner und Computerfreund sass der gelernte Elektroniker Daniel Neuweiler (31) auf einem Bänklein vor einer Wäscherei in Thailand, trank eine gute Flasche Wein und schmiedete grosspurige Zukunftspläne. Das Ergebnis, seit 24. Juli sichtbar, freut Durchschnitts-Anwender ebenso wie es die Swisscom ärgern dürfte: Eine Homepage auf dem Internet (www.pearsoft.ch), auf der beliebig Gratisauskünfte über Adress- und Telefondaten abgerufen werden können.

"Swisscom hockt auf Daten"

Der digitale "Robin Hood des CH-Telefonbuchs" (Selbsteinschätzung), Geschäftsführer der One-Man-Show "Pearsoft GmbH" in Winterthur, hat liberales Sendungsbewusstsein: "Die Swisscom darf auf diesen Daten nicht hockenbleiben", wettert Neuweiler, ist sich aber gleichzeitig auch bewusst, dass er sich mit seiner Adressen-Piraterie "wahrscheinlich einen grossen Partner zum Feind macht".

Der Noch-Staatsbetrieb Swisscom, intensiv Wettbewerbsfähgikeit und Gewinnorientierung büffelnd, zeigt sich keineswegs gewillt, seine über fünf Millionen professionell verwalteten Adressen und Telefonnummern zum Schrottpreis zu verhökern. Dies zeigt sich daran, dass Preisüberwacher Werner Marti die Swisscom Mitte Juli bei ihren übertrieben kapitalistischen Attitüden zurückpfiff, die Adressdaten statt für 220'000 neuerdings für 1,2 Millionen Franken zu verkaufen. Laut Pressesprecher Jacques Bettex wird die Swisscom diesen Entscheid höchstwahrscheinlich anfechten.

Bis 5'000 Hits pro Tag

Vor wenigen Tagen ins Auge gestochen ist der Swisscom aber auch "das elektronische Telefonbuch der Schweiz", mit dem Computerfreak Neuweiler seit wenigen Tagen ein öffentliches Bedürfnis erfüllt: Innerhalb einer Woche nach einem Massen-Email-Versand zählte seine Web-Site - sofern dem Zähler nicht künstlich nachgeholfen wird - sagenhafte 25'000 Zugriffe, bis 5'000 Hits pro Tag.

Welche Datenquelle Neuweiler anzapfte und in welchem Grossrechner in Bangkok er sein Produkt einmietet, wollte er nicht verraten. Hingegen sprach er von einer CD-ROM, die auf dem blühenden Schwarzhandel in Thailand, wo er eineinhalb Jahre lebte, für fünf Franken gekauft worden sei. Die Daten (Stand Dezember 1997) seien von 20 Personen während zwei Monaten "halbautomatisch erfasst" worden: Bei Monatslöhnen von rund 100 Franken sei es "kein Problem", die Ressourcen webfähig aufzubereiten - sei es ab Telefonbuch abgetippt oder direkt eingescannt.

Datendienst als Lockvogel

An der Schweizer Niederlassung ist er selbst zu 25 Prozent beteiligt, 75 Prozent gehören seinen sieben in der "Pearsoft Company Ltd." zusammengefassten thailändischen Investoren am Hauptsitz in der Nähe der Stadt Chiang Mai.

Offensichtlich ist der Gratis-Datendienst mit Bangkok als Nervenzentrum nur der Lockvogel für weiteres: Zum einen soll die Webseite dank Stossverkehr zum attraktiven Werbeträger werden; zum andern will Neuweiler vor allem seine in Thailand gefertigten Informatik-Dienstleistungen - von der Beratung über Internet-Auftritte bis Datenanbindung - an Schweizer Kunden vermarkten, die in harten Franken zahlen.

Konkurrenz aufgeschreckt

Bis jetzt allerdings, so der sich freimütig als "Strohmann" der Thai-Partner bekennende Datenpirat, seien insgsamt 100'000 Franken investiert worden, ohne dass ein Rappen zurückgeflossen ist. Neuweiler optimistisch: "Irgendwie muss jetzt Geld hereinkommen."

Sicher jedenfalls hat er nicht nur die Swisscom, sondern auch die Produzenten Optobyte und Twix aufgeschreckt, die Telefon-CD-ROM zu je 69 Franken anbieten. Swisscom-Partner Optobyte, so Neuweiler zur SonntagsZeitung, habe sogar kurz nach dem Start zwei "Hacker-Angriffe" gestartet und sei "über illegale Ports in meine Maschine eingedrungen". Optobyte-Geschäftsführer Werner Bättig wies den Hacker-Versuch entrüstet von sich ("Ich habe kein Hacker-Werkzeug"), räumte aber ein, dass er - "übliche Surf-Praxis" - zweimal über einen FTP-Zugriff seine Neugier stillen wollte, ob sich auf Neuweilers Winerthurer Computer ein File in der Grösse von etwa 700 Megabyte befinde - das ungefähre Volumen einer CD-ROM.

Der Zugriff wurde auf dem Pearsoft-Computer prompt registriert, worauf Neuweiler zu Sanktionen griff und Optobyte kurzerhand von der Nutzung seines Angebots aussperrte.

Zwei Such-Weg bleiben

Bättigs Aerger über die Gratisauskunft hält sich trotzdem in engen Grenzen: "Mir ist das mehr oder weniger egal." Es gebe immer Leute, die aus Schnelligkeits- und Komfortgründen Adress-Datensuche ab Software-Disc der Recherche im Internet vorzögen. Zudem würden Gratisauskünfte und Gelbe Seiten auch von einzelnen Providern, ja selbst von der Swisscom, angeboten.

Roland Reichlin, Geschäftsführer des Konkurrenzanbieters "Twix" ("TwixTel") hat seit Markteintritt 1987 "schon verschiedene Stürme überlebt": "Dies ist eine neue Herausforderung und wir müssen schauen, wie wir uns dagegen metzgen." Auch Reichlins Sorge ist gering: "Es gibt ein Leben neben dem Internet." Zudem, so seine erste Erkenntnis, seien die Pearsoft-Daten "unvollständig".

Die Daten-Henne Swisscom wollte den Piraten-Auftritt nicht kommentieren. Der Rechtsdienst kläre laut Sprecher Bettex derzeit ab, ob eine Urheberrechtsverletzung der geschützten Swisscom-Daten vorliege. Eine "Aktion" seitens der Swisscom sei "zurzeit nicht vorgesehen".

Backups sind zur Sicherheit schon eingelagert

Derweil war sich Datennutzer Neuweiler ("Ich habe Angst") gar "nicht bewusst, in welch ein Wespennest ich hier gestochen habe". Einschüchtern lassen will er sich aber nicht. Sollte in Winterthur sein Web- und Name-Server durch behördliche Razzia gekappt werden, dann brauche er nur 24 Stunden, um sich ins Ausland abzusetzen und den Dienst wieder aufnehmen zu können - sei es in einem Nachbarstaat, den USA oder den Bahamas: "Die Backups sind eingelagert, die Rechner stehen bereit."

2. August 1998

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