Clariant-Chef Rolf W. Schweizer: Kunde des Regenwaldes

Nuxalk-Indianer fordern von Clariant Respekt gegenüber ihrem Volk

Chemiekonzern wegen Abholzung von indianischen Wäldern in Westkanada unter Beschuss

Von Ruedi Suter

Heftige Kritik an Clariant International AG: Indianer und Umweltschützer werfen dem Chemiekonzern vor, zu wenig gegen das Abholzen des westkanadischen "Great Bear"-Regenwaldes zu unternehmen. Die europaweiten Proteste treffen nun auch die beteiligten Banken. Jetzt hat Nuxalk-Häuptling Qwatsinas die Clariant-Führung eingeladen, die Zerstörung der lebenswichtigen Indianer-Wälder in West-Kanada selbst mitzuerleben.

Der Chemikonzern Clariant International AG unter Präsident Rolf W. Schweizer (Bild) kommt im Zusammenhang mit seinem umstrittenen Bezug von Zellstoff aus den indianischen Urwäldern Britisch Kolumbiens (BC) nicht zur Ruhe. Am 11. Mai erhielt die Konzernleitung eine Einladung von Nuxalk-Häuptling Qwatsinas, der in der Region Basel schon zweimal über die hemmungslose Zerstörung der indianischen Urwälder durch internationale Holzfirmen berichtet hatte: "Ich möchte Ihnen allen danken, Mr. Peter A. Brandenberg, Dr. Dieter Kreuziger, Dr. Hanspeter, and Mr. Walter Vaterlaus für das Treffen vom 3. April 1998, in der Cafeteria Ihres Hauptquartiers in der Schweiz," leitet der Nuxalk-Chief seine dem Chemiekonzern Clariant per E-Mail gesandte Einladung für Juni oder Juli 1998 nach Britisch Kolumbien ein. Und: "Es wird für Ihr Unternehmen sehr wichtig sein, genau beobachten zu können, wie das zerstörerische Abholzen unserer uralten Regenwälder unsere Umwelt trifft – das Wild, den Lachs, meine Leute und unser traditioneller Lebensstil." Mit der Bemerkung, die Konzernleitung werde nachher das ganze Ausmass der Waldzerstörung sicher verstehen und sie solle doch den Termin ihrer Anreise bekanntgeben, schliesst der Nuxalk-Führer mit "yours truthfully, Qwatsinas".

Clariant bestätigt Eingang der Einladung

Der Sekretär der Clariant Konzernleitung, Walter Vaterlaus, bestätigte am 12. Mai gegenüber "Reports" den Empfang der Einladung. Ob man ihr folgen wolle, sei aber noch nicht besprochen worden.

Zwischen den indianischen und europäischen Verteidigern des vom Kahlschlag bedrohten westkanadischen Regenwaldes und der Clariant International AG hat sich die Lage in letzter Zeit zugespitzt: Nach den zahlreichen, in verschiedenen europäischen Staaten durchgeführten Protestaktionen der letzten Wochen gegen den aus westkanadischen Urwäldern Zellstoff beziehenden Chemiekonzern, hat sich nun Greenpeace in Absprache mit den betroffenen Nuxalk-Ureinwohnern Ende letzte Woche an die Schweizer Geschäftspartner von Clariant gerichtet.

Banken sollen handeln

In Protestbriefen an alle kreditgebenden Banken (UBS, Bankverein, Credit Suisse) sowie an die Schweizerische Rentenanstalt (sie besitzt 6,4 Prozent der Clariant-Aktien) werden die Verantwortlichen informiert und "dringlichst" aufgefordert, "sich dafür einzusetzen, dass die Firma Clariant die von ihr postulierten Umweltrichtlinien einhält und ihren Verpflichtungen zum Schutz der Regenwälder nachkommt". Clariant würde "in gröbster Weise gegen die Umweltprinzipien verstossen", zu der sich die Firma in ihrem 1997 herausgegebenen Zeichnungsprospekt "Kapitalerhöhung und Integration der Spezialitätenchemie von Hoechst" bekannt habe. Scharf kritisiert wird insbesondere der Zellstofflieferant von Clariant, der kanadische Holzkonzern Western Forest Products (WFP). Dieser habe bereits damit begonnen, Schneisen in den bislang unberührten und den Indianern als Nahrungslieferant dienenden Great Bear-Regenwald an der Westküste der Provinz Britisch Kolumbiens (BC) zu schlagen.

Die Clariant International AG in Muttenz, welche ein Untersuchungsteam nach Kanada schickte und schnell von ihrem Lieferanten "umfassende und nachprüfbare Garantien" einholte, um ja kein Zellstoff mehr aus diesem Gebiet geliefert zu erhalten, erklärte kürzlich in einer Pressemitteilung, man strebe eine Unbedenklichkeitserklärung der wegweisenden Holzinstanz Forest Stewardship Council (FSC) an. Man habe sich in den letzten Wochen "massiv für die bedrohten Regenwälder an der kanadischen Westküste eingesetzt", sei doch das allgemeine Ziel des Konzerns "der schonende Umgang mit natürlichen Ressourcen".

Kritiker: "Clariant braucht Feigenblatt"

Dies sei nicht mehr als ein ökologisches Feigenblatt, kontert die Allianz der Umweltschützer und Nuxalk-Indianer, welche ihres Widerstandes wegen diese Woche vor die kanadischen Gerichte müssen. Greenpeace Schweiz fordert in ihrem Schreiben an die Banken, Clariant solle nun dem vorbildlichen Beispiel anderer Konzerne folgen (z.B. Union Carbide, Lenzing, Courtaulds, BBC Worldwide Publishing, Great Mills, Magnet etc.) "und unverzüglich alle Geschäfte mit WFP abbrechen, bis diese Firma die Ausbeutung der Holzvorkommen im Great Bear Rainforest aufgibt".




Hintergrund

"Verkocht nicht unseren Urwald"

Visite aus dem westkanadischen Regenwald beim Chemiemulti Clariant International: Am 3. April bat der Nuxalk-Häuptling Qwatsinas die Konzernleitung, aus indianischen Urwäldern keinen Zellstoff mehr zu beziehen. Clariant, international schon seit Wochen mit der Forderung konfrontiert, versprach Abhilfe und schickte am 10. April eine Delegation nach Kanada. Die Nuxalk aber fordern mehr: "Lasst die letzten Urwälder ganze in Ruhe!"

"Dass ich schon wieder hier sein werde, hätte ich nie gedacht." Exakt ein Jahr ist es her, dass in Basel Häuptling Qwatsinas vom traditionellen Stammesrat der Nuxalk (Westanada) über den drohenden Untergang der Regenwaldindianer in Britisch Kolumbien berichtete und um Hilfe bat. Hilfe gegen Regierung und Holzkonzerne, die den Ureinwohnern mit dem Abholzen der tier- und fischreichen Urwälder die traditionellen Lebensgrundlagen rauben. Am Freitag ist Chief Qwatsinas, der unterdessen die Europäische Union informierte und daheim wegen seines Widerstands gegen das Niedermachen der Nuxalk-Wälder einmal mehr im Gefängnis sass, am Hauptsitz des Chemiekonzerns Clariant International AG in Muttenz von Spitzenmanagern empfangen worden.

Aus Urwald wird Zahnpasta

Clariant bezieht hochwertigen Zellstoff aus den küstennahen Urwäldern Britisch Kolumbiens (BC), verarbeitet ihn zu Zelluloseether, der für die Herstellung von Farben, Putzen, Klebern, Shampoo, Zahnpaste usw. gebraucht und von uns Konsumenten und Konsumentinnen endverwendet wird. Der Häuptling mit dem englischen Namen Ed Moody reiste aber nicht nur nach Muttenz, um den unheimlichen Zusammenhang zwischen Urwaldbäumen und Zahnpasta darzulegen. Er forderte die Clariant-Verantwortlichen klar auf, aus den Urwäldern überhaupt keine Zellstoffe mehr zu beziehen. Eine Forderung, die Clariant International seit dem 23. März schon kennt, da der Chief mit Unterstützung von Greenpeace vor der Clariant GmbH in Wiesbaden gegen die Verarbeitung von Zellstoff aus kanadischem Urwaldholz protestierte: "Verkocht nicht unseren Urwald!" In Deutschland sei Clariant "der grösste deutsche Abnehmer" des kanadischen Holzkonzerns Doman/Western Forest Product (WPF), "der seit Jahren die Regenwälder an Kanadas Westküste kahlschlägt" begründet die Indianer-Greenpeace-Allianz ihr Vorgehen.

Europaweite Proteste

Die Proteste losgetreten haben kanadische Prozesse gegen einige ihre Wälder verteidigende Indianer und Umweltschützer, vor allem aber auch das Vorhaben der in British Columbia agierenden Holzkonzerne Doman/WPF und Interfor, ihre Motorsägen nun auch fleissiger an die bis zu 1000 Jahre alten Zedern und Fichten des Great Bear-Regenwaldes (Ingram Lake-Region) anzusetzen. Unterdessen haben sich die Proteste auf sieben europäische Länder und weitere Konzerne ausgeweitet, welche Holzprodukte aus Westkanada beziehen. Zudem wurde am Montag bei Bremerhafen das mit kanadischer Zellulose und Holz beladene Schiff "Sagawind" blockiert. Im Hintergrund steht jedoch die Grundforderung, die weltweit übriggebliebenen Urwälder (zirka 80 Prozent sind schon weg) gar nicht mehr anzurühren.

In Muttenz, wo die beiden Parteien mit gegenseitigem Respekt verhandelten, bekam Chief Qwatsinas von den Clariant International-Direktoren Peter Brandenberg und Hanspeter Knöpfel zu hören, der Konzern "unterstützt den Schutz der Regenwälder" und seiner Bewohner. Er habe bereits 1995 die kanadischen Zellstofflieferanten aufgefordert, nur Holz aus ökologisch einwandfreien Rodungen zu verwenden. Zudem müssten sie sich jetzt der Zertifizierung der internationalen Holzinstanz Forest Stewardship Council (FSC) unterstellen, was am 26. März nochmals ausdrücklich in einem Brief verlangt worden sei.

Clariant fordert Klarheit

Und schliesslich habe Clariant seinem umstrittenen Geschäftspartner Doman/WFP bis zum 15. April die Frist gesetzt, eine Garantie zu liefern, "dass der an uns gelieferte Zellstoff nicht aus Holz bzw. Holzabfällen des Ingram Lake-Gebietes oder anderer, neuer Einschlaggebiete der Great Bear-Region hergestellt wird." Der Sekretär der Clariant Konzernleitung, Walter Vaterlaus, versicherte gegenüber der "Basler Zeitung", man verfolge ohnehin die Absicht, nur noch nachwachsende Holzkulturen zu verwenden. Jedenfalls aber sei Clariant mit ihrem Zellstoffbedarf im Vergleich zur Papierindustrie "nur ein kleiner Fisch". Nicht in Frage komme eine Kündigung der Verträge mit Doman/WPF oder Interfor, da dies happige Schadenersatzforderungen und die Verletzung der Fair Trade-Idee zur Folge habe. Letztere ist aber für (die nie besiegten) Westküsten-Indianer wie Qwatsinas ein Hohn: Sie fühlen sich als selbstständige, von Kanada unabhängige Nationen, die von Ottawa, der britischen Krone und den Konzernen kolonialisiert und ausgebeutet werden. "Ich bin nicht sicher, ob Clariant unsere existentiellen Probleme wirklich begriffen hat", meinte Qwatsinas nach dem Treffen. Er wie auch Greenpeace-Waldspezialist Christoph Wiedmer wollen, dass Clariant sofort keinen Urwald mehr antasten lässt . Den Konzernverantwortlichen wird jedoch zugute gehalten, dass sie gesprächsbereit sind und schnell erste Massnahmen in die Wege leiteten.

Rückkehr in den Knast

Hierzu gehörte am Sonntag die Abreise eines vierköpfigen Teams aus Konzernmitgliedern, einem unabhängigen Umweltexperten und einem Mitglied des deutschen TÜF nach Kanada. Sie sollen laut Walter Vaterlaus vor Ort die Lage überprüfen und den Zellstofflieferanten einbleuen, nichts mehr aus dem Regenwald des Grossen Bären zu liefern. Chief Qwatsinas fliegt demnächst ins Nuxalk-Land zurück. Nur kurz zur 7jährigen Tochter und zum 5jährigen Sohn - und dann erneut ins Gefängnis: "In Kanada fallen alle 12 Sekunden 4000 Quadratmeter Wald - wenn ich nicht kämpfe, haben unsere Kinder keinen Regenwald mehr."

14. Mai 1998

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(c) by Peter Knechtli