Das Kartoffel-Schutzschild aus dem Genlabor

Schauplatz Genforschung: Wie die Bintje gegen Fäulnis resistenter gemacht wird

Keine Kartoffel ist so beliebt wie die Bintje. Mit einem gentechnologischen Eingriff versucht in Basel ein Forschungsteam, sie gegen ihren ärgsten Feind resistenter zu machen: Die Fäulnis.

Die Insignien pharmazeutischen Wirkens auf der Fahrt durch Basel ins Friedrich Miescher Institut sind unübersehbar: Da die Universität, dort das zu ihr gehörende Biozentrum, wo Professor Walter Gehring mit Gentechnik eine Taufliege mit 14 Augen konstruierte, unten am Rhein die mächtigen Komplexe von Novartis und Hoffmann-La Roche.

Im tiefen Kleinbasel, mitten im Wohngebiet, an der Maulbeerstrasse steht das Friedrich Miescher Institut. 1970 als unabhängiges Forschungsinstitut von den beiden Chemieunternehmen Geigy AG und Ciba AG gegründet, steht es heute Novartis nahe.

Der Bau wirkt trotz seiner mächtigen blauen Initialen "FMI" unauffällig, in seinem Inneren aber arbeiten Forscherinnen und Forscher mit einer hochkomplexen Technik, an der sich die gesellschaftlichen Geister scheiden. Dass hier im Hinblick auf die Genschutz-Abstimmung Nervosität eingekehrt ist, wird schnell erkennbar: An allen Wänden und Anschlagbrettern werden mit Flugblättern Tage der offenen Tür angekündigt - aber auch Warnungen, dass "die Schlacht noch nicht gewonnen ist".

Ein multikultureller Schmelztigel

Das Forschungszetrum mit Weltruf gleicht einem multikulturellen Schmelztigel. Die Mitarbeiterliste dokumentiert Namen globaler Provenienz - auch von Kuba bis Nepal, von China bis zur Ukraine.

An den Türen zu den Labors warnen gelbe Signale vor radioaktiven Stoffen, die zur Markierung gebraucht werden. Im Büro Nummer 110 sitzt Margaret Collinge. Engländerin, 36jährig, Gentechnikerin. Kühn rankt sich eine selbstgezogene Winde das Fenster empor. Die Pflanze, die aber seit mehr als drei Jahren ihre Aufmerksamkeit als wissenschaftliche Projektleiterin geniesst, ist die Kartoffel.

Der Pilz greift an

"Die Kartoffel", sagt Margaret Collinge, "ist eine schwierige Zuchtpflanze". Insbesondere die Bintje, die beliebteste Knollenfrucht, ist anfällig auf Kraut- und Knollenfäule, verursacht durch den Pilz Phytophthora infestans. Diese Krankheit war gar Auslöserin der irischen Hungersnot Mitte des letzten Jahrhunderts.

Solche Risiken will sich die heutige Gesellschaft nicht mehr leisten: Die Nahrungsmittelindustrie braucht für ihre Chips, Krackers und Frites genügend Rohstoff. Hier setzt die Arbeit von Forscherin Collinge und des 20köpfigen, auf die ganze Schweiz verteilten Teams ein: Mit Hilfe der Gentechnik soll der herkömmlichen Bintje ein Abwehrsystem verabreicht werden, das sie gegenüber Pilzbefall wesentlich resistenter macht.

"Weniger Chemikalien in der Landwirtschaft"

Das Projekt von Botanik-Professor Thomas Boller, Teil eines Biotechnologie-Programm des Schweizerischen Nationalfonds, begann vor vier Jahren und soll im Jahr 2000 abgeschlossen sein. Ziel ist eine ökologische Optimierung: Die Reduktion des Chemikalienverbrauchs in der schweizerischen Landwirtschaft, vor allem die Senkung der Fungizidbehandlung.

Rund sechsmal jährlich werden Kartoffeln im konventionellen Schweizer Anbau mit Fungiziden behandelt. Selbst im biologischen Landbau, sagt Margaret Collinge, würden "bis zu fünf Kilogramm Kupfer pro Hektare" eingesetzt.

Schutz-Gene von Gerste, Weizen und Tabak

"Maggie", wie Ihre Kolleginnen und Kollegen sie nennen, räumt durchaus ein, dass auch mit klassischer Züchtung - Kreuzung der Kartoffel mit einer verwandten resistenten Pflanze - der gewünschte Abwehreffekt erzielt werden könnte. Damit verbunden seien aber unangenehme quantitative und qualitative Nebenwirkungen, die erst durch jahrelange Rückkreuzungen beseitigt werden können: Niedriger Ertrag, geschmackliche Beeinträchtigung oder giftige Substanzen.

Um diese Zeit der herkömmlichen Kreuzung und Rückkreuzung - mehr als ein Jahrzehnt - zu "überspringen" hat sich die Gruppe zur Aufgabe gestellt, der Projektpflanze zwei bis drei neue Schutz-Gene von Gerste, Weizen und Tabak einzuführen. Wissenschaftlich ist das Projekt auf gutem Weg: "Ich habe Gene gefunden, die bei Pilzbefall aktiv werden", freut sich Maggie Collinge und spricht von einem massgeschneiderten Einsatz. "Wir streben an, dass das Pilzschutzprotein nur in den zuerst befallenen Blättern produziert wird und nicht in den Knollen."

"Ich persönlich habe keine Angst"

Die angewandte Forschungsarbeit in den Labors, wo die zur Aktivierung der Schutzproteine verantwortlichen "Steuerungselemente" gesucht werden und die PCR-Rationalisierungstechnologie zum Einsatz kommt, ist für den Laien kaum nachvollziehbar. Schon handfester wird es in den Gewächs-Kammern, in denen die promovierte Biologin zu experimentellen Zwecken genetisch unveränderte, aber auch transgene Kartoffeln züchtet.

Hat sie keine Angst bei ihrer Arbeit mit Radioaktivität, toxischen Stoffen und transgenen Pflanzen? Maggie Collinge hält einen Moment inne und sagt: "Ich persönlich habe keine Angst. Wie beim Autofahren gibt es auch im Labor eine Standard-Praxis. Wir passen auf und kontrollieren uns auch gegenseitig."

Zur Arbeit im Gen-Labor gehört die konsequente Verwendung von Handschuhen ebenso wie ein angemessenes Abfallkonzept. Haben transgene Pflanzen das Experiment durchlaufen, werden sie in einem "riesigen Dampfkochtopf" (Collinge) bei einer Temperatur um 121 Grad vernichtet und danach wie "normaler Abfall" entsorgt. Toxische Stoffe werden in Spezial-Containern dem Novartis-Sondermüllofen zugeführt und dort bei 1'500 Grad verbrannt.

"Wir fügen nur einen Teil der Natur bei"

Sie selbst, antwortet sie gelassen auf die entsprechende Frage, wüde ihre transgenen Kartoffeln bedenkenlos essen. "Wir gefährden die Umwelt ja nicht, sondern fügen der Kartoffel nur etwas bei, was ohnehin ein Teil der Natur ist." Für Margaret Collinge ist keine Frage, dass sie, wäre sie Schweizerin, die Genschutz-Initiative ablehnen würde. Denn eine Annahme des Volksbegehrens "gefährdet die Forschung in der Schweiz grundsätzlich. Zudem wäre fraglich, ob unser Projekt weiterfinanziert würde".

Was heute noch in Labors, in den Gewächshausern der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Changins im waadtländischen Nyon und bald auch in französischen Freilandversuchen keimt, könnte schon bald einmal die Aecker der Welt erobern. "Wir hoffen, dass wir bei Projektabschluss in zwei Jahren ein vielversprechendes Produkt haben." Bis zur Marktreife, so die Forscherin, dürften noch fünf bis zehn Jahre vergehen. Wenn sie Glück hat, wird sie dereinst irgendwo auf der Welt Fish'n'chips bestellen und sagen können: Diese Kartoffel habe ich kreiert!

12. Mai 1998

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(c) by Peter Knechtli