"Auch die Arbeiter und Angestellten sind Global players geworden"
Interview mit Fritz Gerber, Präsident und noch bis Jahresende Chef der Konzernleitung von Hoffmann-La Roche
VON PETER KNECHTLI
Die Gewerkschaften seien ultrakonservativ geworden und nicht mehr in der Lage, den Umbau der Wirtschaft mitzugestalten. Dabei seien die Arbeiter und Angestellten selber "Global players" geworden. Dies erklärt Fritz Gerber (68), seit 20 Jahren Präsident und Vorsitzender der Konzernleitung von Hoffmann-La Roche. Ende 1997 tritt Gerber als Chef der Konzernleitung zurück.
Herr Gerber, hat Sie die Fusion von Bankverein und UBS überrascht?
Fritz Gerber: Eigentlich nicht. Vielmehr kam sie relativ spät, weil schon lange erkennbar war, dass die Bank-Infrastrukturen in der Schweiz überdimensioniert sind und sich der weltweite Konkurrenzkampf enorm intensiviert hat.
Wie lange behält Roche ihren Hauptsitz noch in Basel?
Gerber: Wir haben keinen Grund, wegzuziehen - es sei denn, man schaffe Rahmenbedingungen, unter denen man vernünftigerweise nicht mehr forschen kann. Wenn die Genschutzinitiative angenommen werden sollte, werden wir über die Bücher gehen müssen.
Welche Gründe - abgesehen von der hohen Qualität der Forschung - sprechen für Basel als Konzernsitz für Roche?
Gerber: Wir haben in der Region Basel Investitionen in Milliardenhöhe getätigt. Man kann zudem Forschung und Entwicklung räumlich nicht allzu stark trennen. Schliesslich haben wir hervorragende Universitäten und sind kulturell voll in die Region integriert.
Beim Volk stossen Mammut-Fusionen à la UBS, die zuerst einmal den Investoren nützen, auf Unverständnis. Haben Sie keine moralischen Bedenken?
Gerber: Für den Verantwortlichen eines Unternehmens kann ich mir keine schwierigere Aufgabe vorstellen als Arbeitsplätze abbauen zu müssen. Darum versuchen wir, unser Unternehmen dauernd den sich verändernden Verhältnissen anzupassen, bevor wir durch die Umstände gezwungen werden. Es gilt, Staulagen zu vermeiden.
Roche hat, wie jüngst mit Boehringer-Mannheim, auch kräftig zugekauft. Haben Sie die 15 Milliarden Franken schon bezahlt?
Gerber: Nein. Die werden erst bezahlt, wenn wir das grüne Licht aus Brüssel und den USA haben.
Halten Sie es für möglich, dass der Deal doch noch gestoppt wird?
Gerber: Ich glaube nicht. Wir sind von Anfang an davon ausgegangen, dass wir in den USA und in Europa über einzelne Bereiche mit starken Marktanteilen verhandeln müssen. Uebrigens ist aus der Schweiz soeben das grüne Licht eingetroffen.
Muss nicht auch Ihr Pharmabereich entscheidend wachsen?
Gerber: Insgesamt haben wir die kritische Masse, aber auch wir brauchen noch mehr Wachstum. Akquisitionen tätigen wir jedoch nicht wegen des Volumens, sondern um Know how und neue Technologien zu nutzen. Schon mit dem Biotechunternehmen Genentech taten wir einen Quantensprung. Durch den Erwerb - für 300 Millionen Dollar - und die Weiterentwicklung der weltweiten Patente für die PCR-Technologie ist es uns gelungen, eine Idee in Produkte und Systeme umzusetzen. Heute ist diese Technik, die unter anderem die Wirksamkeit von Medikamenten beim Patienten misst, unser Bereich mit dem stärksten Wachstum. Ohne diese Technologie hätten wir beispielsweise unsere Aids-Mittel Invirase und Fortovase nicht realisieren können.
Sie sind der Repräsentant einer Wirtschafts-Aera, die sich von der Club-Atmosphäre zum gnadenlosen Ueberlebenskampf verändert hat.
Gerber: Ich bin von einfacher Herkunft und war nie "Club-Member", auch das sogenannte Establishment interessierte mich nicht speziell. Früher gab es ein Gentleman-Verhalten, ein Wort war ein Wort. Heute gilt das nicht mehr in gleichem Mass. Insgesamt ist die Konkurrenzsituation härter und gnadenloser geworden. Kommt man mit einem neuen Produkt auf den Markt, so ist schon der Konkurrent da, der es zu diffamieren versucht. Da scheint eine neue Generation andere Werte zu setzen. Ich will aber nicht die Vergangenheit idealisieren. So hatte man früher etwa in Insider-Fragen nicht dieselbe strenge ethische Haltung wie heute.
Der Börsenwert von Roche hat sich unter Ihrer Führung fast verdreissigfacht. Wie führt man einen Weltkonzern während zwei Jahrzehnten so erfolgreich?
Gerber: Ich hatte vielleicht ein Gefühl für zeitgerechtes Handeln, und das läuft häufig gegen den Trend. Das Entscheidende ist aber, sich einer Aufgabe voll hinzugeben. Man muss bereit sein, die ganze Verantwortung zu übernehmen, und nicht nicht nur die Privilegien und Sonnenseiten. Wichtig war mir zudem immer, eine attraktive Atmosphäre für begabte Mitarbeiter zu schaffen und jungen Leuten die Chance zu geben, ihre unternehmerischen Fähigkeiten zu entwickeln. Führen heisst zudem, das Recht zugestehen, Fehler zu machen.
Ist die Kumulierung zweier tonnenschwerer Mandate als Präsident der Roche und gleichzeitig der "Zürich"-Versicherungen heute noch denkbar?
Gerber:Bei mir hat es sich einfach so ergeben. Bei der Grösse der heutigen Unternehmen ist eine solche Doppelposition kaum noch modellhaft.
Sie waren Artillerie-Regimentskommandant. Wie weit war militärische Karriere eine Voraussetzung, um bei Roche und "Zürich" Karriere zu machen?
Gerber: Wir standen der Armee immer sehr positiv gegenüber. Aber der militärische Grad ist bei Einstellungen kein Thema. So war Rolf Hüppi, den ich als "Zürich"-Chef aufgebaut habe, Füsilier. Auch habe ich noch nie einen Examenabschluss angeschaut. Franz Humer, meinem Nachfolger als Chef der Konzernleitung, habe ich nach zwei oder drei vertieften Gesprächen angestellt. Er hat von mir nicht einmal etwas Schriftliches in der Hand.
Wovon lassen Sie sich bei Ihren Personalentscheiden leiten?
Gerber: Im Zentrum stehen für mich Charakter und Persönlichkeit. Daran entscheidet sich die Frage, ob eine Vertrauensbasis entstehen kann. Man muss ja nicht die ganze Rösti essen, um zu wissen, ob sie gut ist. Ich gehe sicher nicht zum Graphologen.
Haben Sie sich nie überfordert gefühlt?
Gerber: Sicher habe ich tausend Fehler gemacht, aber ich kam nie in eine Schieflage. Bei der Affäre um die Seveso-Fässer war es jedoch besonders schwierig, mit dem Verdacht einiger Medien zu leben, wir wüssten schon, wo die Fässer versteckt seien. Meine damalige Haltung war klar: Wenn wir das Problem nicht lösen können, dann trete ich im Interesse des Unternehmens zurück.
Haben Sie in Ihrer Karriere einen wichtigen Entscheid gefällt, den Sie heute offen bereuen?
Gerber: Ja, natürlich. Ich denke an einzelne Leute, von denen ich mich früher hätte trennen müssen.
Welche Eigenschaften qualifizieren Franz Humer als neuen Roche-Konzernchef?
Gerber: Sein beruflicher Werdegang. Als Oesterreicher hat er früh in verschiedenen Ländern Auslanderfahrung gesammelt. So hat er, kaum vierzigjährig, Glaxo England geführt. Mit 48 Jahren wurde er als COO die Nummer zwei des Gesamtkonzerns. Da muss ich nicht mehr lange darüber nachdenken, ob er fachlich gut ist. Der Rest ist seine Persönlichkeit.
Ist die Schlussfolgerung gestattet, dass Ihnen Franz Humer in wenigen Jahren auch als Präsident des Verwaltungsrates folgen wird?
Gerber: Dieser Entscheid wird Sache des Verwaltungsrates sein. Sicher ist er ein Kandidat, das ist gar keine Frage. Herr Humer trat seine Stelle per Handschlag an, ohne von mir Versprechungen zu haben.
Wo liegen für Roche die grossen Herausforderungen der nahen Zukunft?
Gerber: Wir müssen vor allem innovativ bleiben und wollen in unseren Marktbereichen zu den Spitzengesellschaften der Welt zu gehören. Ich schliesse nicht aus, dass es in einzelnen Bereichen auch künftig wieder Akquisitionen gibt. Immer wichtiger werden auch die Lizenzen und strategischen Allianzen, weil das Forschungsspektrum so breit geworden ist und kein Unternehmen alles allein machen kann.
Wann haben Sie zum letzten Mal mit einem Roche-Fabrikarbeiter gesprochen?
Gerber: Vor vierzehn Tagen, bei einem Gespräch mit der Arbeiterkommission.
Wissen Sie aus erster Hand, wie die Stimmung im Betrieb ist?
Gerber: Das wäre vermessen. Ich glaube auch, dass die ganze Wahrheit nicht immer zum Verwaltungsratspräsidenten vordringt. Aber ich kenne die grosse Verunsicherung in Europa und in der Schweiz. Ebenso bin ich mir bewusst, dass in unserem Hause die Akquisition von Boehringer Mannheim zusätzliche Unsicherheit schafft, weil uns die staatliche Bürokratie monatelang warten lässt.
Mitarbeiter klagen, die firmeninterne Kommunikation sei so schlecht, dass es schwierig sei, sich als Teil eines Gesamtunternehmens zu fühlen.
Gerber: Das verstehe ich. Angesichts der zahlreichen gesetzlich vorgeschriebenen Informationspflichten und der Eins-zu-eins-Berichterstattung in den elektronischen Medien ist eine umfassende Vorabinformation aller Mitarbeiter einfach nicht mehr möglich.
Können Sie als Sohn eines Schreinermeisters die Aengste Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor dem Stellenverlust noch nachvollziehen?
Gerber: Mein Vater, der von der Krise der dreissiger Jahre stark geprägt war, empfahl mir mit den Worten "Da hast Du eine Pension!", Postverwalter zu werden. Emotional hat er mir nie ganz verziehen, dass ich als "rächte Bärner" beruflich nach Zürich zog. Ich bin auf dem Lande aufgewachsen und weiss, was es bedeutet, seine vertraute Umgebung aus beruflichen Gründen verlassen zu müssen. Aber heute wird jeder Wechsel als feindlich betrachtet. Dabei beinhalten Veränderungen immer auch Chancen.
Ihr langjähriger Personalchef Guido Richterich sagte einmal, es brauche in der Schweizer Arbeitswelt eigentlich gar keine Gewerkschaften. Sehen Sie das auch so?
Gerber: Das Unternehmen braucht repräsentative Vertreter der Arbeiter und Angestellten. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass wir offene, gute Beziehungen haben. Die Gewerkschaften können eine wichtige Funktion erfüllen, aber sie sollten nicht ein Instrument zur fundamentalistischen Besitzstandwahrung werden.
Welches ist die Rolle, die moderne Gewerkschaften heute spielen sollten?
Gerber: Die Gewerkschaften zeigen derzeit einen Ultrakonservativismus und sind nicht in der Lage ist, den Wandel anzunehmen. Dabei müssten sie akzeptieren, dass nur ein gutes Investitionsklima neue Arbeitsplätze schafft. Bestehende Arbeit neu zu verteilen, darüber kann man reden, aber Werte schafft das keine. Nur mit neuen Arbeitsplätzen hat auch die Jugend wieder eine Zukunft. Die Gewerkschaften müssen offener werden gegenüber der Tatsache, dass wir uns der grossen globalen Konkurrenz stellen müssen. So haben wir heute auf dem Vitamin-Weltmarkt plötzlich chinesische Konkurrenz, mit der wir früher nicht gerechnet hatten.
Globalisierung, sagte dieser Tage ein bürgerlicher Basler Regierungsrat im Zusammenhang mit der Banken-Fusion, sei ein "Schlagwort".
Gerber: Es war lange Zeit ein Schlagwort, heute ist die Globalisierung überall Realität. Welcher Arbeiter macht in der Schweiz Ferien? Ich kenne keinen globaleren Marktvorgang als das Studium internationaler Ferienprospekte. Auch die Arbeiter und Angestellten sind "global players" geworden.
Die Schweiz tut sich indessen schwer mit Europa. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie die bilateralen Verhandlungen?
Gerber: Mit einem schlechten Gefühl. Es geht jetzt darum, die letzte Chance wahrzunehmen, eine Vereinbarung mit Europa zu treffen.
Was machte die Schweiz bisher falsch?
Gerber: Unsere Konkordanz ist heute nicht mehr entwicklungsfähig. Die politischen Führungsverantwortlichen agieren teilweise sehr populistisch und leben in der ständigen Angst vor dem Referendum, das auch Mittel der politischen Erpressung sein kann. Wenn beispielsweise die Genschutz-Initiative angenommen würde, wäre das eine ganz grosse Tragik für die Schweiz, die schon die Informationstechnologie verpasste.
Mit Gen-Food hat das Volk tatsächlich Mühe. Setzt die Pharmaindustrie hier mit Milliarden-Investitionen nicht allzu blind auf eine letztlich nicht gesellschaftsfähige Technik?
Gerber: Die Gentechnologie ist nur noch in der Schweiz umstritten. Die Deutschen haben schon ganz stark geschwenkt, in Amerika ist sie komplett akzeptiert. Seit mehr als zwanzig Jahren wird in den USA Gentechnik betrieben und es ist noch nie zu irgendeinem Unfall oder Schadenereignis im Zusmmenhang mit der Gentechnologie gekommen.
Besteht nicht die Gefahr, dass sich gegenüber fundamenlistischer Kritik eine ebenso fundamentalistische Befürwortung aufbaut, die genauso propagandistisch wirkt wie die pauschale Ablehnung?
Gerber: Natürlich bringt uns die Holzhammer-Methode nicht weiter. Aber die Gentechnolgie bietet einen ganz neuen Zugang zu Krankheiten. Man entdeckt dadurch Therapiemöglichkeiten für Krankheiten wie Aids, die ohne Gentechnolgie nicht denkbar gewesen wären.
Welches ist Ihr Verhältnis zu Paul Sacher, dem Repräsentanten der Besitzerfamilien?
Gerber: Paul Sacher ist ein faszinierender Renaissance-Mensch, der mir enorm viel gegeben hat. Durch ihn habe ich auch Freundschaft mit vielen Persönlichkeiten wie dem Musiker Mstislav Rostropowitsch geschlossen, denen ich ohne Paul Sacher nicht begegnet wäre.
Stimmt unser Eindruck, dass Sie Paul Sacher bewundern?
Gerber: Ja, natürlich.
Wer ist nach Paul Sacher dazu bestimmt, die Eigentümerfamilien nach aussen zu repräsentieren?
Gerber: Während vielen Jahren war die dritte Generation mit Lukas Hoffmann und Jakob Oeri im Verwaltungsrat aktiv. Heute nimmt auch die vierte Generation ihre Aufgabe sehr ernst.
Herr Sacher vertritt ein Vermögen von gegen 16 Milliarden Franken. Laut "Bilanz" kommen Sie auch auf 200 bis 300 Millionen. Würden Sie der Schätzung widersprechen?
Gerber: Die kommentiere ich nicht.
Frau Vreneli Künzli-Dreyer von damals aus der Sekundarschule Huttwil im Emmental würde gern wieder einmal eine Klassenzusammenkunft abhalten, an der Sie auch teilnehmen.
Gerber: Ich werde dabei sein, sobald mein Terminkalender es zulässt. In jener Klasse ist ja auch mein hochverehrter alter Schulschatz. Aber es ist nicht d's Vreneli.