Die Schweizer Batzen fliessen aufs Konto statt in den Konsum

Spar-Boom auf Rekord-Höhe bringt Banken neue Gelder in Milliardenhöhe

Die unsicheren Konjunkturprognosen heizen die Sparwut in der Schweiz unvermindert an: Die Banken melden im Jahr 1996 neue Mittelzuflüsse in Milliardenhöhe - ein Trend, der ihnen nicht nur Freude bereitet.

Die Schweizer Sparstrümpfe sind prallvoll: Unsicherere Wirtschaftsprognosen, zunehmende Arbeitslosigkeit und Druck auf die Löhne machen den Schweizerinnen und Schweizern den Entscheid leicht, ihre Batzen lieber zu horten als zu verjubeln.

Alle drei Grossbanken bestätigen, dass die seit 1991 ohnehin hohe Sparquote vergangenes Jahr weiter angestiegen ist. Spitzenreiter ist der Schweizerische Bankverein, in dessen Filialen letztes Jahr zusätzliche drei Milliarden Franken Spargelder auf den Konti landeten. Der Zuwachs um 15,6 Prozent liegt nach Angaben von Pressesprecher Rudolf Bürgin fast um das Doppelte über dem Wert des Vorjahres.

Der Sprecher präzisiert, dass es sich beim Milliarden-Zuwachs nicht nur um neue Einlagen handelt: "Dieser Saldo beinhaltet auch Umwandlungen aus Kassenobligationen." Laut firmeninternen Schätzungen darf aber der "grössere Teil" des Zuwachses den Neueinlagen angerechnet werden. Allein die Einlagen in die steuerfreie Dritte Säule wuchsen vergangenes Jahr um 350 Millionen Franken.

Auch die Schweizerische Bankgesellschaft und Credit Suisse bestätigen die anhaltende Beliebtheit des Volks-Sports sparen. Allerdings bemerkte die SBG laut Sprecher Robert Vogler eine "deutlich schwächeren Zunahme gegegenüber dem Vorjahr". Vogler weist darauf hin, dass auf den Sparkonten derzeit auch "unechte Spargelder" liegen - etwa aus Festgeldern oder Kassenobligationen. "Diese Gelder werden dann rasch wieder abgezogen, sobald die Situation kehrt und sich ertragsstärkere Anlagemöglichkeiten auftun."

Gemäss Sprecher Andre-Lou Sugar sind bei Credit Suisse "die Sparguthaben pro Konto erneut gewachsen". Eine besonders starke Aktivität sei im Bereich der Vorsorge festzustellen. So seien letztes Jahr die durchschnittlichen Bestände auf jedem Zinsstufen-Sparkonto um 3'000 Franken gewachsen. Allerdings schränkt Sugar ein, dass vor der Mittelstand spart und kaum die breite Schicht der unteren Einkommen (vgl. Kasten).

Unterschiedliche Entwicklungen melden die klassischen Sparbanken. Die Coop-Bank registrierte bloss eine "leichte Zunahme" an Konten und Heften. "Es gibt aber immer noch einen Spargeldzufluss", sagte Direktor Gustav Gass, Leiter Anlagen und Sparen, der SonntagsZeitung. Gleichzeitig aber stellt auch er eine starke Umlagerung bestehender Sparguthaben in ertragsstärkere Produkte fest.

So büsste die schmalbrüstige Zinskategorie Sparen fünf Prozent ein. Dafür wuchs die Sparte Anlagekonto um fünf Prozent, wobei die Coop-Mitgliederanlagen (CMA) ein besonders starkes Wachstum verzeichnen. Um über 30 Prozent stiegen die Privatkonto-Bestände. "Das ist der Renner!", freut sich Gass darüber, "dass unsere Strategie aufgeht": Die Kunden honorieren, dass die Coop-Bank auf allen Privatkonten keine Bankspesen verrechnet, was faktisch den Ertrag steigert und beispielsweise Kantonalbanken zur Nachahmung animiert.

"Ganz verrückt" ist der Kommentar zum gegenwärtigen Spartrend von Erich Hort, dem Zentraldirektor der Migros-Bank, in der Hochkonjunktur herrscht. Die sechstgrösste Sparbank der Schweiz eröffnete allein vergangenen Dezember jeden Tag 400 neue Sparkonti. Nach Horts Angaben floss der Bank letztes Jahr rund eine Milliarde Franeken neuer Spargelder zu, was einer Rekordzunahme von 13,7 Prozent entspricht.

Hort weiss auch, weshalb die Kunden bei ihm Schlange stehen, um eines der verschiedenen Produkte vom Senioren- über das Jugend- bis zum Salärkonto zu eröffnen: "Wir zahlen ein halbes Prozent mehr Zins und das merkt der Kunde mit der Zeit."

Auch wenn dennoch bloss 2,75 Prozent Zins winken, scheinen die Sparkonti gegenüber längerfristigen Anlagen dem derzeitigen Bedürfnis liquider Kleinanleger voll zu entsprechen: Lieber etwas weniger Zins, dafür schnell verfügbares Kapital.

In der Analyse sind sich die Fachleute einig. Migros-Bank-Chef Erich Hort: "Es fehlen die positiven Impulse. Der Detailhandel steckt in der Krise und für das laufende Jahr ist mit einem Nullwachstum zu rechnen. Diese unsichere Zeit mahnt die Leute zur Vorsicht." Der vielleicht geplante Autokauf wird verschoben, das Wunschkleid erweist sich als entbehrlich, das Eigenheim als Wunschtraum. Ein Banker: "Der eine oder andere merkt, dass er alles hat, was er braucht. Der Erneuerungsbedarf ist nicht da."

Doch die Banken stehen dem durch Konsum-Abstinenz verursachten Spar-Boom mit einem lanchenden und einem weinenden Auge gebenüber. Einem SBV-Product-Manager ("Wir könnten unbeschränkt Spargelder entgegennehmen") bereitet es "natürlich Freude", wenn die Batzen in seine Banken rollen: Jeder neue Kunde verstärkt den Marktanteil und ist potentieller Interessent eines zusätzlichen Produkts.

In die Freude mischen sich aber gleichzeitig schwere Bedenken gegenüber den fatalen volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Sparwut: Das "Angstsparen" verhindert den Aufschwung, denn der Aufschwung beginnt mit dem Konsum. Der SBV-Manager: "Die Vorratshaltung ist ein Zeichen der Krise."

Die zinsgünstige Migros-Bank beschäftigt bereits noch eine andere Schattenseite des Geldersegens. Zentraldirektor Erich Hort: "Wenn das Volumen der Spargelder noch stärker zunimmt, dann bekommen wir ein Problem mit der Anlage." Hans Peter Ammann, der Generalsekretär der Basler Kantonalbank, teilt diese Einschätzung: "Es würde für uns wesentlich schwieriger, diese Gelder zu attraktiven Konditionen zu placieren." Es käme dann zu Interbanken-Anlagen, die weit weniger interessant sind als die üblichen kommziellen Anlagen wie das Hypothekengeschäft.

So beisst sich die hingebungsvolle Spargemeinde letztlich in den eigenen Schwanz: Die Zinssätze auf ihren Guthaben geraten in Bewegung - nach unten.

"Es spart, wer noch sparen kann"

Kurz-Interview mit Urs Ruoss, bei Credit Suisse verantwortlich für das Kundensegment-Management Individualkunden

Sparen alle gesellschaftlichen Schichten in gleichem Mass?

Urs Ruoss: Wir beobachten zumindest, dass der Durchschnittsbürger bei uns besser rechnet, weniger Geld auf dem Lohnkonto liegen lässt und es schneller auf einem zinsattraktiveren Sparprodukt anlegt.

Welche gesellschaftliche Schicht spart am meisten?

Ruoss: Wer heute noch Geld auf die Seite legen kann, sind weniger jene Lohnbezüger, die 4'500 Franken netto verdienen, sondern eher die Besserverdienenden.

Welche Bereiche wachsen besonders stark?

Das Vorsorgesparen boomt - Stichwort: unsichere Zukunft der AHV. Wir stellen fest, dass immer mehr Leute das Maximum dessen einzahlen, was auf dem Vorsorgekonto 3a möglich ist. Zudem profitieren heute Hauseigentümer viel häufiger als in der Vergangenheit davon, indirekt zu amortisieren, indem sie auf ein Dritte-Säule-Konto einzahlen und damit das Finanzierungsmodell der Vorsorge-Hypothek in Anspruch nehmen.

Das heisst, dass Sparen ist zum Volkssport des Mittelstands und für die Mehrheit der Lohnbezüger zum Luxus geworden ist.

Ruoss: Durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten ist es tatsächlich nicht mehr einfach, zu sparen. Vielen bleibt am Monatsende fast nichts oder gar nichts mehr übrig. Auch unsere Volkswirtschafter können ohne weiteres beweisen, dass der normale Schweizer Haushalt Mühe hat, überhaupt etwas auf die Seite zu legen. Richtiger ist darum die Aussage: Es spart, wer noch sparen kann. Dabei dürfte es sich um einen sinkenden Anteil der Lohnbezüger handeln.

Wie lange hält der Spar-Trend noch an?

Ruoss: Wir vermuten, dass auch in der kommenden Zeit nicht mehr Kapital in den Konsum fliesst, vor allem, weil sich das Sparverhalten in den Vorsorgebereich verlegt.

24. Januar 1997

Zurück zu Wirtschaft
Zurück zur
Hauptseite

(c) by Peter Knechtli