Der Gelbe Riese zeigt plötzlich Biss

Der internationale Postbereich geht mit aggressiver Vorwärtsstrategie in die Offensive

Jetzt geht auch die Post in die internationale Offensive: Nach dem Scheitern einer Beteiligung am Distributions-Multi GDEW/TNT setzt der Gelbe Riese auf Expansion aus eigener Kraft.

In den letzten zwei Jahren suchte die Schweizer Post den Anschluss an die globale Wachstums-Schiene durch Einstieg in den Logistik-Multi General Delivery Express Worldwide. Geplant war eine namhafte Beteiligung an diesem Verbund der Postverwaltungen von Deutschland, Frankreich, Kanada, Holland und Schweden, der in einem Joint venture mit dem australischen Distributionsmulti TNT kooperiert.

Doch dann warf die Post das Handtuch. Sprecher Claude Gisiger: "Die finanzielle Bedingungen stimmten nicht, das uns abverlangte Einkaufskapital war zu hoch."

Durch das Scheitern der Beteiligung verloren die Schweizer angesichts der stürmischen Entwicklung an der internationalen Marktfront wertvolle Zeit: Die private Konkurrenz legte Marktanteile zu, während die Post ihr EMS ("Express Mail Service"), Hauptprodukt für international tätige Geschäftskunden, in der Hoffnung auf gedeihliche Partnerschaft im weltweiten Verbund "fast fahrlässig verlauerte" (so ein Post-Insider).

Dabei ist dieses Geschäft durch die Globalisierung der Märkte besonders entwicklungsfähig: Der Gütertransfer hat immense Ausmasse erreicht und im Online-Zeitalter "ist die Geschwindigkeit fast wichtiger als der Preis" (Gisiger). Bei Schnelldiensten rechnet die Branche mit jährlichen Wachstumsraten von 15 Prozent.

Ob bei Kurier- und Expressdiensten oder Standard-Paketsendungen, der Wettbewerb dieses bereits deregulierten internationalen Bereichs spielt seit Jahren in voller Härte. Tendenz: zunehmend. Umworben sind kleinere und mittlere Unternehmen ebenso wie volumenstarke Geschäftskunden und ihre Dokumente und Waren bis 30 Kilogramm Gewicht. Die Post, mit 17 Prozent Marktanteil Nummer zwei im internationalen Expressgeschäft, hat es gleich mit mehreren starken Konkurrenten zu tun, die zusammen rund zwei Drittel des Schweizer Exportmarktes beherrschen:

* Mit dem unbestrittenen Marktführer DHL Worldwide Express (Marktanteil in der Schweiz: 37 Prozent) und einem Volumen von rund einer Million Express-Sendungen pro Jahr in der Schweiz. Sehr stark im Dokumentenbereich.

* Mit dem weltweit grössten Distributeur UPS ("United Parcel Service"). Marktanteil: 14 Prozent. Trotz massiver Verluste in Europa trachtet UPS mit aggressiver Strategie auf dem alten Kontinent die klare Nummer eins des internationalen Kurierdienstes zu werden.

* Mit General Delivery Express Worldwide und ihrem australischen Partner TNT (14 Prozent Marktanteil). Interessante strategische Allianz, auch wenn Deutschland, Frankreich und Kanada aus dem Verbund zurückgetreten sind.

* Mit Federal Express (8 Prozent Anteil). Stark vor allem in den USA, gab das innereuropäische Geschäft aus Verlustgründen auf, soll diesen Bereich möglicherweise aber bald wieder aufnehmen.

Wog sich der staatlich gelenkte Gelbe Riese in den letzten Jahrzehnten mit seinen Standardangeboten in Sicherheit, setzt die Post International als erste der sechs neugeschaffenen Geschäftseinheiten in einem Mass Dampf auf, dass Generaldirektor Jean-Noel Rey seine Freude haben kann.

Die Pöstler kennen keine "Benützer" mehr, sondern Kunden. Der Markt wird intensiv beobachtet. Innovationen folgen Schlag auf Schlag. Produkte werden aufgefrischt, ergänzt oder neu entwickelt. Ein Kadermann: "Es ist in den letzten Monaten ein eigentlicher Paradigmawechsel im Gang."

Beim Wandel vom Paketadministrator zum Wettbewerbsteilnehmer hatten ungewollt auch private Integrators die Hand im Spiel: Mit Peter Kellner (42) steht heute der ehemalige schweizerische TNT-Geschäftsführer an der Spitze der Geschäftseinheit Post International. Auch mehrere erfahrene Top-Verkäufer warb die Post in den letzten Monaten bei der privaten Konkurrenz ab: Ihr Job ist es, bei multinationalen Grosskunden die neue Dynamik der Post und die Vorzüge ihrer Produkte und Dienstleistungen zu markieren. Das war bisher nicht so. Dem klar zukunftsträchtigen EMS fehlte bis vor kurzem jeder interne Support. Doch neuerdings kümmern sich Verkaufs-Profis aktiv um die Vermarktung dieses Angbots, das in den nächsten zwei Jahren "als Synonym für Schnelligkeit und Zuverlässigkeit" zum Flaggschiff der internationationalen Division ausgebaut werden soll.

Ab 1. November wird ein stark erneuerter EMS mit verkürzten Lieferfristen, Geld-zurück-Garantie, besserer Versicherung, einfacherer Zollabfertigung und Sendungsverfolgungssystem angeboten. Das Ziel: Umsatzsteigerung von gegen 30 Prozent und Gewinn zusätzlicher Marktanteile.

Einen Vergleich mit den bisher vorauseilenden Privattransporteuren braucht die Post dann nicht mehr zu scheuen: Dokumente, die beispielsweise bis 17 Uhr in Zürich aufgeben werden, sind am Morgen des folgenden Tages bis spätestens 12 Uhr beim Empfänger in New York City.

Gleichzeitig baute der Staatsbetrieb gegenüber der Konkurrenz Berührungsängste ab. Eine Stelle, das Network-Management, beschäftigt sich bei Post International eigens mit Suche und Erprobung der optimalsten Partner. Nostalgische Rücksichten auf Blutsverwandtschaft gehören der Vergangenheit an. Gisiger: "Wenn unsere Qualitätsansprüche durch Postverwaltungen nicht erfüllt werden können, dann schliessen wir Verträge mit andern Partnern." Im Klartext: Wo private Distributeure besser und schneller sind als die bisherigen Staatspost-Verbündeten, kommen sie zum Zug.

Gleiches auch für das in einer günstigeren Preisklasse liegende neue EMS-Schwesterprodukt "Priority Business": Seit 1. Oktober wird diese gehobene Dienstleistung in den zehn wichtigsten Exportländern der Schweiz mit 100 Grossunternehmen getestet. Die flächendeckende Feinverteilung sei auch in ländlichen Gegenden "ohne Aufpreis selbstverständlich", spielt die Post einen Haupttrumpf in einem Werbepapier aus. Ist der Zuspruch gut, wird "Priority Business" ab Anfang 1997 regulär eingeführt.

Bei der ausgebrochenen Dynamik erstaunt nicht, dass die Post jetzt gar ins internationale Direct Marketing einsteigt, das zu den Werbemethoden mit den grössten Wachstumsraten gezählt wird: Adressierte Mailings ins Ausland, weltweite Geschäftsantwortsendungen und ganze Systemlösungen bis hin zum Versand bestellte Waren.

Kreativität und gutes Preis-Leistungs-Verhältnis sind überlebenswichtig: In der Schweiz, glaubt ein Branchenkenner, "teilen sich das internationale Postgeschäft bis im Jahr 2000 noch zwei bis drei grosse Anbieter auf".

25. Oktober 1996

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(c) by Peter Knechtli