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© Foto by Survival International

"Seit Jahrhunderten verfolgt":
Angehörige des Volkes der San

Richterliches Erbarmen mit den vertriebenen San der Kalahari

In diesen Wochen kehren in Botswana die ersten Urvolk-Gruppen in ihre Halbwüste zurück

VON RUEDI SUTER

Dem ältesten Volk im südlichen Afrika, den San, werden zusehends die Lebensgrundlagen entzogen. Nun aber hat der Oberste Gerichtshof Botswanas in einem sensationellen Urteil den deportierten Buschleuten der Kalahari das Recht auf die Rückkehr in ihre Heimat zugestanden: Für die seit Jahrhunderten verfolgten San ein Grund, etwas zuversichtlicher in die Zukunft zu blicken.

"Heute ist für uns Buschmänner der glücklichste Tag. Wir haben so lange aus Trauer geweint, doch heute weinen wir aus Freude!" Die glücklichen Worte eines San fielen am 13. Dezember 2006 vor den Toren des Obersten Gerichtshofes von Botswana in der Stadt Lobatse. Ausgesprochen von Tobee Tcori alias Roy Sesana, dem weltbekannten Vorsitzenden der Menschenrechts-Organisation "First People of the Kalahari".

Ursache seiner ungewohnten Freude war ein mit Bangen erwartetes Gerichtsurteil zur Lage der allerersten Bewohner Botswanas. Und dieses gab dem seit April 2002 gegen die Regierung klagenden Urvolk Recht: Die Vertreibung und der Rauswurf der San aus ihrer Heimat, der Kalahari, sei "ungesetzlich und verfassungswidrig" gewesen. Die Indigenen dürften zurück und in ihrem Land, das von der Regierung "Central Kalahari Game Reserve" genannt wird, ihr Leben verbringen. Sie dürften, sofern sie es wollten, wieder als Jäger und Sammler umherziehen - so, wie es ihre Vorfahren seit etwa 30'000 Jahren gemacht haben.

"Ich werde den Kindern lernen, Nahrung zu finden"

Bereits wenige Tage später, am 18. Dezember, anerkannte die Regierung von Präsident Festus G. Mogae das Verdikt der obersten Richter formal. Einige der vertriebenen San warteten nicht lange, packten ihre wenigen Sachen und machten sich gleich auf den Weg zurück in ihre Heimat, die Kalahari-Gegend um Metsiamenong und Molapo. Doch Park-Ranger versperrten ihnen den Weg. Die Beamten, wurde später erklärt, sollen über das Gerichtsurteil nicht informiert worden sein. So konnten erst Mitte Januar die ersten San-Familien in die Halbwüste zurück. "Wir haben viele Jahre auf diesen Moment gewartet und jetzt kommen wir endlich heim. Ich werde für meine Familie ein paar Hütten bauen und meinen Kindern lernen, wie man Nahrung findet", zitiert die Menschenrechtlerin Miriam Ross von Survival International einen Buschmann.

Mit einer der Gründe für das unerwartete Gerichtsurteil dürfte der zunehmende Druck der internationalen Gemeinschaft gewesen sein. Denn was sich im Sanland Botswanas abspielte, war spätestens im Dezember 2005 bei der Verleihung des Alternativen Nobelpreises in Stockholm an den damals gerade aus der botswanischen Beugehaft entlassenen Tobee Tcori einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden: Dem vielfach gebeutelten Wildbeutervolk droht nach Jahrhunderte langer Verfolgung der Untergang.

Entwurzelung durch "Zivilisierung"

Darauf machte Tobee Tcori, der heute 77 Jahre alte Medizinmann und Repräsentant der 1992 gegründeten Organisation "First People of the Kalahari", seit Jahren aufmerksam. In Afrika, aber auch auf Reisen nach Europa und in die USA, wo er 2004 im US-Kongress, beim Permanenten Forum indigener Völker der Vereinten Nationen in New York sowie bei indianischen Partnerorganisationen über die Hintergründe der Vertreibung der San informierte. Tobee Tcori, der international unter dem eher Englisch tönenden Namen Roy Sesana bekannt wurde und der San-Untergruppe der Gana und Gwi angehört, machte unbeirrt auf die Menschenrechtsverletzungen an seinem Volk aufmerksam. Dabei brachte er die Vertreibung aus der zentralen Kalahari in erster Linie mit der fortschreitenden "Zivilisierung" der San durch die Zentralregierung in Verbindung (vgl. seine Rede).

Was der afrikanische Ureinwohner an Problemen und Sorgen schilderte, entspricht in den grossen Zügen dem, was allen der ausgesprochen genügsamen Jäger- und Sammlervölkern dieser Erde zu schaffen macht: Das Fehlen von Selbstbestimmungsrechten innerhalb der sie kolonisierenden Nationalstaaten, die rücksichtslose Besetzung und Ausbeutung ihrer natürlichen Lebensräume durch Fremde und die erzwungene oder schleichende Entwurzelung ihrer Wildbeuter-Kulturen durch die technische Zivilisation.

Von den Kolonialisten wie Affen gejagt

Die San-Völker des südlichen Afrikas dürften, so die Schätzungen, einst gegen 400'000 Menschen umfasst haben. Die europäischen Kolonialisten brachten Abertausende von San ums Leben, Buren und Hottentotten jagten sie buchstäblich wie Affen. Tausende wurden versklavt oder in unwirtliche Gebiete wie die riesige Kalahari gejagt, wo die Indigenen ausgeklügelte Überlebenstechniken entwickelten. Wie viele San es noch genau gibt, ist nicht klar. Jedenfalls sollen bis heute zwischen 60'000 und 100'000 San überlebt haben. Sie sind über weite Teile des südlichen Afrika verteilt, wobei Botswana mit etwa 48'000 Angehörigen das Land mit der grössten Gruppe darstellt, gefolgt von Namibia (etwa 32'000), Angola (6'000), Südafrika (4'300), Sambia (300) und Simbabwe mit rund 2'500 Menschen.

Einst Nomaden, die in Kleingruppen frei durch riesige, unbesiedelte Gebiete streifen konnten, fristen heute die meisten San als Arbeitslose oder Farm- und Minenarbeiter ihr Dasein. Derzeit können, sofern sie nicht als "Wilderer" verhaftet werden, nur noch die wenigsten als Jäger und Sammler überleben. Wie bei den Aborigines Australiens, den Indianern Amerikas und anderen, vom "Fortschritt" überrollten indigenen Völkern fühlen sich viele San verloren. Viele leiden unter Diskriminierungen, Entwurzelung, Anpassungsdruck, Alkohol, Geschlechtskrankheiten und Depressionen.

Hoch komplexe Klicklaut-Sprache

Die kleingewachsenen San sprechen mit ihren Klicklauten eine der kompliziertesten Sprachen dieser Welt, und sie kennen keine Hierarchien. Mehr noch: Sie sind vorbildliche Überlebenskünstler, deren gesamter Besitz ursprünglich nicht mehr als zwölf Kilos wog und die mit einem absoluten Minimum an Wasser und Nahrung auskommen. Die Wildtiere sind für sie Mitwesen, Verwandte, und deshalb jagen sie nur, was sie gerade brauchen. Mit Giftpfeilen, Speeren oder Schlingen, die sie regelmässig überprüfen. Das Profitjagen jener Wildererbanden ist ihnen fremd, die Hunderte von Schlingen auslegen und oft erst nach Tagen leeren, um die illegalen Fleischmärkte der Städte zu versorgen.

Dass die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit speziell auf die Situation der San in Botswana gelenkt wurde, ist nicht zuletzt Survival International und ihrem Direktor Stephen Corry zu verdanken. Die britische Menschenrechts-Organisation kämpfte jahrelang verbissen um die Rechte der Kalahari-San und ihre Bantu-Nachbarn, die Bakalagadi, welche vor etwa 400 Jahren zu den San gestossen waren. Survival International versuchte, teils mit Erfolg, die UNO, die EU und die USA sowie Prominente wie Erzbischoff und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, die Schauspieler Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Angelina Jolie und Julie Christie für die Sache der bedrängten Buschmänner zu gewinnen.

Ein Bohrloch wurde zum Auslöser neuer Probleme

Im Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen dem Urvolk und der Regierung Botswanas steht das 52'600 km2 grosse "Central Kalahari Game Reserve" (CKGR). Eine gewaltige Wildnis mit beträchtlichem Wildbestand und seltenen Wildpflanzen (vgl. Kasten zur Hoodia-Pflanze), die 1961 von der Britischen Kolonialverwaltung "eingerichtet" und geschützt worden war und den San und Bakalagadi als neue "Heimat" dienen sollte. Diese hatte allerdings einen folgenschweren Nachteil: Sie wies kaum Oberflächenwasser auf und der Flüssigkeitsbedarf musste in der Trockenzeit auch aus Tau, Früchten und Tieren gedeckt werden. Für die in kleinen Gruppen jagenden und sammelnden San war dies bislang aber kein unlösbares Problem.

Doch dann kam der Fortschritt - in Form eines Bohrlochs, das sich der Ranger George Silberbauer 1961 in der Ortschaft Xade zur Deckung seines Wasserbedarfs bohrte. "Das brachte versehentlich den Ball ins Rollen", folgert James Suzman vom Afrikan Studies Centre der Cambridge Universität in einer ausführlichen Studie über die komplexen Vorkommnisse um das CKGR. Die neue Quelle wurde während der Trockenzeit zum begehrten Ziel vieler San.

Plötzlich waren die alten Jäger kriminelle Wilderer

Später führte sie zum Bau weiterer Wasserstellen, und um Xade siedelten sich immer mehr Angehörige des Urvolks an. 1982 baute die Regierung eine Schule und ein Gesundheitszentrum. Mehr und mehr San begannen sich an das etwas bequemere Leben zu gewöhnen. Sie nomadisierten weniger, bauten ein paar Felder an, legten sich Ziegen und Esel zu und gingen nun auch mit Pferden und Hunden auf die Jagd.

Solches und mehr wiederum veranlasste die Regierung in der Hauptstadt Gaborone, die Modernisierung der "rückständigen" San ins Auge zu fassen und ein Entwicklungsprogramm durchzusetzen, das die Indigenen zum Verlassen des Reservats "ermuntern" sollte. Dazu gehörten auch Jagdverbote, was die nach wie vor auf die Jagd angewiesenen San jählings kriminalisierte und empfindlich traf. Die Regierung wollte aber auch in der Landrechtsfrage keinen Präzedenzfall schaffen und den San ein Exklusivrecht über die Zentralkalahari einräumen, da alle Volksgruppen Botswanas "indigen" seien.

Diamanten als Segen und Fluch

So erklärte sie, die San seien in der eigens neu errichteten Siedlung New Xade ausserhalb des Reservats mit der Sozial-, Gesundheits- und Wasserversorgung und den Schulen weit besser dran. Ab 1996 - Botswana war im Begriff, dank seinen Diamantenminen zu einem der reichsten Staaten Afrikas aufzusteigen - begann Gaborone seine Umsiedlungspolitik mit Gewalt umzusetzen.

1997 wurden 1'740 Menschen nach New Xade umgesiedelt (wovon an die 100 später wieder zurückgingen). Weitere 530 San weigerten sich, das alte Xade zu verlassen. Doch 2002 kappte die Regierung die Strom-, Wasser- und Nahrungsversorgung sowie ihren Sozial- und Gesundheitsdienst. Dies wie auch die den Sicherheitskräften von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen vorgeworfenen und teils belegten Vergehen (willkürliche Verhaftungen, Folter und Drohungen) führten schliesslich im April 2002 zur Einreichung der Klage, die jetzt vom Obersten Gerichtshof gut geheissen wurde.

Menschenrechtler statt Beamte und Geschäftemacher im Visier

Der wahre Grund, weshalb die von den Betroffenen als paternalistisch und arrogant empfundene Regierung die San aus dem "Central Kalahari Game Reserve" raus haben wollte, liege nicht in ihrer Sorge um die Ureinwohner, argwöhnen Tobee Tcori und Survival International. Der wahre Grund seien die Bodenschätze im Untergrund der Kalahari - insbesondere die Diamantenvorkommen. An ihr sei die 1991 gegründete Bergbaufirma Debswana, die unterdessen rund 50 Prozent der botswanischen Staatseinkünfte sicherstellt und zur Hälfte dem südafrikanischen Diamantenkonzern De Beers gehört, insgeheim mächtig interessiert. Geologische Karten der Regierung und Weltbank-Pläne liessen diesen Schluss zu. Beide Firmen versichern aber, derlei Absichten seien ihnen völlig fremd.

Kritiker werfen der rührigen Survival International vor, sie würde die komplizierte Situation der San, die allein in Botswana in über 60 Umsiedlerdörfern ihr Dasein fristen, zu nostalgisch beurteilen und mit unzulässigen Vereinfachungen die Werbetrommel für das Urvolk und sich rühren. Viele San seien selber schuld, wenn sie von den Segnungen der Zivilisation nicht Gebrauch machten oder nicht regelmässig zur Arbeit gingen. Vorwürfe, die leicht aus der Sicht der "Zivilisierten" gemacht werden können, aber keineswegs dem völlig anderen Weltbild und Gefühlsleben der Jäger und Sammler entsprechen.

Anpassung als letzte Überlebenstaktik

Trotz des positiven Urteils des Obersten Gerichtshofs werden es die San auch nach ihrer Rückkehr in die Kalahari äusserst schwer haben. Ein Leben, wie sie es früher führten, ist für die meisten kaum mehr möglich. Zu gross ist bereits ihre Abhängigkeit vom Staat und den bescheidenen Annehmlichkeiten wie zum Beispiel nur schon eine permanente Wasserquelle. Und die natürlichen Ressourcen der Kalahari sind auf die Dauer auch zu klein.

Dem Urvolk bleibt wohl nichts anderes übrig als sich mehr anzupassen, ohne seine Traditionen zu verlieren. Hilfreich sind dabei Projekte wie die von der "Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz" unterstützte Schule für Kinder und Jugendliche im San-Kultur- und Bildungszentrum von !Khwattu, wo San-Kinder für das moderne Leben in Afrika und für die Förderung ihrer kulturellen Identität als Buschleute lernen.

Bleibt zu hoffen, dass die San - auch mit Hilfe einer geläuterten Regierung - ihr altes Wissen in die Neuzeit retten können. Und dass sie das Zentral Kalahari-Wildschutzgebiet nach ihren Vorstellungen schützen und vielleicht sogar gewinnbringend für einen nachhaltigen Tourismus nutzen können. Das könnte ihnen und ihren Kindern helfen, in der so völlig anderen Welt der Moderne Tritt zu fassen - ohne sich gleichzeitig selbst ganz an sie ausliefern zu müssen.

Die Rede des San-Führers Tobee Tcori, Träger des Alternativen Nobelpreises


  > APPETIT AUF APPETIT-ZÜGLER


rs. Die Appetit zügelnden Eigenschaften der Pflanze Hoodia im südlichen Afrika kennen die San schon seit Jahrhunderten. Denn Hoodia, eine Sukkulente, ist ein traditionelles und häufig verwendetes Mittel der jagenden und sammelnden Buschleute: In Zeiten der Not wird sie gekaut, um den Hunger zu unterdrücken. Aus diesem Wissen wollte nun ein südafrikanisches Forschungsinstitut das grosse Geschäft machen.

Ohne Wissen der San liess das Institut den Appetit zügelnden Wirkstoff patentieren. Nachdem sie ins Bild gesetzt worden waren, erstritten sich die San eine Beteiligung an den Gewinnen. Doch bereits sind andere Hoodia-Produkte auf dem Markt, die keine Lizenz des Patentinhabers haben und sich auch nicht auf eine andere Vereinbarung mit den San stützen können. Deshalb haben die Ureinwohner des südlichen Afrikas 2006 die Regierungen in der Schweiz und Deutschland aufgefordert, gegen den illegalen Verkauf von Diät-Produkten auf der Basis von Hoodia vorzugehen.

Ein Brief ging auch an den damaligen Schweizer Bundespräsidenten Moritz Leuenberger. Er verwies darauf, dass ohne das Einverständnis der San und ihre faire Beteiligung an den Gewinnen kein Hoodia-Produkt auf den hiesigen Markt gelangen dürfe. Dies gebiete die Biodiversitäts-Konvention. Das Begehren der San wird in der Schweiz von der Entwicklungsorganisation "Erklärung von Bern" vertreten. Das Recht auf eine faire Aufteilung des Nutzens sei bis heute ein "Papiertiger" geblieben, kritisierte die Organisation. Und ihr Sprecher François Meienberg erklärte: "Es sollte selbstverständlich sein, dass die Schweiz ihre Pflichten als Nutzerin von genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen ernst nimmt und den San zu ihren Rechten verhilft."



18. Februar 2007

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