Home Seite drucken Seite als Link verschicken Tiefer graben! Hier steckt mehr dahinter Kommentar zu Story an OnlineReports senden
Suchen: go!
 
Tipp für Stories | Hier werben | Story übernehmen


Wollen Sie Freunde oder Bekannte auf diesen Artikel aufmerksam machen?
Oben auf das kleine "Briefchen"-Symbol klicken.


© Fotos by Matthias Brunner

"Blut fliesst kaum": Betäubtes Pferd vor Eingriff

Hightech-Einsatz bei Pferde-Operation

Hautnah dabei, als der Stute Enza in der Grosstierklinik ein Knochensplitter entfernt wurde

VON MATTHIAS BRUNNER

Nicht nur Menschen, auch Tiere müssen gelegentlich auf den Schragen: In der Grosstierklinik Stohler + Partner AG in Biel-Benken werden jährlich rund 1'000 Pferde stationär behandelt. OnlineReports-Autor Matthias Brunner, selbst ein leidenschaftlicher Reiter, beschreibt, wie sein eigenes Pferd mit Hightech-Methoden operiert wurde - und wie ihm beim Beobachten zumute war.

Seit zwei Monaten hatte meine spanische Stute Enza am linken Hinterbein gelahmt und trotz Schonung war keine Besserung eingetreten. Die erste Diagnose des Tierarztes lautete auf eine Sehnenscheidenentzündung. Doch die anschliessenden Röntgenaufnahmen des Fesselgelenks und die Ultraschalluntersuchung brachten die tatsächliche Ursache für die Lahmheit zutage: Die Sehnen waren zwar unverletzt, doch am Gleichbein war ein Knochenstück abgesplittert. Daher rührte auch die Entzündung und die Lahmheit.

Möglicherweise ist mein 12-jähriges Pferd beim Aufstehen in seiner Boxe ausgerutscht und hat sich dabei verletzt, als es mit der Hinterhand gegen die Boxenwand getreten hat. Letztlich lässt sich aber die Ursache für den Bruch nicht genau nachvollziehen. Für mich bedeutet diese Diagnose zuerst einmal ein Schock. Was sind die Konsequenzen? Hat meine Stute Enza überhaupt noch eine Überlebenschance? Was nun?

Arthroskopischer Eingriff

Pferdetierarzt Thomas Stohler rät mir zu einem operativen Eingriff als einzige Möglichkeit, das Tier behalten zu können. Früher wäre eine solche Diagnose das endgültige Todesurteil gewesen. Doch die Veterinärmedizin hat sich mit den Jahren derart entwickelt, dass heute selbst Hightech-Medizin zum Einsatz kommt.

Damit sich das Pferd wieder beschwerdefrei bewegen und damit es erneut geritten werden kann, muss das Knochenfragment operativ entfernt werden. Thomas Stohler entschliesst sich dazu, den Eingriff arthroskopisch - also mittels einer Sonde - durchzuführen. "Es handelt sich dabei um eine minimal-invasive Methode", begründet Stohler die Entscheidung zu diesem Vorgehen. Der Vorteil ist, dass der operative Eingriff mit geringem Blutverlust verbunden ist nur eine relativ kleine Wunde hinterlässt.

Mit dem Kran auf den Operationstisch

Doch vor Operationsbeginn muss das Pferd erst einmal sediert und anschliessend anästhesiert werden. Damit sich die Stute Enza nicht zu sehr darüber aufregt, was gleich mit ihr geschehen wird, erhält sie bereits in der Boxe der Klinik eine Beruhigungsspritze und Antibiotika gegen allfällige Infektionsgefahren verabreicht, ausserdem bereits jetzt ein entzündungshemmendes sowie ein muskelerschlaffendes Medikament.

Schon nach kurzer Zeit zeigt das Beruhigungsmittel seine Wirkung: Enza beginnt zu taumeln, bis sie sich schliesslich schwer atmend hinlegt. Jetzt wird ihr eine Maulsperre eingesetzt, damit sie während der Operation nicht an der eigenen Zunge erstickt und danach problemlos ein Schlauch zur Intubation eingeführt werden kann.

Doch wie bringt man 500 Kilogramm Lebendgewicht auf den Operationstisch? Das inzwischen regungslose Pferd wird an allen vier Beinen mit Seilen befestigt und mittels eines Kranzuges vorsichtig auf den überdimensionalen Operationstisch gehoben, der mit dicken Polstern versehen ist. Diese sind deshalb notwendig, da sonst das Pferd durch sein eigenes Gewicht zu Schaden kommen könnte. Für mich ist der Anblick meiner vierbeinigen Kameradin, wie sie so reglos in der Luft hängt, schaurig, da er in mir Assoziationen zum Schlachthof weckt. In diesem Moment bin ich froh, mich auf meine professionelle Arbeit konzentrieren zu müssen und möglichst gute Fotos vom Geschehen zu knipsen.

Genau wie in der Humanmedizin, ist Sauberkeit das erste Gebot. So wird der hintere Körperteil des Pferdes mit einem grünen Tuch zugedeckt, die Ärzte tragen Operationskleidung und Mundschutz. Sämtliches Operationsbesteck ist steril verpackt. Trotzdem kann dieser Operationsraum natürlich nicht mit jenem für Menschen verglichen werden. Absolute Sterilität ist in der Veterinärmedizin kaum möglich.

Die glasigen Augen irrtieren mich

Nun führt Verena Bracher, Veterinärin und Mitbesitzerin der Klinik, einen Schlauch in den Schlund des Pferdes, über den gleichzeitig ein Anästhesiegas und Sauerstoff zugeführt werden. "Enza träumt nun irgendetwas", schmunzelt Bracher. Die Narkose ist heikler als bei Menschen. "Jedes Pferd reagiert anders", erklärt die Tierärztin. Ein Pferd, das sich sehr aufregt, brauche eine höhere Dosis an Narkosemitteln als eines, das ruhig bleibt. Auf das Körpergewicht allein kann also bei der Dosierung nicht abgestellt werden. Während der ganzen Operation wird Bracher die Narkose überwachen. Besonders das Kreislaufsystem muss dabei aufmerksam im Auge behalten werden. Ab einer Operationsdauer von über vier Stunden werde es auf jeden Fall kritisch für das Pferd.

Doch Enza schlummert anscheinend selig vor sich hin. Tief und schwer amtet sie ein und aus, wie man an dem sich abwechslungsweise aufblasenden und zusammenfallenden Ballon am Ende des angeschlossenen Gerätes erkennen kann. Zur Sicherheit erhält sie allerdings zusätzlich eine Lokalanästhesie direkt in das zu operierende Bein. Gleichzeitig erhält sie über eine Infusion Ringerlösung, um dem Flüssigkeitsverlust vorzubeugen.

Der leere Blick aus den glasigen Augen von Enza irritiert mich. Was mag wohl in ihr nun tatsächlich vorgehen? Ab und zu streicht ihr Bracher eine Salbe in die Augen, damit sie während der Operation nicht austrocknen.

Hightech-Methode aus der Humanmedizin

Zwei Assistentinnen haben inzwischen das ganze Operationsfeld rund um das Fesselgelenk rasiert. Dann nimmt Operateur Markus Wilke den ersten Schnitt mit dem Skalpell vor. Er ist spezialisiert auf arthroskopische Eingriffe und hat schon in einer grossen amerikanischen Klinik operiert. "Wir benützen diese Technik seit etwa zehn bis fünfzehn Jahren", erklärt Thomas Stohler. Vor allem in der Orthopädie komme diese Methode bevorzugt zum Einsatz. Trotzdem ist eine derartige Operation nicht alltäglich und bleibt eine aufwändige und diffizile Angelegenheit.

Durch die kleine Hautöffnung führt Wilke sorgfältig das Arthroskop ein. Die Sonde verfügt über eine Minikamera mit einer starken Leuchte, womit sich das Innere des Beines über einen Bildschirm betrachten lässt. Vorsichtig tastet sich Wilke mit dem Hightech-Gerät vorwärts, während er den Weg auf dem Monitor mitverfolgt. Mir erscheint die Übertragung aus dem Innenleben des Pferdes wie eine Fahrt durch eine fremde Welt.

Der Operateur ist höchst konzentriert bei der Arbeit. Es dauert eine ganze Weile, bis er schliesslich die verletzte Bruchstelle durch all das Gewebe, die Nervenstränge und Bänder lokalisiert hat. Doch das Knochenfragment erweist sich als zu gross, um es in einem Stück zu entfernen. Mit einer Art Mini-Kneifzange entfernt der Chirurg Stück für Stück des abgesplitterten Knochenteils über einen zweiten Stichkanal. Jetzt ist viel Fingerspitzengefühl gefragt.

Blut fliesst dabei kaum, da die Schnittstelle minimal ist. Dabei wird die Wunde auch ständig über die erste Sonde ausgespült, wohl nicht zuletzt auch deshalb, um auf dem Monitor eine klare Sicht auf das Operationsgebiet zu haben. Nach anderthalb Stunden ist es geschafft: Alle Knochenfragmente sind draussen. Mit ein paar wenigen Nadelstichen werden die zwei kleinen Löcher geschlossen. Zum Schluss wird das frisch operierte Bein mit einem dicken Verband versehen.

Wie der Sparringpartner beim Boxtraining

Mit dem Kranzug wird Enza anschliessend in die dunkle Aufwachboxe transportiert. Dies ist nochmals eine heikle Phase. Denn wenn das Pferd aufwacht, ist es zunächst völlig orientierungslos und schutzlos. Da Pferde Fluchttiere sind, möchten sie möglichst schnell aufstehen und sich aus der fremden Umgebung so schnell wie möglich entfernen. In dieser Situation reagieren manche Pferde panisch. Dadurch könnten sie sich beim Aufstehen leicht selber gefährden.

Um solchen Verletzungen vorzubeugen, sind die Boxenwände mit Gummi ausgepolstert. Zusätzlich bekommt Enza einen Kopfschutz verpasst, ähnlich wie der Sparringpartner beim Boxtraining. Danach entfernen sich alle anwesenden Personen und das Licht wird gelöscht. Die Dunkelheit und Stille sollen auf das Pferd beruhigend wirken.

Gespannt beobachte ich Enza durch einen kleinen Spalt in der Türe. Hoffentlich geht alles gut, denke ich dabei. Bereits nach etwas mehr als einer Viertelstunde steht Enza - zwar noch ziemlich wacklig - auf ihren vier Hufen. Geschafft! Die Stute zittert am ganzen Körper und scheint noch sichtlich benommen. Es dauert eine Weile, bis sie ihren Gleichgewichtssinn wiedererlangt hat. Etwas erleichtert, aber mit wackligen Knien begleite ich sie in die Boxe, wo sie auch gleich damit beginnt, etwas Stroh zu knabbern.

Langwierige Genesungsphase

Drei Tage bleibt Enza noch in der Klinik zur Überwachung, dann darf sie endlich wieder in den heimischen Stall zurück. Die Operation ist zwar erfolgreich verlaufen, doch erst in einigen Monaten wird sich zeigen, ob das beschädigte Fesselgelenk wieder seine vollständige Beweglichkeit und Belastbarkeit erlangt.

Wie schnell der Heilungsprozess verläuft, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Das Problem besteht vor allem darin, dass das Pferd nun keine abrupten Bewegungen machen sollte und weder Sprünge vollführen noch sich zu wilden Galoppaden hinreissen lassen sollte. Doch leider kann man das ja dem Pferd schlecht erklären. So bleibt Enza in der ersten Zeit in der Boxe eingesperrt, um ihren natürlichen Bewegungsdrang zu bremsen. Nur ein kleiner Auslauf von wenigen Quadratmetern vor dem Stall steht ihr zur Verfügung, damit sie wenigstens ein bisschen etwas von der Umgebung wahrnehmen kann und nicht zu sehr dem "Boxenkoller" verfällt. Anschliessend braucht es eine sorgfältige Aufbauphase und langsame Angewöhnung, bis die Vierbeinerin endlich wieder mit ihren Artgenossen auf die Weide darf.

Komplikationen

Die Operation, die mit Voruntersuchungen einige tausend Franken kostete, fand im Juni letzten Jahres statt. Hat sie sich gelohnt? Eines ist sicher: Ohne die Operation hätte meine Stute kaum eine Überlebenschance gehabt. Trotz sichtlichen Fortschritten gab es aber Komplikationen, indem Enza eine Sehnenscheidenentzündgung bekam. Die genaue Ursache dafür steht nicht fest. Derzeit ist vorsichtiges Einlaufen angesagt.


  > 1'000 PERDE PRO JAHR

In der Region Basel und im angrenzenden Elsass befinden sich etliche Reitställe mit mehreren tausend Pferden. Aus diesem Grund hat sich der Veterinär Thomas Stohler auf diese sensiblen Vierbeiner spezialisiert und 1993 die Grosstierklinik Leimental in Biel-Benken gegründet.

In seiner Tierklinik werden pro Jahr rund 1'000 Pferde stationär behandelt. Häufig kommen Pferde wegen Koliken, Hufrehen und Problemen am Bewegungsapparat in die Klinik. Ausserdem werden Kastrationen sowie künstliche Befruchtungen vorgenommen. Dazu kommen die ambulanten Behandlungen.


31. Januar 2007

Ihre Meinung?
E-Mail-Button



www.onlinereports.ch
© Copyright by Peter Knechtli und den Autorinnen und Autoren.
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar
und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.