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© Fotos zVg / Beat Stauffer / OnlineReports


"Unbeackertes Feld": Biologe Willi Büttiker mit Ehefrau Sonya auf Expedition in Saudi-Arabien

Willi Büttiker: Vom Parasitologen zum Wüstenforscher

Ein Porträt des Fricktaler Biologen, der sich eine international bedeutsame Parasitensammlung aufbaute

VON BEAT STAUFFER

Im Jahr 1938 begann Willi Büttiker aus Rheinfelden, Lausfliegen aus Brutkästen von Vögeln zu sammeln. Vergangenes Jahr übergab der mittlerweile hoch dekorierte Naturwissenschafter seine neu bearbeitete, international bedeutende Sammlung von Parasiten dem Naturhistorischen Museum Basel. Das Porträt eines überaus reichen Forscherlebens, das seine Erfüllung in den Wüstengebieten der Arabischen Halbinsel gefunden hat.

Willi Büttiker, Schweizer Biologe und Parasitologe von Weltrang, übergab seine Parasitensammlung vergangenes Jahr dem Naturhistorischen Museum Basel – nach 67 Jahren Sammler- und Forschertätigkeit. Auch in Zukunft will er weiter forschen und publizieren. Denn sein Hauptwerk, die Fauna der Arabischen Halbinsel, ist noch nicht zu Ende gebracht. Ein Portrait eines Forschers von altem Schlag.

Ein neugieriger Gymnasiast

Angefangen hatte alles kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Ein damals 17-jähriger Gymnasiast, der sich durch Exkursionen des örtlichen Vogelschutzvereins für die Natur und ihre Geheimnisse begeistern liess, fasste sich ein Herz und schrieb einem Professor in Berlin. Der hiess Wolfdietrich Eichler und hatte eigentlich anderes zu tun, als mit einem Schüler aus dem aargauischen Rheinfelden in Korrespondenz zu treten. Doch beim zweiten Versuch erhielt Willi Büttiker, den seine Kollegen aufgrund seines Interesses für Insekten auch mal leicht spöttisch "Chäfer-Willi"nannten, tatsächlich eine Antwort aus Berlin.

Wenig später brach der Krieg aus. Willi Büttiker erhielt wieder Post aus Berlin – und diente fortan als "Briefkasten" für die internationale Korrespondenz von Professor Eichler mit anderen Parasitologen auf der ganzen Welt und für den Austausch von wissenschaftlicher Literatur. Der Gymnasiast finanzierte diese Postdienste aus dem eigenen Sackgeld und durfte als Gegenleistung jeweils ein Exemplar der wissenschaftlichen Schriften für sich behalten. Sie wurden zum Grundstock seiner eigenen Bibliothek. Diese Rolle, die er damals als junger Mann übernehmen durfte, erfüllt Büttiker noch heute mit einem gewissen Stolz.

Wie es zur Parasitensammlung kam

Büttiker begann eine Sammlung von Parasiten anzulegen, die er in den darauf folgenden 67 Jahren ständig erweiterte. Heute ist es eine der bedeutendsten Parasitensammlung Europas. Mit Hilfe einer Zoologin ergänzt und revidiert erfasst, ging die einige hunderttausend Exemplare umfassende Sammlung in den Besitz des Naturhistorischen Museums Basel über.

Für die meisten Zeitgenossen dürften Parasiten nicht anderes als lästige oder gar widerliche Naturphänomene darstellen; das öffentliche Interesse an Büttikers wertvollem Geschenk wird sich aller Voraussicht nach in Grenzen halten. Der Schenkende kann mit dieser Geringschätzung für sein Fachgebiet leben. Schon als Adoleszent wurde er aufgrund seiner Interessen oft als Sonderling wahrgenommen. Damit lebt man wohl, wenn man sich ein Leben lang mit Federlingen, Läusen, Taukäfern, Zecken, oder Stechmücken beschäftigt.

Es ist das Wissen das Fachmanns, der nur milde lächeln kann über die Ignoranz seiner Mitmenschen in diesen Dingen, die für unserem Alltag – von der Erregung bis zur Übertragung schwerster Krankheiten - eine herausragende Bedeutung haben. Vor allem aber hat Willi Büttiker als Forscher, weltweit tätiger Berater und Experte ein so spannendes und erfülltes Leben geführt, wie es nur wenigen Menschen vergönnt ist. Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde Willi Büttiker denn auch mit einer ganzen Reihe von hochkarätigen Ehrungen ausgezeichnet. Dazu gehören etwa die Pawlovsky-Medaille der russischen Akademie der Wissenschaften und die Ehrendoktorwürde der Universität Basel. Fast ebenso wichtig, so der Eindruck, sind die Ehrentitel, die dem bescheidenen Forscher aus dem Fricktal in fremden Ländern zuteil wurden. "Painschiri" – so stark wie fünf Löwen – hätten ihn seine Berufskollegen 1956 in Afghanistan einst genannt, als er im Auftrag der WHO als Malariaexperte tätig war.

Über Stechmücken doktoriert

Die wissenschaftliche und berufliche Laufbahn Büttikers, der vor 60 Jahren sein Studium in Naturwissenschaften an der ETH in Zürich abschloss, zwei Jahre später über das Thema "Stechmücken" doktorierte und anschliessend in die Dienste der damaligen J. R. Geigy trat, ist derart reichhaltig und vielschichtig, dass es an dieser Stelle unmöglich ist, mehr als nur ein paar der wichtigsten Eckpfeiler herauszugreifen.

Büttiker stand während über 30 Jahren im Dienst verschiedener internationaler Firmen der Agrochemiebranche und beschäftigte sich in erster Linie mit der Entwicklung und Anwendung von neuen Pestiziden. Im Rahmen dieser Tätigkeit bereiste Büttiker die halbe Welt. Er arbeitete im damaligen Südrhodesien, dem Sudan, Südafrika und Mauritius, befasste sich etwa mit der Bekämpfung von Schädlingen auf Zuckerrohr-, Baumwoll-, Tabak- und Zitrusplantagen, wirkte als Berater für Hygiene, Landwirtschaft und Tiergesundheit. Daneben nahm Büttiker immer wieder die Möglichkeit wahr, als Berater in internationalen Organisationen mitzuwirken. So betrieb er im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO Malaria-Prophylaxe und -bekämpfung in Afghanistan, Sri Lanka, Burma und Indochina - äusserst strapaziöse und zum Teil lebensgefährliche Missionen.

Nach diesen "Wanderjahren" kehrte die mittlerweile fünfköpfige Familie Ende der fünfziger Jahre in die Schweiz zurück, wo Büttiker in der J. R. Geigy AG, später in der Ciba während Jahren als Leiter der Abteilung Pestizide wirkte und dort für Forschung und Entwicklung und anschliessend für den Bereich "Internationale Beziehungen" der Division Agrochemie zuständig war.

Das Glück in Arabien

Eine bedeutende Zäsur in diesem unerhört arbeitsreichen Leben, die sich im Nachhinein als Glücksfall herausstellen sollte, erfolgte im Jahr 1975. Büttiker erhielt die Möglichkeit, im Auftrag der Ciba-Geigy in Saudi-Arabien das Grossprojekt "Öffentliche Hygiene" wissenschaftlich zu begleiten. Anlass waren die prekären hygienischen Verhältnisse in den rasant gewachsen grösseren Städte im saudischen Königreich. Um drohende Epidemien und andere Risiken zu verhindern, sah die Regierung keine andere Möglichkeit, als die Siedlungen aus der Luft und vom Boden aus mit Insektiziden zu besprühen. Gleichzeitig wurden Massnahmen ergriffen - etwa im Bereich der Abfallentsorgung - um derartige Methoden in Zukunft entbehrlich zu machen.

Das Projekt war auf sieben Jahre befristet. Schon in den ersten Monaten wandte Büttiker neben seinem eigentlichen Auftrag einer ganz anderen Aufgabe zu: Der Erforschung der noch weitgehend unbekannten Tierwelt des Landes. Der unermüdlich tätige Zoologe hatte nämlich im Königreich der Ibn Saud eine wahrhafte "Terra incognita", ein unbeackertes Feld angetroffen. Da war noch ein Stück des Planeten, das sich in der Art eines Humboldt in Feldarbeit erforschen liess. Und Büttiker stürzte sich, tatkräftig unterstützt von seiner Frau Sonya - seiner, wie er stets beteuert, "besten Assistentin" - in das wissenschaftliche Abenteuer.

Eine Gattung namens "Buettikeriana"

Tausende von Stunden verbrachte das Ehepaar Büttiker in den folgenden Jahren im Innern der arabischen Halbinsel, in Sand-, Salz- und Steinwüsten, in ausgetrockneten Flusstälern und in den ausgedehnten Gebirgslandschaften. Anfänglich zu zweit, später in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftern sammelten und bestimmten sie alle Lebewesen, denen sie habhaft werden konnten und vermerkten minutiös alle Daten, die für die Forschung von Bedeutung sind. Die Ausbeute war gross. Allein Büttiker und seine Frau entdeckten zwei bis anhin unbekannte Tiergattungen und rund einhundert Arten: Als "Buettikeriana" bzw. "buettikeri", in ein paar wenigen Fällen auch "sonyae" tragen diese heute die Namen ihrer Entdecker.

Auf der Basis dieser Forschungstätigkeit entstand eine ambitiöse wissenschaftliche Reihe, die Büttiker initiiert hatte, während 30 Jahren massgeblich prägte und der er bis heute als "Managing Editor" angehört: Die "Fauna of Arabia", ein mittlerweile 20 Bände umfassendes Werk, an dem bis heute gegen 400 Wissenschafter mitarbeiteten.

Zweifel an den "Wundermitteln"

Als seine Mission über die öffentliche Hygiene nach sieben Jahren zu einem Ende kam, nutzte Büttiker die Gelegenheit, sich vorzeitig pensionieren zu lassen und damit aus dem Dienst des Basler Chemiemultis auszutreten. Für den Biologen Büttiker war dies eine Lösung eines Gewissenskonflikts, den ihn zunehmend belastete. Denn so sehr Büttiker in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg von der segensreichen Rolle des DDT und der Pestizide generell überzeugt war und ehrlich glaubte, damit einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Hunger und Leiden in der Welt zu leisten, so deutlicher schlichen sich in späteren Jahren Zweifel ein. Die Nebenwirkungen all der "Wundermittel" konnten dem Biologen und passionierten Naturbeobachter unmöglich verborgen bleiben. In der chemischen Industrie, so sagt Büttiker im Rückblick, wollte man all die kritischen Berichte lange nicht wahrhaben. Die gesellschaftliche und politische Dimension seines Handelns als Wissenschafter, meint Büttiker selbstkritisch, hätten aber auch ihn in diesen Jahren nur am Rand beschäftigt; neben einem "150-Prozent-Job" und unzähligen Inspektionsreisen ins Ausland sei dafür schlicht kein Raum mehr gewesen.

Als die saudi-arabische Regierung Büttiker das Angebot unterbreitete, während mehreren Jahren als wissenschaftlicher Berater/Experte in allen Belangen des Natur- und Umweltschutzes für das Königreich tätig zu werden, zögerte er keinen Augenblick. War es für den passionierten Naturliebhaber und Forscher die einmalige Chance einer "Wiedergutmachung" für die Natur, die sich ihm anbot?

Grosse Schutzgebiete ausgeschieden

Büttiker stürzte sich auf jeden Fall mit grosser Begeisterung in seine neue Aufgabe, arbeitete "Tag und Nacht" an der Erforschung der Fauna Saudi-Arabiens, deren bester Kenner er mittlerweile geworden war. Vor allem aber unterbreitete er der königlichen Umweltschutzfachstelle nach langen Abklärungen eine Liste mit 40 besonders wertvollen Landschaften, die unter Schutz gestellt werden sollten. Dass seine Vorschläge im Jahr 1985 grösstenteils gutgeheissen und in der Folge Schutzgebiete und Nationalparks mit einer Gesamtfläche von rund 100'000 Quadratkilometern ausgeschieden wurden, erfüllt Büttiker mit grosser Genugtuung.

Heute verfügt Saudi Arabien über eine beachtliche Anzahl von Schutzgebieten, die professionell gemanagt und streng überwacht werden und ist damit in dieser Hinsicht im Mittleren Osten führend. An dieser Erfolgsgeschichte hat der "Vater des Bartes", wie Büttiker von seinen saudischen Freunden gerne genannt wurde, einen grossen Anteil.

Ein Verteilkampf um Erdöl und Wasser

Die Stunden verstreichen beim Gespräch mit Sonya und Willi Büttiker in ihrem Haus im aargauischen Magden, wo sie nach ihrer Rückkehr aus Saudi-Arabien vor fast 20 Jahren wieder Wohnsitz genommen haben. Auf der Arabischen Halbinsel haben die beiden leidenschaftlichen Forscher und Sammler die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht. Das mag aus heutiger Sicht erstaunen, gilt Saudi-Arabien doch als Hort eines rigiden Islam und einer prasserischen Oberschicht. Doch das Büttiker hat in Saudi-Arabien nach eigenen Worten "warmherzige Menschen, fantastisch schöne Landschaften und einmaliges Betätigungsfeld" vorgefunden. Es ist sich dabei bewusst, dass es unter äusserst privilegierten Bedingungen leben und arbeiten konnte, und dass sich die Lage heute, 30 Jahre später, in vielen Bereichen stark verändert hat.

Willi Büttiker weist aber auch auf die gewaltigen Schritte hin, die das Land und seine politischen Institutionen in den letzten zwei Generationen schon zurückgelegt hätten. Dem Königshaus gibt er, zumindest mittelfristig, immer noch eine Chance. Gleichzeitig befürchtet er, dass in absehbarer Zeit ein "gewaltiger Verteilkampf" um die immer knapper werdenden Ressourcen Erdöl und Wasser in Saudi-Arabien und im gesamten Nahen Osten stattfinden wird.

Auch in anderen Belangen ist der leidenschaftliche Forscher, der sich eigentlich lieber mit der Tierwelt als mit menschlichem Versagen beschäftigt, zum Pessimisten geworden. Es ist für ihn nur all zu offensichtlich, dass wir Menschen des 21. Jahrhunderts mit der technischen Entwicklung nicht mithalten können, geistig und moralisch überfordert sind. Dennoch möchte Willi Büttiker das Werk über die Fauna Saudi-Arabiens, das zu seinem eigentlichen Vermächtnis geworden ist, noch weiterführen. Und wenn die Zeit noch reiche, meint der rüstige 85-Jährige lächelnd, möchte er sich wiederum mit seinem Lieblingsthema beschäftigen: Den Augen besuchenden Schmetterlingen.

4. Januar 2006

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"Möge es Herrn Büttiker gegönnt sein ..."

Ich gratuliere zu diesem ausgezeichneten Bericht über das Forscherleben von William und Sonya Büttiker. Möge es dem Wissenschaftler vergönnt sein, auch noch sein nächstes Forschungsgebiet zu bearbeiten: Die Schmetterlinge, die in den Tropen die Augen der Rinder und von Wildtieren aufsuchen und Krankheiten übertragen. Es mag noch vermerkt sein, dass das skurrile kleine im Text abgebildete Insekt nicht ein Parasit ist, sondern einer der grössten der über 50'000 Rüsselkäferarten. Der Giraffenhalskäfer (Trachelophorus giraffa) lebt in Madagakar und die Darstellung ist das verkleinerte Gemälde des Basler Malers Max Heuberger. Als Postkarte kann es im Naturhistorischen Museum Basel gekauft werden.

Hans Peter Straumann
Liestal




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