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Die Rede von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey anlässlich des Starts des Solar-Katamarans "Sun21" von Basel nach New York vom 16. Oktober 2006 an der Schifflände in Basel.

"Immer wieder Ursache oder Gegenstand von Kriegen"


Sehr geehrter Herr Regierungsrat
Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Baslerinnen und Basler, liebe Gäste

Ich freue mich sehr, heute hier in Basel zu sein und das Solarschiff Sun 21 taufen zu dürfen. Dieses Schiff und die Menschen, die es gebaut haben und die es über den Atlantik steuern werden, sind Symbole. Sie stehen für eine offene und eine leistungsfähige Schweiz. Für eine Schweiz der Forschung, der Bildung und der Spitzentechnologie. Sie sind auch das Symbol für eine Schweiz der nachhaltigen Entwicklung.

Der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupery hat einmal geschrieben: "Wir erben die Erde nicht von unseren Vorfahren, wir leihen sie unseren Kindern aus." Nachhaltige Entwicklung setzt eine langfristige Perspektive voraus und braucht eine globale Vision.

Viele von uns fragen sich wahrscheinlich, wie man die "Schicksalsgemeinschaft" der Weltbevölkerung dazu bringen kann, zu ihrer Verantwortung zu stehen und die Folgen ihres Handelns ernst zu nehmen. Ich für meinen Teil bin überzeugt davon, dass wir noch die Mittel dazu haben, um auf dem blauen Planeten einzugreifen. Und dass es nicht zu einem intergalaktischen Auszug kommen muss, den Stephen Hawking empfiehlt, weil er glaubt, die Menschheit habe langfristig nur noch eine Überlebenschance: Nämlich die Erde zu verlassen, um neuen Lebensraum zu gewinnen und sich in anderen Galaxien auszubreiten.

Wir haben die Diskussion über die relativen Vorteile von erneuerbaren und fossilen Energien rechtzeitig begonnen. Dies obschon wir dank unserer privilegierten geografischen Lage inmitten der Alpen 60 Prozent unseres Stroms mit sauberer Wasserkraft erzeugen können. Unsere Nachbarländer sind nicht in dieser glücklichen Lage – sie gewinnen einen Grossteil ihres Stroms aus Kohle, Schweröl, Erdgas oder Kernkraft. Dennoch dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, als Wasserschloss seien wir immun gegen jegliche Energiekrise, denn 70 Prozent unseres Energiebedarfs decken wir immer noch aus fossilen Energieträgern.

Es hat 150 Jahre gebraucht, um unsere heutige, von fossilen Brennstoff abhängige Gesellschaft aufzubauen. In etwas mehr als einem Jahrhundert hat sich Erdöl zu der meist gehandelten Ware auf der Welt entwickelt – manche nennen es eine Droge – und in einen der stärksten Anreize für Gewalt-Konflikte.

Es gibt vielfältige Theorien in Bezug aufs Erdöl und seiner praktischen Verfügbarkeit für die Menschheit. Die erfolgreichste Behauptung kam vom amerikanischen Erdöl-Geologen Marion King Hubbert, der 1956 prophezeite, dass die amerikanische Erdöl-Produktion 1970 ihren Höhepunkt erreichen und danach schwinden würde.

Gewisse Experten sagen voraus, dass die Erdölproduktion noch bis ungefähr 2010 zunehmen wird. Danach wird die Produktion von neuen Ölfeldern die Abnahme von alten Ölfeldern nicht mehr auffangen können; von weiterem Wachstum ganz zu schweigen.

Anstrengungen, den genauen Höhepunkt in der Erdöl-Produktion vorauszusagen, sind zwar akademisch interessant, aber das wirkliche Problem beginnt mit dem Verlust der Stabilität der Erdölpreise. Es ist schon weit fortgeschritten. Die Preis- Stabilität ist nur eine logische Erwartung, wenn ausreichende Raffinerien zur Verfügung stehen und wenn genügend Überschuss vorhanden ist. Dies ist im Moment jedoch nicht der Fall.

Erdöl wird noch für etwa 75 bis 100 Jahre fliessen – aber in stetig abnehmender Menge. Es ist von entscheidender Wichtigkeit zu verstehen, dass die Preis-Elastizität des Angebots nicht mehr spielt wie in anderen Branchen. Höhere Preise bewirken nicht zwangsläufig eine schnellere und höhere Produktion von Erdöl. Schon 1970 wurde klar, dass höhere Preise zwar zu vermehrten Bohrungen führen würden, aber nicht unbedingt zu einer Zunahme von Neuentdeckungen von Erdöl-Quellen. Wir können unseren Weg aus diesem Problem weder Freibohren noch militärisch erobern.

Trotzdem aber ist die Ausbeutung fossiler Energieträger immer wieder Ursache oder Gegenstand von Kriegen. Schulbeispiele sind Tschetschenien, das ostafrikanische Zwischenseengebiet, Angola und Sudan. Bei den meisten kriegerischen Auseinandersetzungen um natürliche Ressourcen ist es die Zivilbevölkerung, die am stärksten in Mitleidenschaft gezogen wird. Und ihre schutzlosesten Mitglieder, nämlich Frauen und Kinder, sind die ersten Opfer.

Für viele Entwicklungsländer stellen Öleinfuhren eine schwere Belastung dar. Sie greifen ihre Devisenreserven an, die sie dank den unter schwierigen Bedingungen getätigten Exporten angelegt haben, und nehmen ihnen damit die Möglichkeit, die technischen und medizinischen Güter zu importieren, die ihnen helfen könnten, auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene Fortschritte zu erzielen. Zudem erhöhen sie die Auslandsschulden dieser Länder und sind häufig ein Grund für die verbreitete Korruption einheimischer Eliten. Das Öl kommt vielfach auch nicht der gesamten Bevölkerung zugute; es fliesst vorwiegend in die Industrie, den Verkehrssektor und die Städte, währenddem die ländlichen Gebiete abseits der grossen Verkehrswege nicht an die Stromversorgung angeschlossen sind und zeitweise keinen Treibstoff erhalten. Wenn die Länder des Südens ausschliesslich auf konventionelle Energien setzen, wird sich die Landflucht noch verstärken. Sie lässt sich nur aufhalten oder umkehren, wenn erneuerbare Energien eingesetzt werden, denn diese fördern Unabhängigkeit und Dezentralisierung.

Fossile Energieträger allein werden den Energiebedarf des Südens ohnehin nicht decken können. Zwei Milliarden Menschen haben nach wie vor keinen Zugang zu irgendeiner Form von konventioneller Energie. Das bedeutet in den meisten Fällen unsauberes Wasser, Krankheiten, hohe Kindersterblichkeit, keine sozialen Rechte, keine Schulen, keine Gesundheitsversorgung.

Meine Damen und Herren

In der Bundesverfassung steht, dass der Bund und die Kantone "ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen anderseits" anstreben müssen. Ihr Projekt – das Solarschiff Sun 21 – weist uns hier den Weg. Denn Ihr Projekt ist ein hervorragendes Beispiel für die Umsetzung des erwähnten Verfassungsartikels. Ihr Projekt zeigt, wie man erneuerbare Energien und die Energieeffizienz fördern kann. Es ist ein Vorbild für die Mobilität der Zukunft. Und es zeigt Wege auf, wie zukünftig die hier angewendete Technologie auf andere Bereiche, zum Beispiel das Wohnen oder die Landwirtschaft, übertragen werden könnte.

Nachhaltigkeit ist nicht einfach ein Modewort. Nachhaltigkeit ist ein Gebot der Vernunft und der globalen Solidarität. Vermehrte Dürren, Überschwemmungen und tropische Stürme treffen die Bevölkerung in den Entwicklungsländern am härtesten. Aber der Klimawandel macht eben auch vor der Schweiz nicht halt. Bei uns drohen häufigere Extremereignisse wie Hochwasser oder Hitzeperioden, und in den tieferen Lagen wird der Schnee in Zukunft immer häufiger ausbleiben.

Dies verdeutlicht, dass auch scheinbar weit entfernte Ereignisse und Prozesse einen ganz direkten Einfluss auf unser Leben hier in der Schweiz haben, auf unsere Sicherheit und unseren Wohlstand. Wir wissen sehr genau, dass ein rein nationales Modell, das aus der Schweiz einen Ausnahmefall macht und es ihr erlauben würde, der Globalisierung zu entgehen und in einer "splendid isolation" zu leben, weder wünschbar noch möglich ist.

Die Welt verändert sich rasant. Unsere Sicherheit und unser Wohlstand werden heute weniger durch eine militärische Offensive eines bösen Nachbarn bedroht als durch Umweltkatastrophen, den internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Epidemien, zivile Konflikte. Um diese Probleme zu lösen, braucht es internationale Zusammenarbeit.

Deshalb muss sich die Schweiz international einbringen, in die Zukunft des Planeten investieren und einen angemessenen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten. Um in einem globalisierten Kontext ihre politischen, wirtschaftlichen und Umweltinteressen wahrzunehmen, ist die Schweiz auf eine solide internationale Zusammenarbeit angewiesen.

Wir sind kein kleines Land. Wir haben eine gewisse Glaubwürdigkeit in der Welt – ohne koloniale Vergangenheit und ohne versteckte Agenda. Auch verfügen wir über ein wirtschaftliches und finanzielles Gewicht. Und schliesslich haben wir so wichtige Instrumente wie Demokratie, Pluralismus, Toleranz und Integration entwickelt und verfeinert. Diese sind sehr nützlich, nicht nur um Werte zu fördern, sondern auch um unterschiedliche, gegensätzliche Visionen der Welt zusammenzubringen und um konstruktiv bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen mitzumachen. Wir sind also durchaus im Stande, etwas für die internationale Gemeinschaft zu tun. Übrigens, genau das erwarten viele Staaten auch von uns.

Wir haben die Gelegenheit, dies zu beweisen - bei der kommenden Abstimmung vom 26. November über das Osthilfegesetz und den damit verbundenen Beitrag von insgesamt einer Milliarde Schweizer Franken an die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten. Diese Abstimmung ist ein Test für unsere Bereitschaft, mit unseren europäischen Nachbarn weiterhin auf dem bilateralen Weg zusammenzuarbeiten. Es geht um nichts weniger als um den Platz, den wir in Europa einnehmen und einnehmen wollen. Es ist wichtig, dass wir Ja dazu sagen. Denn wir dürfen uns nicht von der europäischen Dynamik entfernen, welche die beste Garantie für unsere eigene Sicherheit und eine nachhaltige Entwicklung unseres Landes ist. Umweltprobleme machen keinen Halt vor den Landesgrenzen. Zentrale Anliegen wie der Umweltschutz und die Förderung erneuerbarer Energien können nur im regionalen und globalen Rahmen nachhaltig vorangebracht werden. In diesem Sinn ist auch der Beitrag an die neuen EU-Staaten zu verstehen: Die Schweiz schafft damit nicht nur eine Voraussetzung für den Erfolg des bilateralen Wegs und sichert den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Indem wir in den neuen EU-Staaten gezielt Projekte in den Bereichen Umwelt, Forschung und Bildung fördern, leisten wir auch einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in Europa.

Meine Damen und Herren

Diese sich laufend verändernde Welt wollen und können wir positiv mitgestalten. Wenn wir nicht aktiv mitarbeiten, sind wir nicht nur unsolidarisch, sondern wir müssen auch passiv Lösungen übernehmen, ohne mitzusprechen, ohne unsere Sicht der Dinge einzubringen. Deshalb finde ich Ihr Projekt, das Solarschiff Sun 21 – ein Projekt der nachhaltigen Entwicklung, ein Projekt mit Vorbildwirkung – auch so wichtig.

Liebe Besatzung des Solarschiffs Sun 21

Sie verwirklichen einen Traum, nämlich den Traum, den Atlantik zum ersten Mal in der Geschichte mit einem Solarschiff zu überqueren – ausschliesslich mit Hilfe von Sonnenlicht, ohne einen Tropfen Treibstoff. Sie werden damit Vertrauen schaffen für eine Schlüsseltechnologie der Zukunft. Sie sind – und ich beglückwünsche Sie dafür – mutige Pioniere!

Sie stehen mit Ihrem Mut in einer langen und stolzen Reihe von Pionieren, die den Atlantik vor Ihnen überquert haben. Viele dieser Pioniere sind längst vergessen, denn allein zwischen 1821 und 1920 hat rund eine Viertelmillion Schweizerinnen und Schweizer diese Reise über den Atlantik gemacht.

Die Überfahrt war damals gefährlich. Immer wieder versanken Schiffe. Vor 1825 starben auch viele während der langen Überfahrt an Krankheiten. Viele dieser Menschen wanderten nicht aus, weil sie wollten, sondern weil sie mussten. Sie waren das, was manche heute abschätzig und kurzsichtig als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen.

Aber diese Menschen hatten auch Mut, viel Mut. Sie gaben ihre Heimat auf und liessen ihre Familien und Freunde zurück, um eine neue und bessere Zukunft zu finden. Diese Schweizerinnen und Schweizer, die den Atlantik überquerten, waren auch Botschafter unseres Landes. Sie haben ihren Beitrag geleistet an den Aufbau der Vereinigten Staaten.

Sie und Ihr Boot sind auch Botschafter der Schweiz. Sie vertreten eine Schweiz, auf die wir stolz sein können. Zuerst ist es bemerkenswert, dass dieses Solarboot ein 8 "joint venture" ist, das Kräfte aus der Westschweiz und aus der Deutschschweiz bündelt. Dass vor allem auch die traditionell freundschaftliche Verbindung zwischen der Romandie und Basel dadurch einen neuen Impuls erhält, finde ich grossartig. Sie sind also Botschafter der Lebendigkeit des Zusammen-Lebens und des erfolgreichen Zusammen-Arbeitens über die Sprachgrenzen hinaus.

Sie werden Anfang Mai 2007 in New York eintreffen, in dieser Weltstadt, die vor Ihnen schon Millionen von Menschen empfangen hat. New York ist das Tor zu einem Land, das noch immer für viele das Land der unbeschränkten Möglichkeiten ist. Dass Sie in New York ankommen werden, ist in zweifacher Hinsicht bedeutungsvoll.

Erstens gibt es in den USA wichtige Kräfte, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen und die Bedeutung des Umweltschutzes im weitesten Sinne des Wortes längst erkannt haben. Ihre Ankunft in New York wird daher ein wichtiges Signal sein, dass ein zukunftsweisender Umgang mit Energie und den Ressourcen dieses Planeten möglich und sinnvoll ist.

Zweitens sind die USA weiterhin das globale Zentrum für Forschung und Entwicklung. Die diesjährige Vergabe der Nobelpreise zeigt dies wiederum deutlich. In den USA wird denn auch mit Erfolg und Hochdruck an Zukunftstechnologien gearbeitet. Aber auch die Schweiz hat in diesen Bereichen viel zu bieten. Unser Forschungsstandort ist leistungsfähig und international eng vernetzt. Das Solarschiff Sun 21 positioniert die Schweiz in den USA als Forschungsplatz und als Partnerin für erstrangige wissenschaftliche Zusammenarbeit.

Liebe Besatzung des Solarschiffs Sun 21

Sie stehen am Anfang eines grossen Abenteuers. Ich werde Ihre Reise mit Interesse mitverfolgen und Sie können auf unsere Unterstützung zählen. Ich bin stolz, dass Sie auch Botschafter unseres Landes sind. Ich danke Ihnen dafür und wünsche Ihnen viel Erfolg und eine gute Reise!

Besten Dank!

24. Oktober 2006

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