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© Foto zVg


"Refeudalisierung der Welt": Uno-Berichterstatter Jean Ziegler

Im Kampf gegen die "kosmokratische Weltordnung"

In seinem Buch "Das Imperium der Schande" deckt Jean Ziegler die Methoden und Mechanismen der transnationalen Wirtschaft auf

VON AUREL SCHMIDT

Auch in seinem neuen Buch mit dem Titel "Das Imperium der Schande" Jean Ziegler mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg zurück. Er ist so unverblümt und so rebellisch wie eh und je. Seine Empörung über die Missstände in der Welt hat einen mitreissenden Schwung.

Jean Ziegler ist seit dem Jahr 2000 Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. In dieser Funktion hat er die Realität des Elends der Welt aus eigener Beobachtung kennen gelernt. Nichts von allem, was er sagt, ist aus der Luft gegriffen. Man kann sich auf seine Aussagen verlassen. Armut und Hunger haben einen Namen. Sie sind, sagt er, die Folgen der Entwicklung der transnationalen Weltwirtschaft und der Ziele der Herrscher der Wirtschaftsimperien, der "Kosmokraten", wie Ziegler sie nennt.

"Nur die Knappheit garantiert den Profit.
Also muss man sie organisieren!"


Wir leben in einer "kannibalischen Weltordnung" (Ziegler), in der die Knappheit und der Mangel organisiert sind. Hunger und Schuldendienst sind heute die wahren Massenvernichtungswaffen.

Das grosse Problem ist die Verschuldung der Länder, die in den Sog oder je nach Sprachregelung in den Würgegriff von international tätigen Konzernen, Investoren, des Internationalem Währungsfonds und der Weltbank geraten. Die armen Länder sollen sich den Märkten öffnen und geraten dabei in die Abhängig des internationalen Privatkapitals, das mehr und mehr die staatliche Ordnung übernimmt. In Äthiopien beträgt der Schuldendienst 140 Millionen Dollar und liegt damit höher als sämtliche Ausgaben des Landes für Gesundheit.

Hunger ist das Los vieler Menschen, aber er wäre vermeidbar. Nach der FAO, der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, wäre es möglich, 12 Milliarden Menschen zu ernähren. Dies auch ohne Gen-Food, mit dem nur die Konzerne wie Aventis, Monsanto, Pioneer und andere mit Patenten und Gebühren reich werden.

"Ohne soziale Gerechtigkeit
ist die Republik wertlos."


Die Beispiele, die Ziegler aufzählt, sind erdrückend. Der grosse Vorteil des Buchs liegt darin, dass es die Methoden und Mechanismen aufzeigt, mit denen die transnational operierenden Konzerne sich die Welt aneignen. Es ist im besten Sinn ein Manual für den Kampf gegen die globalisierte Wirtschaft.

An einer Stelle spricht Ziegler von einer "Refeudalisierung der Welt" und dem Zusammenbruch des internationalen Rechts. Alle Versuche, die Verhältnisse zu ändern, scheinen im Augenblick zum Scheitern verurteilt. Aber es gibt auch eine andere Perspektive. Für Ziegler ist die Scham eine revolutionäre Kraft.

Ob damit etwas erreicht wird, ist ungewiss. Die Menschen nehmen das Elend, das sie trifft, ergebungsvoll hin. Was vermögen alle Rhetoriken von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten bei den Menschen auszurichten, die nichts oder zu wenig zu essen haben? Armut ist aber, wie man ergänzen könnte, aber auch in ökonomischer Hinsicht ein kurzsichtiges Prinzip. Besser wäre es, die Menschen, wie Adam Smith in "The Wealth of Nations" (1776, im Kapitel über England und seine Kolonien) geschrieben hat, zu Konsumenten zu machen, anstatt sie ins Elend zu stossen. Das jedoch scheint die Kosmokraten wenig zu beeindrucken, solange sie mit immer weniger Menschen oder Produktionskosten immer mehr Gewinn erzielen können.

An einigen Stellen versuch Ziegler, in die Katakomben der kosmokratischen Mentalität zu leuchten. Die Globalplayer sind überzeugt, zum Wohl der Menschheit zu handeln, ihre Rechtfertigungsversuche entspringen einem falschen Bewusstsein. Sie halten die kannibalische Ordnung, die ihre Schöpfung ist, für ein Naturgesetz. Sie haben jeden Begriff für Mass und Sinn verloren und müssen ihr Gewissen ununterbrochen betäuben, weil sie sonst den Widerspruch zwischen ihren Überzeugungen auf der einen und den Tatsachen der Welt auf der anderen Seite keinen Augenblick lang aushalten würden. Der Ausdruck Schizophrenie ist dafür durchaus angemessen.

Das Buch von Jean Ziegler ist eine ebenso drastische wie dringende Lektion über die globalisierte Wirtschaft. Ich stelle es in Griffweite auf meinen Schreibtisch, um jederzeit daran erinnert zu werden, wie es heute in der Welt zugeht, wenn ich über noblere, aber meistens oberflächliche Dinge schreibe.

"Das Imperium der Schande - Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung" hat Dieter Hornig aus dem Französischen übertragen. Es ist bei Bertelsmann erschienen. Fr. 34.90.

Am Dienstag, dem 4. Oktober um 20 Uhr, stellt Jean Ziegler sein Buch in der Buchhandlung Jäggi in Basel vor.

30. September 2005

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"Am Schluss bleiben sie doch strategische Polemiker"

Vieles, was Jean Ziegler in all seinem politischen Engagement analysiert und kritisiert, entspricht einem guten Sinn für die Gerechtigkeit auf der Welt. Aber: In "Victor Giacobbos Spätprogramm" karikierte Walter Andreas Müller auf wunderbare Weise Jean Zieglers Platitüten, und nicht ganz zufällig wurde auch Christoph Blocher vom selben Schauspieler auf herrliche Art imitiert. Beide Politiker wagen sich weit vor, erzählen manch Wahres und bleiben am Schluss doch strategische Polemiker, die gern vereinfachen und vorgaukeln, mit ihren Ideen könne man die anstehenden Probleme lösen. Es gibt mindestens fünf Sorten von Entwicklungsländern, die teilweise gegensätzliche Interessen bezüblich dem internationalen Handel haben.

Die Aufteilung "die Armen gegen die Reichen" auf der Welt funktioniert schon lange nicht mehr. An den WTO-Verhandlungen kooperieren Indien, Brasilien, Malaysia und China mit den USA, wenn es um den Export landwirtschaftlicher Güter geht. Bei anderen Fragen wechseln die Koalitionen. Wer die Differenziertheit bei Fragen der Globalisierung nicht zustande bringt, sollte sich nicht als Wortführer der ärmeren Länder auf den Sockel stellen.

Karl Linder
Basel


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