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© Foto by www.yezzi.org


"Regime verlangt Beweihräucherung": Protestierender Tunesier mit Transparent*

Am Schauplatz des Info-Gipfels wird die Meinung geknebelt

In Tunesien behindern Schein-Organiationen den Kampf gegen das diktatorische Regime von Präsident Ben Ali

VON BEAT STAUFFER

Morgen Mittwoch beginnt in Tunis der dreitägige Weltinformationsgipfel. Doch das Gastland Tunesien geht bezüglich Meinungsfreiheit mit dem schlechten Beispiel voran: Das Regime von Präsident Ben Ali versucht mit allen Mitteln, die Entstehung einer wirklich unabhängigen Zivilgesellschaft zu verhindern: Mit Verboten, mit endlosen, zermürbenden Prozessen, mit der Blockierung von Geldmitteln. Selbst vor Pseudo-Organisationen schreckt das Regime nicht zurück.

Wer sich über die Zivilgesellschaft in Tunesien kundig macht, stösst bald auf ein erstaunliches Faktum: Da existieren nämlich Tausende von Vereinen und Organisationen, die den landesunkundigen Besucher zur Annahme verleiten, im kleinen "Musterland des Maghreb" gebe es ein blühendes Vereinsleben und eine aktive Zivilgesellschaft.

Gefälschter Vereins-Pluralismus

Dass es sich dabei um ein übles und äusserst raffiniertes Täuschungsmanöver handelt, entgeht vielen ausländischen Beobachtern. Denn diese Organisationen kommen oft mit hochtrabenden Namen daher und wirken auf den ersten Blick seriös. Die "Tunesische Vereinigung zum Schutz der Opfer des Terrorismus" scheint legitime und hochgesteckte Ziele zu verfolgen, und bei den "Ärzten ohne Grenzen Tunesien" glaubt der Beobachter, eine lokale Sektion der bekannten international tätigen Hilfsorganisation vor sich haben. Dass es sich dabei um künstlich ins Leben gerufene "Pseudo-NGOs" handelt, die zum Teil sogar unrechtmässig die Namen und Logos internationaler Nichtregierungsorganisationen (NGO) missbrauchen, wissen nur Kenner des Landes.

"Die Erfindung einer falschen Zivilgesellschaft" nennen die beiden Menschenrechtsaktivisten Sihem Bensedrine und Omar Mestiri in ihrem neusten Buch dieses beängstigende und irgendwie an Orwellsche Visionen erinnernde Phänomen. Doch auch andere Aktivisten und kritische Beobachter bestätigen diesen Sachverhalt: Der tunesische Staat habe Tausende von "künstlichen" Vereinen ins Leben gerufen, die den einzigen Zweck hätten, die authentischen Organisationen zu bekämpfen, zu blockieren und ihnen nicht zuletzt an internationalen Konferenzen die Legitimität abzusprechen.

Tarn-Organisationen und staatliche Agenten

"Organisations véritablement gouvernementales" (OVG) oder "Gongos, werden diese Pseudo-NROs in Tunesien verächtlich genannt. Sie verfügen über keine eigene Basis, werden von staatlichen Agenten gesteuert und halten auch keine Mitgliederversammlungen ab. Manche dieser "Gongos" werden bloss kurz vor irgendwelchen Anlässen "aktiviert" und versinken anschliessend wieder in einen "Stand-by-Zustand".

Im Gegensatz zu den echten NGOs sind die "Gongos" allerdings finanziell gut ausgestattet. Von den über 9'400 Nichtregierungsorganisationen, die offiziell in Tunesien existieren, seien nur gerade sieben wirklich unabhängig, schätzt Essia Bel Hassen, Sprecherin der "Association Tunisienne des Femmes Démocrates" (ATFD). Alle andern Organisationen seien von den Behörden ins Leben gerufen worden und würden von offizieller Seite massiv finanziell unterstützt. Die unabhängigen NGOs hätten dagegen mit grössten Schwierigkeiten zu kämpfen. So werde ihnen meist nur schon der Zugang zu staatlichen oder privaten Konferenzzentren und Sälen verwehrt, und vielen Vereinen gelinge es nicht einmal, ihre Jahresversammlungen abzuhalten.

Unabhängige Organisationen werden infiltriert

Die paar wenigen unabhängigen Verbände und Organisationen sehen sich zudem alle mit einer Infiltrationsstrategie konfrontiert, die auf ihre Kontrolle durch die immer noch fast allmächtige ehemaligen Einheitspartei RCD abzielt. Staatlich bezahlte Agenten, so ist zu erfahren, versuchten in grosser Zahl den unabhängigen Organisationen beizutreten und in den Leitungsgremien eine Mehrheit zu gewinnen. Anschliessend machten sie sich daran, den Kurs der betreffenden Organisation im Sinn des Auftragsgebers zu korrigieren. Auch die tunesische Menschenrechtsorganisation LTDH, die älteste in ganz Nordafrika, wurde wiederholt Opfer eines solchen "Übernahmeversuchs". Diese Strategie ist allerdings häufig nicht von Erfolg gekrönt, weil sich die unabhängigen Organisationen der Gefahr bewusst sind und entsprechende Gegenmassnahmen ergreifen.

Doch der tunesische Staat verfügt über weitere Mittel, um die echten NGOs an ihrer Arbeit zu hindern. So blockiert er regelmässig Gelder, welche tunesische NGOs von befreundeten internationalen Organisationen erhalten. Gleichzeitig verunmöglicht er es den Organisationen, sich durch Gala-Anlässe oder Geldsammlungen selbstständig zu finanzieren. Schliesslich versuchen die Behörden, die missliebigen Organisationen mittels endlosen Prozessen lahmzulegen. "Sie erfinden tausend Gründe, um uns zu blockieren", sagt LTDH-Präsident Mokhtar Trifi. Dieser Analyse pflichtet Omar Mestiri, Vorstandsmitglied des "Conseil National pour les Libertés en Tunisie" (CNLT) vollumfänglich zu: Der tunesische Staat, so schrieb er kürzlich, unternehme alles, um "die Ressourcen der unabhängigen Organisationen auszutrocknen, sie permanent mit Prozessen einzudecken und ihre Arbeit totzuschweigen".

Präsident Ben Ali verlangt Huldigung vom Volk

Im Grunde sei der Zivilgesellschaft in Tunesien bloss eine Rolle zugedacht, ergänzt ein unabhängiger Beobachter: Das Regime von Präsident Ben Ali zu "beweihräuchern" und an seinem Personenkult mitzuwirken. Organisationen, die sich mit dieser Rolle nicht abfinden könnten, hätten in Tunesien keine Existenzberechtigung.

Angesichts dieser düsteren Analyse, die im Wesentlichen von allen Befragten geteilt wird, erstaunt es, dass die paar wenigen tatsächlich unabhängigen Organisationen immer noch aktiv sind. "Wir lassen uns nicht unterkriegen!" scheint die Devise zu sein. Die täglich erfahrene Repression lasse den Willen, diesem totalitären System etwas entgegen zu setzen, nur noch stärker werden, sagt LTDH-Präsident Trifi. Andere teilen diesen Optimismus nicht. "Die tunesische Zivilgesellschaft liegt im Koma", sagt ein Kulturschaffender, der, wie viele andere, seinen Namen nicht genannt haben will.

Peinliche Auftritte der Phantom-Organisationen

Im Vorfeld des Weltinformationsgipfels hatten die Phantom-Organisationen eine Reihe von peinlichen Auftritten. Von einer "Invasion falscher NGOs" berichten Mestiri und Bensedrine; 33 "Gongos", aber nur drei unabhängige NGOs seien in Tunis akkreditiert worden. Die Vertreter dieser Schein-NGOs hätten die Delegierten der Menschenrechtsliga und andere, glaubwürdiger Organisationen an den Vorbereitungstreffen regelmässig "zu Boden geredet" und daran gehindert, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Manchmal sei ganz einfach das Mikrophon abgeschaltet worden.

Dazu passt ein penibler Vorfall am letzten Vorbereitungstreffen, das Mitte September in Genf stattfand: Ein hoher tunesischer Funktionär, so erklärt Wolf Ludwig von "comunica-ch", der Schweizer Plattform zur Informationsgesellschaft, habe sich zu Unrecht als "UNO-Polizei" ausgegeben und veranlasst, dass eine Sitzung abgebrochen werden musste.

Vom Weltinformationsgipfel, der ab morgen Mittwoch während drei Tagen in Tunis stattfinden wird, erwarten die Vertreter der tunesischen Zivilgesellschaft nur wenig: Nachdem alle Versuche, dem Regime vorgängig eine Reihe von Konzessionen abzutrotzen, gescheitert sind, werden sich die NGOs damit begnügen müssen, zumindest über eine kleine Plattform zu verfügen, die ihnen im Alltag verwehrt ist: Das "Forum Citoyen pour la société de l’information". Noch ist allerdings offen, ob die tunesischen Behörden dieses einzige Forum, das der Bevölkerung zugänglich sein und einen echten Austausch ermöglichen soll, zulassen werden.

Sihem Bensedrine/Omar Mestiri: Despoten vor Europas Haustür. Warum der Sicherheitswahn den Extremismus schürt. Verlag Antje Kunstmann. München 2005

* "Fock" ist tunesisch-arabisch und bedeutet mit vorangestelltem "yezzi" so viel wie "Es reicht!"

15. November 2005

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"unsere bundesräte haben ein müsterli erfahren, wie es in tunesien läuft"

tunesien ist leider zu einer grossen ferienkulisse verkommen. die touristen verlassen zum teil nicht einmal die hotelparzellen, höchstenfalls zum super-market, der 20 meter vom hoteleingang weg ist. oder mit einem reisecar. es sucht praktisch niemand den kontakt zur bevölkerung. jaja, der kellner ali oder der mohamed lächelt ja, wenn er die getränke bringt, der ist ja sicher glücklich mit seinen 210 bis 240 dinar im monat ...

wenn in einem land auf 100 personen 40 polizisten kommen, stimmt etwas nicht. früher hat man die franzosen verschrieen, sie würden tunesien ausbeuten, was sie teilweise auch taten. danach unter der regierung von bourgiba war tunesien ein noch ziemlich freies land. jetzt unter diesem raffgierigen ben ali und konsorten wird es langsam unerträglich. so lässt man leute, die sich von kriminellen leuten anheuern lassen, direkt ins messer laufen.

die EU sowie alle westlichen staaten sollten ben ali den tarif durchgeben. ein müsterli, wie das in tunesien läuft, haben ja unsere bundesräte am weltinformationsgipfel gerade erfahren.

K.B
Wangen bei Olten
(Name der Redaktion bekannt)Urs Martin
Itingen



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