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"Schweigen, Resignation, Ratlosigkeit": Eingang zum Theater Basel

Und niemand geht mehr hin

Eine Polemik zum Zustand des Theaters Basel, die hier und jetzt fällig wird

VON CLAUDE BÜHLER

Jetzt warten wir schon seit zwei Wochen auf den Protest, auf die Publikums-Demo vom Tinguely-Brunnen bis zum Rathaus, auf die "scharfen Proteste" der Parteien, auf die Solidaritätsbekundungen von Basler Künstlern, die das Subventionsabzwacken als "Mord an der Kunst" bezeichnen.

Aber nichts von alledem. Schweigen!

Ja, selbst "Basta"-Chef Urs Müller lässt seine rote Joppe im Kasten hängen, er, dessen Computer automatisch die Dateivorlage "Interpellation" aufstartet, sobald jemand "Sparen" und "Staatspersonal" in einem Satz sagt. Was ist da noch zu sagen, wenn nicht einmal solche Politiker neue Wähler-Anteile wittern?

Stadt, wo ist Dein Aufschrei? Da will die Regierung dem Theater jeden zehnten Franken abzwacken, und niemand reklamiert - ausser gerade dem Theater-Verwaltungsrat?

Jetzt macht das harte Geld brutal erkennbar, was niemand auszusprechen wagte: Das Theater Basel, und insbesondere das Schauspiel, ist völlig von Basel entfernt, abgewandt, entfremdet. Das ist kein gestörtes Vertrauensverhältnis, es gibt gar kein Verhältnis mehr.

"Auch Künstler und Intellektuelle kamen nicht zu Schauspiel-Premieren."


Basels Kulturminister Christoph Eymann hat dieses Jahr keine einzige Premiere des Basler Schauspiels besucht. Im 2004 auch keine. Und auch keine im 2003. Kein Mitglied der beiden Basler Regierungen besuchte die Premieren des subventionierten Basler Schauspiel in den letzten drei Jahren ausser Barbara Schneider.

Immerhin einen einzigen Versuch markierten in den drei Jahren Eva Herzog, Carlo Conti, Urs Wüthrich, und Ralph Lewin deren drei. Von den Nationalräten erschien lediglich Silvia Schenker, zweimal. Auch die Ständeräte Anita Fetz und Hans Fünfschilling waren an keiner einzigen Schauspiel-Premiere der Jahre 2005, 2004 und 2003.

Aber auch Künstler oder Intellektuelle kamen keine und keiner zu den Schauspiel-Premieren: Sam Keller, Hansjörg Schneider, Ivo Bachmann, Ulrich Gäbler, Jacques Herzog, Peter Blome, Pipilotti Rist, Hans Saner, die Lovebugs, Ernst Beyeler, Zoe Jenny, Bettina Eichin, Klaus Littmann, Arthur Cohn, Christoph Vitali, Werner Düggelin, Joachim Rittmeyer, Daniel Blaise Thorens, Martin R. Dean, Bernhard Mendes Bürgi, Hanspeter Schreiber. Von nationaler ausser-baslerischer oder internationaler Prominenz ganz zu schweigen.

Genauso abstinent verhielten sich auch jene, deren Namen in den Gesellschaftskolumnen fett gedruckt werden: –minu, Gigi, Pierre Buess, Peter Malama, Stefan Musfeld, Peter Küng, Roger Thiriet, Heinz Margot, Onorio Mansutti, DJ Antoine, Werner Schneeberger. Niemand. Nie. Nicht mal versuchsweise! Für alle diese Leute kein Schauspiel-Theater?

Die recht spärlichen Premieren-Auftritte der beiden Kulturbeauftragten Niggi Ullrich und Michael Koechlin dokumentieren nicht nur wenig Interesse oder Solidarität sondern auch, dass diese Nonchalance der beiden höchsten Kultur-Chefbeamten in Bezug auf die gegenwärtige Theater-Administration in Basel kein Problem darstellt.

Bekannte Leute gehen vielleicht nicht alle da hin, wo es interessant ist. Aber ihrem Instinkt für ihre Interessen dürfen wir getrost vertrauen: Da, wo man hingeht, ist der Schwerpunkt der Gesellschaft. Das Basler Schauspiel gilt da nichts mehr. Basel zahlt und geht nicht mehr hin.

Zumindest will sich Basel nicht an Michael Schindhelms Schauspiel-Premieren sehen lassen. Was ist denn der Besuch einer Schauspiel-Premiere? Es ist Ausdruck eines unbestimmten Vertrauens, allenfalls eine Zustimmung zur Diskussion oder sogar die Bereitschaft zum Streit.

"Das Schauspiel ist zu einer experimentellen Rand-Sportart degeneriert."


Das Schauspiel ist der Geist des Hauses. Hier wird die Ethik erkennbar, und da beginnt der Austausch. Man kann reden miteinander. Darauf verzichtete Basel. Unter Theaterintendant Michael Schindhelm ist das Schauspiel zu einer experimentellen Rand-Sportart degeneriert.

Wenn das Ballett gut besucht wird, und es wird gut besucht, und die Oper anständig, dann müssen die Besucherzahlen beim Schauspiel alarmierend sein, wenn die Gesamt-Auslastung unter der 50-Prozent-Grenze dümpelt. Was heisst schon "alarmierend" - Schlagzeilen müsste das geben! Aber, ach wo, in Basel regt sich gerade noch die Jung-Sektion der SVP darüber auf, die freilich auch nicht hingeht.

Sonst: Schweigen. Ratlosigkeit, Resignation – "ist ja vielleicht nicht so wichtig".

Mit dieser Einstellung hat Basel jahrelang einen Theaterintendanten gewähren lassen, der angesprochen auf diese grauenerregenden Besucherzahlen das Wort "Krise" als "absurd" zurückwies.

Welche Worte würde der eloquente Mann wählen, wenn er nicht selber unter Druck stehen würde? Wo ist die Verantwortung für all jene Leute, die Theater und Schauspiel lieben, und nicht mehr hingehen? Unser Theater ist für viele intelligente Menschen in dieser Stadt eine No-Go-Area geworden. Eine deutsche Kolonie mitten in der Stadt, isoliert in ihrem hoch-subventionierten Betonklotz.

"Unser Theater ist für viele zu einer No-Go-Aera geworden."


Dass sich unsere westeuropäische Kultur in einer schweren spirituellen Krise befindet, ist Schindhelm nicht vorzuwerfen. Er hat aber weder Gegensteuer gegeben noch diese Krise als solche deutlich erkennbar machen wollen. Und das ist ihm, im Sinne des Kultur-Auftrags, durchaus vorzuhalten. Denn der Wille zur Kunst, und da beginnt ja erst die Subventionsberechtigung, begründet das Theater als ein von existentieller Wirtschafts-Härte befreites ethisches Institut. Stattdessen erlitten wir hier das deutschsprachige Schauspiel-Malaise, genauso wie andernorts: Erniedrigungs-Humor, nihilistische Verzweiflung, gestalterische Hilflosigkeit, pubertäre Emotionalität, technische Unfertigkeit und vor allem die Indifferenz, ob man das dargebotene Elend aufweisen will oder ob mans selber ist.

Die durch-akademisierte Feuilleton-Kritik stopft nach wie vor zuverlässig die Löcher des Publikums-Unverständnisses. Soll jetzt für dieses Theater das Publikum einstehen, das sich so oft dem unüberwindlichen Schulterschluss der Experten-Macher und ebensolcher Experten-Kritiker gegenübergestellt sieht? Beinahe zu jeder Schauspiel-Inszenierung können wir jetzt "Einführungen" besuchen: Was soll das bei der Kunst, deren höchste Qualität die Unmittelbarkeit und das Jetzt ist?

Ein weiterer Stein in der Mauer zwischen Basel und seinem Theater bleibt der Foyer-Abend im Januar 2001 "Da geh ich nicht mehr hin", der eine Aussprache mit dem Publikum simulierte. Schon zu Beginn des Abends wusste Theaterdirektor Schindhelm, dass er die Berichterstattung über diesen interessanten Anlass mit seinem Stasi-"Skandal" plattwalzen würde. Gleich nach der Diskussion übergab er dazu "der 'Basler Zeitung' ein siebenseitiges Manuskript …" (BaZ vom 11. Januar) zu seiner Stasi-Tätigkeit. Eine Würdelosigkeit der Verantwortlichen sondergleichen! Ein willentlicher Akt, um die angerissene Diskussion zu ersticken.

"Wie konnte Schindhelm diese Krise ganz einfach aussitzen?"


Dass nicht wenigstens hier der Verwaltungsrat eingriff! Wie konnte das geschehen, dass unsere Stadt ohne Einspruch diesem Verwaltungsrat zusah, der daraufhin dieses völlig zerrüttete Vertrauensverhältnis mit einer letzten Vertragsverlängerung für Schindhelm festbetonierte? Wie war es dem Intellektuellen Schindhelm möglich, diese Krise ganz einfach aussitzen zu wollen? Als Theaterdirektor ist man ja nicht einfach für die Projekte eines Chemie-Labors zuständig sondern für die Kommunikations- und Geistespflege einer Stadt mit ihren Bewohnern.

Der ehrgeizige Michael Schindhelm hätte Basel international zum klingenden Namen machen sollen. Die "Basler Zeitung" gab ihm mehrfach Gelegenheit, mit enorm langen Aufsätzen auf das Publikum hier einzuwirken. Oder sie schrieb im Jubelton über ihn. Mehrere Artikel in diesen Dimensionen erschienen sogar schon vor Amtsantritt. Ich erinnere mich an einen Titel dieser Periode, als die BaZ mit Wille das Hoforgan des Theaters war: "Soviel Anfang war nie". Du meine Güte! Die BaZ-Feuilletonistin Christine Richard, die das Basler Publikum als "Alte Tante" bezeichnete, verklärte jede Schauspiel-Aufführung in einseitigen Monster-Berichten. Als Stefan Bachmanns Aufführungen Berliner Theaterpreise holten, schien die Rechnung aufzugehen.

Diese Mentalität des grossen Auftritts passt zur Depressivität Basels, das im Falle des Scheiterns auskneift, schweigt, leidet, das "Böse" gewähren lässt. Und wartet. Bis es vorbei ist. Jetzt ist es bald vorbei. Die 3,5 Millionen Franken, die das Theater einsparen muss, wären kein Betrag für das reiche Basel, wenn es etwas wirklich wollte. Doch Basel hält sein Theater offenbar nicht für schützenswürdig.

Die Busse wird jetzt dem neuen Theaterdirektor Georges Delnon weitergereicht, der keinen Foyer-Abend veranstalten wird, sondern der in mühsamer Kleinarbeit um das Vertrauen eines Jeden kämpfen muss: Das Vertrauen, dass Theater wieder stattfinden kann in Basel, und zwar so, dass es wieder etwas mit uns zu tun hat.

20. Dezember 2005

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OnlineReports startet eine Debatte zur Krise um das Theater Basel. Steigen Sie mit Ihrer Meinung ein!



OnlineReports:
Soll sich die Kultur-Stadt Basel ein Theater in der heutigen Ausprägung leisten, soll massiv gespart oder im Gegenteil massiv investiert werden?

JOEL THÜRING, GROSSRAT SVP, BASEL:
Ich bin der festen Überzeugung, dass gespart werden kann beim Theater Basel, ohne dass ein grosser Verlust an Qualität spürbar ist. Die Besucherzahlen sprechen eine deutliche Sprache, vielleicht sollte man wieder vermehrt zu den Ursprüngen des Theaters zurückkehren. "Hamlet auf der Toilette" ist eben nicht ein Theater, welches für die Baslerinnen und Basler sehenswert ist. Im übrigen würde jedes privates Theater (wie zum Beispiel "Häbse" oder "Fauteuil") mit solch schlecht frequentierten Vorstellungen längst den Betrieb schliessen müssen.

URS EBERHARDT, BASEL: Claude Bühler ist kaum etwas hinzuzufügen. Wäre es aussergewöhnliches Theater gewesen, hätte man eine schlechte Publikums-Quote für einige Zeit akzeptieren können. Oder den Kulturminister bedroht. Vielleicht schafft es die (unvermeidliche) Spar-Quote, dass endlich etwas geschieht. Man könnte zum Beispiel die Hälfte der Stühle herausnehmen, dann stimmt der Prozentsatz wieder. Oder den Verwaltungsrat auswechseln, der dem neuen Schauspiel-Direktor Perrig den Rücken für eine inhaltlich mutige und spannende Saison stärken sollte. Was sagen eigentlich die "Ladies", die den Schauspiel-Tempel bezahlt haben? Dürften sie hier ausnahmsweise unter Pseudonym mitdebattieren?

OnlineReports:
Eine gute Frage. Bisher haben wir von den "Ladies" keine Äusserung erfahren. Aber sicher dürfen und sollen sie sich in die Debatte einmischen - vorzugsweise auch mit vollem Namen. Weiss jemand, ob Gisela Kutter online ist?

URS MÜLLER, GROSSRAT "BÜNDNIS", BASEL:
Tatsächlich bewegt mich das Schauspiel zurzeit wenig. Trotzdem: Gerade Stücke, die auf der Kleinen Bühne gegeben wurden, blieben bei mir haften. Zuletzt im Rahmen des Jugendkulturfestivals eine Inszenierung von Sonja Speiser zum Thema Gewalt und Ausgrenzung. Die Frage, ob Theater richtig gut oder total schlecht ist, darf letztlich nicht der Politik überlassen werden. Der Weg zur Zensur ist danach nicht mehr weit. Die Macht des Geldes beinhaltet immer auch die Gefahr der Sanktion von unbotmässigem Verhalten. Denken Sie nur an die Kürzung der Bundesgelder für Pro Helvetia nach der Hirschhorn-Installation in Paris.

OnlineReports:
Die Regierung will ja keine Zensur, sondern sie steht unter Sparzwang.

URS MÜLLER, GROSSRAT "BÜNDNIS", BASEL: Ja, aber die Sparvorgaben waren von Verwaltung und Regierung vorgegebe Eckwerte, die einen erheblichen Anteil Willkür aufweisen. Die Verhandlungen mit den Trägern von Orchester und Theater haben aufgezeigt, dass die Sparvorgaben die künftige Qualität dieser Kultureinrichtungen erheblich gefährden. Theater und Sinfonieorchester sind Teil der vielfältigen Kulturstadt Basel. Sie tragen wesentlich zur Attraktivität des Wohn- und Wirtschaftsstandorts Basel und zur Wohn- und Lebensqualität der Region bei. Diese Attraktivität und Qualität dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Reduktion von Geldmitteln bedeutet auch immer ein Verlust von Arbeitsplätzen. Deshalb ist der Grosse Rat aufgefordert, dem Theater, aber auch dem Orchester die nötigen Mittel zu sprechen.

JOEL THÜRING, GROSSRAT SVP, BASEL: Die Aussagen von Herrn Müller sind bedenklich. Die linksgrüne Parlamentsmehrheit ist gefordert und darf keine finanzpolitischen Präjudizen schaffen! Wenn man nun über den Regierungsrat hinweg die Kürzungen zusammenstreicht, dann werden alle weiteren Subventionsempfänger bei künftigen Verhandlungen "pokern" und so die Ausgangslage des Regierungsrates massiv schwächen. Überdies gibt es sowohl bei Theater wie auch beim Sinfonieorchester Sparmöglichkeiten ohne massive Stellenstreichungen. Nur müssten halt einmal beide Institutionen uns Parlamentariern die ganze Tragweite der Sparmassnahmen klar und detailliert vorlegen. Dies ist bisher nicht geschehen! Stattdessen werden irgendwelche wirren Horrorszenarien verbreitet und ein unfähiger Verwaltungsrat schiesst wild um sich.

NIGGI ULLRICH, KULTURBEAUFTRAGTER BL, ARLESHEIM: Lieber Herr Bühler, auf die Gefahr hin, dass ich mich mit meinem Kommentar mehr als landesüblich exponiere, kann ich als Bürger dieser Region - selbst wenn Sie mich als "höchsten Kultur-Chef-Beamten" titulieren resp. zu verunglimpfen suchen - Ihren Artikel nicht unwidersprochen lassen. Ich werde mich auf das Wesentliche beschränken. Nicht alles muss ad infinitum kommentiert werden.
 
Ihr Artikel zur Krise des Schauspiels hat den Charakter einer "gnadenlosen Generalbrechnung". Mit journalistischer Qualität resp. Sorgfaltspflicht hat das nichts zu tun. Der Artikel ist geprägt von Ressentiments jeglicher Couleur und hassartigen Tiraden. Sie nehmen eine kühn gebastelte Premieren- Abstinenz-Recherche mit einem wild anmutenden Personenmix zum Anlass, Ihren persönlichen (Theater-)Frust abzuladen. Gleichzeitig instrumentalisieren Sie "Ihre" Promis zu Mitläufern/innen, ohne sie je gefragt zu haben. Ich jedenfalls wurde von Ihnen nie kontaktiert. Als in der Region vermutlich unverdächtiger und in mehrfacher Hinsicht engagierter Theaterbürger - muss ich diese unqualifizierte Pauschalabfuhr nicht kommentarlos hinnehmen. Der Vorwurf der Instinktlosigkeit fällt auf Sie zurück.
 
Es gibt Interessen, es gibt Kenntnisse, es gibt Zeit und Budgets, es gibt ein riesiges, zeitgleiches Angebot, es gibt die Medienresonanz - alles Faktoren, die engagierte Leute in unserer Gesellschaft davon abhalten, vielleicht verhindern resp. trotz allem motivieren, Premieren (nicht) zu besuchen. Wie wenn der (nachhaltige) Erfolg oder Misserfolg einer Theaterproduktion - im Gegensatz zu meist einmaligen Konzerten - von der Erstaufführung abhinge! Kalter Kaffeeklatsch aus längst abgehakten Diskursen von vor 30 Jahren! Sie als Kritiker müssten wissen, dass das Theater - insbesondere Schauspiel - und seine Rezeption (= Besuch, Kritik, Diskussion) das Publikum unter ganz andere Voraussetzungen (heraus)fordert als andere Kultursparten. Wie können Sie es journalistisch verantworten, die Angebote telquel miteinander zu vergleichen oder gegeneinander auszuspielen und gleich noch die Subventionslegitimation nachzuschieben, damit der Kessel der Verunglimpfungen und Unterstellungen so richtig zum Kochen kommt. Glauben Sie wirklich, dass diese Art der Auseinandersetzung der Bürgerschaft, den Kulturakteuren und den Medien in dieser Form "dienlich" resp. mit Blick auf die öffentliche Akzeptanz von Kultur und Kunst sinnvoll ist? Oder geht es Ihnen viel eher um die Provokation, damit endlich etwas läuft... Ihr vergifteter Artikel allerdings trägt dazu bei - vermutlich mehr als Sie denken - dass erst niemand mehr hin- und Ihnen die Arbeit ausgeht. C'est votre ton, qui ne fait plus de musique!

MATTHYAS JENNY, LITERATURBÜRO, BASEL: Alle haben kein Geld und alle, die Geld haben, haben auch keines. Es ist chic zu sagen: Ich habe kein Geld. Geiz ist nicht mehr geil, sondern chic und der letzte Modeschrei. Also sprach der Millionär “ich habe kein Geld” und lässt sich den Kaffee-Creme bezahlen. Die Millionärin sagt, dass sie kein Geld habe, aber jemand suchen will, der Geld hat. Der wiederum sucht nun Geld für diejenigen, die Geld haben, aber behaupten, sie hätten keines. Ein Sponsor sucht Sponsoren, damit er gesponsert wird, um sponsern zu können. Die Reichen zu Basel sind mausearm und wollen Geld von denen, die auch reich sind und auch mausearm und kein Geld haben. Und Institutionen suchen Geld bei Institutionen. Basel ist ein goldener Rolls Royce ohne Benzin (niemand will das Geld geben und den Fahrpreis bezahlen), aber er könnte eh nicht fahren, weil er mit viel zu viel Gold beladen ist. Da es nun chic ist, zu behaupten kein Geld zu haben und zu sagen "ich habe kein Geld", ist dies für diejenigen, die wirklich keines haben und es eigentlich dringend bräuchten, eine fortlaufende Verhöhnung. Die Kulturlosigkeit der Kulturgeldkultur ist erschreckend. Scham- und hemmungslos wird die Bevölkerung drangsaliert mit Sparpaketen, die niemand öffnen will (es ist nur viel heisse Luft drin). Schickt die Sparpakete doch ins Pfefferland! Es glaubts ja eh niemand. In Schönheit sterben, stand letzthin in "Magazin". So wird es sein. Aber eines ist sicher: Armut kann man nicht spielen.

ANN-MARGIT STROSCHEIN, BASEL: Der Zuschauer als physische Subventionsleistung des Theaters? (Für die finanzielle sorgt schon der Staat.)

• Solange eine (vermeintlich elitäre) Minderheit Kultur um der Kultur willen fordert,
• solange sie der so genannten breiten Masse ihre Kulturvorlieben als schlechten Geschmack vorwirft,
• solange sie nicht in der Lage ist zu sehen, was ein moderner Kulturbegriff heute beinhaltet,
• solange Petitionsunterschriftensammler am Eingang zum Schauspielhaus nicht um Unterschriften bitten, sondern sie einfordern und wortlos weggehen, wenn man darüber diskutieren möchte,
• solange Subventionen als automatische Staatspflicht betrachtet werden,

solange möge das Theater sich doch weiter bejammern und sein Problem auch selbst lösen.

• Wie wäre es, wenn man, wie alle Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, keine Subventionen erhalten und sich für jeden ausgegebenen Franken rechtfertigen müssen, auch mal schaut, was die Bedürfnisse eines zahlungs- und besuchswilligen Publikums sind?

• Wie wäre es, wenn man wie in jedem Haushalt, das plant, was man sich leisten kann und sich stattdessen um neue Ideen bemüht, dem Publikum das Theater wieder schmackhaft zu machen? (Statt nun auch noch einem potenziellen Besucher einreden zu wollen, er müsse aus rein moralischer Unterstützung ins Theater gehen.)

Solange geh ich zum EHC Basel, der auch zur Basler Kultur gehört und am gleichen Problem vom anderen Ende her leidet.

PETER BURCKHARDT, BASEL: Nehmen Sie doch bitte diesen unbedarften Beitrag vom Web. Soviel Ignoranz sollte nicht sein. War Herr Bühler schon einmal im Theater? Ist die Dichte an Wichtsocken ein Qualitätsbeweis für irgend einen Event?
 
Das Schauspiel ist derzeit ausgezeichnet. So wird zum Beispiel das "Goldene Vliess" in internationalen Medien gepriesen, die BaZ brachte eine fade Inhaltsangabe und nannte das Kritik, Herr Bühler hat es kaum gesehen, weiss wohl gar nicht, dass es gegeben wird. Jaja, früher war alles besser. Der gute alte Bachmann. Erinnern Sie sich noch an die Kontroversen damals? Vermutlich wird man sich in fünf Jahren mit noch viel mehr Krokodilstränen an heute erinnern - dann und erst dann werden Sie auch plötzlich die Namen des Schauspieldirektors Walburg, der einzelnen Regisseure und der erfolgreichen Produktionen kennen.
 
Unter der von einem Teil der Medien und Parteien geschürten Ignoranz und einem damit verbundenen populären Theater-Bashing leidet das Theater fast noch mehr als an der staatlichen Giesskanne, die allen zu wenig Subvention zum Leben und zu viel zum Sterben verteilt. Wir haben mit unserem Dreispartenhaus eine der wichtigsten Bühnen im deutschen Sprachraum in unserer Stadt. Aber getreu unserer kleinkarierten Grundhaltung reden wir Basler uns wieder einmal selbst schlecht. Und Herr Bühler setzt noch nach, indem er Unverdautes weiterplappert, ohne Relevantes zu recherchieren.

URS EBERHARDT, BASEL: Wir sind noch nicht weiter in der Debatte. Dass Herr Müller Arbeitsplätze und Freiheit beschwört, liegt an seiner Rolle als linker Grossrat und hilft dem Theater nicht, besser zu werden. Herr Ullrich steigt mit einer Blutgrätsche ein, weil er als Landschäftler Kulturwesir unser Theater leider auch schützen muss, wenn es gerade schlecht ist. (Nicht die Schuld vom Theater, sondern der ungattigen Finanzierungs-Atmosphäre zwischen den Halbbrüdern.) Herr Thüring ist bekanntlich gegen alles, ausser der SVP. Ich bin nur ein politisch interessierter Theater-Konsument. Ich will besseres Theater, über das die Leute reden, dann freu ich mich auch auf den eigenen Besuch. Niemand geht nämlich einfach nicht ins Theater, sondern stattdessen woanders hin, wo etwas Gutes dargeboten wird. So ist das heute. Und niemand hat genug Zeit oder Geld für alles aus dem Kultur-Kanon. Theater hier ist für Insider, zwangsbeorderte Gymnasiasten und Leute, denen nie Anderes eingefallen ist, je nach Zählweise bei 43 und 47 Prozent der verfügbaren Plätze. Ich finde es mutig, dass sogar die linke Regierungsmehrheit mauert. Den Solidaritäts- und Kultur-Beitrag zahlt jeder mit der Steuer-Rechnung. Für den Eintrittspreis will man was erleben.

JASCHA SCHNEIDER, ADVOKAT, BASEL: Bravo! Schonungslos und messerscharf analysiert: Claude Bühler bringt die Problematik auf den Punkt. Es geht nicht um die Qualität. Die mag stimmen. Dem Theater fehlt vielmehr die Verankerung in der Bevölkerung. Basel identifiziert sich nicht mehr mit dem Theater. Woran krankt es? Theater soll und darf provozieren. Richtig. Aber: Die Schönheit der Muse muss immer erkennbar sein. Sonst verliert der Besucher den Glauben ans Laben. Den Schildhelm-Jüngern fällt es ganz offensichtlich schwer, das einzugestehen. Den Meister selber kümmerst kaum. Er wägt sich im Olymp, obwohl er in Tat und Wahrheit den Hades überquert hat.

ROLAND STARK, BASEL: Herr Bühler verwendet zur Be- bzw. Verurteilung des Theaters den ebenso bewährten wie bornierten Basler Massstab: Die Dichte der so genannten Promis – "tout Bâle" - an den Schauspiel-Premieren. Nach diesem absurden Kriterium bin ich natürlich auch ein Banause; ich war noch nie an einer Premiere, bezahle dafür brav (in dieser Saison allerdings mit wachsendem Unmut) mein Freitags-Abonnement - doppelt wohlverstanden: Mit dem Abo und mit den Einkommenssteuern. Nach der letzten Vorstellung - der sehr gelungenen "Wildente" von Ibsen - wurde zur Unterzeichnung einer Petition aufgerufen, die gegen die Kürzung der Theatersubventionen durch den Regierungsrat protestiert. Hier wäre aber eine präzise Auswertung der Unterschriften sehr aufschlussreich, beispielsweise nach folgenden zwei Kriterien:

- Unterschriften nach Wohnort (Kanton, Gemeinde) geordnet, zum Beispiel Basel, Binningen, Bottmingen etc.

- Ein Vergleich der Unterschriften unter der Petition mit den Unterzeichnern der beiden Steuersenkungsinitiativen von CVP (minus 140 Millionen Franken) und SVP (minus 80 Millionen Franken).

JEAN-PIERRE SALZMANN, SAN ANSELMO/CALIFORNIA: Da ich jetzt in einem Umfeld lebe, wo kulturelle Institutionen sich selbst finanzieren müssen, durch Eintritte, durch Gönner, durch Sponsoren - aber auch zu einem kleinen Teil aus öffentlichen Fonds wie der Übernachtungstaxe und dem Lotteriefonds Unterstützung erhalten -, fände ich es eigentlich sehr nützlich für die Basler Theater, wenn sie sich endlich von den Staatssubventionen befreien könnten. Dieser institutionalisierte Finanzstrom ist meiner Meinung nach einfach nur kreativ lähmend und macht letztlich kreativ Schaffende zu Beamten. Ist das wirklich wünschenswert?

Ohne Abhängigkeit von Subventionen wäre es endlich möglich und vor allem notwendig, Theater zu machen, das das Publikum auch sehen möchte. Dass dies nicht mit einer Qualitätseinbusse verbunden sein muss, wird am Beispiel vieler amerikanischer Grossstädte gezeigt: Sie bieten oft ganz hervorragende Schauspiel-, aber auch Opern- und Sinphonie-Aufführungen. Ähnliches trifft auch für viele Museen in den USA zu, die Weltgeltung haben.

GISELA TRAUB, BASEL: Als Premieren-Abonnentin habe ich - im Gegensatz zu Herrn Bühler - nichts gegen Leute, die mit einem anderen Abo oder gar per Einzelbillett ins Schauspiel gehen. Hingegen habe ich einiges einzuwenden gegen die Art und Weise, in der er so genannte "Promi"-Teilnahmen an anderen "Events" gegen Theaterbesucher/innen aufrechnet. Ein ziemlich lausiger Versuch, finde ich. Und das war's dann auch schon von meiner Seite: Genau so, wie ich es seit langem aufgegeben habe, auf die Theater-"Kritiken" von Claude Bühler zu reagieren (ich hatte regelmässig den Eindruck, er habe eine andere Premiere besucht als ich!), halte ich es auch für vergebliche Mühe, eine differenzierte Antwort zu schreiben. "Differenziert" ist wohl der allerletzte Begriff, der einem beim Lesen von Herrn Bühlers wabernder Polemik einfallen kann.

BRUNO HEUBERGER*, OBERWIL: Herrn Thüring als bekennender Nicht-Theaterbesucher (siehe OnlineReports an anderer Stelle) spreche ich schlicht und einfach die notwendige Qualifikation ab, eine profunde Meinung zu diesem Thema öffentlich vertreten zu können. Standpunkte von zweiter oder dritter Hand wiederzugeben ist im höchsten Masse unseriöses politisches Schaffen und dient bei dieser Diskussion hier im Forum rein populistischen Zwecken.
* Mitglied Laientheater Poltrone Binningen

KARL LINDER, BASEL: Bei einer Krise finden sich oft verschiedene Problemzonen, die miteinander wenig zu tun haben, und sich dennoch zu einem schwierigen Ganzen duplizieren. So beim Theater. Als gelegentlicher Besucher muss ich dem Theater eine gute Qualität attestieren, nicht immer, aber immer wieder. Viele Theater in Europa haben dieselben Probleme: Geldknappheit, Besucherschwund, Inhaltliche Fragestellung (was soll heute Theater sein?). Die von anderen genannten Argumente möchte ich hier nicht wiederholen, sondern zusätzliche gesellschaftliche Aspekte in den Raum stellen:

• Das Kulturangebot hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv erweitert, auch im TV gabs vor 30 Jahren vier Programme, heute sind es 50 Kanäle
• Theater ist nicht mehr Kulturtempel des Bürgertums. Das anvisierte intellektuelle Publikum scheint zu wenig bereit, den Eintrittspreis zu bezahlen
• Die sehr auf Status und Fun orientierte Zeit lässt mit Freizeitverhalten wie "shopping" und "Wochenendtrips" ein Kulturangebot wie das Theater links liegen

Früher verkaufte sich alles, was produziert worden ist, auch in der Industrie. Heute haben wir nicht nur eine Überproduktion an Waren und Dienstleistungen, sondern Überkapazitäten auch im Kulturressort. Was dem Theater widerfährt, kennen auch kleine Veranstalter, sowie, generell gesagt, die gesamte Unterhaltungs-Wirtschaft.

Noch etwas zur Grössenordnung Schweiz: In jedem anderen Land würde man scih im Umkreis von 200 Kilometern auf einen hochstehenden Theaterbetrieb beschränken. Das wäre, wenn das Geld wirklich nicht aufzutreiben ist, die wohl vernünftigste Lösung, auch wenn wir dann als Basler nach Zürich pilgern müssten. Aber immer noch besser als fünf nationale provinzielle Theater ohne Gehalt. Inhaltlich muss das Theater wieder den Anspruch der Unverzichtbarkeit erlangen, für welches das Publikum wie bei einem Robbie-Williams-Konzert bereit ist, für Tickets anzustehen und 150 Kilometer weit zu pilgern.

JOEL THÜRING, GROSSRAT SVP, BASEL: Herr Heuberger, ich habe mir auch noch nie ein Bein gebrochen und weiss dennoch, dass es weh macht! Ausserdem stamme ich aus einer sehr theaterinteressierten Familie und da ist auch bei mir selbstverständlich ein Stück hängen geblieben. Vielleicht sehe ich die ganze Sache aber als "Aussenstehender" bzw. als jemanden, der nicht oft ins Theater geht einfach etwas differenzierter? Der Kulturfilz schlägt ja über bis in den Grossen Rat, und wenn ich dann noch sehe, wer im Verwaltungsrat sitzt bzw. wer im Verwaltungsrat schon alles sass, dann bestärkt mich diese Meinung. Diese Personen werden ja wohl kaum behaupten können, dass sie die ganze Angelegenheit neutral betrachten können.

ALOIS-KARL HÜRLIMANN, BASEL: Die USA als Vorbild? Wie viele "Museen von Weltgeltung" gibt es den für die etwa 280 Millionen Einwohner der USA in alltäglicher Reichweite ihres Wohnortes? Wieviele "unabhängige", also frei finanzierte Theater gibt es sagen wir mal in Texas, immerhin dem zweitbevölkerungsreichsten Bundesstaat der USA (22,2 Millionen Einwohner, 2004).

Das regelmässig angestimmte Jammerlied über die "zu teure staatliche" Kultur bringt auch dieses Mal nichts von Belang auf den Tisch. Der Alleswisser Thüring hat von nichts eine grössere Ahnung. Das weiss man als regelmässiger OnlineReports-Leser hinlänglich. Die "kulturelle Leistung" des EHC, der ja vermutlich wieder mal absteigen wird, mit den zahlreichen wichtigen Impulsen des baselstädtischen Kulturlebens in seinem vielfältigen öffentlichen Auftreten und dem komplex angelegten urbanen Durcheinander (etwas anderes als kulturelles Durcheinander gibt es nicht, wenn die Freiheit der Kultur gilt) gleichsetzt, verrät nichts über diese Kultur, aber sehr viel über die Urteilsfähigkeit einer Person, die solche Vergleiche ernsthaft öffentlich anstellt.

Kultur war in Europa seit dem Mittelalter immer subventioniert, mal von der katholischen Kirche, dann von all den Fürsten und Königen, von den reichsunabhängigen deutschen Städten oder den italienischen Stadtrepubliken, von Staaten noch und noch. Ohne Subventionen existierte weder eine deutsche Dichtung noch die österreichische Musikklassik von Mozart, Haydn, Beethoven usw. , und der grosse Michelangelo hätte keinen David aus Marmor gehauen, er hätte ohne die Medici und die Päpste seiner Zeit als Künstler gar nicht alltäglich leben können.

Um es etwas überspitzt zu formulieren: Theater existiert in den wichtigen europäischen Städten nicht in erster Linie wegen der Zuschauer, sondern wegen ihrer Rolle in der absolut notwendigen Aufrechterhaltung des öffentlich ausgetragenen Diskurses. Theater ist elitär. Elitär in dem Sinn, dass am Theater dargestellt wird, was ansonsten weder spartenübergreifende und allgemein verständliche Sprache noch Öffentlichkeit finden würde. In Basel findet der Diskurs leider nicht mehr in genügendem Ausmass statt.

Mit dem Theater hat diese sehr bedauernswerte Entwicklung wenig zu tun. Mit der fehlenden Kultur öffentlicher Auseinandersetzung in allgemein zugänglicher veröffentlichter Meinung aber sehr viel. Es fehlt eine Gegenstimme zur BaZ. Es fehlt eine zuverlässige öffentliche Einrichtung, welche gegen die herrschenden Dampfplauderer jene Schärfe erreicht, aus der heraus die Urbanität der alten Stadt Basel immer wieder Lebensfreude, Gestaltungskraft und Offenheit für globale Grössenordnungen gewinnen könnte. Viele interessante Menschen, die in Basel leben oder vorübergehend hier gewirkt, gelehrt, geschrieben, getanzt, gemalt, ausgestellt haben, wirken auswärts, weil sie auswärts jene Resonanz erhalten, die ihnen in der baselstädtischen Auseinandersetzung, die von Leuten mit Null Inhaltsvorstellung wie Thüring und Co. geprägt wird, im besten Fall grundlos beschimpft, im Normalfall einfach ignoriert werden.

Anders gesagt: Es gibt nicht nur den Herrn Cohn. Natürlich nicht. Aber für die Basler "Prominenz" (die so ausstaffiert ist wie alle Lokalprominenz in allen Städten, nämlich mit viel Langeweile, viel Kleidervorführung und wenig Inhalt) gibt es halt nur den Herrn Cohn, weil die BaZ sie mit dem Herrn Cohn zusammen ablichtet. Herr Bühlers Theaterartikel kann nicht jene Kräfte provozieren, welche man für die Stadtkultur gewinnen müsste. Dazu fährt er im - schlechten Wortsinn verstanden - viel zu provinziell auf.

OnlineReports:
Es fehlt eine Gegenstimme zur BaZ? Hmmm. Auf die Kernfrage ist die Debatte aber noch nicht vorgestossen - nämlich: Wie, ganz konkret, kann Theater gemacht werden, dass es wieder "Lebensfreude, Gestaltungskraft und Offenheit für globale Grössenordnungen" vermitteln und zu einem markanten Marktplatz des öffentlichen Diskurses werden kann? Sind das nicht sozialromantische Vorstellungen? Und: Was hat Schindhelm denn falsch gemacht bzw. was hat er tatsächlich unterlassen?

JOEL THÜRING, GROSSRAT SVP, BASEL: Herr Schindhelm hat es unterlassen, immerhin sind die Kürzungen ja schon beinahe 2 1/2 Jahre bekannt, seinem Nachfolger angemessene Rahmenbedingungen zu hinterlassen. Als zuständiger Intendant hätten er und der Verwaltungsrat sich damals bereits an die Ausarbeitung einer Strategie mit den angedrohten Kürzungen machen sollen. Dies wurde von ihm nicht getan, statt dessen hat er weiterhin an seinen Vorstellungen eines Theaters weiter gearbeitet, ohne dabei aber das Bedürfnis der Zuschauer genauer zu analysieren. Gleichzeitig hat er wohl damals schon mit dem Kapitel Basel abgeschlossen und sich primär um die neue Aufgabe in Berlin bemüht. Was legitim ist, was aber den Verwaltungsrat damals legitimiert hätte, den Intendanten freizustellen, da die sinkenden Zuschauerzahlen ja schon damals nicht für ihn sprachen. Man darf in der gesamten Diskussion nicht vergessen, dass wir hier von Steuergeldern sprechen und es die Pflicht des Staates ist, diese sorgfältig auszugeben.

ALOIS-KARL HÜRLIMANN, BASEL: Diese Gegenstimme zur BaZ, OnlineReports, lese und benutze ich regelmässig, wie man sieht. Ich bemerke in meinem Bekanntenkreis, dass OnlineReports immer häufiger konsultiert wird. Von der Anlage her steht hier ein Potential für den urbanen Diskurs zur Verfügung. Insofern schränke ich meine Bemerkung, die BaZ sei ohne Gegenstimme, ein. OnlineReports hat aber durchaus, hier dem Theater verwandt, einen gewissermassen elitären Benutzercharakter, weil man nämlich immerhin dies und jenes unternehmen muss, um dazu zu kommen. Schlagzeilenleser dürften sich nicht all zu viele einfinden. Ich bin sehr froh, dass es OnlineReports gibt.

Theatersubventionen, auch Orchestersubventionen, nebenbei gesagt, können natürlich unter dem Gesichtspunkt der "Ausnützungsziffer" des maximal zur Verfügung stehenden Platzes betrachtet werden. Nur: Sind denn beispielsweise die unzähligen Parkhausparkplätze in Basel immer voll ausgenützt? Und sind sie so bezahlt, wie sie ortsüblich mit Mieten oder mit Bruttorenditeberechnungen bewirtschaftet werden müssten? Sind diese Parkplätze nicht unglaublich übersubventioniert, und zwar durch die Steuerzahler des Kantons Basel-Stadt für zahlreiche Besucher der Stadt, die hier keine Steuern zahlen? Namentlich durch die Nichtautobesitzer in Basel-Stadt - übrigens vermutlich die Mehrzahl der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Oder wer bezahlt die Polizeieinsätze, wenn die sattsam bekannten FCB-"Fans" wieder mal alles kurz und klein schlagen und von der Unversehrtheit der Mitmenschen gar nichts halten ? Warum soll beispielsweise der Kanton Basel-Stadt Dutzende von Millionen Franken Steuergelder in die Sicherheit der 2008 mit drei oder vier Spielen in der Stadt gastierenden Europafussballmeisterschaft hineinbuttern, der Kanton Aargau, aus dem zahlreiche der vorgenannten Fans stammen, aber ohne Belastungen dastehen?

Fragestellungen eines Diskurses, der in Basel zu wenig stattfindet. Die Gewaltfrage rund um den hiesigen Spitzenfussball besitzt längst einen alarmierenden Charakter. Das Theater spricht über Gewalt, zeigt Gewalt, regt an, über Gewalt zu diskutieren. Sozialromantik ?

Zu Herrn Linders Ausführungen: Basel ist das eindeutige Zentrum einer trinationalen Großstadt. Sie haben offenbar noch nicht bemerkt, dass in Coop, Migros, Manor und so weiter vor allem Elsässerinnen und Elsässer arbeiten. Sie haben nicht bemerkt, dass Zehntausende aus Deutschland und aus Frankreich täglich in dieses Zentrum hineinpendeln und hier immer vielfältigere Beziehungen eingehen. Basel zählt eben nicht nur 187'00 Einwohner in einem kleinen Stadtkanton, sondern rund 600'000 im engeren Stadtgebiet. Das ist ja die Haupt-Krux dieser Stadt: Kaum jemand nimmt ihre tatsächlichen Dimensionen wahr.

Diese Vorbemerkungen sind meiner Ansicht nach unter anderem nötig, um eine sinnvolle inhaltliche Theaterdiskussion zu beginnen.

STEPHAN GASSMANN, BASEL: Seit über 20 Jahren besitze ich das Mittwoch-Abonnement des Theaters Basel. Verschiedene Direktoren habe ich erlebt. Das ging von Baumbauer über Doll, Zörner und eben jetzt zu Schindhelm. Zahlreiche Vorstellungen habe ich erlebt, die ein Genuss waren. Aber auch solche, bei denen ich in der Pause lieber zu einem  Bier in die "Kunsthalle" gegangen wäre. Es gab Zeiten, da wollte ich das Abo nicht mehr erneuern und trotzdem blieb ich. Warum? Die Stücke provozierten und sie lockten uns aus der Reserve. Vor allem in der Spielzeit Baumbauer fand diese Provokation statt. Ich denke da zum Beispiel an "Wilhelm Tell" frei nach Schiller, inzensiert von Frank Castorf. Ja, und hier unterscheiden sich Baumbauer und Schindhelm. Baumbauer war existent, hingegen Schindhelm ist nicht spürbar. Welche Botschaft will er uns mitgeben? Ich weiss es nicht. Baumbauer aber teilte uns dies mit und wir setzten uns damit auseinander und der Dialog mit der Bevölkerung fand statt. Michael Schindhelm konnte die Baslerinnen und Basler nie für "sein" Theater begeistern. Und nach dem Weggang von Stefan Bachmann verschwand auch Schindhelm. Aufgrund des bisher über Georges Delnon gehörten, bestünde wieder die Chance, anspruchsvolles und kritisches Theater geniessen zu können. Gerade deshalb darf die Subventionskürzung nur 2,5 Millionen Franken betragen.

OnlineReports:
Herr Gassmann spricht von wünschenswerter "Provokation". Ist Provokation in Zeiten tatsächlich oder angeblich knapper werdender Mittel politisch opportun. Politikerinnen und Politiker, die nicht provoziert werden wollen, können Theater-Beiträge leicht mit vorgeschobenen finanziellen Argumenten kürzen. Ist anderseits das Publikum in Zeiten grassierender Unverbindlichkeit und Egomanie empfänglich für Provokationen? Herr Hürlimann spricht davon, wie das Theater Gewalt thematisiert hat. Die Frage stellt sich: Hat das Theater damit eine Gewalt-Debatte auch nur annähernd in Gang gebracht? Ist Theater heute noch ein taugliches Medium, um breite Debatten zu lancieren? Sind allenfalls andere Formen nötig? Muss das Theater neu erfunden werden?

JASCHA SCHNEIDER, ADVOKAT, BASEL: Das Theater muss nicht neu erfunden werden. Mich stört an der Diskussion, dass sie sich nur um zwei Punkte dreht: Geld und Provokation. Und damit wird ein zentrales Element des Theaters ausgeklammert: Theater muss auch schön sein, amüsant und manchmal sogar lustig. Es soll begeistern, Menschen zusammenführen und seine Besucher inspirieren. Theater ist nicht nur ein Medium für Intellektuelle, die hinter jedem Bühnen-Koitus eine tiefschürfende Gesellschaftskritik vermuten. Der Mix ist entscheidend. Es braucht deutlich mehr Stücke, welche die breite Masse ansprechen. Das Theater muss vermehrt auch auf kommerzielle Bedürfnisse eingehen. Nehmen wir das bereits angeführte Beispiel USA. Zwar hinkt es, denn wenn man es auf die Bevölkerungsdichte umrechnet, haben die Amerikaner deutlich weniger Theater und Orchester.

Trotzdem: Die L.A. Philharmonics erhalten zum Beispiel keine Subventionen. Sie finanzieren sich durch Spenden und ihre Auftritte. Dabei ist es unerlässlich, auch Kommerz anzubieten. Mit Betonung auf "auch". Ist Ihnen mal aufgefallen, dass die Zuschauer sich um Tickets für den "Faust" gerissen haben? Die Bevölkerung bekundet durchaus ein Interesse an guten Stücken. Nur: Der eine oder andere Intendant steht dann vor dem Problem, dass er zwar eine grössere Auslastung vorweisen kann, jedoch international kaum Beachtung findet. Und dort liegt der Hase im Pfeffer begraben: Basel braucht einen Direktor, dem es um die Sache und nicht um seine Person geht. Zielpublikum ist in erster Linie die Basler Bevölkerung und nicht die "Kulturredaktionen Deutschlands". Mit einer besseren Auswahl der Produktionen steigt die Auslastung und somit die Legitimation für staatliche Gelder. Gleichzeitig sinkt der Subventionsbedarf. Übrigens: Auch bei einem etwas "volkstümlicheren" Theater bleibt viel Platz für Provokationen und kritische Stücke. Es ist eben der Mix, der zählt.

KARL LINDER, BASEL: Man ist gelegentlich geneigt, die Wirkung eigener Dinge zu überschätzen, vor allem wenn es um Kunst und Kultur geht. Die langen Unterhosen oder herausgerutschen Brüste auf der Bühne provozieren längst nicht mehr das, was sich der Regisseur dabei denken mag. Inhaltlich gutes Theater, ob alt oder neu, ergibt allein durch Mundpropaganda eine gute Belegungsziffer.

An Herrn Hürlimann: Es ist mir durchaus nicht entgangen, dass die Region nicht nur aus der Stadt Basel besteht. Das Theaterinteresse der elsässischen Seite soll sich im Mikrobereich bewegen, die Baselbieter konsumieren fast ohne Subventionsgelder, wie man weiss.

Ich wage vorauszusagen, dass in Zukunft andere Konzepte eines ganzheitlichen Theatermanagements nötig sein werden. Weshalb benötigt jedes Theater eigene Intendanten, Ressort-Chefs, Regisseure und Ensembles? Mir als Theater-Konsument kann es egal sein, ob hier in Basel eine Münchner oder Hamburger Produktion aufgeführt wird. Wenn sie denn gut ist, dann noch so gerne! Weshalb sind Inszenierungen ausschliesslich an den Ort gebunden? Erfolgreiche Rock-Shows touren auch um die Welt, und Effizienz sollte auch in der Kultur kein Fremdwort sein. Argumente wie "war schon immer so" oder '"der Intendant prägt hier seine künstlerische Linie" sind irrelevant, wenn es um die Frage eines hochstehenden und bezahlbaren Theaterbetriebs geht.

PATRIC C. FRIEDLIN, BASEL: Nach Lektüre der engagierten Beiträge erlaube ich mir, folgende Fragen in die Debatte zu werfen: Könnte es sein, dass der zweifellos interessanteste Beitrag einer des neuen Theater-Direktors wäre und zwar punkto seiner Konzepte für die Zukunft? Wäre es nicht sinnvoll, darüber konstruktiv zu streiten? Bringt uns die "Exekution" Schindhelms nicht retour zu der Feststellung, dass es nicht wirklich schlüssig ist, jetzt über Schindhelm her zu fallen, da er bekanntlich hier inskünftig schlicht irrelevant ist? Und last but not least: Den nicht erst seit Kurzem zu Egomanie neigenden Schindhelm wegen ungenügenden Leistungen fristlos zu feuern und sodann gar noch auf Schadenersatz zu verklagen, kann doch wohl niemand, der bei Sinnen ist, ernsthaft fordern.

JOHANNES NORDIEK, SCHOPFHEIM: Liebe Basler, ob ihr es glaubt oder nicht: Ich mag Euer Theater! Ich bin froh über die vielen anregenden Stunden, die ich im Schauspielhaus (und in den anderen Spielstätten) verbracht habe. Gelangweilt habe ich mich nur ganz selten. Lasst Euch nicht beirren von Kritikern, die Euer Theater schlechtreden wollen. Ihr wisst doch: Das gehört bei denen zum guten Ton. Sie wollen damit ihre kulturwissenschaftliche Überlegenheit beweisen. Denkt daran: Euer Theater ist kein Theater für elitäre Kolumnenschreiber, sondern für uns - die Theaterbegeisterten der Region. Erhaltet Euer Theater - auch für uns! Herzlichen Dank sagt ein Gast aus dem deutschen Umland.

RENATE WEBER, GRENZEACH: Ich möchte mich sehr gerne den Ausführungen von Niggi Ulrich, Peter Burckhardt ("Pamphlet von Claude Bühler aus dem Web entfernen"), Gisela Traub (OnlineReports: "Hat Claude Bühler eine andere Premiere gesehen als ich?") und insbesondere denjenigen von Johannes Nordiek anschliessen. Auch ich gehöre zu den Grenzbewohnern, die sich überaus glücklich schätzen, ein so grossartiges Theater in unmittelbarer Nähe zu haben. Gerade das Schauspiel-Ensemble ist unvergleichlich. Entsprechende Würdigungen in "Theater heute" sprechen für sich.
 
Die Schauspiel-Premieren und das Premieren-Publikum - das ist doch nur ein Aspekt - und in der Regel sind die Premieren ausverkauft. Viele Theaterinteressierte warten erst ab, was die Medien meinen. Risikofreunde ist nicht jedermanns Sache. Ich habe seit vielen Jahren ein Schauspiel-Premieren-Abo und zusätzlich ein Schauspiel-Halbtax-Partner-Abo. Oft bin ich von der Premiere so angetan, dass ich die Stücke mit der Familie, mit Freunden oder Bekannten ein zweites Mal anschaue. Bei "Geschichten aus dem Wienerwald" wird das ganz sicher wieder der Fall sein.
 
Dieses Theater bewirkt und bewegt so viel, es gibt Denkanstösse, es provoziert - und unterhält: Eine einzigartige Mischung. Es gäbe zahllose Beispiele, ich möchte nur einige nennen - so die ganzen Produktionen von "Theater unterwegs", die exzellenten Stücke von Lukas Baerfuss, die sensationellen Produktionen auf der Grossen Bühne, die "Sensationen im Kleinen" im Nachtcafé und im K6. Immer wieder beeindrucken mich auch die Theterstücke auf der Kleinen Bühne.
 
Es wäre ausserordentlich bedauerlich, wenn diese Sparmassnahmen durchgesetzt würden, und damit vieles in Frage gestellt wäre. Ich schliesse mit einem Statement von Gisela Kutter (Präsidentin der Stiftung Schauspielhaus "Ladies First") an : "Die Stiftung Schauspielhaus Ladies First hat dem Staat dank der aktiven Unterstützung der Bevölkerung 26 Millionen Schweizer Franken zur Verfügung gestellt - sicherlich nicht, damit der Staat vier Jahre später seine Subventionen für das Theater Basel um 3,5 Millionen kürzt. Dies ist ein Verrat an der Bevölkerung" (zu lesen in der "Theater Zeitung", Januar 2006).

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