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© Foto by Ruedi Suter / OnlineReports

"Die Formen der Übergriffe sind zahlreich": Mutter mit Kind

Frauen sind immer noch die Opfer von Gewalt jeder Art

Am internationalen Frauentag, dem 8. März, gibt es nichts zu feiern

VON EVA VAN BEEK*

Tag für Tag werden Frauen und Mädchen Opfer von Gewalt. Überall, weltweit. Opfer von individueller, struktureller oder staatlicher Gewalt. Das verdrängte Leid ist weitgehend ein unvorstellbares Leid. Ausser man versucht es hin und wieder zu beschreiben.

Gewalt gegen Frauen hat verschiedene Gesichter. Sie wird unterschiedlich angewendet, wird oft verdrängt, unterschätzt und auf die Gewalt zwischen Einzelpersonen reduziert. Das ist falsch, wie die lange Liste der verschiedenartigen Gewaltformen beweist: Kollektive und militärische Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Staatlich geduldete oder sogar vom Staat ausgeübte Gewalt in Honduras. Strukturelle Gewalt gegen Minderheiten in Bulgarien. Diskriminierung beim Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung in verschiedenen Ländern.

In Afrika südlich der Sahara werden immer mehr Frauen Opfer der HIV-Epidemie, da sich viele Männer einen Deut um Vorsichtsmassnahmen scheren. Im Nahen Osten verlieren Frauen ihr Leben, weil sie die "Ehre" von Mann und Familie verletzt haben sollen. Und in Europa sind unzählige Frauen und Mädchen Opfer häuslicher Gewalt. Hinzu kommt die Prostitution, die oft der letzte Ausweg für viele Frauen in extremer Not ist. Traurige Tatsache: Von der Demokratischen Republik Kongo bis Bulgarien ist der Austausch sexueller Dienstleistungen gegen ein wenig Entgelt oder Nahrung oft die einzige Einkommensquelle für ganze Familien.

Kollektivergewaltigungen vor den Augen der Angehörigen

Was heisst aber "Gewalt an Frauen" konkret? Für die in Krisengebieten tätigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" bleibt Gewalt kein leerer Begriff. Die MSF-Leute werden immer wieder mit unbeschreiblichen Grausamkeiten konfrontiert: In Ituri (DRK) werden Kollektivvergewaltigungen von Frauen, Mädchen und manchmal Knaben vor den Augen machtloser Ehemänner und Eltern als Folterinstrument eingesetzt. In Tegucigalpa, Honduras, richten Zuhälter und gewalttätige Kunden junge Mädchen hin. In dieser Situation versucht MSF durch medizinische Unterstützung zu helfen. Zugleich will die Organisation auf ein Problem hinweisen, das nach wie vor stark tabuisiert wird und nur mit klaren politischen Positionen und Entscheidungen seitens der Regierungen angegangen werden kann.

Die drei folgenden Berichte illustrieren die erschreckende Gewalt und ständigen Erniedrigungen, denen Mädchen und Frauen in zahlreichen Ländern immer noch ausgesetzt sind. Es sind Übergriffe, die jeden Tag vorkommen – und trotzdem viel zu wenig Beachtung finden.

Fall 1: Cécile, mit acht Jahren missbraucht

In Ituri, der Ostprovinz von Kongo-Kinshasa, sind systematischen Vergewaltigungen und sexuelle Ausbeutung an der Tagesordnung. Hier die Leidensgeschichte von Cécile (alle Namen geändert). Das Mädchen ist acht Jahre und wohnt in Bunia. Cécile erzählt:

"Ich kam von einem Besuch bei meiner Grossmutter zurück. Es war drei Uhr nachmittags. Ein Mann, den ich kannte, ein Freund meines Onkels, bat mich, für ihn zu arbeiten. Ich antwortete, ich käme von meiner Grossmutter und sei auf dem Heimweg. Weil ich flüchten wollte, gab der Mann einem Knaben, den ich nicht kannte, den kurzen Befehl, mich zu fangen. Dieser hat mich gepackt und zu dem Mann gebracht, der mir ein Stück Plastik in den Mund stopfte, da ich schrie. Er hat mich ins Gestrüpp gezerrt, zu Boden geworfen, meinen Rock gehoben, meinen Schlüpfer zerrissen, seine Hose runtergelassen und ist mit seinem Geschlechtsorgan in meinen Bauch eingedrungen.

Er hat mich während langer Zeit vergewaltigt. Als es einnachtete, hat er mich bis an den Fluss Ngezi geschleift und mich hineingeworfen. Ich schleppte mich aus dem Wasser. Ein paar Minuten später habe ich mich gefasst und bin heimgegangen. Mein Rock war voll Blut und Schmutz. Ich konnte kaum gehen und musste unterwegs mehrmals anhalten. Ich bin um acht Uhr abends zu Hause angekommen und hatte immer noch dieses Stück Plastik im Mund. Als meine Mutter mich sah, hat sie den Plastik weggenommen und mich gefragt, was passiert sei. Ich habe alles erzählt. Darauf hat mein Vater den Täter zu suchen begonnen, der schliesslich aufs Polizeikommissariat gebracht wurde. Seither habe ich ständig Bauchschmerzen und die Vergewaltigung wiederholt sich in meinen Träumen."

Fall 2: Malina wird vom Vater zur Prostitution gezwungen

Bulgarien, im Winter 2004. Botevgrad an der Grenze zu Rumänien: Malina ist gerade 13 Jahre alt geworden. Heute hat ihr Vater sie mit einer ihrer älteren Schwestern auf den Lastwagenparkplatz gebracht. Der Wind ist eisig kalt. Der Vater wird sie vor dem Einnachten wieder abholen, sonst könnten sie von der Mafia entführt und nach Frankreich oder Italien geschickt werden. Ihr Körper ist in einen provozierenden Minirock gezwängt. Sie prostituiert sich für ein paar Leva und unterstützt so ihre Familie, ohne eine Zukunftsperspektive zu haben.

Sie stammt aus einer Roma-Familie. Sie erleidet an ihrem jungen Körper bereits die Gewalt, der die diskriminierte Roma-Gemeinschaft als ganze ausgesetzt ist. Zweimal schon wurde sie in der mobilen Klinik von MSF wegen sexuell übertragbaren Krankheiten behandelt. Hunderte von Mädchen wie Malina bezahlen heute diesen traurigen Tribut an den wirtschaftlichen Niedergang des postkommunistischen Bulgariens. Ein Tribut auch an das allmähliche Verschwinden gegenseitiger Hilfe in einem System, in dem immer mehr alles zur Ware wird.

Fall 3: Isabels einzige Hoffnung sind die Drogen

Honduras, Tegucigalpa, 2004. Seit über einem Jahr konsumiert Isabel regelmässig Marihuana und schnüffelt Leim. Vor kurzem hat sie mit Crack begonnen. Sie sagt, die Drogen würden ihr erlauben, ihre traurige Geschichte zu vergessen. "Wenn ich aufstehe und etwas zu rauchen habe, rauche ich. Dann esse ich weder am Morgen noch am Abend – denn niemand gibt mir etwas zu essen. Und ich schnüffle Leim! Nachher denkt man an gar nichts mehr ..." Isabel scheint nur sehr wenig Selbstachtung zu besitzen: "Ich bin kaputt, bin schmutzig, habe keinen Ort, um mich zu waschen, keine Kleider, das Einzige, was ich an mir gut finde, sind meine Augen und meine Wimpern, die sauber getrennt sind. Ich mag mein Gesicht nicht, denn es ist völlig von Narben übersät, und ich habe eine so hässliche Stimme, dass man es in ganz Honduras hört, wenn ich schreie!"

Oft überlebt Isabel nur dank der Hilfe der Gruppe, in der sie sich bewegt. Die Mädchen dieses schmutzigen Strassenabschnittes sind gegenüber Problemen von aussen solidarisch untereinander: Bezahlt ein Kunde nicht, schlägt sie ein Kunde oder werden sie von Passanten beleidigt, reagieren sie äusserst aggressiv, bewaffnen sich mit Steinen oder Messern und zögern nicht, diese einzusetzen. Trotzdem gibt es unter ihnen manchmal Konflikte um einen Kerl oder um Drogen, die schlimm ausgehen. Das Gesetz der Strasse ist eben das der Stärkeren, nur so kann man sich Respekt verschaffen. Eine andere Überlebensstrategie besteht darin, sich unter den Schutz von jemandem zu stellen. Dabei stossen die Mädchen oft auf dubiose Typen, die sie als einzige wirtschaftlich und physisch ausnutzen wollen – und dürfen. Weil es keine frauenwürdigen Alternativen gibt.

* Eva van Beek ist Kommunikationsbeauftragte von Médecins Sans Frontières /Ärzte Ohne Grenzen Schweiz.

8. März 2005

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"Schleichende Unterdrückung in Westeuropa"

Hinzuzufügen ist noch, dass in Westeuropa zunehmend brutalere Unterdrückungsformen umgesetzt werden. Dabei geht es nicht um Lohndiskriminierung, sondern um elementarste Dinge wie körperliche Integrität, Selbstbestimmung, Bewegungs- und Meinungsfreiheit, Recht auf Bildung.
 
Ein paar Indizien: In Berlin-Neukölln spielen arabische Mädchen nicht mehr mit den letzten deutschen Mädchen, weil diese sündig und der Hölle geweiht seien ("Botschaften aus der Parallelwelt", Frankfurter Rundschau online, 06.12.2004). In einer Kommunalanalyse des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg (Zentrum Demokratische Kultur, 2003) sagt eine Mitarbeiterin einer interkulturellen Einrichtung: "Ob ich jetzt Türkin bin oder Afro-Deutsche, eine Frau ohne Kopftuch ist plötzlich nicht mehr in Ordnung." (S. 61) Die jährliche (!) Zahl an Genitalverstümmelungen in Deutschland, Grossbritannien und Frankreich werden auf je (!) 10'000 bis 20'000 geschätzt ("Auch in Deutschland werden Mädchen rituell verstümmelt", Die Welt, 12.12.1996). Des weiteren sei an den Ehrenmord in Basel im Sommer 2002 erinnert (Marktplatz) oder an Hatin Sürücü diesen Februar in Berlin. Wussten Sie, dass in der griechischen Region Thrakien aufgrund eines Sonderrechts 10-jährige muslimische Mädchen verheiratet werden dürfen? ("Das verheiratete Kind", Die Welt, 25.02.2005)
 
Während die Frauen im Nahen Osten (z.B. die brutal zerschlagene Frauendemo in der Türkei) unter grosser Gefahr für ihre Rechte kämpfen, unterlaufen europäische linke Politikerinnen wie Frau Calmy-Rey oder Frau Vollmer (Grüne, D) diese Bemühungen, indem sie sich bei ihren Besuchen dem Kopftuchzwang unterwarfen. Einfach nur traurig und peinlich.
 
"Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!" (Sura 4:34, www.islam.ch, Quran online)
 
Man frage einen strenggläubigen Muslim über seinen Interpretationsspielraum des Korans, kombiniere mit Aussagen von Imamen in unseren Moscheen und denke nach... Man denke auch an die - teils erfolgreichen - Bemühungen in Frankreich und Deutschland, öffentliche Bäder gewisse Zeiten nur für Frauen (in der Regel Musliminnen) zugänglich zu machen. Und man vergesse nicht die Drohung gegen das "Forum für einen fortschrittlichen Islam".
 
Während in Europa in etlichen Ländern im Namen von Multikulti und einer falschen Toleranz immer mehr Frauenunterdrückung toleriert wird, spricht die sonst oft "gemässigte" UNO in ihren Berichten zur arabischen Welt deutliche Worte zur Situation der Freiheiten und der Frauen (Arab Human Development Report 2002, 2003). Allerdings ist keineswegs sicher, dass es den Frauen im Nahen Osten in den möglicherweise entstehenden Demokratien besser gehen wird, sollten die Islamisten an die Macht kommen. Und selbst wenn, bleibt den unterdrückenden Männern die Flucht in das Paradies der offenen Gesellschaften Europas, in denen heute fast alles toleriert wird.

Andy Wolf
Muttenz



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