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"Gewisse Marktmacht ausspielen": Kult-Kino-Betreiberinnen Schweizer und Gysin

"Möglichst viele Studiofilme, nicht möglichst viel Gewinn"

Wie das Basler "Kult-Kino" sich auf den Multiplex-Boom vorbereitet

VON CHRISTINE VALENTIN

Wer in Basel qualitativ hochstehende Filme wie "Mais im Bundeshuus" oder "Diarios de Motocicleta" im Original sehen will, landet meist in einem Sessel des Kult-Kino – im "Atelier", im "Camera", im "Club" oder im "Movie". Aufgabe der vier Kinos mit sieben Sälen sei es, "möglichst viele Studiofilme zu zeigen und nicht möglichst viel Gewinn zu machen", meint Geschäftsführerin Suzanne Schweizer.

"Basel ist ein schwieriges Kinopflaster und die Eröffnung des "Küchlin"-Multiplex-Kinos im Herbst 2006 wird die Situation zuspitzen. Um die neun Säle an der Kinomeile Steinenvorstadt auszulasten, werden sich die Multiplex-Betreiber auch auf die attraktiven Studiofilme werfen. Diese Publikumsrenner brauchen wir aber. Mit den "kleinen" Studiofilmen kann das Kult-Kino bei einem Betriebsbudget von 3 Millionen Franken nicht überleben." Diese Einschätzung von Suzanne Schweizer (51) teilt auch Suzanne Schweizers Kollegin Romy Gysin (49). Die beiden Geschäftsführerinnen sind seit Ende der 80er Jahre gemeinsam für die Leitung der vier Basler Studiokinos "Atelier", "Camera", "Club" und "Movie" zuständig. Die vier Kinos, die vor allem Studiofilme aus Europa und der Schweiz zeigen, erreichen einen Fünftel des Basler Kinopublikums.

Frauen-Mehrheit im Betrieb

Als sozialer Arbeitgeber hat das Kult-Kino eine flache Hierarchie und einen Rahmenvertrag mit seinen Angestellten, die Betriebskommission hat ein Mitspracherecht. Im Moment teilen sich 60 Frauen und Männer die rund 30 Vollzeitstellen – der administrative Aufwand ist entsprechend. Die vier Kinoteams arbeiten selbständig, die Operatricen und Billettverkäufer sprechen sich regelmässig untereinander ab und übernehmen viel Verantwortung vor Ort. Die interne Kommunikation braucht dennoch einige Ressourcen. Die strategische Leitung der Kult-Kino AG, die Programmation, die Festivalbesuche und Gespräche mit den Filmverleihfirmen erledigen die beiden Leiterinnen gemeinsam. Um die Finanzen und Verträge kümmert sich vor allem die Juristin Romy Gysin, während das Personal und die Öffentlichkeitsarbeit die Domäne der früheren Sozialarbeiterin Suzanne Schweizer sind.

Doch was macht es für die Kinos so schwierig, in Basel erfolgreich zu sein? Wie kommt es, dass die Basler Museen letztes Jahr mit 1'173’830 Eintritten mehr Besucher zählten als die Kinos mit 1'162'152 verkauften Eintrittskarten? Warum hat die drittgrösste Stadt der Schweiz mit einer lebendigen Universität die niedrigste Leinwanddichte pro Kopf der Bevölkerung?

Ausländische Nachbarn mit eigenen Kinos

Da sind einmal die Grenzen. Obwohl das Einzugsgebiet der Stadt je nach Lesart bis zu 400'000 Personen umfasst, nutzen die französischen und deutschen Nachbarn ihre eigenen Kinos. Auch junge Baslerinnen und Basler profitieren vom auswärtigen Angebot, da die Eintrittspreise deutlich billiger sind als in der Schweiz. Die Abwanderung in die Agglomeration hat ebenfalls Auswirkungen: 55'000 Menschen pendeln täglich aus dem Baselbiet, dem Fricktal oder dem Kanton Solothurn an ihren Arbeitsplatz in der Stadt – ihre Freizeit hingegen verbringen sie meist daheim auf dem Land. Dazu kommt: Wer in der schrumpfenden Stadt bleibt, setzt sich häufig lieber vors Heimkino als vor die Kinoleinwand. Ein Fünftel der baselstädtischen Bevölkerung ist über 65 Jahre alt – damit steht Basel in der Schweizer Statistik ganz oben.

Der Ausländeranteil von über 30 Prozent schmälert die potentielle Kundschaft eines Studiokinos ebenfalls und dazu kommt eine Mediensituation, die Suzanne Schweizer mit einem neidischen Blick nach Zürich und Bern mit "mehr als problematisch" bezeichnet: "Filmkritiken führen bei Radio und Fernsehen traditionell eine Randexistenz. Deshalb ist die Berichterstattung in den Tageszeitungen für uns umso wichtiger. Bei der 'Basler Zeitung' fehlt bisher jedoch die Kontinuität in der Kulturpolitik. Zusatzangebote wie etwa ein Gespräch mit einer Regisseurin stossen bei der Redaktion meist auf Desinteresse. Und die Gratiszeitung 'Baslerstab' wie auch die 'Basellandschaftliche Zeitung' sind aufgrund der Dominanz der 'Basler Zeitung' leider keine Alternative."

Eigentlich wären das alles Gründe, den Kopf in den Sand zu stecken. Das Kult-Kino entschied sich jedoch für die Vorwärtsstrategie. Bei der absehbaren Ausmarchung um die guten Filme – und damit ums Publikum – wollte sich das Kinounternehmen eine gute Startposition sichern. Denn das "Küchlin"-Multiplex ist nur ein Projekt von vielen. Das Angebot von bisher 5'500 Kinoplätzen soll in den nächsten Jahren markant steigen – und dies bei rückläufigen Besucherzahlen. "Wir beschlossen vor drei Jahren", so Romy Gysin, "neu als Gruppe aufzutreten. Nur so können wir unsere Position auf dem Platz Basel stärken und bei den Filmverleihern eine gewisse Marktmacht ausspielen."

Fusion von drei Aktiengesellschaften

Früher gehörten die vier Studiokinos der Studiokino AG, der Atelier AG und der Ciné Club AG. Alle Aktiengesellschaften hatten den gleichen Verwaltungsrat und die gleiche Geschäftsführung aber eigenständige Kompetenzen. Im November 2002 fusionieren sie zur Kult-Kino AG. Es folgen der Aus- und Umbau des Ateliers in der Theaterpassage. Das Kino wird von einem auf drei Säle erweitert und mit modernen Projektoren und Tonanlagen bestückt. Das zum Kult-Kino "Atelier" gehörende neue Restaurant "Angry Monk" mutiert bald zum beliebten Treffpunkt unter dem Tinguely-Brunnen.

Zum Aufbruch gehört nebst einem Billett-Reservationssystem für alle Kinos auch eine neue Identität. "Wir haben über ein Jahr gebraucht, um den neuen Namen zu finden", erzählt Romy Gysin. "Die Besucher sollten die einzelnen Kinos als Gruppe erkennen, wir wollten uns als Kulturkino positionieren und auch als Ort, der die "kultigen" Filme zeigt. Lange Zeit haben wir vergeblich nach einem Begriff gesucht, der mit einem A anfängt. Doch auch wenn unsere Kinos nun nicht als erste im Sammelinserat der Kinos erscheinen, so ist der gemeinsame Auftritt geglückt."

Seit 2003 schwarze Zahlen

Der Aufbruch hat sich gelohnt. Seit 2003 weisen die Rechnungen schwarze Zahlen aus, die Auslastung entspricht den Erwartungen und das Verhältnis zu den Verleihern hat sich positiv verändert. Nur das neu eingeführte Mittagskino im Kult-Kino atelier lässt bei den Besucherzahlen noch zu wünschen übrig. Dass die inhaltliche Ausrichtung stimmt, zeigt die Anerkennung der Branche. Im Juni konnte das Kult-Kino in Lausanne den ersten Preis der Arthouse-Kinos 2003 der Schweiz für seine "kontinuierlich herausragende Programmation" abholen.

Längerfristig steuern die beiden Geschäftsführerinnen gesamthaft 300'000 Besucher an, das sind 60'000 mehr als heute. Dafür braucht es noch Nachbesserungen beim Kult-Kino "Camera", auch hier sollen der Ton, die Projektion und das Ambiente dem neuen "Atelier-Standard" angepasst werden. Das Kult-Kino "Movie" wurde schon diesen September aufgewertet. Nebst diesen Verbesserungen, zu denen bald auch die Billett-Reservation per Internet gehört, heisst die Devise für die beiden Geschäftsführerinnen nun erst einmal Festigung des Bestehenden.

  > AUTORIN



Autorin dieses Porträts ist Christine Valentin. Die langjährige Journalistin arbeitet heute als PR-Beraterin und Museologin MAS. Sie betreibt in Basel die Agentur "Kommunikation mit Kultur".

17. Dezember 2004

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"Danke für die Kult-Kinos"

Danke, dass es die Kult-Kinos gibt! Und dazu das "Royal". So kann ich in Basel überhaupt noch ins Kino gehen. Die anderen könnten von mir aus zu machen. Kult hingegen ist cool!

Dieter Stumpf-Sachs
Basel


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