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"Bis an der Grenze der Belastung": Kellner der "Basler Rathaus-Arena 04"

"Politik läuft häufig so, wie sie die Basler Rathaus-Arena abbildete"

Der Kellner als Insider: Erstmals gewährt er Einblicke in die Online-Wahldebatte der letzten zwei Monate

VON PETER KNECHTLI

Der Online-Wahlkampf wird immer wichtiger. Davon ist der Kellner der "Basler Rathaus-Arena" überzeugt. Während zwei Monaten bediente er Prominente und Polit-Novizen, die sich zu einer Dauer-Debatte in der "Brasserie" von OnlineReports niedergelassen hatten. Erstmals nimmt der Kellner öffentlich zu seinen Begegnungen und Beobachtungen Stellung.

OnlineReports: Herr Kellner, wem gilt dieses Wochenende Ihr Mitgefühl?

Kellner: Den Nicht-Gewählten. Mehr noch aber den Gewählten.

OnlineReports: Sie haben für uns während genau zwei Monaten den Wahlkampf dienend begleitet. Wie war die Stimmung in der "Brasserie"?

Kellner: Unterschiedlich, wie dies bei Politisierenden der Fall ist. Jene, die sich öffentlich lauthals an den Kragen gehen, wurden im Separee plötzlich still. Und sie kamen einige Zeit nicht wieder an ihre Plätze zurück. Es muss dort also eher harmonisch zugegangen sein. Auf der andern Seite bemerkte ich, wie Angelika Zanolari einem Grossrat der eigenen Fraktion unter dem Tisch einen markanten Kick ans Bein versetzte, weil er sich beim Formulieren eines "Arena"-Statements von der Schweizerischen Bürgerpartei hatte erwischen lassen, wie er sich mit seiner Chefin abgesprochen hatte. Ein andermal bekam ich mit, wie Urs Eberhardt den abtretenden Finanzdirektor Ueli Vischer und FDP-Präsident Urs Schweizer dazu bewegen wollte, auffällig unbeantwortete Fragen zu beantworten. Doch das war scheinbar nichts zu machen.

OnlineReports: Wieviele Leute besuchten überhaupt die "Brasserie"?

Kellner: Gezählt habe ich nicht. Aber dank unserer Statistik-Software, die alle registriert, die erhobenen Hauptes das Lokal betreten, waren es gegen 20'000 Besucher.

OnlineReports: Hat Sie diese Zahl überrascht?

Kellner: Aber ich bitte Sie! Überfordert hat sie mich!

"Gegen 20'000 Besuchende
haben die 'Arena-Brasserie' betreten."

OnlineReports: Letzten Herbst boten Sie doch schon die "Basler Ständerats-Arena". Wieviele Besucher waren es damals?

Kellner: Es waren zwischen 4'000 und 5'000. Aber die Öffnungszeit war auch etwas kürzer.

OnlineReports: Können Sie sich zur Zusammensetzung Ihrer Kundschaft äussern?

Kellner: Auffällig war die starke Präsenz der SVP. Manchmal drangen so viele mit Wortmeldungen an den Stammtisch, dass ich Grenzen ziehen und einige Leute in die Warteschlange verweisen musste. Es ist klar, dass dies nicht mit Freude quittiert wurde. Aber Kinnhaken setzte es keine ab, die Durchsetzung der - gestatten Sie mir den unpassenden, aber berufsüblichen Ausdruck - Hack-Ordnung geschah mit Respekt. Ab und zu erhielt ich hinterher ein geharnischtes Mail. Im Verlauf der Debatte veränderte sich das Publikum. Neue Akteure traten auf den Plan. Die erneut kandidierenden Frau Regierungsrätin und Herren Regierungsräte äusserten sich ebenfalls allesamt - zumindest, wenn sie gefragt wurden - ...

"Wer sich in der Online-Debatte nicht zeigt,
wird als nicht präsent wahrgenommen."

OnlineReports: ... das fiel uns auch auf - warum nur Wortmeldungen auf Fragen?

Kellner: Ich bin hier zu wenig Experte. Aber ich glaube, sie sich eher gewohnt, Fragen zu beantworten als zu stellen. Oder haben sie schon einmal einen Regierungsrat gesehen, der ein Interpellation einreichte?

OnlineReports: Aber ein Regierungsrat könnte doch auch eine Debatte anreissen?

Kellner: Gewiss. Da braucht es noch etwas mehr Vertrautheit mit den Gesetzen der Online-Debatte. Insofern haben Sie mit ihrer Frage recht: Wer sich hier nicht zeigt, wird als nicht präsent wahrgenommen. Es ginge darum, die bilaterale Atmosphäre der Vertraulichkeit zu knacken, in der Regierungsräte - verständlicherweise - üblicherweise ihre Fäden ziehen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass das Online-Präsenz einen wichtigen Einfluss auf die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit hat.

OnlineReports: Auffällig war, dass sich bei CVP, FDP und Liberalen - also ausgerechnet der bürgerlichen Wahlallianz - die Teilnahme an der "Arena" auf einige sehr aktive Debattierende beschränkte. Wie ist das zu erklären?

Kellner: Die Abwesenden würden sagen: Wir bieten doch der SVP keine Plattform. Es kommt dazu, dass in einer solchen Debatte natürlich verbindlich diskutiert wird. Das heisst: Man muss erstens mit dem Namen zu seinen Aussagen stehen. Und zweitens sind die Wortmeldungen ja auf OnlineReports schriftlich dokumentiert. Sich so zu exponieren, ist noch nicht jedermanns und jederfraus Sache - selbst unter Gewählten nicht.

OnlineReports: Jemand sprach von gelegentlicher "politischer Niederwildjagd".

Kellner: Sagen Sie mir bitte, wo die Platzhirsche sind! Ich glaube, Politik läuft häufig nach der Mechanik, wie sie die "Arena" abbildete. Wenn das Hochwild nicht zeigen will, ist das seine Sache.

OnlineReports: Manchmal wurde ja gar nicht debattiert, sondern ohne Zusammenhang auf das bereits Gesagte die eigene Meinung abgegeben. Hätten Sie da nicht stärker korrigierend eingreifen müssen?

Kellner: Ganz im Gegenteil. Meine Aufgabe beschränkte sich darauf, die dramaturgischen Eingriffe auf ein absolut notwendiges Minimum zu beschränken, um ein authentisches Abbild der Diskussion zu gewährleisten. Und es zeigten sich die Krankheits-Symptome, an der auch die Real-Politik leidet. Nämlich Kräfteverschleiss durch Hausmacht-Profilierung und Revierverteidigung, also Binnen-Ideologie sozusagen, statt parteiübergreifende und vorwärts gerichtete Sachpolitik.

OnlineReports: Weichen Sie uns nicht aus! Hätten Sie nicht eingreifen müssen, damit die SVP nicht so dominierend zu Wort kam?

Kellner: Das kann nicht die Aufgabe des Kellers sein, der die wie organisiert scheinende Online-Aktivität der SVP natürlich längst bemerkt hatte und auch immer wieder regelwidrige Mehrfach-Meldungen mit gebotener Höflichkeit abklemmte. Aber als Edi Borer eine Statistik der Wortmeldungen vorlegte, begann sich die demoskopische Zusammensetzung zu verändern. Neue Akteure betraten das Feld. Aber die SVP blieb bis zuletzt nah am Ball. Davon könnten andere lernen.

OnlineReports: Wo stiess die Debatte an Grenzen?

Kellner: Das "latent faschistisch" von Urs Eberhardt tangierte die Grenze des Tolerierbaren. Einen andern Begriff ("der hat einen Knall" oder ähnlich) musste ich durch lautes Lärmen tilgen. Auch Roland Stark sprach von "Beschimpfungen aus dem faschistischen und stalinistischen Wortschatz". Auf der andern Seite waren Eberhardt und Stark auch äusserst geschickte und sachkundige Debattierer, denen nur schwer beizukommen ist. Darum wissen sie sich auch häufig durchzusetzen. Aber auch bei Roland Stark war eine Nachfrage nötig, bis er seine Zunft heraus rückte.

"Das 'latent-faschistisch'
war an der Grenze des Tolerierbaren."

OnlineReports: Welches war nach Ihrer Meinung der beste Satz, der in der "Brasserie" fiel?

Kellner: Da muss ich keinen Moment zögern. Es war jener von Beat Jans: "Das rotgrüne Bündnis ist nicht durch Hammer und Sichel geprägt. Die FDP aber durch Hammel und Degen." Der gehört ins Museum für Gegenwartskunst.

OnlineReports: Gab es eine Wort-Entdeckung, die Ihnen besonders auffiel.

Kellner: Ja, natürlich. Es ist "subkutan", eine von Maria Iselin, der Präsidentin der Liberalen, bevorzugt gebrauchte Kreation. Die ging mir unter die Haut. Leider mochte sie sich noch nicht überwinden, in die "Brasserie" einzutreten und die Begriffs-Perle auch dort zu präsentieren. Aber, wie sagte doch, um auch ein Zitat zum besten zu geben, schon Emil: "Was noch wird, kann nicht sein."

OnlineReports: Gab es auch Leute, die Ihnen auf den Keks gingen?

Kellner: Einem Kellner darf niemand auf die Nerven gehen; er leistet ja so etwas wie einen Service public. Aber wenn sich Leute über den Verlauf der Debatte ärgerten, die selbst nicht aktiv teilnahmen, dann war ich nahe dran, in die Tischplatte zu beissen. Die Besuchszahlen zeigen, das die Lust, die Debatte online zu verfolgen, deutlich grösser ist als an ihr selbst aktiv teilzunehmen.

OnlineReports: Zwei Monate Tag und Nacht in der "Brasserie" stehen - was haben Sie persönlich aus den Gesprächen gelernt?

Kellner: Beim aufmerksamen Zuhören, beim Beobachten der Reaktionen und der Kicks unter der Tischplatte, des Zuzwinkerns, wenn es der gerade Sprechende nicht merkte, des Zurechtweisens, des Dasselbe Wiederholenden, des Ellenbögelns, des kunstvollen Formulierens, des Bundesverfassungsartikel-Zitierens, des und der aufs Monothema Fixierten, des eleganten Wortfechtens, der profanen Sprache, der Missverständnisse, der kühnen Visionen, der Fähigkeit und Unfähigkeit zum Dialog, der hochstehenden Attacke, der dumpfen Verteidigung, der ironischen Fragen oder der couragierten Stellungnahmen zeichneten sich allmählich plastische Profil der "Arena"-Besuchenden ab. Diese "Duftnoten der Persönlichkeit" sind zuverlässiger als alle Duftwasser-Analysen.

"Die Online-Debatte machte deutlich, wer Wahlkampf macht und wer Wahlkampf machen lässt."

OnlineReports: Hat die "Arena"-Debatte mit knapp 20'000 Besuchenden einen Einfluss auf den Ausgang der Wahlen?

Kellner: Das ist schwer zu sagen. Sicher war sie klima-mitbestimmend. Und sicher ist, dass deutlich wurde, wer wirklich Wahlkampf macht und wer Wahlkampf machen lässt. Hier ist die Online-Debatte unerbittlich: Sie lässt sich nicht delegieren. Sie muss von allen persönlich durchgestanden werden. "Brasserie"-Bodenpersonal inbegriffen.

OnlineReports: Was hat Sie an der "Arena" besonders gefreut?

Kellner: Die Flasche Weissen (nicht Weisen) zu viert im "Café Spitz", dass der "Tages-Anzeiger" prominent über die "Rathaus-Arena" berichtete und dass Eric Weber sich freiwillig der Wortmeldungen enthielt. Abgesehen natürlich von den stets wachsenden Zugriffszahlen.

OnlineReports: Ist die "Arena" im Begriffe, zu einer Institution zu werden? Öffnen Sie die "Brasserie" bald wieder?

Kellner: Ich weiss es noch nicht. Erst einmal gibt's eine Woche Ferien. Doch zu allererst trinke ich einen Zweier Schoppenhauer.

23. Oktober 2004


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