Dieser Beitrag ist auch dokumentiert in der "Beobachter"-Ausgabe vom 2. Mai © Fotos Peter Knechtli OnlineReports / SF DRS "Wir verurteilen sexuelle Ausbeutung": Sat.1 CH-Geschäftsführer Christian Gartmann, Sat.1-Teletext-Seite Konzessionierter TV-Treff für Pädo-Szene Während Monaten nutzten Pädophile die Konktaktanzeigen im Schweizer Sat.1-Teletext - jetzt ermittelt die Justiz VON PETER KNECHTLI Unglaublich: Auf den behördlich konzesssionierten Teletext-Seiten des privaten TV-Senders Sat.1 Schweiz tummelten sich während Monaten ungehindert Pädophile. Erst als OnlineReports mit der Recherche begann, wurden die verbotenen Kontakanzeigen aus dem Angebot herausgefiltert. Jetzt ermittelt die Justiz. Betroffen ist auch ein gleiches Angebot von Pro7. Langsam rollt der brachialorthografische Text von unten nach oben über den Bildschirm: Ein "Geiler Spritzer" und ein "mega Säuli" suchen "knabenhafte schlanke bi-Boys 18j." oder "junge Stricher", heisst es im "SMS-Singledate" auf der Teletext-Seite 856 ("Mann sucht Mann") des Privatsenders Sat.1 CH. Doch das Trieb-Tableau, das sich klar an Schweizer Publikum richtet, betreibt Etikettenschwindel: Mann sucht nicht immer Mann, sondern zuweilen auch Minderjährige, und umgekehrt. Offensichtlich unbehelligt bietet der Tele-Homotreff auch einer Pädo-Szene Gastrecht zum Entsetzen vieler. Gesucht: "Boy zwüsche 11 und 18" So traute die 54jährige Franziska Spar (Name geändert) schon im Februar ihren Augen nicht, als sie am Bildschirm des konzessionierten Senders die triefenden Texte vorfand. Die empörte Mutter zweier erwachsener
"Lovely (12)" sucht "erfahrene Männer, die ihn per SMS befriedigen", hiess es in einer Anzeige. Oder: "Boyonly sucht Jungs zwischen 11-14 Jahren aus Basel, zahle Fr. 300.--." Eine andere Genital-Annonce sucht "Boy zwüsche 11 und 18". Ein "Geil 207" sondert ab: "Wann kann ich endlich einen Schwanz blasen, Alter Ab 13-17 auch Anfänger." Hinter Sat.1 Schweiz steckt zwar ein verschachteltes Firmenkonstrukt, aber kein anonymer Schmuddel-Veranstalter: Je 50 Prozent halten das Schweizer Verlagshaus Ringier und das deutsche Mutterhaus Sat.1 GmbH. Im Verwaltungsrat sitzt unter anderem das bei Ringier für elektronische Medien zuständige und berufsethisch zuverlässige Geschäftsleitungsmitglied Fibo Deutsch. Von Sat.1 über SevenOne Media zu Voice Publishing Die Sat.1 Schweiz verfügt über eine Programmkonzession des Bundes, Inhaberin der Teletext-Konzession ist
Geschäftsführer der Voice Publishing ist Jürg Wildberger (Bild), früherer "10vor10"-Chef des Schweizer Fernsehens und "Facts"-Chefredaktor. Er führte als Begründung für die wohl illegalen Inserate "alte Datensätze" ins Feld und räumt ein: "Da ist uns ein Riesenfehler passiert. Ich muss hier Konsequenzen ziehen. Das darf nicht mehr vorkommen. Die neuen Daten werden sauber sein." Eine "Singledate"-Anzeige per SMS kostet zwischen 4 Franken und 4.80. Jedes SMS, das Partner aufgrund des Inserats unter Nickname anonym führen, kostet weitere 40 und 80 Rappen. An beiden SMS-Formen verdienen SevenOne Media und Voice Publishing mit. Über Teletext-Inhalte schlecht informiert Über die Inhalte des vermieteten Produkts jedoch war SevenOne Media-Chef Gartmann schlecht informiert. Umso entrüsteter reagierte der Vater zweier Buben, als ihn OnlineReports mit den pädophilen Inseraten konfrontierte: "Die sexuelle Ausbeutung von Jugendlichen und Kindern ist aufs Schärfste zu verurteilen." Er bedauere, dass es "einigen Chattern trotz Monitoring" gelungen sei, diese Anzeigen zu publizieren. SevenOne
Doch gleichzeitig lief über den Sat.1-Teletext der neueste Fummel-Flirt: "LARS10: (Alter: 29) ich suche geile Dicke boy! Von 14 bis 29 Jahre!, bitte ich werde dich vertrauen! 100%! Ich liebe dicke! Mein schwanz ist geil." Dieser Eintrag zeigt: Die Minderjährigen-Inserate, die Franziska Spar im Februar dokumentierte, sind keine einmalige Panne, sondern kaum behinderte Praxis. "Seither", so die engagierte Frau, seien im Sat.1-"Singledate" weiterhin "fast täglich" Anzeigen dieser Art aufgetaucht, die bei der Visionierung selbst erfahrene Behördestellen "ins Staunen" versetzten. Justiz-Recherchen können ausgedehnt werden Jetzt ermittelt die Justiz, nachdem Franziska Spar nach einem Telefon-Marathon bei der Bundeskriminalpolizei auf Interesse gestossen war. Aktiv wurde auf deren Hinweis zunächst die Abteilung Sexualdelikte/Kinderschutz der Kantonspolizei Zürich, die einige Verfasser der Kontaktanzeigen ermitteln konnte. Die polizeilichen Strafanzeigen wurden der Bezirksanwaltschaft Dielsdorf "zur Weiterleitung an verschiedene Untersuchungsbehörden in der Schweiz zugestellt", wie der Anzeigestellerin mitgeteilt wurde. Bezirksanwalt Michael Künzle bestätigte, dass sich die Ermittlungen "im Moment gegen drei Personen in drei Kantonen" richten. Es sei durchaus denkbar, dass die Recherchen ausgedehnt würden. Das Problem: Die Identität von Prepaid-Handynutzern bleibt im Dunkeln. Im Visier hat der Untersuchungsrichter aber nicht nur die SMS-Akteure, sondern möglicherweise auch die am Geschäft partizipierenden Firmen: "Wir prüfen derzeit, ob es
Aktiv wird auch das Bundesamt für Kommunikation (Bakom), wie der für Sat.1 zuständige Jurist Alfons Birrer bestätigte. Zuständig ist diese Aufsichtsinstanz, weil es sich bei den bezahlten Einträgen um Werbung handelt. Birrer: "Wir werden unter rundfunkrechtlichen Aspekten prüfen, ob es sich um einen Verstoss gegen das Sittlichkeitsgebot und den Jugendschutz des Radio- und Fernsehgesetzes handelt." Übereinkommen verlangt besonderen Kinderschutz Dass mit der Sat.1 GmbH ein deutsches Unternehmen über die Teletext-Konzession nach deutschem Recht verfügt, ist kein juristischer Freibrief: Laut dem Europäischen Übereinkommen über grenzüberschreitendes Fernsehen muss auch eine deutsche Trägerschaft die schweizerischen Bestimmungen einhalten. So muss "Werbung, die sich an Kinder richtet oder Kinder einsetzt", "alles vermeiden, was deren Interessen schaden könnte". Falls das Bakom für den Vollzug einer allfälligen Rechtsverletzung nicht zuständig ist, kann es die betreffende Landesmedienanstalt einschalten. Sie prüft dann zusätzlich, ob allenfalls auch deutsches Recht verletzt wurde. Als Voice Publishing Mitte April erfuhr, dass OnlineReports ein neues krasses Pädo-Inserat (siehe Illustration oben) dokumentierte, meldete Chef Wildberger den juristisch brisanten Eintrag flugs dem ermittelnden Bezirksanwalt. Anzeige auch gegen Pro7-Teletext Sat.1 ist indes nicht der einzige Sender, dessen Teletext-Seiten Pädophile interessieren. Die Basler Staatsanwaltschaft hat laut Sprecher Markus Melzl Anfang März eine Anzeige gegen Pro7 an die Zürcher Bezirksanwaltschaft weiter geleitet. Entsprechende Wahrnehmungen auf Pro7-Teletext hat auch Franziska Spar gemacht. Pikant: Auch für die dortigen Kontaktseiten ist Voice Publishing zuständig. Unmittelbar nach Beginn der OnlineReports-Recherche sind die pädophilen Inserate vom Sat.1-Homo-Flirt verschwunden auf Intervention von Sat.1-Schweiz-Verwaltungsrat Fibo Deutsch.
3. Mai 2003 |
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