Fotos/Collage © by Peter Knechtli OnlineReports ![]() "Schweizer Fachgeschäfte verschwinden": Firmenschilder, Basler Klybeckstrasse Der Verlust an Heimatgefühl hat einen Namen: Klybeckstrasse Vor allem ausländische Läden, Fast-Food-Shops und Restaurants verdrängen alteingessene Fachgeschäfte VON BEAT STAUFFER Die Klybeckstrasse, eine der wichtigsten Strassenachsen im Kleinbasel, befindet sich in einem rasanten Veränderungsprozess: Immer mehr alteingesessene Fachgeschäfte verschwinden und machen mehrheitlich ausländischen Ladengeschäften, Fast-Food-Shops und Restaurants Platz. Die Angebot an Geschäften wird dadurch tendenziell einseitiger. Lässt sich dieser Prozess überhaupt aufhalten, etwa durch bauliche oder andere Massnahmen? Ist er überhaupt negativ zu bewerten? OnlineReports sprach darüber mit Geschäftsinhabern an der Klybeckstrasse und mit dem Leiter des Quartiersekretariats. Das Haus stammt noch aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. Während Jahrzehnten war darin die Bäckerei Meier untergebracht, ein traditionelles Geschäft in Familienbesitz. Nach dem Tod des Geschäftsinhabers wurde der Betrieb 1997 eingestellt. Eine andere Bäckerei, die in Basel über mehrere Filialen verfügt, mietete sich im Haus ein. Seit Weihnachten 2001 ist auch sie geschlossen. "Aus wirtschaftlichen Gründen sehen wir uns gezwungen, unsere Filiale per 24.12.2001 zu schliessen", steht seither an der Eingangstür. Immer weniger Laufkundschaft Es ist nicht der einzige derartige Fall an der Klybeckstrasse. Wenige Schritte davon entfernt ist ein kleines, sympathisches Antiquitätengeschäft zugegangen. Und keine zwanzig Meter weiter in Richtung Kleinhüningen hat die chemische Reinigung Eclipse ihre Filiale geschlossen. Viele Quartierbewohner nehmen diese Geschäftsschliessungen als Verlust, ja als eigentliche Verarmung wahr. Denn sie müssen nun wesentlich weiter gehen, um ihre alltäglichen Besorgungen zu erledigen. Noch wichtiger aber ist, dass die Klybeckstrasse so unmerklich ihr Gesicht ändert: Alteingesessene Fachgeschäfte machen immer mehr Fast-Food-Shops, Restaurants und Geschäften Platz, die sich mehrheitlich an ein ausländisches Publikum richten. Das irritiert nicht nur ältere Menschen, die sich nicht mehr recht heimisch fühlen in ihrem Wohnquartier. Es ist oft auch für die verbleibenden Geschäfte mit Nachteilen verbunden: Denn je weniger gute Geschäfte an einer Strasse angesiedelt sind, desto weniger Laufkundschaft ist vorhanden. Und
So beobachten denn auch viele Schweizer Geschäftsinhaber die Entwicklung mit einem gewissen Unmut. Jedesmal wenn sie die Schaufensterdekoration erneuere und zu diesem Zweck die Storen herunterlasse, daure es keine halbe Stunde, bis ein Ausländer an die Türe klopfe und sie frage, ob der Laden frei werde, erklärt Doris Bisser vom gleichnamigen Innendekorationsgeschäft. "In jedem Laden, der dicht macht, ist nachher ein Türke drin", sagt kommentiert ein älterer Quartierbewohner und drückt damit aus, was viele andere bloss denken. Dies stimmt zwar nicht in allen Fällen, doch als Tendenz trifft es zu: Es sind vor allem ausländische Menschen, die sich an den Hauptachsen im Kleinbasel eine Chance auf eine wirtschaftliche Existenz ausrechnen. Dadurch ergibt sich längerfristig nicht nur eine völlig neue Mischung von Geschäften, sondern auch ein anderer Charakter der Strasse. Diese Tendenz dürfte sich in den nächsten Jahren zusätzlich noch verstärken, weil die Inhaber von zwei, drei Fachgeschäften das Pensionsalter erreichen und das Geschäft vermutlich aufgeben werden. Seit 1856 im Kleinbasel: Das Blumengeschäft Zu den Fachgeschäften, die sich bis heute haben halten können, gehört das Blumengeschäft Mäglin. Der Urgrossvater des heutigen Geschäftsinhabers hatte den Betrieb - eine Kranz- und Bouquetbinderei - im Jahr 1856 gegründet. Damals war die Klybeckstrasse von Reben und Obstgärten gesäumt, und der allergrösste Teil des unteren Kleinbasels war noch nicht überbaut. Hans und Elsbeth Mäglin gehören auch zu den Geschäftsinhabern, die der jüngsten Entwicklung an der Strasse und im ganzen Quartier skeptisch gegenüberstehen. Die Klybeckstrasse leide immer noch unter dem Drogenhandel, auch wenn sich die Situation in letzter Zeit etwas gebessert habe. Das "Schwarzenpuff", im Nachbarhaus sei zwar nun geschlossen, dafür stehe das ganze Haus und das dazugehörige Restaurant leer, was die Attraktivität der Strasse nicht unbedingt steigere. Das Hauptproblem sei aber, so Frau Mäglin, dass gute Schweizer Geschäfte an der Klybeckstrasse fehlten und dass es kaum mehr Laufkundschaft gebe. Sie hätten zwar immer noch viele treue Kunden, die oft auch auf telefonischem Weg bestellten. Doch die Entwicklung stimme sie schon etwas skeptisch. Zwar seien sie auch schon für Blumendekorationen bei türkischen Hochzeiten angefragt worden, berichtet Elsbeth Mäglin. Doch diese Kunden hätten die Preise derart drücken wollen, dass sie schliesslich abgelehnt hätten.
Viele der angefragten Geschäftsinhaber teilen in wesentlichen Punkten die Analyse der Mäglins. "Die türkischen und kurdischen Restaurants stören uns nicht", sagte Michael Kamber, stellvertretender Geschäftsführer des Konfektionsgeschäfts Tosin, "doch der Bedarf ist jetzt gedeckt." Der richtige Geschäftemix sei sehr wichtig für die Attraktivität einer Strasse. Als positiv erachtet Kamber immerhin das Projekt eines "Eventhouse" im ehemaligen Ciba-Bürogebäude und auch das Musikcafé "Alpenblick", das eine Bereicherung darstelle. Antje Minkner, die zusammen mit ihrem Partner eine Art Treuhandbüro betreibt, das sich in erster Linie an ausländische Gewerbetreibende richtet, diagnostiziert ebenfalls ein zunehmend einseitiges Angebot an Geschäften an der Klybeckstrasse. Die Inhaber des Buchantiquariats "Grandville& Old Nick" würden sich ebenfalls mehr Laufkundschaft wünschen, sehen aber in der gegenwärtigen Bevölkerungsstruktur mit einem hohen Anteil an Studierenden auch Vorteile für ihr Geschäft. Eklatanter Mangel an Engagement Aus einer deutlich anderen Optik betrachtet Markus Fritz, der an der Klybeckstrasse seine eigene Apotheke betreibt, die Situation an der Klybeckstrasse. Fritz lebt zwar im Gegensatz zu den Mäglins nicht im Quartier, kann aber ebenfalls auf eine lange Familientradition zurückblicken: Das Haus ist in vierter, die Apotheke in dritter Generation im Besitz seiner Familie. Als er die Apotheke vor zehn Jahren umgebaut habe, hätten ihm seine Kollegen als "wahnsinnig" bezeichnet. Doch diese Befürchtungen stellten sich als haltlos heraus, und Markus Fritz ist mit dem Geschäftsgang zufrieden. Dabei spiele auch eine Rolle, so räumt Fritz ein, dass bis jetzt keine
Den Geschäftemix an der Klybeckstrasse empfindet Markus Fritz zwar ebenfalls als unausgewogen. Doch das Hauptproblem ortet der Apotheker anderswo: Im mangelnden politischen Willen, endlich etwas Konkretes für diese Strasse und für das untere Kleinbasel zu unternehmen. Seit Jahren rede man nun schon vom "Boulevard Klybeckstrasse", und immer werde das Projekt hinausgeschoben. Dazu brauche es, so Fritz, keine "Luxuslösungen" mit von den Geschäften mitfinanzierten Spezialstrassenbelägen. Denn die meisten Geschäftsinhaber seien mit ihren eher kleinen Umsätzen dazu gar nicht in der Lage. Wenn es dem Kanton wirklich ernst sei mit dem "Boulevard Klybeckstrasse" und der Aufwertung des Quartiers, dann müsse er nun aktiv werden und die Finanzierung des Projekts ermöglichen. Um weitere Impulse für das Quartier zu geben, könnte sich Fritz auch die Ansiedlung von weiteren kantonalen Ämtern - neben dem bereits existierenden Fürsorgeamt - vorstellen. Weiter müsste auch die Kantonalbank helfen, "Druck aufzubauen", und die Geschäftsinhaber an der Klybeckstrasse sollten sich mal Gedanken darüber machen, wie sie den Standort verbessern könnten statt sich permanent zu überlegen, ob sie ihren Betrieb in ein anderes Quartier verlegen sollten. "Ich möchte endlich Nägel mit Köpfen sehen", schliesst Markus Fritz, "statt dauernd nur Lippenbekenntnisse und kollektives Jammern hören". Ein Hauch von Optimismus Nochmals anders sieht die Analyse von Hanspeter Rohrer aus, dem Leiter des Quartiersekretariats an der Klybeckstrasse. Rohrer erachtet es als falsch, den Migranten die Schuld für die gegenwärtigen Probleme an der Klybeckstrasse zuzuschieben. Seiner Ansicht seien es nicht die Geschäfte von Migranten, die schweizerische Läden verdrängten, wie gelegentlich behauptet wird. Im Gegenteil: Migranten sprängen ein, nachdem alteingesessene Geschäfte bereits geschlossen worden seien. Sie verhinderten dadurch das Leerstehen von Lokalitäten und leisteten, genau genommen, einen Beitrag, um ein Quartier attraktiv zu halten. Die Gründe für den schleichenden Rückzug der alten Geschäfte seien vielfältig; dazu gehöre ein verändertes Einkaufsverhalten,
Die gegenwärtige Zusammensetzung der Geschäfte an der Klybeckstrasse findet zwar auch Rohrer alles andere als optimal. Das Problem sei vom Trägerverein des Quartiersekretariats erkannt diskutiert worden. Neben der vom Kanton geplanten baulichen Umgestaltung, die unter anderem Verbesserungen für den Langsamverkehr, die Fussgänger und den Warenumschlag zum Ziel hat, arbeitet das Quartiersekretariat, zusammen mit der "Integralen Aufwertung Kleinbasel" (IAK), an weiterführenden Projekten, die zur "Aufwertung, Imageverbesserung und sozioökonomischen Stabilisierung" der Klybeckstrasse beitragen sollen. Genaueres kann und will Rohrer allerdings zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekannt geben, da das Vorhaben im neuen Jahr zuerst mit Vertretern des lokalen Gewerbes, Anwohnern, der Verwaltung, der Chistoph Merian Stiftung und dem Trägerverein des Sekretariats diskutiert und danach partnerschaftlich realisiert werden soll. Diese Projekte, so Rohrer, sollen Hand in Hand mit der IAK realisiert werden, in die er grosse Hoffnungen setzt. Rohrer gibt sich überzeugt, dass man auf diese Weise den Geschäftemix tatsächlich beeinflussen kann. Genug von Lippenbekenntnissen Von diesem Optimismus ist bei den befragten Geschäftsinhabern indes kaum etwas zu spüren. Solange sich die Zusammensetzung der Quartierbevölkerung nicht ändere, so der Tenor, werde sich auch an der Klybeckstrasse kaum etwas ändern lassen. Dem Projekt für eine integrale Aufwertung des Kleinbasels und insbesondere auch dem "Boulevard Klybeck" begegnen viele mit einer tüchtigen Portion Skepsis; vielleicht auch deshalb, weil die Politik, so Antje Minkner, bisher "in keiner Art und Weise gegriffen habe." Die Behörden und auch das Quartiersekretariat dürften tatsächlich noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten haben. Vor allem aber muss der Beweis erbracht werden, dass der politische Wille da ist, den Problemen an der Klybeckstrasse mit griffigen Massnahmen zu begegnen. Derweil ist alles im Fluss: Ein "City Chicken Café", das in einem betont edlen Interieur - Marmorbodenplatten, geschnitzte Holzsäulen und farbige Glasfenster - die eher ungewöhnliche Kombination von süssen Backwaren und Pouletgerichten anbietet, hat eben seine Türen geöffnet. Und schon bald soll im ehemaligen Antiquitätengeschäft ein "Sandwich Delivery Service" seine Dienste anbieten.
2. Januar 2003 |
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