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"Das profitierende Gewerbe schuldet uns eher als wir ihm" René Kamm, der neue CEO der Messe Schweiz, fordert von den profitierenden Betrieben eine Gewerbesteuer VON PETER KNECHTLI Die Region Basel müsse sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Messe Schweiz künftig die notwendigen Investitionen nicht mehr selbst finanzieren kann. Im Interview mit OnlineReports äussert sich der neue Messe-Schweiz-Konzernchef René Kamm erstmals detaillierter über seine brisanten Pläne: Die Einführung einer Tourismus- oder Gewerbesteuer bei allen Betrieben, die von der Messe profitieren. OnlineReports: Am 2. April beginnt in Basel die weltgrösste Uhren- und Schmuckmesse, das Prunkstück Ihres Messeportfolios. Wie wirkt sich der Irak-Krieg aus? René Kamm: Auf der Besucherseite rechnen wir mit sehr negativen Folgen. Fast 30 Prozent unserer Besucher kommen aus Übersee, vor allem aus den USA, aber auch aus dem Fernen und Mittleren Osten. Der Einbruch kann 15 oder gar 20 Prozent betragen. Grosse Einkäufergruppen, die früher bis 15 Leute schickten, sind dieses Jahr noch mit zwei Leuten präsent. OnlineReports: Was ist der Grund? Kamm: Insbesondere die Amerikaner haben Angst vor Anschlägen, weniger in der Schweiz als vielmehr auf ihrer Flugreise. OnlineReports: Diese Messe findet erstmals in Basel und Zürich statt. Was versprechen Sie sich davon? Kamm: Das ist ein Meilenstein für die Messe Schweiz. In Basel sind die Markenaussteller, in Zürich auf über 15'000 Netto-Quadratmetern die 26 Ländergemeinschaftsstände, die Uhren, Schmuck und verwandte Produkte ohne eigene Marken zeigen. OnlineReports: Setzte es bei dieser Aufteilung Verteilungskämpfe ab? Kamm: Es war ein Prozess von drei Jahren. Ich bin in dieser Zeit sicher drei mal um die Welt geflogen, um mit allen Ausstellern zu reden, bis das Konzept stand. OnlineReports: Ist es ein Zwei-Klassen-System - in Basel die Nobelmarken und Exklusivprodukte, in Zürich die Massenware? Kamm: Sicher repräsentieren beide Standorte vollkommen verschiedene Einkaufskulturen. In Zürich wird das Produkt mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis eingekauft, in Basel geht es um das ganze Ereignis der Marken-Präsentation.
OnlineReports: Ursprünglich war es die Uhrenmesse, dann die Uhren- und Schmuckmesse, später die Basel und dieses Jahr ist es die Basel World, die erst noch teilweise in Zürich stattfindet. Entsteht da nicht ein Marken-Salat? Kamm: Nein. Es ist die weltweit wichtigste Branchenveranstaltung für die Uhren- und Schmuckbranche. Alle andern Fachmessen nennen sich Fair oder Show. Mit Basel World zeigen wir, dass wir in einer andern Liga spielen. OnlineReports: Kommen an Genf verlorene wichtige Aussteller zurück? Kamm: Am Uhren-Salon in Genf gibt es genau 16 Aussteller, davon elf allein von der Richemont-Gruppe. Wir haben 2'200 Aussteller. Genf ist also im wesentlichen eine Richemont-Hausmesse, angereichert mit fünf Partnerfirmen. Wir sind eine Weltmesse, auf der alle Marken ausser den 16 vertreten sind. Verschiedene Marken wie Bulgari, die in Genf waren, sind heute wieder in Basel. Unsere Türen sind immer offen. OnlineReports: Die Computermesse Orbit/Comdex soll dieses Jahr wieder auf Privatanwender ausgedehnt werden. Warum diese Neuorientierung? Kamm: Die Branche steckt in einer tiefgreifenden Krise. Die Budgets werden enorm zusammen gestrichen, so dass alle IT-Branchenmessen ein grosses Problem haben. Wir haben festgestellt, dass unsere Ausrichtung bloss auf Business-to-business nicht erfolgreich war, weil es bei den Endgeräten fast keine Unterscheidung zwischen Geschäfts- und Privatanwender mehr gibt. Darum haben wir die Plattform auch für den privaten Markt wieder geöffnet. OnlineReports: Nicht alle goutieren das. Das Schwergewicht SAP verzichtet auf einen eigenen Stand. Kamm: Das enttäuscht mich. Ich kann die Argumentation der SAP nicht nachvollziehen. OnlineReports: Gibt es weitere Schwergewichte der IT-Branche, die wegen des auf Privatanwender ausgeweiteten Konzepts in Basel nicht dabei sein werden? Kamm: Nein, aber es gibt Unternehmen, die aus Budgetgründen nicht dabei sein oder ihr Engagement reduzieren wollen.
OnlineReports: Die diesjährige Muba verlor dieses Jahr 20 Prozent Besucher. Es scheint, diese Frühjahrsmesse habe ihre Seele verloren. Kamm: Aus der Allbranchen-Messe Muba heraus sind viele Fachmessen entstanden, die heute insgesamt um ein x-faches bedeutender sind als die Muba. Die Muba als reine Pubikumsmesse kann nie mehr das sein, was sie einmal gewesen ist. Ein Teil der Kritik ist aber absolut berechtigt, mit den Parallelmessen wurden die Besucher zum Teil verwirrt. Eine Arbeitsgruppe arbeitet nun an zahlreichen Verbesserungen. OnlineReports: Die Messe Schweiz hat es mit ausländischer Konkurrenz zu tun, die mit mehreren Milliarden Euro Messekapazitäten - und Überkapazitäten - aufbaut. Wie begegnen Sie dieser aggressiven Entwicklung? Kamm: Die Fusion der Messen von Basel und Zürich war schon eine erste Reaktion darauf. Dadurch können wir bestehende Kapazitäten besser nutzen, ohne neue bauen zu müssen. Gleichzeitig wollen wir die Abhängigkeit vom Fremdmessengeschäft reduzieren und das Marketing-Knowhow verstärken, damit wir noch mehr eigene Produkte lancieren können. OnlineReports: Bei Überkapazitäten im Ausland können Aussteller doch auf die Flächenpreise drücken. Kamm: Unsere Messeprodukte sind so attraktiv und machen im Marketing-Mix so viel Sinn, dass wir uns auf solche Diskussionen nicht einlassen. OnlineReports: In welche Bereiche müssen Sie noch mehr investieren in Bauten, in Marketing? Kamm: Es gibt leider laufend Bedarf an Infrastrukturbauten. Aber wir müssen auch deutlich mehr in kreative Ideen investieren, um Messen attraktiver zu gestalten. Wir wollen auch die Internationalisierung steigern - also mehr internationale Aussteller und Besucher in die Schweiz holen. OnlineReports: Sie sagten kürzlich, man müsse sich mit den Gedanken anfreunden, dass die Messe Schweiz ihre Investitionen nicht mehr selbst finanzieren kann, sondern Unterstützung braucht. Wen stellen Sie sich als Kapitalgeber vor? Kamm: Es nicht gottgegeben, dass wir unsere Marketing- und Infrastrukturinvestitionen selbst finanzieren. Jeder Umsatzfranken, den wir generieren, multipliziert sich zehnmal zugunsten des gewerblichen Umfelds.
OnlineReports: Soll der Staat mehr zahlen? Kamm: Ich bin der Letzte, der nach dem Staat ruft. Aber wir sind ein Vertriebskanal für alle, die daran profitieren - seien dies Hotels, Restaurants oder Blumenlieferanten. In dieser Woche wird es Ihnen beispielsweise zwischen Basel und Zürich nicht möglich sein, bei einem Blumenhändler ein Arrangement zu bestellen, weil alle für die Uhren- und Schmuckmesse Blumen liefern. Unsere Messen verhelfen Hunderten Firmen zu Aufträgen. Was haben wir davon? OnlineReports: Nochmals: Wer soll zahlen? Kamm: In gewissen Städten gibt es eine Tourismus- oder Gewerbesteuer. Es gäbe die Möglichkeit, dass die Messe einen Beitrag für jeden Besucher erhält, den sie in diese Region bringt. An dieser Taxe könnten sich von den Hoteliers über die Restaurants alle beteiligen, die von der Messe Schweiz profitieren.
OnlineReports: Sie denken an eine vom Gewerbe bezahlte Messetaxe. Kamm: Ich will nur sagen, dass es sehr kreative Finanzierungsmodelle gibt. So hat zum Beispiel der Messeplatz Genf seine Palexpo-Halle 6 mit einer Gewerbesteuer finanziert. Wir möchten in den Köpfen die Erkenntnis verstärken, dass die Profitierenden der Messe uns eher etwas schulden als wir ihnen. OnlineReports: Die Messe als lokaler Gewerbemotor? Kamm: Wir tragen den Namen Basel in die ganze Welt hinaus. Dafür kriegen wir keinen Cent. Ich möchte unsere Idee einer Gewerbe- oder Tourismus-Taxe jetzt bringen und nicht erst dann, wenn es fünf vor zwölf ist. Wir wollen betriebswirtschaftlich hocheffizient arbeiten, aber vielleicht reicht dies irgend einmal nicht mehr. Was in unserer deutschen Nachbarschaft passiert, bleibt nicht ohne Folgen für uns: Die Messe Stuttgart baut derzeit für 800 Millionen Euro ein neues Messegelände aus. OnlineReports: Wann könnte diese Taxe fällig werden? Kamm: Ab 2005 könnte das ein Thema sein. OnlineReports: Wie lange gibt es die Messe Schweiz noch? Kamm: Noch lange. Ich bin absolut überzeugt, dass wir unser Geschäft eigenständig weiter entwickeln können. Eine Uhren- und Schmuckmesse oder eine Art könnte kein Amerikaner managen, weil die viel zu kurzfristig denken. Bei der Art in Basel haben wir über 900 Bewerbungen und selektionieren 270 Galerien. Solange ich in dieser Firma bin, werden wir unsere Top-Produkte langfristig richtig positionieren.
OnlineReports: Wie sieht Ihre mittelfristige Strategie aus? Kamm: Wir wollen an den Basler Messen wie Igeho, Swisstec oder Worlddidac den Internationalisierungsgrad steigern, in Zürich den Eigenmessenanteil erhöhen und das eine oder andere Ausland-Projekt neben der von uns in Florida organisierten Kunstmesse Art Basel Miami Beach lancieren. Wenn beispielsweise die Terror-Angst zunimmt, dann müssen wir auch in der Lage sein, zu den Kunden hin zu gehen - beispielsweise durch einen amerikanischen Ableger der Uhren- und Schmuckmesse. OnlineReports: Wie hat sich die Art Basel Miami Beach angelassen? Kamm: Sie hat sämtliche Erwartungen übertroffen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, innerhalb von drei Jahren die beste Messe auf dem Kontinent zu werden. Dieses Ziel haben wir schon nach der ersten Durchführung erreicht. Messen in Chicago und New York haben sofort an Qualität verloren. OnlineReports: Besteht nicht die Gefahr, dass Sie mit der Art in Miami die Basler Muttermesse kanibalisieren? Kamm: Die Messe in Florida hat uns überhaupt nichts weggenommen. Im Gegenteil: Sie bringt uns neue Sammler, weil sie eben auch eine Promotionsplattform ist. OnlineReports: Basel bringt im Mai erstmals die Buchmesse für den deutschsprachigen Raum. Sie findet gleichzeitig mit den Salon du livre in Genf statt - ein feindlicher Akt? Kamm: Genf hat auch schon eine Uhrenmesse eingeführt, während bei uns die Uhren- und Schmuckmesse lief. Wir haben darauf kaum reagiert. Das gehört zum Geschäft. Genf hätte die Möglichkeit gehabt, seine Plattform für die Deutschweizer Verlage auszubauen. Hat es aber nicht gemacht. Jetzt haben wir eben einen Bedarf ausgemacht.
OnlineReports: Gibt es auch Pläne, weitere Schweizer Messeplätze unter das Dach der Messe Schweiz zu nehmen? Kamm: Im Moment nicht konkret. Wir wollen uns nicht noch mehr Hallenkapazität ohne die entsprechenden Messeprodukte anschnallen. Basel und Zürich können wir optimal ausnutzen. Auf Projektebene dagegen sind wir mit den andern Messeplätzen in engem Gespräch. So könnten für Muba, Züspa und die Berner Bea die Kräfte gebündelt und gemeinsame Attraktionen aufgebaut werden. OnlineReports: Halt sich die Fusion der Messen von Basel und Zürich als Erfolg heraus gestellt? Kamm: Eindeutig. Es gibt keine fusionsbedingte Probleme. OnlineReports: Der 105 Meter hohe Basler Messeturm ist zwar das höchste Gebäude der Schweiz, aber zahlreiche Etagen sind noch nicht vermietet. Kamm: Ich bin nicht der richtige Ansprechpartner. Es ist ja nicht unser Turm. Wir sind ja nur Mieterin für einen kleineren Teil. Ich selbst werde mein Büro im 17. Stockwerk beziehen. Besitzerin ist die Swiss Prime Site. Es ist aber sicher die ungünstigste Zeit, um Büroflächen zu vermieten. OnlineReports: Besteht die Gefahr eines Geisterturms als Negativ-Symbol für unerfüllte Wachstumspläne? Kamm: Nein, das glaube ich nicht. In drei Jahren wird der Turm voll belegt sein. OnlineReports: Wie lange wollen Sie CEO der Messe Schweiz bleiben? Kamm: 17 Jahre - wann werde ich pensioniert (lacht)? Ich habe noch keine Minute Zeit gehabt, mir darüber Gedanken zu machen. Der Basler Gewerbedirektor Peter Malama zur Idee einer Gewerbesteuer
1. April 2003 |
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