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© Foto: OnlineReports
"Ehrliche Feedback-Kultur fehlt": Professor und Philosoph Hans Wüthrich
Gesprächspartner Hans A. Wüthrich (46) ist Professor für Internationales Management an der Universität der Bundeswehr in München, Partner der Zürcher Managementberatungsfirma B&RSW AG und früherer Vizepräsident der Feldschlösschen Holding. Er veröffentliche kürzlich das Buch "Die Rückkehr des Hofnarren - Einladung zur Reflexion nicht nur für Manager". Wüthrich ist Vater dreier Kinder und lebt in Rheinfelden AG.


"In den Chefetagen der Wirtschaft herrscht eine artifizielle Welt"

Ökonomieprofessor Hans Wüthrich plädiert für die Rückkehr des Hofnarren - in den Machtzentren der Unternehmen

VON PETER KNECHTLI

Auf den Chefetagen der Schweizer Wirtschaft kriselt es. Über Jahre gefeierte Top-Shots wie CS-Chef Lukas Mühlemann befinden sich auf Schleuderkurs oder treten gar - wie der allmächtige "Zürich"-Fürst Rolf Hüppi - unter Druck zurück. Gleich reihenweise werden Namen abzockender Topmanager bekannt. Nicht nur an einzelnen Personen liege das Problem, sondern an Systemmechanismen, glaubt Ökonomieprofessor Hans A. Wüthrich. Er plädiert in einem Buch für eine ganz und gar unkonventionelle Lösung gegen das grassierende Malaise in den Chefetagen: Die Rückkehr der Hofnarren.

Der Professor für Internationales Management an der Universität der Bundeswehr in München sieht die Hauptursache vieler Entscheidungsfehler in der "Lernresistenz" hoher Hierarchen. Top-Manager erhielten selten ein ehrliches und zeitgerechtes Feedback - "höchstens von den eigenen Kindern", schreiben Wüthrich und die beiden Ko-Autoren Wolfgang Winter und Andreas Philipp in ihrem Buch "Die Rückkehr des Hofnarren".

Was an den mittelalterlichen Höfen in Form des Hofnarren als "institutionalisierte Form der Reflexion" Königen, Fürsten, Hofschranzen und Höflingen den Spiegel vorhielt, hätte nach Meinung der Autoren heute - in neuer Form - dringende Berechtigung. Die Kritiker sind mit ihrer Analyse nicht allein. Auch der Zürcher Professor Bruno S. Frey fordert einen Advocatus Diaboli in den Schaltzentralen der Wirtschaft. Die Basler SP-Nationalrätin und Unternehmerin Anita Fetz möchte den Managern gar eine Viertagewoche verschreiben - "damit ein Tag fürs Nachdenken bleibt".

Die heutigen Chefetagen sind so etwas wie moderne Höfe.

OnlineReports: Herr Wüthrich, sind Sie ein Narr?

Hans Wüthrich: (Denkt lange nach) Ich hoffe schwer, dass ich das bin. Denn ein Narr ist in der Lage, sich selbst und andern den Spiegel vorzuhalten. Insbesondere in der heutigen Zeit werden genau diese Fähigkeiten vor allem in der Wirtschaft wieder wichtiger.

OnlineReports: Sind Sie heute schon vor dem Spiegel gestanden?

Wüthrich: Der Spiegel als Metapher zur Reflexion begegnet uns glücklicherweise täglich bei der Morgen- und Abendtoilette. Es gibt wirklich Tage, da ist der Blick in den Spiegel unangenehm.

OnlineReports: Aha - wenn was vorgefallen ist?

Wüthrich: Wenn ich mich dabei ertappe, wie ich wieder einmal unkritisch ein Rollenspiel mitgespielt habe und wie ich mit sehr viel Energie meine eigene Wahrnehmung zur objektiven Wahrheit erklären möchte. Oder wenn ich fast reflexartig in den alten Mustern operiere - indem ich in Beratungen zurückgreife auf nicht hinterfragte Allgemeinplätze wie "Konzentration aufs Kerngeschäft".

OnlineReports: In Ihrem Buch beschwören Sie die Rückkehr des Hofnarren - vor allem an der Spitze von Unternehmen. Woran kranken Manager?

Wüthrich: Die Chefetagen sind so etwas wie moderne Höfe. Käme ein Zeitreisender aus dem Mittelalter in unsere Zeit zurück, würde er wahrscheinlich erstaunt feststellen, dass er in den heutigen Konzernen das antrifft, was er vor 500 Jahren auch an Höfen schon erlebt hat: Heilige Ordnung im Sinne von Hierarchien, Misstrauenskulturen und Rollenspiele sind Phänomene, die er bestens kennt.

OnlineReports: Aber in der Wirtschaftswelt zahlt sich Offenheit nicht aus. Karriere macht, wer Widerspruch meidet.

Wüthrich: In der Tat ist die spontane, ehrliche und zeitgerechte Feedback-Kultur in Unternehmen nicht viel stärker entwickelt als in mittelalterlichen Höfen. Es gibt nämlich einen Zusammenhang zwischen der erreichten Hierarchie-Stufe und der Lernresistenz. Viele Hierarchen lassen sich lieber durch Lob ruinieren als durch Kritik verbessern.

OnlineReports: Wer seinem Chef schonungslos die Meinung sagt, wird doch zusammen gestaucht. Darum wird lieber geschwiegen.

Wüthrich: In den Chefetagen der heutigen Wirtschaft herrscht eine artifizielle Welt, der Realitätsbezug geht verloren. Es ist für mich erschreckend, zu erfahren, wie stark in Unternehmen das opportunistische Verhalten bis zur Selbstaufgabe dominiert. Zudem sind Hierarchen stark gefährdet, sich mit Leuten zu umgeben, die gleichdenkend sind. Darum rate ich jeder Führungskraft, nicht geklonte Mitarbeiter um sich zu scharen, sondern Andersdenkende.

Viele Hierarchen lassen sich lieber durch Lob ruinieren als durch Kritik verbessern.

OnlineReports: Ist anderseits Ihre publizistische "Einladung zur Reflexion" nicht eine raffinierte Form der Akquisition von Beratungsaufträgen für Coaching und Supervision?

Wüthrich: Auftragsbeschaffung ist nicht das Ziel. Mich beschäftigt die Frage der Rollenfixierung auch persönlich. Ich möchte mit der Metapher des Hofnarren eine kulturelle Evolution auslösen.

OnlineReports: Sie sprechen von "Lernblockaden" und "Informations-Pathologien". Sind Manager dumm?

Wüthrich: Sicher nicht. Die Botschaft ist die, dass vor allem in hierarchischen Systemen die Gefahr gross ist, dass Information nur noch gefiltert fliesst. Und dies müssten sich Manager bewusst sein, aber auch Politiker und Wissenschafter.

OnlineReports: Plädieren Sie nun dafür, dass Nestlé und Novartis, Zürich und CS einen Advocatus Diaboli engagieren, der den Chefs auf die Finger klopft?

Wüthrich: Es kann nicht die Lösung sein, sich analog zu einem "Chef Qualitätssicherung" einen Hofnarren zu halten oder das Narrentum an einen abstrakten Coaching-Stab zu delegieren. Zentraler Akteur muss der Top-Manager sein. Er muss eine offene Feedback-Kultur erzwingen, indem er sein Umfeld ermutigt, nicht rein opportunistisch, sondern im Sinne der Sache zu informieren und kritische Bereiche nicht auszublenden. Der Top-Manager muss voraus gehen und permanentes Hinterfragen als Selbstverständlichkeit vorleben. Die Wirtschaft benötigt dringend vermehrt Philosophen.

OnlineReports: Hätte ein moderner Narr - nennen wir ihn einmal Sepp Moser - das Swissair-Debakel verhindern können?

Wüthrich: Das Beispiel ist gut. Sepp Moser hat hier eine wirkliche Narrenfunktion wahrgenommen. Genau wie im Mittelalter sieht man an diesem Beispiel aber die begrenzte strategische Einflussmöglichkeit des Narren. Er kann aufgrund seiner Redefreiheit den Spiegel vorhalten und kritisch kommentieren, aber letztlich das System nicht aushebeln.

OnlineReports: Somit hätten Hofnarren auch nicht die grassierende Abzockerei von Affolter über Barnevik bis Honegger vereiteln können?

Wüthrich: Nein. Sicher aber ist, dass Abzocker nicht über ein ausgeprägtes Reflexionsvermögen verfügen.

Sicher ist, dass Abzocker nicht über ein ausgeprägtes Reflexionsvermögen verfügen.

OnlineReports: Zahlreiche Firmen leisten sich einen Umwelt- oder sogar einen Ethikexperten. Sind sie reine Alibiübungen?

Wüthrich: Es sind durchaus sinnvolle erste Schritte, um Bewusstsein zu schaffen. Ziel muss aber sein, dass ethisch verantwortungsvolles Handeln und Reflexionsvermögen von jedem einzelnen Mitarbeiter zur Lebenshaltung wird. Es müsste in den Unternehmen eine Kultur des Narrentums entstehen, in der jeder den Narr in sich selbst tragen sollte.

OnlineReports: Welche Fähigkeiten zeichnet ein solche Kultur aus?

Wüthrich: Wir würden zwei Fähigkeiten besitzen: Regelmässig selbst in den Spiegel schauen und sich kritischen Fragen stellen. Und zweitens, Sitzungen und bilaterale Gespräche für eine Auszeit unterbrechen und dabei andern den Spiegel vorhalten, wenn die Diskussion in eine falsche Richtung läuft.

OnlineReports: Wie wenden Sie den offenen Umgang mit Kritik und Selbstkritik als Professor gerade an der Bundeswehr-Universität an?

Wüthrich: In meinem Institut funktioniert die Feedback-Kultur gut. Ich habe Mitarbeiter aus ganz andern Disziplinen, zum Beispiel aus der Luft- und Raumfahrttechnink - und nicht nur Ökonomen, die die entsprechenden Muster inhaliert haben. Es gibt, von der Selbstbedienungsmentalität bis zum Realitätsverlust, so viel Irritierendes in der Wirtschaft und eine klare Dominanz der ökonomischen Denklogik gegenüber Politik und Gesellschaft, dass sich eine kritische Reflexion geradezu aufdrängt.

Es müsste in den Unternehmen eine Kultur des Narrentums entstehen, in der jeder den Narr in sich selbst tragen sollte.

OnlineReports: Wie stark hat Ihr Narrenbewusstsein das Unterrichtssystem beeinflusst?

Wüthrich: Ich habe seit fünf Jahren die Vermittlung von Faktenwissen stark reduziert, weil dessen Halbwärtszeit gerade noch sechs bis acht Jahre beträgt, und dafür die Schulung der Problemlösungs- und Sozialkompetenz verstärkt.

OnlineReports: Wie reagieren die Studenten?

Wüthrich: Durchaus positiv. Es braucht allerdings immer eine bestimmte Zeit, bis sie den Nutzen auch erkennen. Am Anfang sind viele irritiert.

OnlineReports: Wie sollen Manager soziale Kompetenz erwerben, wo sie doch in den meisten Ausbildungen nur betriebswirtschaftliche Daten und Formeln büffeln?

Wüthrich: Wir bilden tatsächlich noch viel zu intensiv ökonomische Handwerker aus. Das ist zwar zentral, aber es genügt nicht. Die Herausforderung liegt im Erschliessen von Erkenntnissen anderer Disziplinen. Es ist erschreckend zu sehen, mit welcher Arroganz heute die Ökonomen die Psychologie, Soziologie und Therapie ausblenden. Wir müssten in der Ausbildung das differenzierte Beobachtungsvermögen sowie Kommunikations- und Konfliktfähigkeit wesentlich stärker fördern, um Systemmechanismen in Unternehmen hinterfragen zu können.

OnlineReports: Gibt es solche Ansätze schon?

Wüthrich: Ja. An der Universität St. Gallen ist soziale Kompetenz integrierender Teil der Ausbildung. In Deutschland ist diesbezüglich die Privat-Universität Witten-Herdecke, die Metakompetenz schult, am weiteresten. Ziel des Studiums ist es, verantwortungsvolle Unternehmer zu entwickeln, die auch in Philosophie und Kultur geschult werden.

Es ist erschreckend zu sehen, mit welcher Arroganz heute die Ökonomen die Psychologie, Soziologie und Therapie ausblenden.

OnlineReports: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie einem Manager gegenübersitzen, der nur von sich, seinen Meinungen und seinen angeblichen Leistungen quasselt?

Wüthrich: In solchen Fällen kommt bei mir Mitleid auf, weil er Riesenchancen vergibt, vom Gegenüber zu lernen. Dies ist ein generelles Phänomen, das vor allem Hierarchen trifft. Von ihnen wird vor allem erwartet, dass sie Antworten geben und keine Fragen stellen. Aber wer nur sendet und nicht empfängt, kann nicht lernen.

27. Mai 2002

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© by Peter Knechtli