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"Hinter den Menschen schauen": Krimi-Autor Hansjörg Schneider


Hansjörg Schneider: "Ich halte nichts von Gerechtigkeit auf dieser Erde"

Mit "Tod einer Ärztin" ist der vierte Hunkeler-Kriminalroman des Basler Schriftstellers erschienen

VON PETER KNECHTLI UND RUEDI SUTER

Der Schriftsteller Hansjörg Schneider hat mit dem in Basel spielenden Roman "Tod einer Ärztin" soeben seinen vierten Krimi mit Kommissär Hunkeler veröffentlicht. Der 260seitige Band, im Ammann Verlag erschienen, hat bereits die Hitlisten erklommen. OnlineReports hat mit dem gebürtigen Aargauer Schneider (63) über den Roman-Hunkeler und über den Hunkeler in sich selbst gesprochen.

OnlineReports: Wenn Sie morgens in den Spiegel blicken, schaut Ihnen da Kommissar Hunkeler - die Hauptfigur Ihres neusten Kriminalromans - entgegen?

Hansjörg Schneider: Nein, eigentlich nicht. Am Morgen schaue ich nie in den Spiegel. Ich bin ein Morgenmuffel.

OnlineReports: Wann schreiben Sie denn?

Schneider: Von nachmittags drei Uhr bis in den Abend hinein. Wenn man länger als sechs Stunden schreibt, kommt nichts Gescheites mehr heraus.

Wenn man länger als sechs Stunden schreibt, kommt nichts Gescheites mehr heraus.

OnlineReports: Was unterscheidet Ihren Hunkeler von den Legionen anderer Kommissäre?

Schneider: Das weiss ich nicht. Ich bin im Grunde kein Krimi-Leser. Ich lese sehr gern Glauser, Chandler, Simenon und Dürrenmatt.

OnlineReports: In welchem Grad hat Hunkeler mit Hansjörg Schneider zu tun?

Schneider: Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich Polizist wäre. Insofern hat Hunkeler sehr viel mit mir zu tun.

OnlineReports: Könnte Hunkeler auch eine Uniform tragen?

Schneider: Ein Hunkeler in Uniform ist unmöglich. Ebenso unmöglich wie Schneider in Uniform.

OnlineReports: Ist Hunkeler Basler oder Aargauer?

Schneider: Er ist ein Aargauer, der in Basel arbeitet und wohnt.

OnlineReports: Ist er als Aargauer besonders befähigt, das Basler Milieu unabhängig zu durchleuchten?

Schneider: Basel ist eine Stadt, die die Zuzüger nicht aufschluckt. Basel ist immun gegen Zuzüger. Das heisst, als Zuzüger in Basel ist man vogelfrei. Man kann tun und lassen, was man will. Vielleicht ermöglicht das einen sehr genauen Blick auf Basel. Vielleicht kommt das Hunkeler zugute.

Hunkeler versucht die Täter zu verstehen. Darin besteht auch seine Ermittlungstechnik.

OnlineReports: Wer ist Hunkeler und in welchem Milieu lebt er?

Schneider: Er ist Kommissär im Basler Basler Kriminalkommissariat. Sein Büro hat er im Waaghof, dem Sitz der Staatsanwaltschaft. Er wohnt im St. Johann-Quartier, verkehrt in den Beizen dieses Quartiers, hat ein Bauernhaus in nahen Elsass. Er ist ein desillusionierter älterer Mann. Er sehnt sich nach der Pension. Er schwimmt gern im Rhein. Er hat eine liebe Freundin. Manchmal trinkt er zuviel Bier. Er glaubt längst nicht mehr an staatlich garantierte Gerechtigkeit ...

OnlineReports: ... dabei ist Hunkeler doch gerade im Dienste der Justiz tätig.

Schneider: Genau das ist sein Problem. Er versucht die Täter zu verstehen, was ihm auch meist gelingt. Darin besteht auch seine Ermittlungstechnik.

OnlineReports: Und dann liefert er seine von ihm verstandenen Täter der gnadenlosen Justiz aus?

Schneider: Wir leben ja in einem Rechtsstaat. Und das ist auch richtig so. Hunkelers Beruf ist das Ermitteln. Hunkeler ist für mich der Mann, den ich voraus schicke, um Randexistenzen und Aussenseiter beschreiben zu können, die durch irgend einen Grund aus dem Rahmen fallen und straffällig werden. Manchmal lässt er auch jemanden laufen.

OnlineReports: Aus welchen Motiven?

Schneider: Zum Beispiel wenn Hunkeler eine Gefängnisstrafe für das begangene Delikt für völlig unverhältnismässig und überflüssig hält. Man könnte vielleicht sagen, Hunkeler sei ein menschlicher Kommissär.

Interessant ist die Frage, wer diese Ärztin umgebracht hat, und warum.

OnlineReports: Da scheint viel Autobiografisches durchzuscheinen.

Schneider: Ich bin ja nicht Kommissär. Ich halte nichts von Gerechtigkeit auf dieser Erde.

OnlineReports: Wie bitte?

Schneider: Ja, es gibt keine Gerechtigkeit auf der Welt. Auch wenn der Staat verpflichtet ist, für Gerechtigkeit zu sorgen. Im Grunde ist das lächerlich.

OnlineReports: Auch wenn - wie in Ihrem neusten Buch - eine Ärztin ermordet wird?

Schneider: Ja. Interessant ist allerdings die Frage, wer diese Ärztin umgebracht hat, und warum. Aus dieser Frage besteht ja der Roman.

OnlineReports: Wer sorgt denn in der Gesellschaft für Gerechtigkeit?

Schneider: Das kann ganz klar nur der Staat. Das ist ein Widerspruch, der so bestehen bleiben muss.

OnlineReports: Worin besteht dann der Sinn von Hunkelers widersprüchlicher Arbeit?

Schneider: Er ist neugierig auf Menschen. Ihn interessieren Menschen. Das ist natürlich auch sehr interessant für einen Autoren. Der beste Kriminalroman aller Zeiten ist meiner Meinung nach Dostojewskis "Schuld und Sühne". Dostojewski ist deshalb so gut, weil er der genialste Menschenkenner der Weltliteratur ist. Wir alle, die wir leben, sind domestizierte Wesen. Wir alle können unter Umständen die Fassung verlieren und etwas tun, was wir dann nicht mehr verstehen.

OnlineReports: Wie lernen Sie immer wieder aufs Neue hinter einzelne Menschen schauen?

Schneider: Indem ich über mich selber nachdenke. Und indem ich mit andern Menschen rede.

OnlineReports: Wären Sie nie selbst gern Kommissär oder Krimineller geworden?

Schneider: Nein. Beides nicht.

Es scheint mir fast, als hätte Kommissär Hunkeler ein Eigenleben entwickelt.

OnlineReports: Ist mit weiteren Hunkeler-Krimis zu rechnen?

Schneider: Ich glaube schon. So eine Figur macht sich selbstständig. Der Sender Freies Berlin hat mit Schweizer Radio DRS den letzten Hunkeler-Krimi "Das Paar im Kahn" als mehrstündiges Hörspiel produziert. Es scheint mir fast, als hätte Kommissär Hunkeler ein Eigenleben entwickelt.

OnlineReports: Was kann einem Schriftsteller Schöneres passieren.

Schneider: Die Leute lesen sehr gern Kriminalromane. Es ist eine moderne Art der Unterhaltungsliteratur. Diese Art von Literatur kann kritisieren, indem sie unterhält.

OnlineReports: Sie sind jetzt 63 Jahre alt. Ist der Kriminalroman eine Altersform?

Schneider: Sicher. Das Schöne ist ja, dass Hunkeler auch 63 ist. Der altert mit mir. Wenn ich 70 bin, ist Hunkeler auch 70. Und er wird immer noch herum schnüffeln.

OnlineReports: Wie lief das Buch an?

Schneider: Es kam Mitte Februar in die Buchläden und lief erstaunlich gut an. Vor allem auch deshalb, weil der Verlag einen Wettbewerb für Buchhändler organisiert hat.

OnlineReports: Worin bestand der Wettbewerb?

Schneider: Es wurde ein Leseexemplar verschickt, worin die zehn letzten Seiten fehlten. Die Buchhändler mussten heraus finden, wer der Täter ist. Ich gehe jetzt mit drei Buchhändlerinnen, die die richtige Lösung eingeschickt haben, ins Elsass essen.

OnlineReports: Vielleicht treffen Sie ja dort auf Hunkeler.

Schneider: Schön wär's.

27. Februar 2001

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