"Das ist nicht Zeug vom Teufel": Politiker Erich Straumann (links), Psychiater Jakob Bösch Chefarzt will seine Geister nicht los werden Baselbieter Chef-Psychiater Jakob Bösch will gegen den Abbruch des Geistheilens an staatlicher Klinik kämpfen VON PETER KNECHTLI Der Psychiater und Privatdozent Jakob Bösch (58), Chefarzt der Externen Psychiatrischen Dienste Baselland, will die Geister, die er rief, gar nicht loswerden. Vielmehr will er für seine therapeutische Ueberzeugung weiterkämpfen, die er seit drei Jahren umsetzt: Ein Forschungsprojekt für "geistig-energetische Behandlung" der Psychiatrischen Beratungsstelle Kantonsspital Bruderholz. Der Psychiater und Privatdozent Jakob Bösch (58), Chefarzt der Externen Psychiatrischen Dienste Baselland, will die Geister, die er rief, gar nicht mehr loswerden. Wie er der Sonntagszeitung erklärte, will er für seine therapeutische Ueberzeugung weiterkämpfen, die er seit drei Jahren umsetzt: Ein Forschungsprojekt für "geistig-energetische Behandlung" der Psychiatrischen Beratungsstelle Kantonsspital Bruderholz, bewilligt vom damaligen SP-Sanitätsdirektor Edi Belser. Denn was unter der geläufigen Bezeichnung "Geistheilen" zum ersten Mal an einer staatlichen Schweizer Klinik angeboten wird, steht jetzt kurz vor dem Aus: Vor einigen Tagen verkündete Belsers Nachfolger Erich Straumann, erst gut hundert Tage im Amt, das Pionier-Projekt werde zu Jahresende abgeblasen. "Ich will damit ein Signal setzen", machte der SVP-Gesundheitspolitiker und frühere Landwirt gegenüber der SonntagsZeitung deutlich, die politischen Stolpersteine dieser Heil-Disziplin instinktsicher erkannt zu haben: "Eines Tages wäre ich drein gelaufen." Straumann: "Patienten sind eigentlich Probanden" Der Gesundheitsdirektor hatte das Skalpell an einem komplementärmedizinischen Angebot angesetzt, das rasch über die Kantonsgrenzen bekannt wurde: Selbst aus Niederösterreich, Deutschland und Luxemburg reisen Patienten an. Ob Schizophrenie, Depression oder Autismus, die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem: 20 Patienten haben die Behandlung schon abgeschlossen, 40 sind derzeit im Projekt. Weitere 40 Patienten stehen auf einer Warteliste. Für den als Verfechter einer offenen Psychiatrie geltenden Chefarzt ist der plötzliche Projekt-Stopp "für viele Patienten eine Katastrophe". Bösch: "Sie werden in ein tiefes Loch fallen". Neu-Regierungsrat Straumann ficht das nicht an: "Als öffentliche Institution können wir uns nicht leisten, solche Sachen zu betreiben." Das Projekt spiele sich im "wissenschaftlichen Graubereich" ab, die Erfolgsquote sei ungewiss. Zudem sei das Heil-Medium Graziella Schmidt "nicht vom Kanton angestellt", sondern werde, zu einem Stundenlohn von 120 Franken, von den Patienten je nach Einkommensklasse direkt bezahlt. "Teilweise erstaunliche Erfolge" mit kostensenkender Wirkung Anfänglich hatte das neue Therapieangebot tatsächlich Mühe: Die Erfolge mit dem brasilianischen Medium Fernanda Marinho, das bloss auf Spesenbasis arbeitete, liessen zu wünschen übrig. Bis die neue Heilerin ihre Arbeit aufnahm, kam es zu einem Unterbruch. Seither aber kann Psychiater Bösch nach eigenem Bekunden teilweise "verblüffende Erfolge" vorweisen (vgl. Interview): Eine kinderlose Frau mit verschlossenen Eileitern, die schon für die künstliche Befruchtung angemeldet war, wurde kurz nach der Behandlung durch die Heilerin schwanger. An einer psychiatrischen Universitätsklinik blieb die fünfjährige Behandlung eines chronisch schizophrenen 21jährigen Mannes erfolglos; auch zahlreiche Medikamente änderten nichts an seinem Zustand. Nach zwei Behandlungen durch die Heilerin war sein schwerer Wasch-Zwang überwunden. Eine 60jährige Parkinson-Patientin, an den Rollstuhl gefesselt und kaum noch sprech- und bewegungsfähig, konnte nach der Behandlung wieder frei gehen. In einem Brief an Sanitätsdirektor Straumann berichtet ein deutscher Arzt, sein autistischer Sohn, dem von ärztlicher Seite noch vier Jahren "Schwachsinn attestiert" wurde, besuche nach neunmonatiger Behandlung im Bruderholzspital "als Regelschüler das Gynasium". Dennoch drohte dem Projekt schon am 26. August Unheil, als die kantonale Aufsichtskommission über die Spitäler einstimmg für Abbruch votierte. Allerdings war die Kommission nur knapp beschlussfähig: Von neun Mitgliedern waren bei der Beratung nur gerade deren fünf anwesend. Vor zehn Tagen bestätigte die jetzt "praktisch vollzählige" Kommission ihre frühere Haltung. Angeblich "nur Formfehler" ausschlaggend "Ich bin inhaltlich für dieses Konzept, aber es hat zu viele Formfehler", meinte die freisinnige Kommissionspräsidentin Bea Fünfschilling standhaft, räumte aber ein: "Fachlich kann ich die Hintergründe nicht abschliessend beureilen. Hier bin ich auf die Aussagen des Kantonsarztes angewiesen." Kantonsarzt Dominik Schorr hatte als zentraler Akteur auch seinen Chef Straumann beraten, der sich in seinem Abbruch-Entscheid unter anderem auch auf ethische Experten berief. Medizin-Professor Jürg Lütschg, Präsident der Ethikkommission des Bruderholzspitals, bestätigte gegenüber ONLINE REPORTS, dass sich das Gremium zwar mit Böschs Plänen "extrem schwer" getan habe. Trotzdem habe die Kommission dem Projekt diesen Sommer unter strengen Bedingungen zugestimmt. Zu den Forderungen gehört die Erstellung eines Erfolgsberichts innerhalb eines Jahres und die Einsetzung eines unabhängigen Supervisors, weil Bösch gleichzeitig ärztlicher Begleiter und Leiter des Projekts sei. Keine Unterstützung von Chefarzt-Kollegen Anders als die Ethikkommission gingen Böschs Co-Chefärzte Emanuel Isler und Theodor Cahn klar auf Distanz. Isler ("ich will eine saubere Forschung") macht "ausschliesslich formale Gründe" geltend. So habe sich durch den Wechsel des Mediums "das Projekt-Design geändert". Zudem könne "nicht angehen, dass Probanden die Heilerin direkt zahlen müssen". Bösch hält diese Argumentation für wenig stichhaltig. Hier gehe es "um etwas ganz anderes als um einen Medikamenten-Test": An vielen Tageskliniken würden Therapie-Wirksamkeitsüberprüfungen durchgeführt, wobei "die Therapien selbstverständlich verrechnet werden". Dem düpierten Chefarzt sind "noch heute keine Aspekte bekannt, die wissenschaftlich unsauber wären". Straumann will einjährige Denkpause Obschon die ersten Bittbriefe im Büro von Sanitätsdirektor Straumann eintreffen, will er trotz offener Sympathie für Komplementärmedizin ("das ist nicht Zeug vom Teufel") hart bleiben: "Es braucht jetzt eine Denkpause von einem Jahr." Danach könnte er sich ein Nationalfondsprojekt, aus Bundesmitteln finanziert, durchaus vorstellen. Beobacher können sich indes des Eindrucks nicht verwehren, dass der Kanton mit seinem schroffen Vorgehen ein gesundheitspolitisches Eigentor schiesst. Errfahrene Psychiater und Psychologen äussern nämlich offen die Meinung, dass Geistheilen eine "Therapie der Zukunft" sein werde. Daran glaubt auch Bösch, der vergangene Woche nach einem langen Gespräch mit Regierungsrat Straumann "Anzeichen einer Annäherung" ausgemacht haben will: Bereits pflegt er "konkrete Kontakte" zu Krankenversicherungen und Sponsoren.
31. Oktober 1999
Regina Konrad C. Pirow |
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