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Indianer Leonard Peltier bei seiner Verhaftung: "Schande für US-Rechtssystem"


Bill Clinton soll dem "Nelson Mandela der USA" Freiheit schenken

Seit 23 Jahren in US-Hochsicherheits-Gefängnissen: Weltweiter Protest für Freilassung des indianischen Bürgerrechtlers Leonard Peltier

VON RUEDI SUTER

Weil er zwei FBI-Beamte erschossen haben soll, sitzt der indianische Bürgerrechtler Leonard Peltier (55) seit 23 Jahren in US-Hochsicherheits-Gefängnissen. Die zweifache Verurteilung zu lebenslanger Haft im Jahre 1977 ist juristisch nicht haltbar. Gegen "den Skandal der fortdauernden Inhaftierung" des "politischen Gefangenen" setzen sich Prominente weltweit ein. Doch nur einer kann dem mittlerweile kranken Peltier die Freiheit schenken: US-Präsident Bill Clinton.

Was einst Nelson Mandela für die internationale Menschenrechtsbewegung war, ist heute Leonard Peltier: Eine integere Persönlichkeit, die ihrer politischen Überzeugung wegen lebenslang hinter Kerkermauern zum Verschwinden gebracht werden sollte. Leonard Peltier ist ein Gefangener der global gerne auf die Wahrung der Menschenrechte pochenden USA. Seit über 23 Jahren kämpft der amerikanische Ureinwohner in so berüchtigten Hochsicherheits-Gefängnissen wie Leavenworth/Kansas um seine Freilassung. Dies mit zunehmender Unterstützung und Anteilnahme durch die Welt-Öffentlichkeit.

Regierungsterror im Indianerreservat

Leonard Peltier bezeichnet sich primär nicht als US-Amerikaner. Zuerst fühlt er sich als eingeborener Amerikaner, als Anishinabe-Lakota-Indianer. Ein Haltung, für die er schon früh eintrat. Als sich 1973 im Pine Ridge Reservat der Lakota (Sioux) in Süd-Dakota die indianische Bürgerrechtsbewegung "American Indian Movement" (AIM) aus Protest gegen die andauernde Diskriminierung und Unterdrückung durch die Mehrheit der weissen Amerikaner und Amerikanerinnen beim historischen Ort Wounded Knee mit leichten Waffen einigelt, sympathisiert auch der junge Indianerführer Peltier mit den Aufständischen.

Die sich provoziert fühlende US-Regierung, die zusammen mit dem FBI und der CIA im Aufstand ein Sicherheitsrisiko für die Nation wittert, schickt darauf rund 60 FBI-Agenten in das Unruhegebiet. Dort terrorisieren bereits regierungsabhängige und paramilitärisch organisierte Indianer als "Guardians of the Oglala Nation" (GOONs) unter offensichtlicher Duldung der Polizei ihre im AIM vereinten Brüder und Schwestern sowie die mit ihnen sympathisierenden Nicht-Indianer. Je nach Quelle verlieren dabei zwischen 60 und 300 indianische Menschen durch zumeist mysteriöse Umstände ihr Leben.

Ein Angriff aus dem Nichts

Dann kommt es zu einem nie geklärten Zwischenfall: Am 26. Juni 1975 peitschen in Oglala im Pine Ridge-Reservat in der Nähe eines Indianercamps plötzlich Schüsse durch die Stille eines schönen Sommermorgens. Was dann passiert, schildert Leonard Peltier in seinem soeben auch auf Deutsch herausgekommenen Buch "Mein Leben ist ein Sonnentanz": "Unser spirituelles Camp war plötzlich eine Kriegszone."

Peltier nimmt sein Gewehr und rennt auf Umwegen zum vermuteten Ort der ersten Schiesserei. Kugeln pfeifen an ihm vorbei, und er kann nicht ausmachen, wer auf wen schiesst. Aus der Deckung sieht er schliesslich zwei unangemeldete, im Feld stehende Wagen, von wo aus die ersten Schüsse abgegeben wurden.

Die zwei Toten waren FBI-Agenten

Er selbst - immer laut seiner Beschreibung - schiesst in die Luft, sich fragend, ob die GOONs nun alle Indianer auslöschen wollten. Unterdessen sind die Freunde Peltiers ebenfalls mit ihren Jagdwaffen in Stellung gegangen. Auch sie schiessen in die Luft, um Zeit zu gewinnen. Doch bei den Wagen bewegt sich nichts mehr. Als sich die Angegriffenen ihnen nähern, bemerken sie zu ihrem Entsetzen, dass da keine GOONs-Mitglieder, sondern zwei erschossene FBI-Agenten in ihrem Blut liegen. "Wir waren alle bereits so gut wie tot", beschreibt Peltier die Konsequenzen dieser Entdeckung.

Auf der Seite der Indianer verliert AIM-Aktivist Joe Killsright Stuntz sein Leben. Peltier und seine Campgefährten fliehen. Rasch beschuldigt das FBI Leonard Peltier und zwei weitere AIM-Aktivisten - diese werden später freigesprochen - der Tötung. Peltier flüchtet aus Angst vor einer parteilichen Rechtssprechung und auf Anraten der Stammesältesten nach Kanada, wo er eigentlich sicher wäre.

Kanada bezichtigt die USA des Betrugs

Doch das FBI nennt eine Augenzeugin, die den Indianer als Schütze der tödlichen Schüsse auf die FBI-Agenten erkannt haben will. Diese Behauptung, die die Abschiebung Peltiers in die USA zur Folge hat, war eine Falschaussage: 1989 kommt der Oberste Gerichtshof Kanadas zu Schluss, dass die Auslieferung nur durch eine betrügerische Manipulation der USA möglich war.

Leonard Peltier beteuert bis heute, er sei unschuldig. Doch sein Fall ist in erster Linie ein politischer, und der Indianer hat wenig Chancen, freizukommen. Weitere FBI-Manipulationen und Verfahrensfehler, wovon auch einer des Verteidigers Willia Kunstler, lassen den zuständigen Richter Gerald Heaney ein hartes Urteil fällen: Zweimal lebenslängliche Haft für Leonard Peltier. Der Indianer aus den Weiten Süd-Dakotas verschwindet in einer Gefängniszelle .

Der Richter verlangt die Aufhebung seines eigenen Urteils

Doch seine Freunde geben nicht auf. Es entsteht das heute weltweit vernetzte "Leonard Peltier Unterstützungskomitee". Und dank dem amerikanischen "Freedom of Information"-Gesetz können nun Rechtsanwälte die Manipulationen des Prozesses aufdecken. Mit Erfolg: 1986 muss Lynn Crooks, der ermittelnde Generalstaatsanwalt, in einem Berufungsverfahren zugeben, dass bis heute niemand weiss, wer die tödlichen Schüsse auf die beiden FBI-Agenten abgefeuert hat. Das Urteil gegen Peltier müsse aufgehoben werden, fordert nach der Leitung zweier Berufungsverfahren schliesslich auch Richter Heaney.

Nicht genug: Sogar Ramsey Clark, der ehemalige Generalstaatsanwalt der USA, schimpft den Gerichtsprozess von 1977 "einen Schandfleck für das amerikanische Rechtssystem". Sein Hauptvorwurf: "Unterschlagung von Beweismitteln und Missbrauch des Strafrechtssystems der USA für politische Zwecke durch die Regierung."

Aber der "persönliche" Gegner Peltiers, das FBI, wehrt sich mit allen Mitteln gegen seinen endgültigen Gesichtsverlust. Noch am 16. Juli 1994 richtet sich die mächtige Polizeibehörde in der angesehenen "Washington Post" mit einem ganzseitigen Inserat an die Adresse Bill Clintons: "Dear Mr. President: Leonard Peltier ermordete zwei FBI-Agenten. Er verdient keine Milde."

Politiker in Europa und den USA fordern Wiederaufnahme des Verfahrens

Die Meinung, der indianische Aktivist sei tatsächlich unschuldig, breitet sich dennoch unaufhaltsam aus, im In- wie im Ausland. Schauspieler und Regisseur Robert Redford, früh schon ein Kritiker des rücksichtslosen Verhaltens der Weissen gegenüber den amerikanischen Urvölkern, macht den Fall weltweit bekannt. In seinem Film "Incident at Oglala" zeichnet er die Geschehnisse minutiös nach und fordert unmissverständlich Gerechtigkeit für Peltier. Der Streifen wurde preisgekrönt.

Amnesty International, das Europaparlament, 55 Mitglieder des US-Kongresses, 60 Mitglieder des kanadischen Parlaments und 70 Abgeordnete des deutschen Bundestages verlangen eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Doch die juristischen Möglichkeiten sind unterdessen erschöpft

Mandela, Gorbatschow und Dalai Lama fordern Freilassung

Heute fordern weltweit 20 Millionen Menschen die Freilassung des nun 55jährigen Bürgerrechtskämpfers. Darunter sind auch namhafte Politiker, Kirchenführer und Künstler: Nelson Mandela, Richard von Weizäcker, Michael Gorbatschow, der Dalai Lama, König Albert von Belgien, Jesse Jackson, Bischof Desmond Tutu, Harry Belafonte, Jane Fonda, Kris Kristofferson, Oliver Stone und viele mehr.

Doch alle Berufungen, Proteste und Gegenbeweise konnten die US-Regierung bis anhin nicht erweichen. Vergeblich haben Sympathisanten auf den mächtigsten Politiker der Welt gesetzt, der als Einziger dem schon zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagenen Peltier die Freiheit schenken könnte: US-Präsident Bill Clinton.

Weltweite Aktionen für den indianischen Bürgerrechtler

Um den bald aus seinem Amt scheidenden Demokraten zu ermutigen, "ein Zeichen zur Stärkung der amerikanischen Bürgerrechte zu setzen" (Peltier Verteidigungskomitee), ist der 17. November als Startdatum für eine mehrwöchige Aktion zur Freilassung des zurzeit berühmtesteten Gefangenen der Vereinigten Staaten bestimmt worden. In Berlin liess beispielsweise die "Gesellschaft für bedrohte Völker" (GfbV) Hunderte von Luftballons mit einem Bittgesuch an Clinton aufsteigen.

Pünktlich zum Termin sind auch die Aufzeichnungen Peltiers im Buch "Mein Leben ist ein Sonnentanz" herausgekomen. Es vermittelt eher versöhnlich einen persönlichen Einblick in das Leben des Bürgerrechtlers und widergibt die aktuelle Situation der Indianer im heutigen Amerika. "Dies ist eine tief bewegende und aufwühlende Geschichte über einen ungeheuerlichen Justizirrtum, ein ausdrucksstarker Schrei nach Wiedergutmachung an den Ureinwohnern Amerikas", urteilt Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu.

Ein kleiner Trost für den nun seit 23 Jahren weggesperrten Autor. Denn Leonard Peltier hat in den verschiedenen Hochsicherheits-Gefängnissen körperlich Schaden genommen: Eine verschleppte Tetanuserkrankung führte zu einer Kiefersperre, er leidet an Diabetes und ist seit einem Schlaganfall auf einem Auge beinahe blind. Findet Bill Clinton den Mut nicht, für den bekannten Häftling die Gefängnistore aufzustossen, und werden die Republikaner die nächsten Präsidentenwahlen gewinnen, dürfte der jetzt bereits mit grossen Indianerführern in einem Atemzug genannte Leonard Peltier als Gefangener sterben. Dann hätte die Welt hätte einen unglücklichen Indianer weniger. Und einen Märtyrer mehr.


Das Buch
"Mein Leben ist mein Sonnentanz"
Leonard Peltier
Verlag Zweitausendeins
Postfach 610 637
D-60348 Frankfurt am Main
Tel: 0049 69-420 800-0
Fax: 0049 69-420 800-181


KURZBERICHT MIT REAKTIONEN

18. November 1999

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