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Risk Manager Adolf Dörig: "Attacken, ohne dass die Firma etwas davon merkt."



Betrug am Betrieb: Der stille Beutezug der Arbeitnehmer

Vom Ladendiebstahl bis zur Computer-Kriminalität: Selbstbedienung und interne Kriminalität in Unternehmen nehmen zu

VON PETER KNECHTLI

Immer häufiger und mit immer raffinierteren Methoden beuten Mitarbeiter ihre Arbeitgeber aus: Der Schaden, der dabei entsteht, geht in die Milliarden. Doch über den Betrug am Betrieb hüllen viele Betroffene den Mantel des Schweigens.

Unauffällig huscht die Angestellte zu Arbeitsschluss an der Kasse vorbei und verlässt ihre Filiale durch den Haupteingang - statt durch den klar zugewiesenen Personalausgang. Dort wird sie durch einen Chef gestellt. Mit sich führt sie den unbezahlten Tageseinkauf. Folge: Fristlose Entlassung.

In einem günstigen Augenblick zieht der Mitarbeiter direkt ab Stange die Wildlederjacke über und verlässt die Filiale korrekt durch den Personalausgang. Dort gerät er in eine interne Kontrolle. Einen Zahlungsbeleg kann er nicht vorweisen. Folge: Fristlose Kündigung.

Mitarbeiter beuten Arbeitgeber aus

Was sich um die Ladenregale eines Grossverteilers abspielt, ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus einem Tabu-Bereich der Kriminalistik: Der Ausbeutung der Arbeitgeber durch ihre eigenen Mitarbeiter.

Geklaut, betrogen, unerschlagen und geschädigt wird überall: In Einkaufszentren wie in Restaurants, in Kleinbetrieben wie multinationalen Konzern, in Grossbanken wie Hightech-Firmen. Der Vorgang ist immer derselbe: Mitarbeiter schädigen damit die eigene Firma - meist zum eigenen materiellen Vorteil.

"Mit diesem Thema haben wir uns nie beschäftigt", reagierte Arbeitgeber-Präsident Peter Hasler auf Fragen von ONLINE REPORTS. UBS-Sprecher Rudolf Bürgin wollte "mangels sinnvollem Hintergrund" keine Informationen über Binnendelikte in der Grossbank preisgeben. Coop-Sprecher Karl Weisskopf ("Wir kennen nur Inventur-Differenzen") konnte nichts Substanzielles zum Thema beitragen, das Fachleute als "kostspieligen Wachstumsbereich" bezeichnen.

Georges Dulex, Chef der Kantonalzürcher Kriminalpolizei, in den vergangenen Jahren "wiederholt mit Untreuedelikten von Kadern in der Privatwirtschaft und in der Verwaltung" konfrontiert, spricht von einem "erheblichen Dunkelfeld". Grund: Die betroffenen Unternehmen hätten "kein besonderes Interesse daran, dass rufschädigende Fakten dieser Art bekannt werden".

"Es fängt manchmal unbewusst an"

Andere Firmen dagegen sehen in einer offenen Debatte über das heikle Thema eine Chance zur Sensibilisierung. So gab ein Migros-Sicherheits-Kadermann Einblick in eine Schattenseite der Sozialpartnerschaft. Was bei internen Ueberraschungskontrollen an Tageslicht kommt, sind zur Hauptsache Waren- und Gelddiebstähle. Besonders beliebte Objekte seien "teure Sachen wie Fleisch oder Kosmetika".

Ins Tuch gehen aber auch die Verlockungen, denen sich Kassierinnen ausgesetzt sehen. Trotz raffinierter Scanning-Systeme, die Eintippen überflüssig machen, kommt es zu Gelddiebstahl durch Kassenmanipulation in Form von Gutschriften, Stornos, Verbilligungen oder Fehlbons. Auch die Verwandtenbegünstigung ist Mode: Wenn der Schwager an der Kasse steht, geht mal diese Jeans, mal jenes Lachspäckli schwarz übers Rollband.

Spektakuläre Fälle kennt Wolfgang Müller, Inhaber einer Beratungsfirma für Mankoverhütung in Bremgarten BE. So schafften drei Grosshandels-Angestellte innerhalb eines halben Jahres Zigaretten im Wert von fast einer Million Franken ausser Haus.

"Das fängst manchmal ganz unspektakulär, fast unbewusst an", schildert Müller den Weg in die Kriminalität. "Bei einer Warenhaus-Verkäuferin begann es mit einer Fadenspule. Nach einem halben Jahr waren Waren im Welt von 80'000 Franken weg - von der elektrischen Eisenbahn über den Staubsager bis zur Kaffeemaschine."

Sprechen einige Sicherheits-Verantwortliche von einer Stagnation des internen Betrugs, tönt es an der Front anders: "Tendenz horrend steigend", sagt Berater Müller. Ganz oben auf der Diebstahl-Hitliste seines Erfahrungsbereichs: Zigaretten, Schnaps, Fleisch.

Offene Firmen Fahren besser

Ueber "sehr tiefe Inventur-Differenzen" dagegen freut sich Ulrich Ellenberger, bei Globus zuständig für Sicherheit. Der langjährige Verlust durch Diebstahl von 1,5 Prozent des Umsatzes sank vorletztes Jahr auf ein Prozent, innerhalb des letzten Jahres gar auf 0,6 Prozent. "Wir sprechen offen über Diebstähle, sensibilisieren bei Eintrittsgeprächen und in der Ausbildung."

Laut Ellenberger ist es dank Kommunikation auch gelungen, einem Dauer-Problem "auf die Spur zu kommen": Der Kooperation von Angestellten mit externen Komplizen. Dennoch blieben bestimmte Artikel unbezahlt gefragt: Hochwertige Kleider, Sonnenbrillen, Lederwaren, Portemonnaies, Papeterieartikel oder Parfüm.

"Es gibt keinen Bereich, in dem nicht auch Angestellte täterisch werden", weiss Markus Melzl, der Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Im Glücksfall bleibt sogar der Schaden aus: Wenn die Kundin nicht bemerkt, dass das eben gekaufte neue Abendkleid von der Verkäuferin schon tags zuvor an einem Ball getragen wurde. Der billigste Trick: Der liegengelassene Quittung wird als fiktive "Retoure" verbucht und das Bargeld kassiert.

Auf der Baustelle ist der Geräte-Diebstahl zwar immer wieder ein Thema. Doch das grösste Missbrauchspotential ist laut Heinrich Büttikofer, dem Zentralsekretär de Schweizerischen Baumeisterverbandes, "eindeutig der Missbrauch der Krankentaggeldleistungen durch Inanspruchnahme von Lohnfortzahlungen".

Serviertochter vergass 73mal zu tippen

Direkt in die eigene Tasche gewirtschaftet wird im Gastgewerbe. Dies musste auch Ernst Bachmann, der Besitzer des Restaurants "Schweizerhof" in Wollishofen ZH und Präsident des Zürcher Wirteverbandes, erfahren. Eine polizeilich observierte Serviertochter kassierte 73mal, ohne die herausgegebene Ware getippt zu haben. Der Fall endete vor Gericht zum Entsetzen des Klägers mit Freispruch.

Ein andere Beispiel aus Bachmanns Küche: In der Schiffs-Restauration löste ein Lagerchef beim Geschäftsführer professionell gefälschte Lunch-Checks ein und bezog dafür Bargeld in Höhe von 15'000 Franken.

Was allein im Detailhandel durch personellen Serlf-Service abhanden kommt, ist mangels Statistiken nicht genau bezifferbar. Die Beträge aber erreichen eine zwei- wenn nicht dreistellige Millionenhöhe.

Die Beratungsfirma Tober+Tobler in Zollikofen BE geht davon aus, dass 40 Prozent aller Inventur-Differenzen auf das Konto Personaldiebstähle gehen - gleichviel, wie durch externe Ladendiebe verschwindet (vgl. Grafik). Kenner der Materie gehen davon aus, dass durchschnittlich ein Prozent des Umsatzes von Grossverteilern internem und externen Diebstahl zum Opfer fällt.

Die Beträge gehen in die Milliarden

Studien von PrivewaterhouseCoopers zeigen zudem, dass Mitarbeiter ihre Unternehmen effizienter hintergehen als externe Diebe. Eine Umfrage unter 113 Schweizer Grossunternehmen, Banken und Versicherungen ergab, dass zwar nur ein Viertel aller Täterinnen und Täter eigene Angestellte sind, dass sie aber 65 Prozent der Schadensumme verursachen. Eine deutsche Diebstahl-Studie ergab, dass 70 Prozent der internen Delinquenten unter Grossverteilern eine durchschnittliche Deliktsumme zwischen hundert und über tausend Mark zu verantworten haben. Uebertragen auf Schweizer Verhältnisse dürften die Schäden noch deutlich höher liegen.

Werner Schiesser, Spezialist für Wirtschaftskriminalität bei PricewaterhouseCoopers, schätzt das gesamte firmeninterne Schadenvolumen in der Schweiz, grosse Dunkelziffer eingeschlossen, auf gut und gern drei Milliarden Franken.

Bekannt wird die falsch verstandene Selbsthilfe selten: "Ein grosser Teil jener Fälle, die intern erkannt werden, wird im gegenseitigen Einvernehmen gelöst, ohne an die Justizbehörden verzeigt zu werden", weiss Werner Schiesser. Er weiss auch, weshalb die Justiz nur sehr zurückhaltend einschaltet wird: Aus Angst, sich lächerlich zu machen, und aus Angst vor Imageschaden.

Doch mit solcher Zurückhaltung kann Schiesser wenig anfangen: "So bleiben die faulen Eier immer noch im Umlauf. Das Problem wird dadurch nicht gelöst, sondern nur herumgeschoben."

Bei Banken ist ein Umdenken festzustellen

Der Spezialist kennt den Fall eines Buchhalters, der in seiner Firma 400'000 Franken unterschlug. Als er nach Auffliegen des Schwindels zur Rede gestellt wurde, gab er zu, dass er schon bei einem früheren Arbeitgeber dieselbe Summe mitlaufen liess - der neue Brötchengeber hatte das berufliche Vorleben seines neuen Kassenwarts ungenügend geprüft.

Im Bereich der Banken dagegen, so Schiesser, sei ein Umdenken festzustellen: "Man macht Strafanzeige und setzt damit auch nach innen deutliche Signale."

Geldinstitute sind naturgemäss anfällig auf Selbstbedienung. Eine diesbezügliche Symbolfigur für Firmenschädigung ist der promovierte Jurist Jürg Heer. Der ehemalige Kreditdirektor und "Marketing-Star" der noblen Zürcher Privatbank Rothschild veruntreute zwischen 1982 und 1992 gegen 60 Millionen Franken und tauchte später bis zu seiner Verhaftung in Thailand unter. Mit seinem Erwerb leistete er sich unter anderem exklusive Autos, köstliche Weine und erlesene Gemälde. Das Urteil des Zürcher Bezirksgerichts vom vergangenen Oktober: vier Jahre Zuchthaus.

Etwas weniger generös bediente sich Peter Hirter, der ehemalige Finanzchef der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL). Der Manager mit 30jähriger Firmentreue unterschlug zwischen 1987 und 1998 über 14 Millionen Franken. Als der Schwindel zum Nachteil des Energieunternehmens aufflog, suchte Hirter das Weite - bis zu seiner Verhaftung im Berliner Bordell "Black&White".

An allen Revisoren vorbei war es dem Aargauer Finanzjongleur gelungen, ein fiktives Firmenkonstrukt aufzubauen, das die EGL während Jahren munter alimentierte. "Gerade als Chef des Rechnungswesens", wetterte die vertrauensselige Firma hinterher, hätte er solche kriminellen Konstrukte verhindern müssen.

Karriere-Kartelle: Eine neue kriminelle Dimension

Eine neue kriminelle Dimension führten um Pfingsten zwei Mitglieder der Konzernleitung von Hoffmann-La Roche vor. Roland Brönnimann und Kuno Sommer hatten während fast eines Jahrzehnts - unbemerkt von interner Kontrolle - weltweit geheime Preisabsprachen im Vitamingeschäft getroffen und damit ihren Kunden bis zu 25 Prozent überhöhte Preise abgezockt. Dieser insgesamt milliardenschwere Schwindel bescherte insbesondere dem heute 43jährigen Topmanager Sommer ein Image als cleverer Verkäufer und optimierte seine Chancen zum Aufstieg in die Konzernleitung.

Zwar muss Sommer jetzt vier Monate hinter Gitter, aber für den Basler Pharmakonzern ist der Schaden kaum ermesslich: 750 Millionen Franken kostet allein die Busse, auf die sich Roche mit den amerikanischen Justizbehörden geeinigt hat. Dazu kommen weitere Bussen in Europa, Folgekosten der zwanzig Sammelklagen, freiwillige Wiedergutmachungszahlungen - und eine ungeahnte Zersetzung des Vertrauens.

Manager betrügen ihre Arbeitgeber am effizienstesten

Vielleicht war ein überdehntes Anreiz-System im Spiel. Doch eines zeigen diese Beispiele mustergültig: Die Delikte der gewöhnlichen Angestellten sind wohl zahlreicher, der gefährlichste potentielle Wirtschaftsstraftäter aber, so die Pricewaterhouse-Studie, "ist der Manager". Ursache: "Personen, denen die Leitung der Gesellschaft anvertraut ist, missbrauchen dieses Vertrauen zu ihrem eigenen Vorteil und verursachen deutlich grössere Vermögensverluste als andere interne Täter." Die Erhebung skizziert sogar den Idealtypus des Wirtschaftskriminellen, der - auch innerbetriebliche - Vermögensschäden über 100'000 Franken verursacht: Männlich, 42 Jahre alt, verheiratet, sozial integriert und nicht vorbestraft.

Christian Weber, Geschäftsleiter der Bezirksanwaltschaft für Wirtschaftsdlikte im Kanton Zürich, bestätigt: "Sehr viele Angehörige aus dem höheren Kader sind zum Nachteil des Unternehmens deliktisch tätig."

In den Grossunternehmen fallen drei Tatbestände besonders schwer ins Gewicht: An erster Stelle steht die Annahme von Bestechungs-Leistungen, gefolgt von Kassen- und Checkbetrug sowie Checkfälschung. Immens verbreitet ist der Spesenbetrug, auch wenn er wertmässig nicht allzu sehr ins Gewicht fällt.

Immer wieder wird Alfred Hausmann, für Wirtschaftsdelikte zuständiger Basler Staatsanwalt, mit Rabatt-Betrügereien leitender Angestellter konfrontiert. Der Vorgang ist banal: Die Ware wird mit bescheidenem Rabatt geliefert, doch der Besteller wird an der offiziellen Rechnung vorbei mit zusätzlichen Rabatten für die Auftragserteilung belohnt - den Schaden trägt der Arbeitgeber. Die durchschnittliche Deliktsumme derartiger Bereicherungen schätzt Hausmann auf 100'000 bis 200'000 Franken.

Spekulation mit Leih-Konten

Im Bankenbereich kennt der Zürcher Bezirksanwalt Christian Weber Fälle von "Mitarbeitern jeder Hierarchiestufe". Eine beliebte Spielart, die beim erfolgreichen Verlauf kaum bemerkt wird: Mitarbeiter leihen sich über Nostro- oder opulente Kundenkonten kurzfristig Mittel aus, um sie zum privaten Nutzen in Optionen-, Devisen- oder Aktienhandelsgeschäfte zu investieren. Den Gewinn stecken sie ein und die investierten Mittel lassen sie auf die Leih-Konten zurückfliessen, als wäre nichts geschehen. Der Schwindel fliegt dann auf, wenn die Spontan-Spekulation zum Verlustgeschäft geriet und die Mittel auf den geplünderten Konten fehlen.

Schaden kann dem Unternehmen auch durch Anlagenbenutzung und Zeitdiebstahl und Software-Manipulation entstehen. So kann privates Surfen im Internet mühelos überwacht werden. Laut dem Wirtschaftsinformatiker Henrik Czurda, Vizedirektor bei Arthur Andersen, werden aber die Aufzeichungen "häufig nicht angeschaut und schon gar nicht systematisch ausgewertet".

Nicht immer sind die Schäden so einfach nachvollziehbar, wie wenn Kundenkarteien mutwillig zerstört oder gegen Entschädigung an die Konkurrenz weitergereicht werden oder mal eine Bohrmaschinen von den Baustellen verschwindet.

"Die Fälle werden auf jeden Fall komplexer", sagt der Basler Wirtschaftsermittler Hausmann. Wenn in der Bank zwischen Applikation und Kommunikationsrechner Geldströme zu privatem Nutzen abgezweigt und genutzt werden, wenn kaum kontrollierte, technisch hochbegabte Server-Administratoren in fremden Zonen hackern, so können selbst firmeninterne oder staatliche Ermittler ins Schwitzen kommen.

Noch einfach ist es, Visumsberechtigten auf die Spur zu kommen, die ihre Firma zum eigenen Vorteil fiktive Rechnungen zahlen lassen, oder sich per Zugang zur Software doppelt auf die Lohnliste setzen. Angesichts immer komplexerer Systeme, Technologien und Produkteangebote ist aber ein wachsendes Schadenspotential kaum noch aufzuklären.

So kann ein Manager riesiger Pensionskassen-Porteifeuilles durch Nutzung von Insider-Vorteilen locker eine Viertelmillion einstreichen, wenn er beruflich eine kurswirksame Anzahl Titel abstösst und gleichzeitig als Privatmann Optionen auf dieselben Titel realisiert.

Am Schluss zahlt der Konsument

"Verfolgen, durchgreifen", ist die Devise, die PricewaterhouseCoopers-Spezialist Werner Schiesser vertritt: "Insider-Delikte jeder Art sind kriminelle Akte und müssten unnachgiebig verfolgt werden." Ein Branchenkenner erinnert daran, dass am Schluss der Konsument zahlt: "In jedem Schokoladestengel steckt Wirtschaftskriminalität."

Eine besonders grosse Gefahr droht dem gesamten Hightech-Bereich, wo immense Geldströme fliessen, innovative Strategien entworfen werden oder aufwändig ermittelte Forschungsergebnisse vorliegen. "In diesem Umfeld werden die meisten Schäden durch interne Vergehen verursacht", sagt Adolf J. Dörig, bei Arthur Andersen Schweiz für Computer-Risk-Management verantwortlich.

Die weltweite Vernetzung, die extrem komplexe Technologie und die kaum mehr nachvollziehbare Geschwindigkeit des Datentransfers bieten "Mitarbeitern und vor allem Chefs ganz neue Möglichkeiten, sich am Unternehmen unrechtmässig zu bereichern" (so Dörig). Vor allem bergen die neuen technischen Voraussetzungen das Risiko in sich, "dass es von der Strategie bis zu Umsetzung zu Attacken kommt, ohne dass die Firma davon überhaupt etwas merkt".

Dabei geht es nicht nur um Finanztransaktionen, sondern um kreatives Gut. Dörig: "Der Betrug der Zukunft ist der Betrug mit Know-how." Begünstigt durch die Möglichkeit, über Server auf Offshore-Plätzen Datenströme weltweit unkontrolliert mäandern zu lassen, "ist im Moment die Gefahr gross, dass Hightech-Kriminelle gar nicht mehr verfolgt werden".

Auch der Anreiz braucht ein massgeschneidertes Design

Zwar hat Dörig in Führungskreisen eine "Sensibilisierung für diese Entwicklung und die Bereitschaft, sich mit entsprechenden Kontrollinstrumenten auszurüsten" festgestellt. Dennoch seien die Wirtschaftsführer "enorm herausgefordert, ein integrierendes Wertesystem mit massgeschneiderten Anreizen zu entwicklen, das die Belegschaft als Teil eines modernen Shareholer-Denkens versteht".

Für Werner Schiesser von PricewaterhouseCoopers ist sogar unabdingbar, dass sich die Verwaltungsräte als oberste Führungsriege verstärkt direkt um die Sicherheitsfragen der Zukunft kümmern und Systeme einrichten, in denen sich "auch die Manager gegenseitig kontrollieren".

Manchmal freilich sind selbst die Kontrollsysteme durchlässig: Bei Globus räumten Sicherheitsleute auf ihren nächtlichen Rundgängen schon den Laden. Und bei Migros wurde eine Ueberwacherin erwischt, die ihren prallvollen Einkaufswagen ausserhalb des Kassenbereichs ihrem Mann übergab.



"Das Betriebsklima ist ganz entscheidend"

VON PETER KNECHTLI

Eine Recherche von ONLINE REPORTS ergab die klare Tendenz: Die Bereitschaft zum Betrug am Betrieb ist in familiär geführten Kleinbetrieben entschieden geringer als in anonymen Grossbetrieben. Besonders gefährdet sind Unternehmen mit grossen Geldflüssen, hochwertigem Know-how und Hightech-Anwendung in weitesten Sinn.

Doch auch Gross-Unternehmen sind auf Insider-Schaden in Form von Diebstahl und Veruntreunng bis hin zur Sabotage - etwa durch Freisetzung von Viren - unterschiedlich anfällig.

"Das Betriebsklima ist absolut entscheidend", sagen die befragten Experten übereinstimmend. Ulrich Ellenberger, bei Globus für Sicherheit zuständig, hält den neuerdings offenen Umgang mit dem Tabu-Thema Personaldiebstahl gar für einen "Schlüsselfaktor" bei der Reduktion der internen Diebstähle um mehr als die Hälfte innerhalb der letzten drei Jahre.

Die Berner Psychologin Ute Gabriel weist auf den Zusammenhang zwischen einem "grundlegenden Bedürfnis nach Gerechtigkeit" und innerbetrieblichen Diebstählen hin. Dabei gehe es nicht nur um den subjektiven Eindruck der Täterschaft, für den geleisteten Einsatz zu wenig Geld zu verdienen. Ebenso bedeutend könnten auch Gefühle sein, von Informationen ausgeschlossen oder vom Vorgesetzten nicht genügend respektiert und wahrgenommen zu werden.

Zwar sei der sozial erwünschte Weg in einem solchen Fall jener der Auseinandersetzung. Ute Gabriel: "Es gibt aber Konstellationen, wo Betroffene glauben, dass sie auf dem Weg der Auseinandersetzung nicht zu ihrem Recht kommen."

Die Psychologin stützt sich in ihren Erklärungen auf eine amerikanische Studie von Jerald Greenberg, der die Auswirkungen von vorübergehenden Lohnkürzungen auf die Bereitschaft zu Personaldiebstählen in zwei Produktionsstätten untersuchte, wobei die Massnahme in beiden Betrieben bewusst unterschiedlich angekündigt wurden.

Das Ergebnis war klar: "In dem Betrieb, in welchem man sich Zeit nahm, die Massnahme der Lohnkürzungen ausführlich vorzustellen und sich für diese zu entschuldigen, liegt die Diebstahlsrate deutlich niedriger, als in dem Betrieb, in welchem den Angestellten nur mal eben mitgeteilt wurde, dass es eine Lohnkürzung geben wird."

Fachleute wie Computer-Risk-Manager Adolf J. Dörig weisen darauf hin, dass die Deliktgründe im Detail sehr unterschiedlich sein können. Nicht immer steht der eigene Nutzen im Vordergrund: Motive können nebst Unzufriedenheit auch Rache und Vergeltung sein.

Manchmal steht auch schlichte Erpressung von aussen hinter einem Delikt. Ein Kenner: "Wenn einer eine ausländische Freundin hat, wird er aufgefordert, diese oder jene Ware 'mitzubringen', sonst passiere seiner Freundin etwas."

Sicherheitsexperten, die in Warenhäusern und Grossverteilern zu tun haben, weisen darauf hin, dass unter gewissen ausländischen Mitarbeitern aus Konfliktregionen beim Diebstahl zuweilen gar kein Unrechtbewusstsein herrsche: "Die sehen nicht einmal einen Geschädigten: Den Herrn Coop oder den Herrn EPA gibt es ja nicht."


12. Juni 1999

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