Online Reports Logo
Werben Sie hier
um Ihre Online-Zielgruppe.
061 271 63 64
werbung@onlinereports.ch
Wir möchten diese Story bestellen und abdrucken Wir möchten unseren Werbebanner auf dieser Seite platzieren
Tipp für Story Zurück zur Hauptseite
Meine Meinung zu dieser Story
Meine Meinung zu OnlineReports


Die Pillen-Perle ist gegen Fusions-Fieber immun

Der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche verweigert die Merger-Mode - auch mitten in der Generationenablösung

VON PETER KNECHTLI

Während unter den Industrie-Giganten weltweit das Fusions-Fieber grassiert, geht der Basler Pharmakonzern Hoffmann-La Roche seinen eigenen Weg: Er verweigert sich konsequent aktuellen Trends und optimiert derweil seine unverwechselbare Strategie.

Scharfsinnig nehmen die Basler Vorfasnachtsveranstaltungen die Zukunft vorweg: Die neuste Schweizer Fusions-Kombination - so eine Szene - wäre ein gigantischer Pharma-Finanz-Mischkonzern. So könnte Novartis-Boss Daniel Vasella bei Finanzbedarf unkompliziert ein paar Milliärdchen beim UBS-Flüssigmittelkollegen Marcel Ospel ordern.

Die Perspektive ist alles andere als absurd, seit vor wenigen Tagen die Chemieriesen Glaxo Welcome und SmithKline Beecham die Verschmelzung zur einer bombastischen britischen Kriegsmacht im Pharmasektor ankündigten. Der Schulterschluss, der mehrfach fusionierte Konzernfragmente in einem gewaltigen Konglomerat zusammenfasst, katapultiert das neue Mammut-Konstrukt mit einem Marktanteil von 7,5 Prozent unangefochten an die Weltspitze.

Es wimmelt von "Dream-Teams"

Gleichzeitig beflügelte er die Phantasien von Analysten und Auguren mit schier endlosen Variationen an neuen Power-Partnern. Eines der "Dream-Teams" war die Allianz von Roche mit dem bisherigen Pharma-Leader Novartis, die seit dem Glaxo-Merger mit 4,3 Prozent Marktanteil sozusagen in Sekundenschnelle zur halben Portion mutierte. Roche auf Platz acht, so die Analysen, stehe jetzt unter Zwang, ins Fusions-Karussell einzusteigen.

Wichtige Indizien deuten darauf hin, dass sich das gut hundertjährige Unternehmen in absehbarer Zeit kaum zu einer Liaison der Grösse wegen verleiten lässt. Fritz Gerber, seit zwanzig Jahren vorsichtiger Vorsitzender des Pharmakonzerns, lässt schieres Volumen offensichtlich kalt. Ein Gerber-Vertrauter: "Er will in diesem Fusions-Rennen gar nicht mitmachen. Diese Zurückhaltung ist Teil seiner Strategie."

Akquisitionen nur in "einzelnen Bereichen"

Er wolle "nicht ausschliessen", dass es "in einzelnen Bereichen" - etwa Stoffwechselkrankheiten oder rezeptfreie Medikamente - auch künftig wieder zu Akqusitionen komme, hielt Gerber kürzlich in einem "Weltwoche"-Interview fest. Viel wichtiger aber sei es, innovativ zu bleiben und "in unseren Marktbereichen zu den Spitzengesellschaften der Welt zu gehören".

Die wachstumskritischen Stimmen mehren sich. "In was für einem Rattenfänger-von-Hameln-Stück sind wir denn da drin?", wundert sich ein Basler Wirtschaftskapitän, der noch vor fünf Jahren Grösse und Ueberleben in direkten Zusammenhang stellte. "Novartis muss erst noch beweisen, dass die Fusion von Ciba und Sandoz ein Erfolg war", meint eine andere Branchen-Quelle.

Börsenwert verdreissigfacht

Für Roche-Chef Gerber, auch nach der Abgabe der operativen Leitung an Franz Humer zum Jahreswechsel noch immer die lenkende Hand im Unternehmen, dürfte besonders uneinsichtig sein, weshalb er von seinem stringenten Erfolgsrezept abrücken soll: Unter seiner Führung hat Roche ihren Börsenwert um das Dreissigfache auf 140 Milliarden Franken gesteigert, indem er den früheren Gemischtwarenladen konsequent säuberte und auf margenkräftige Hightech-Produkte trimmte.

Respektvoll tönt es aus der Konkurrenz Novartis: "Die Roche-Leute gehören zu den bestberatenen in Branche". Die grossen Gewinne, die Roche mehr als jedes andere Pharma-Unternehmen auch mit raffinierten Anlagegeschäften tätigt, waren nicht nur zur Beglückung der Aktionäre nötig, sondern auch zur Finanzierung der überdurchschnittlich intensiven Forschung, die jährlich 2,5 Milliarden Franken verschlingt.

Antizyklisch Wert vermehren

Zur guten Beratung gehört die Souveränität, antizyklisch gezielt Wertvermehrung einzukaufen. Schon Jahre vor Ausbruch des Fusions-Fiebers verschaffte sich Roche durch die Akquisition des weltweit führenden amerikanischen Biotech-Forschungsunternehmens Genentech Zugang zu neuen Indikationen und zur Weltspitze der Gentechnologie. Milliardenschwer war auch der selektive Einkauf des US-Hormon- und Schmerzmittelmultis Syntex, der tausenden von Synergie-Opfern die Stelle kostete. 15 Milliarden nahm Gerber schliesslich in die Hand, um sich mit Boehringer Mannheim zum "Weltmeister im Diagnostizieren" (so Divisionsleiter Jean-Luc Belingard) zu machen.

Treffsichere Diagnosen stellt Roche auch in eigener Sache. Am Beispiel Boehringer-Mannheim-Deal wird deutlich, dass Roche den Erfolg nicht mit mehr, sondern besseren Pillen sucht: Hochgezüchte Technologien und fein dosierbare, hochwirksame Produkte von der Diagnose bis zur Therapie. "Ein solch ausgeklügeltes System", so ein Branchenkenner, "bringt man nicht durch Zukauf von Grösse ins Wanken".

Für möglich halten sie sogar, dass sich Roche mittelfristig von der zum Boehringer-Paket gehörenden US-Orthopädiefirma DePuy oder vom ungenügend profitablen Riechstoff-Bereich Givaudan-Roure trennt und den Fokussierungsprozess damit optimiert. Beide Spekulationen dementierte Franz Humer, der neue Vorsitzende der Konzernleitung, gegenüber OnlineReports.

Gefährdung erst bei Misserfolg

Gegen eine Mammut-Akquisition spricht auch die nach dem Boehringer-Mannheim-Deal ausgedünnte Kriegskasse, gegen einen Mega-Merger sprechen die besonderen Besitzverhältnisse: Mit 800'200 der 1,6 Millionen Roche-Aktien üben die stimmrechtsverbundenen Basler Gründerfamilien Sacher, Oeri und Hoffmann die Kontrolle über die Ertragsperle aus. Der Aktionärsvertrag läuft, so ist aus guten Quellen zu erfahren, über den Jahrtausendwechsel hinaus. Eine Fusion aber hätte zur Folge, dass die Gründerfamilie ihre Mehrheit einbüssen müsste. Die Einführung der Einheitsaktie - Voraussetzung eines Mergers - steht derzeit aber nicht zur Debatte, nachdem sich die Roche-Genussscheine zum Börsen-Darling entwickelt haben. Verwundbar und anfällig für eine Uebernahme, so Finanzchef Henri B. Meier zur SonntagsZeitung, "wird Roche erst, wenn wir nicht mehr erfolgreich sind".

Während Roche auch über eine volle und erfolgversprechende Pipeline verfügt, stellt sich die entscheidende Frage, ob der Konzern die derzeitige, auf mehreren Ebenen fast zeitgleiche Generationenablösung schadlos übersteht. Paul Sacher, die überragende Leit- und Integrationsfigur der Gründerfamilie, trat 1996 nach 58 Jahren ebenso aus dem Verwaltungsrat zurück wie Luc Hoffmann und Jakob Oeri. Unter den in den Verwaltungsrat Nachrückenden der Gründerfamilie erkennt ein fleissiger Teilnehmer des Basler Gesellschaftslebens "niemanden, der einspringen könnte". Ein anderer Kenner: "Sacher ist eine eminance brillante und eigentlich unersetzbar."

Derweil sich Gerber über den Nachwuchs gewohnt sibyllinisch ausdrückt ("auch die vierte Generation nimmt ihre Aufgabe sehr ernst"), betont Kassenwart Meier die Fortschreibung des Bisherigen: "Herr Sacher geht bei uns wie in den letzten fünf Jahren regelmässig ein und aus." Mit Verlaub: Dirigent Paul Sacher ist 92jährig.

Die Glaxo-Seilschaft spielte

Weitere einschneidende Rochaden stellen Roche vor grösste Herausforderungen: Der Engländer Jonathan Knowles, 50, wie Humer ein früherer Glaxo-Mann und von ihm angeheuert, übernahm eben vom äusserst erfolgreichen Jürgen Drews erstmals die Forschungsverantwortung für einen "Riesenladen" (so ein ehemaliger Roche-Kadermann). Von Finanzchef Henri Meier, 61, hiess es, er wolle sich allmählich von Roche absetzen und bei Oerlikon-Bührle einsteigen. Meier dementiert entschieden mit dem Hinweis, dass er dem neuen Verwaltungsrat nicht angehört. Er wolle sich auf das private Verwaltungsratsmandat der Bührle-Bank IHAG beschränken: "Soweit es in meinen Händen liegt, bleibe ich noch einige Zeit Finanzchef bei Roche."

Perfektes Zusammenspiel von Marketing und Forschung

Dennoch erklären sich Beobachter den Erfolg von Roche in den letzten zwölf Jahren "in der Kombination des Zusammenwirkens von ganz ausserordentlichen Einzelpersonen" - namentlich Sacher, Gerber, Meier, Drews und der vorzeit in den Ruhestand getretene Pharma-Chef Armin Kessler. "Einzigartig" erschien ihnen, wie sensibel Drews und Kessler die Interessengegensätze von Forschung und Marketing auszirkelten. Die Brillanz und Aufmerksamkeit der führenden Individuen hätten sich "zum Kulturmerkmal entwickeln können".

Ob der bedingungslos marktorientierte Humer die geforderten Treibhaus-Bedingungen unter neuen personellen Prämissen zu schaffen vermag, ist noch nicht sicher. Die lange Bewilligungsfrist der EU-Behörden im Boehringer-Deal und Probleme im Zulassungsverfahren der vorzeitig gefeierten Schlankheitspille "Xenical" in den USA werden vor allem ihm angelastet. Seine Roche-Erfahrung ist noch relativ gering, die Integration von Boehringer Mannheim bindet immense Kräfte, Restrukturierungen und Massenentlassungen zieht er so eisern durch, dass ihm der Ruf nachgeht, er trage mit seiner Dominanz und Härte "napoleoneske Züge".

Humer: "Ich bin keine Zwischenlösung"

Dazu Humer: "Ich glaube nicht, dass ich ein kleiner Napoleon bin, ein grosser schon gar nicht. Ich habe keine Konflikte mit irgendeinem meiner Mitarbeiter. Da ist ein echtes Team mit gemeinsamen Visionen und Zielen." Dass er bloss eine Uebergangslösung sei, wie einige Beobachter nicht ausschliessen mögen, weist Humer von sich: "So eine Aufgabe kann man gar nicht als Zwischenlösung in Angriff nehmen. Ich will Roche so lange führen, wie dies der Verwaltungsrat und die Aktionäre wollen."


Recherchen-Bewertung

Roche Strategisch gut positioniert. Clevere Geschäftspolitik. Kommerzielle Ergebnisse stehen in totalem Kontrast zur Stimmung im Betrieb. Fritz Gerber führt Nachfolger Franz Humer in die Roche-Tiefenpsychologie ein. Völlig autonomer Denker.
Franz Humer Nett und knallhart. Der Mann für's Grobe muss jetzt zeigen, dass er auch das Ziselieren beherrscht. Lässt keinen Zweifel daran, dass er der Chef ist. Mehr und mehr.
Gründerfamilie Massgeblicher Faktor der Unternehmensentwicklung. Paul Sacher ist schwer ersetzbar. Wer wird die starke familiäre Integrationsfigur? Wie stark hält die Familie künftig noch zusammen?
Autor Ist sich bewusst, dass Begriffe wie "Synergie" und "Säuberung" meist geschönte Ersatzbegriffe für Menschenschicksale sind. Ein schwieriges Dilemma des Wirtschaftsjournalismus.

8. Februar 1998

Zurück zu Wirtschaft
Zurück zur
Hauptseite

© by Peter Knechtli