Novartis-Stellenmanagerin Doris Dünnenberger: Glockenschlag für jeden Job


Den neuen Job erkennt man am Geläut

Der Abbau von 3'000 Novartis-Stellen hatte nicht die befürchteten Auswirkungen

Die Folgen des Abbaus von 3'000 Novartis-Stellen sind so verwunderlich, dass selbst die gewerkschaftliche Bilanz milde ausfällt: In der Arbeitslosenstatistik hat die Personalbereinigung gar nicht stattgefunden.

Auch Hans Zeller, stellvertretender Leiter des baselstädtischen Amtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga), hat "das nicht erwartet": Die "Entlassungswelle", die bei der schockierenden Ankündigung der Fusion von Ciba und Sandoz zu Novartis am 7. März 1996 befürchtet wurde und vor allem Basel betroffen hätte, hat die Rheinstadt nicht überschwemmt. Nicht einmal ein Geplätscher ist zu vernehmen: Ein "Heer von Arbeitslosen", wie damals als Fusions-Folge befürchtet, ist weit und breit nicht in Sicht.

Geringere Arbeitslosigkeit

Die Fakten sind nach Abschluss des Novartis-Sozialplans Ende April erstaunlich: Die Arbeitslosigkeit hat heute in Basel-Stadt mit genau 4 Prozent und im Nachbarkanton Baselland mit 2,9 Prozent einen Tiefststand seit mehreren Jahren erreicht. Bei Bekanntgabe der Fusion lag die Arbeitslosenquote in Basel bei 4,7 Prozent, im Baselbiet bei 3,3 Prozent. Auch die gefürchteten Blauen Briefe verharrten weitgehend als Blankobögen in den Büroschränken der Personalchefs.

"Wir gehen, oberes Management inbegriffen, von rund 100 Kündigungen aus", sagt Doris Dünnenberger. Die promovierte Chemikerin und frühere Ciba-Personaldienstleiterin betreibt mit ihrem derzeit noch sechsköpfigen Team seit zwei Jahren im Auftrag der Novartis-Geschäftsleitung ein Stellenvermittlungszentrum. "Mobilität, Leben, Transparenz" (MLT) lautet die neutrale Bezeichnung des Projekts mit dem delikaten Inhalt, den Stellenstreichkonzert operativ zu dirigieren.

Haupt-Instrument Frühpensionierungen

Laut Projektleiterin Doris Dünnenberger wurden die Stellen von rund 1'200 Kadermitarbeitern durch professionelles Outplacement oder Frühpensionierungen (Männer ab 58, Frauen ab 55 Jahren) abgebaut. Auch von den 1'800 Stellen der übrigen Mitarbeiter, die ihrem Projekt gemeldet wurden, kam es in 1'100 Fällen zu Frühpensionierungen. 600 Angestellten konnten interne oder externe Jobs vermittelt werden. 100 Gemeldete warten derzeit noch auf einen neuen Job - bis ein akutisches Signal die Glücksbotschaft verkündet: Immer, wenn dem MLT-Team eine Plazierung gelingt, wird die eigens im Treppenhaus montierte die Kuhglocke gezogen.

In letzter Zeit ist das freudige Geläut nicht mehr so häufig zu hören: Das Projekt läuft laut Doris Dünnenberger langsam aus: "Wir bleiben eine neutrale Anlaufstelle, solange Bedarf besteht - sicher bis Ende Jahr."

Workshops gegen Existenzängste

Die rund 20 Zimmer des gelben Biedermeierhauses waren in den vergangenen zwei Jahren der Konzernverflechtung Schauplatz von Zusammenbrüchen und Freudestaumel. Befielen Betroffene anfänglich starke Gefühle von Depression, Selbstzweifeln und Existenzängsten, halfen obligatorische zweiwöchige Workshops über berufliche Neuorientierung, Erstellung von Bewerbungsunterlagen sowie Schulung von Vorstellungsgesprächen, den Schmerz der Ueberzähligkeit zu überwinden. Dreitägige Frühpensionierungskurse beleuchteten neben emotionalen Problemen auch Steuer- und Erbschaftsfragen.

Dem heiklen Inhalt entsprechend sind auch die Fazilitäten an der Maulbeerstrasse in Kleinbasel eingerichtet: Café, Leseecke mit breitem Zeitungsangebot. Auch stehen Betroffenen mehrere Räume mit PC und Telefon zur Verfügung, die sie zur Stellensuche nutzen können.

Anreiz zur Stellensuche

Mildernd wirkt sich die materielle Unterstützung aus, denn Novartis-Stellenopfer fallen vergleichsweise weich: Verlängerte Kündigungsfristen bis 12 Monate, Abgangsentschädigung in Form eines halben Monatslohns pro Dienstjahr, sofortige Freistellung zur Ermöglichung der Stellensuche. Das Entschädigungsmodell ist so angelegt, dass ein Anreiz entsteht, möglichst schnell einen neuen Job anzutreten - auch zum Vorteil der Firmenkasse: Dadurch, hat Doris Dünnenberger ausgerechnet, konnte Novartis einen Betrag von 25 bis 30 Millionen Franken sparen.

Allerdings stiess das Projekt bei den Novartis-Mitarbeitern nicht vor Anfang an auf Zustimmung. "Mobbying, Lüge, Totschlag", lautete intern eine Anspielung auf die Abkürzung MLT, die Liegenschaft wurde "Kündigungshaus" gerufen. Doris Dünnenberger: "Nach kurzer Zeit aber wurden wir rundum akzeptiert".

Auch die staatlichen Stellen erteilen Novartis bezüglich "sozialverträglichem Stellenabbau" gute Zensuren. Von einem "Tropfen auf den heissen Stein" umschreibt Kiga-Mann Zeller die Auswirkungen des Stellenabbaus auf die regionale Beschäftigungssituation. Lob zollt dem Pharmakonzern auch Mathis Spreiter, Leiter Zentrale Dienste des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums, in dem nur gerade 20 Arbeitslose aus chemischen Berufen registriert sind: "Verglichen mit andern Fällen, mit denen wir es hier zu tun haben, praktiziert Novartis wirklich eine vorbildliche Kultur."

Gewerkschften attestieren "ehrliches Engagement"

Selbst die Gewerkschaften loben das Novartis-Job-Management, allerdings differenziert. Mathias Bonert, Sekretär der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI), attestiert dem Vermittlungs-Team ein "ehrliches überzeugtes Engagement". Die Novartis-Spitze dagegen habe zwecks Schadensminimierung die "intelligentere Abwicklung des Stellenabbaus nicht aus ethisch-moralischer Verpflichtung, sondern aus gesellschafts- und betriebspolitischem Kalkül gewählt".

Bernd Körner, Präsident der kollektivvertraglichen Personalvertretung von Novartis, vermerkt in der GBI-Gazette "Input" positiv, dass die interne Stellenbörse "im wesentlichen gut funktionierte". Gefordert sei jetzt "eine Weiterführung dieser Arbeit, da Restrukturierungen zum Normalfall geworden sind".

Wenig Lust auf neue Arbeitszeit-Modelle

Zufrieden ist Körner trotzdem nicht. Denn mit ihrer Hauptforderung nach innovativen Arbeitszeitmodellen und einer Verkürzung der Arbeitszeit für alle sind die Gewerkschaften bei der Novartis-Sitze auf Granit gestossen - obschon sich Präsident Alexander Krauer anfänglich einer Prüfung nicht abgeneigt zeigte. Körners Fazit: "Eine reine Alibiklausel." Auch habe der Leistungsdruck auf die verbleibenden Beschäftigten als Folge des Stellenabbaus "teilweise die Grenzen der Belastung überschritten".

In ihrem eigenen Status versucht indes Therese Hildebrand, die "gute Seele" im MLT-Sekretariat der Novartis-Stellenbörse, eine Chance zu sehen: Sie ist selbst Abbau-Kandidatin und freut sich heute schon auf den Augenblick, in dem das Glocken-Geläut im Treppenhaus ihrer eigenen beruflichen Zukunft gilt.

28. Juni 1998

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(c) by Peter Knechtli