Hier könnte ein attraktiver Novartis-Link stehen. Es könnte auch ein für Roche-Link sein.
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Will "Opportunitäten wahrnehmen": Paul Herrling, Chef Novartis-Pharmaforschung


Nach weltweitem Viagra-Erfolg:
Novartis plant Sex-Pille


Basler Pharmakonzern will nun doch ins Potenz-Geschäft einsteigen

Viagra macht Novartis scharf: Mit einer Sex-Pille will der Basler Pharmakonzern ins Potenzgeschäft einsteigen. Der Entscheid, intern umstritten, trägt die Hoffnung auf Entdeckung eines neuen Megasellers und markiert eine ethische Neupositionierung hin zu Wellness- und Lifestyle-Produkten.

Als der US-Pharmakonzern Pfizer dieses Frühjahr mit seiner Erektionshilfe Viagra zum grössten Verkaufsrummel der Branche anhob, gaben sich die Basler Pharma-Firmen noch cool. "Keinen Schock und keine Eifersucht" meldete Hoffmann-La Roche, Wellness und Kosmetik sei nicht ihr Business, "Wir entwickeln innovative Produkte, die ungedeckte medizinische Bedürfnisse abdecken", grenzten sich auch Novartis-Sprecher vom Modetrend zu Lifestyle-Produkten ab.

Heute steht fest, dass Viagra auf die Entscheidungsträger des drittgrössten Pharmakonzerns der Welt eben doch wie ein Aphrodisiakum wirkte: Nach Informationen der SonntagsZeitung plant Novartis ein Viagra-Nachfolgeprogramm. Das Ziel: Eine Sexpille mit besserem Wirkungsspektrum als Viagra. Gemeint sind weniger unerwünschte und mehr erwünschte Nebenwirkungen sowie ein attraktiverer Preis.

Diesen Entscheid trafen am Portfolio Review Workshop vom 7. und 8. Juli in Basel zwei Dutzend Spitzenkräfte der Novartis-Pharmaforschung, angeführt von Chef Paul Herrling. Diesem Programm soll laut zuverlässiger Quelle "hohe Priorität" eingeräumt werden. Für den Start ist geplant, 21 Vollzeitbeschäftigte in sieben Laboreinheiten zusammenzuziehen. Workshop-Teilnehmer Reto Naef übernahm es, zusammen mit den Leitern der Therapiebereiche jene Labors zu bestimmen, die am Viagra-Nachfolgeprogramm mitarbeiten wollen.

Forschungs-Chef Herrling bestätigt Pläne

Aus diesem Vorgang lässt sich ableiten, dass Novartis die Sex-Pille gegenüber andern Forschungsvorhaben tatsächlich mit Vorrang bearbeiten lässt. Forschungschef Paul Herrling bestätigte gegenüber
REPORTS erstmals "Novartis-Pläne auf diesem Gebiet", hielt sich zu Fragen nach Motiv und Indikationsgebieten der angepeilten Sex-Pille aber noch bedeckt: "Mehr möchte ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, da es sich um sehr frühe Projekte handelt, die wir nicht im Detail öffentlich diskutieren."

Die Haupttätigkeit seiner Forschung konzentriere sich noch immer auf Gebiete mit stark verbreiteter medizinischer Nachfrage wie Alzheimer, Schizophrenie, Krebs, Arthritis oder Diabetes. Allerdings werde Novartis auch "sich ergebende Opportunitäten auf dem Gebiet der Lifestyle-Produkte wahrnehmen". Herrling geht davon aus, dass Präparate wie Viagra oder die Roche-"Schlankheitspille" Xenical ein Entwicklungspotential von "mehr als einer Milliarde Franken" haben können.

Novartis plant auch Pille gegen Fettleibigkeit

Auf seiner Suche nach Viagra-Nachfolgern spürt Herrling Unterstützung - wenn nicht Erfolgsdruck - von oben: Vom schwergewichtigen Novartis-Pharma-Chef Jerry Karabelas ist bekannt, dass ihm die absehbaren Verkaufserfolge von Viagra und Xenical Respekt abnötigen: "Ich glaube ernsthaft, dass dies zwei Beispiele von sehr seriösen Medikamenten sind", vertraute er kürzlich der "Handelszeitung" an.

Moralische Skrupel, in den neuartigen Bereich der "Social Comfort Drugs" (so der interne Sprachgebrauch) einzusteigen, plagen den streng umsatz- und wachstumsorientierten US-Business-Mann nicht. Darum soll es nicht bei der Sex-Pille bleiben. Laut Forschungschef Herrling bearbeiten seine Forschungsteams bereits auch Projekte gegen Fettleibigkeit, die das Roche-Produkt Xenical konkurrenzieren könnten. Laut einer gut informierten Quelle geht es dabei um eine Reduktion der Fettaufnahme: "So kann man den Plausch am Essen haben, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen."

Episode mit John Valtentine Fitness Club

Neu am Liebäugeln bestimmter Basler Pharmakonzerne mit Trend-Märkten ausserhalb der klassischen Kernkompetenzen ist nur die ethische Dimension und das immense Umsatzpotential. Zu Zeiten, als der in Novartis aufgegangene Pharmakonzern Sandoz noch von Yves Dunant gesteuert wurde, setzten sich die Marketing-Manager laut einem ehemaligen Sandoz-Mann mit der Philosophie durch, "dass Gesundheit auch Wellness ist".

Aus dieser Optik schuf Sandoz grosse Projekte mit nahezu kalorienfreier "Schlankheits-Nahrung". Auch diversifizierte die Chemiefirma mit der Uebernahme des John Valentine Fitness-Club im Jahr 1977 in den Ertüchtigungsbereich. Geplant waren Trimm-Dorados für Nobelturner und übermässige Manager. Doch das Experiment geriet schnell zum Verlust-Geschäft. Dunants Nachfolger Marc Moret war es, der den Fitness-Club verkaufte und auch jene Kräfte zurückband, die zur Akquisition von Kosmetikfirmen drängten.

Auch Roche hatte in der Diversifizierungswut ihres damaligen Präsidenten Adolf Jann bei der Kosmetik-Linie Panteen zugelangt, unter Fritz Gerber aber konsequent abgestossen, was nicht zum Kerngeschäft gehörte.

Ex-Ciba-Präsident verbot Antibaby-Pille

Dem rein medizinischen Auftrag am treusten blieb Ciba. Kein Wunder, halten Novartis-Forscher der Ciba-Fraktion die Akzentuierung der Novartis-Forschung in Richtung Lifestyle und Wellness für einen "ethischen Paradigmawechsel". "Jetzt wird ein ethisches Prinzip unterlaufen, das drei Generationen von Ciba-Präsidenten hoch hielten."

Robert Käppeli, Firmenchef vor Louis von Planta und Alexander Krauer, hielt sogar die Entwicklung der Antibaby-Pille für "nicht vertretbar", obschon Ciba-Forscher auf dem Gebiet der Steroidhormone als unbestrittene Weltklasse galten. Auch ein vielversprechendes Präparat gegen Folgen starken Rauchens scheiterte auch am herrschenden Kredo, dass es nicht Aufgabe der Chemie sei, die Konsequenzen des Kettenrauchens zu mildern.

Aggressive Konkurrenz im Lifestyle-Business

Heute aber steht die dominierende Pharma-Sparte von Novartis derart unter Wachstums- und Erfolgsdruck, dass sie sich die Reinheit der Lehre von damals gar nicht mehr leisten kann: Nach der Fusion noch Welt-Nummer eins, ist Novartis Pharma mit einem Marktanteil von gut vier Prozent in kurzer Zeit auf den wackeligen dritten Rang zurückgefallen. Gleichzeitig forschen in den USA Firmen wie Ergorex, Unimed Pharmaceuticals oder Vivus mit Hochdruck an Potenz-Pillen und chemischen Penis-Pumpen, die Milliardenumsätze versprechen.

Angesichts der aggressiv vordrängenden Konkurrenz und des zeitlichen Rückstandes halten es nicht wenige Novartis-Forscher für "äusserst riskant", zu Komfort-Produkten weit fortgeschrittener Anbieter die Konkurrenz aufzunehmen. Bis die Sex-Pille (interner Spott: "Johnny come lately") marktreif wäre, vergingen zehn Jahre. Auch müsste ein Produkt mindestens gleichwertig oder besser sein als jenes der Konkurrenz, sonst könne man es gar nicht patentieren: "Ohne Patentschutz ist so ein Präparat hoffnungslos verloren."

Paul Herrling, wie die meisten Forscher mit Sandoz-Abstammung offen für ethische Opportunität, gibt sich sibyllinisch: "Ob Novartis zu spät dran sein wird, das wird die Zukunft zeigen."

19. Oktober 1998

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