Online Reports Logo
Werben Sie hier
um Ihre Online-Zielgruppe.
061 271 63 64
werbung@onlinereports.ch
Wir möchten diese Story bestellen und abdrucken Wir möchten unseren Werbebanner auf dieser Seite platzieren
Tipp für Story Zurück zur Hauptseite
Meine Meinung zu dieser Story
Meine Meinung zu OnlineReports


Foto Claude Giger, zvg


Desaster "sofort gemeldet": Forschungschef Alex Matter (links), Chef Daniel Vasella


Der Alptraum im Novartis-Krebslabor

Mit der Datenfälschung in der Krebsforschung hat Konzernchef Daniel Vasella ein Problem mit offenem Ausgang

VON PETER KNECHTLI

Im Pharmakonzern Novartis wurde ein Forschungslabor unbemerkt zur Fälscher-Werkstatt. Die Folgen sind gravierend: Die strategisch wichtige Krebsforschung geriet ins Stocken, der Schaden liegt in zweistelliger Millionenhöhe.

Manchmal kommuniziert Novartis-Chef Daniel Vasella mit seinen 86'000 Mitarbeitern auch per Medienmitteilung. So diesen Frühling, als der zweitgrösste Pharmakonzern der Welt mit einer ungewöhnlichen Negativ-Botschaft an die Oeffentlichkeit trat: "Novartis entlässt Forscher." Einige dürre Zeilen vermelden die in einer "internen Untersuchung aufgedeckte Manipulation von Daten präklinischer Ergebnisse" und die sofortige "Entlassung eines Forschers".

Gegenüber OnlineReports bestätigte Vasella, dass die personalpolitische Verlautbarung durchaus auch als Warnsignal nach innen gedacht war: "Wir können niemanden tolerieren, der Resultate fälscht."

Am Nacktmaus-Versuch kommt kein Wirkstoff vorbei

Tatort war ein Tierversuchs-Labor der präklinischen Krebsforschung im Novartis-Hochhaus direkt am Rhein: Hier werden erfolgversprechende Wirksubstanzen insbesondere gegen Brust-, Lungen- und Darmkrebs und ihre Nebenwirkungen an Mäusen getestet, denen zuvor menschliche Krebszellen unter die Haut implantiert wurden.

An diesem Nadelöhr, intern "Tierstall" genannt, kommt kein Projekt vorbei: An den pelzfreien Nacktmäusen wird von blossem Auge perfekt sichtbar, ob ein implantiertes Menschen-Melanom weiter wächst oder durch Wirkstoff zum Stillstand kommt.

Novartis-Forscher "verunsicht"

Der 44jährige Cheflaborant Isidor Schaffner (Name von der Redaktion geändert) war es, der für die ordnungsgemässe Durchführung der Tierversuche verantwortlich war - aber auch für die präzise Analyse der Daten, die entscheidend ist für Weiterführung oder Abbruch einer Wirkstoffentwicklung.

Doch was in diesen Labors an harten Daten hätte ermittelt werden sollen, geriet zum "Alptraum im Leben jedes Forschers" (so Novartis-Pharma-Forschungschef Paul Herrling): Ueber einen Zeitraum von mehr als einem Jahr bezeichnete Schaffner gegenüber den Biochemikern, Molekularbiologen und Pharmakologen "Substanzen als sehr aktiv, die es gar nicht waren" (so ein Sachvertrauter). Zeitweise seien Novartis-Forscher "verunsichert" von wissenschaftlichen Kongressen zurückkehrt, an denen ihnen externe Kollegen zweifelnd eröffneten, sie könnten "diese biologischen Phänomene nicht nachvollziehen".

Trockenheit in der Pipeline

Die Konsequenzen der fatalen Datenbeschönigung sind gravierender als Belegschaft und Oeffentlichkeit bisher annahmen. Laut einer gutinformierten Quelle seien in Basel "sämtliche Projekte der präklinischen Krebsforschung im Kern tangiert". Die unternehmerisch-kommerziellen Folgen für Novartis würden jedoch erst mit Verzögerungseffekt von mehreren Jahren bemerkbar: "Die Krebs-Pipeline wird auf Jahre hinaus auf dem Trockenen liegen." Allein der bisher entstandene materiellen Schaden liege in gut "zweistelliger Millionenhöhe". Noch völlig offen seien die ökonomischen Spätfolgen der Forschungs-Falsifikate.

Mindestens so gross wie der materielle und - gemessen an der Unzahl nutzloser Tierversuche - ethische Schaden ist der Imageverlust im Verantwortlichkeitsbereich von Professor Alex Matter, dem Chef der mit einem Budget von 100 Millionen Franken ausgestatteten präklinischen Krebsforschung.

Vasella und Herrling dementieren

In einem ausführlichen Gespräch bestätigten Konzernchef Daniel Vasella und Forschungschef Paul Herrling gegenüber OnlineReports am 28. August einzig die Grössenordnung der Schadenhöhe. Stark nach unten korrigierten sie jedoch die behaupteten Konsequenzen auf die Forschungsaktivitäten: "In Frage gestellt" seien vier der 15 bis 20 präklinischen Projekte und vier von sieben Projekten der frühen klinischen Phase. Von der Fälschung "nicht betroffen" seien alle acht spätklinischen Projekte.

Trotz dieses Befunds entsteht gemäss Vasella "in den nächsten paar Jahren kein Loch in der Pipeline". Die betroffene Gruppe strenge sich "aus eigener Initiative an, den Rückstand wieder aufzuholen", zudem würden unabhängige externe Labors zugezogen, doppelte Herrling nach. Hingegen reiche der heutige Bestand an erfolgversprechenden Wirkstoffen "in sechs bis acht Jahren nicht aus, um jährlich eine Substanz auf den Markt zu bringen". Vasella selbstkritisch: "Wir haben nicht viele Projekte in der präklinischen Entwicklung."

Ehrgeiz als Motiv?

Ueber das Fälschungsmotiv des Datenfälschers sind sich die Novartis-Manager selbst nicht im klaren: Es sei "wissenschaftlicher Ehrgeiz" und "Angeberei" des nichtakademischen Cheflaboranten gewesen, sagen die einen Quellen; andere bringen das Desaster mit Verlockungen finanzieller Anreize bei erfolgreicher Tätigkeit in Zusammenhang.

Ans Tageslicht kam das Debakel ausgerechnet in einem Quartal, über dessen mageres Umsatz-Wachstum von drei Prozent in lokalen Währungen sich Konzernchef Vasella in einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enttäuscht zeigte: "Unsere Erwartungen wurden in keiner Weise erfüllt." Mitgemeint war insbesondere auch der Pharmasektor, der in den USA "deutlich unter dem Marktwachstum" blieb.

Krebs als hochrangiges Therapiefeld

Unter solchen Bedingungen könnte der Fusionskonzern auf dem potentiellen Massenmarkt der Krebsbekämpfung nachhaltige Entwicklungserfolge, die sich in Blockbustern äussern, dringend brauchen.

Zwar figuriert Novartis als Newcomer mit relativ kleinem Portfolio nicht unter den weltweit führenden Anbietern von Krebspräparaten. Zu den bekannteren Mitteln zählt das Brustkrebsmittel "Femara", letztes Jahr in den USA neu eingeführt, das "Lentaron" ablöst. Fest steht aber: Krebs als Therapiegebiet mit der grössten Ballung ungelöster Probleme zählt zu den hochrangigsten strategischen Therapiegebieten von Novartis. So erzielt das neueingeführte "Aredia", ein flankierendes Medikament gegen krebsbedingte Knochenerkrankungen, bereits einen Jahresumsatz um eine halbe Milliarde Franken - Tendenz stark steigend.

"Vertrauen ist absolute Voraussetzung"

Doch wo, wie in der gesamten Novartis-Pharmaforschung, jährlich drei Milliarden Franken investiert werden, kann schon das kleinste Sandkorn im Getriebe schnell Millionen kosten, wie die Fälschung im "Tierstall" zeigt. Eine Verschärfung des Sicherheitsdispositivs an der Schlüsselstelle der Nacktmaus-Versuche drängt sich nach Meinung Herrlings jedoch nicht auf: "Man kann eine Forschung nicht auf Misstrauen und Kontrolle aufbauen. Vertrauen ist die absolute Voraussetzung."

So braucht der Ressortverantwortliche Alex Matter "keine Konsequenzen zu fürchten" (Vasella): Er sei zum Debakel gestanden und habe es den Vorgesetzten "innert Stunden gemeldet". Einzeltäter Schaffner dagegen hat die Toleranzgrenze überschritten. Cheflenker Vasella muss damit leben: "Man kann in einer Firma nicht 86'000 Heilige haben."

30. August 1998

Zurück zu Wirtschaft
Zurück zur Hauptseite

© by Peter Knechtli