Mit "Tony Wahnsinn" in die nächste Hoffnungsrunde

Mit extravagantem Berater sucht die Basler Mediengruppe in Zürich den Turnaround

Das Verlagshaus der "Basler Zeitung" will in Zürich endlich erfolgreich Fuss fassen: Mit Berater Tony Wagner, einem Paradiesvogel des Verlagsmarketings, will die zur Basler Mediengruppe gehörende Jean Frey AG die hinkende "Weltwoche" auf Vordermann bringen.


Das ganztägige Seminar am Freitag im Hotel "Belvoir" in Rüschlikon war hart: Inserate- und Marketingprofis der "Weltwoche" hatte Peter Sigrist, Generaldirektor und Verwaltungsrats-Delegierter der Basler Mediengruppe, zusammengerufen, um ihnen einzubleuen: "Wir fahren Angriffskurs."

Eine Vorwärtsstrategie des drittgrössten Schweizer Verlagshauses ist dringend. Nach der Uebernahme der Aktienmehrheit der Curti Medien AG durch die Basler Verlegerfamilie Hagemann entwickelten sich die in der Jean-Frey-Gruppe zusammengefassten Zürcher Verlagstitel ("Weltwoche", "Bilanz", "Beobachter", "Sport") nicht in der erhofften Dynamik. Der "Sport" kommt mit seinen Millionenverlusten kaum vom Fleck. Auch die "Weltwoche", die in ihren besten Jahren 12 Millionen Franken Cash-flow abwarf, steht mit rund zwei Millionen Franken in der Kreide und verlor letztes Jahr fünf Prozent ihrer Auflage (aktuell: 92'000).

"Beobachter" und "Bilanz" auf gutem Weg

Den wirklichen Aufwärtstrend geschafft hat bisher nur der "Beobachter". Auch die "Bilanz", die sanfte 500 Exemplare zulegte, wird im laufenden Geschäftsjahr dank Effort in Form von Sonderheften und Büchern wieder eine dreiviertel Million Franken Gewinn ausweisen.

Die grosse Frage ist, wie lange die Basler Verleger bereit sind, "Weltwoche" und "Sport" mit happigen Millionenbeträgen durch das Wellentief zu schleppen. Zum "Sport" mag sich Peter Sigrist unter Berufung auf "vertrauliche Pläne" nicht äussern. Die "Weltwoche" dagegen erweckt sein ungeteiltes Entzücken. Unter dem neuen Chefredaktor Fredy Gsteiger und den soeben akquirierten Leitartiklern Ludwig Hasler und Synes Ernst sei jetzt "ein sackstarkes Team" beisammen. Auch die übrigen Rahmenbedingungen eines "Qualitätsauftritts" seien gegeben: Von Millioneninvestitionen in Werbeanstrengungen bis hin zu einem "schönen Papier, das wir eigens mit der Papierfabrik entwickelt haben".

"Weltwoche"-Anzeigen zu teuer

Mit den Anzeigen, die darauf gedruckt werden sollen, hat die "Weltwoche" allerdings ein ätzendes Problem: Die Preise pro tausend Kontakte liegen bei der "Weltwoche" zwischen einem Drittel und der Hälfte über jenen der SonntagsZeitung. Laut gut informierten Quellen werden über die unausweichliche Senkung der Anzeigentarife "heftige Diskussionen" bis zur Konzernspitze geführt. Kommenden Donnerstag wird der Verwaltungsrat entsprechende Beschlüsse fassen. Damit nicht zusätzliche Einnahmenausfälle die "Spiralbewegung nach unten" (so ein Kenner) beschleunigen, verlangt Sigrist, die Preise zwar "leicht zurückzunehmen", dafür aber "entsprechend mehr Anzeigen zu generieren".

Sicher aber ist: Die Basler Mediengruppe steht weiterhin entschlossen hinter der "Weltwoche". Seit Jahren ständig neu kolportierte Gerüchte über Verkaufsabsichten wies Verwaltungsratspräsident Mathias Hagemann gegenüber der SonntagsZeitung zurück: "Ein Verkauf dieses Qualitätstitels steht nicht zur Diskussion."

Sigrist engagiert unkonventionellen Directmarketing-Berater

Dies dokumentiert Sigrist auch mit der Verpflichtung einer erfahrenen Kraft, die pikanterweise die "Weltwoche" vor einiger Zeit unter dem Branchenschnack "Tony Wahnsinn" vorstellte: Der frühere Ringier-Verlagsdirektor Tony Wagner, 46, der als Paradiesvogel im Schweizer Verlagsgeschäft gilt. Mailing-Profi Wagner (C.A.T.-Werbe- und Mediengruppe, "Sonntag", "Leben & Glauben", ehemals "Senioren-Express") flitzte in jüngeren Jahren schon auf Rollschuhen durch Geschäftskorridore, präsentierte ein Tauchermagazin live aus einem Aquarium oder fütterte zu Promotionszwecken Haifische. Peter Sigrist: "Er ist nicht so ein Gewöhnlicher."

Wagners Berater-Job ist es, den früheren Coop-Manager und Charles-Veillon-Verwaltungsratsdelegierten Willy Toggwyler als Vorsitzenden der Geschäftsleitung (Sigrist: "Er kam aus einer andern Branche") und "Weltwoche"-Verlagsleiter Stefan Biedermann ("ein tüchtiger Mann, aber diese Erfahrung hat er noch nicht") im Bereich des Abonnenten-Directmarketings zu unterstützen. Wagner: "Da bin ich wirklich gut."

"Erstmals in verlegerisch guten Händen"

Die anstehende Promotions-Lawine geht nicht wirkungslos an der Redaktion vorbei: "Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, wir seien in verlegerisch guten Händen", bekennt "Weltwoche"-Ressortleiterin Yvonne-Denise Köchli. "Ich habe eine richtige Freude", schildert auch Peter Sigrist seine Gemütsverfassung: "Wir wollen auf der ganzen Linie besseres und professionelleres Marketing."

Dies gilt auch für den "Beobachter", dessen Redaktion diese Woche verwundert die abrupte Ablösung von Heinrich Meyer als Geschäftsführer vernahm. Meyer, 33, als jüngstes Mitglied der Jean-Frey-Geschäftsleitung erst seit eineinhalb Jahren im Einsatz, hatte nach zehn Jahren Talfahrt die Auflage um ein Prozent erhöht. Ueber die Umstände seines Ausscheidens wollte er allerdings nicht Stellung nehmen. Laut Sigrist konnte die Entwicklung des Anzeigenertrags dem prosperierenden Lesermarkt nicht standhalten.

Kümmerli verspricht intensiven "Beobachter"-Einsatz

Meyers Aufgabe im Range eines "Beobachter"-Verlagsleiters übernimmt Vertriebschef Peter Kümmerli, 47. Mit der Rochade strafft Jean Frey die Geschäftsleitung von sieben auf sechs Mitglieder, weckte aber gleichzeitig Befürchtungen, das Gewicht des "Beobachters" werde in diesem Gremium deutlich geschwächt. "Der 'Beobachter' darf nicht leiden", widerspricht Kümmerli und gelobt, bei seiner 70-Stunden-Woche 80 Prozent seiner Arbeitskraft in das populäre Heft investieren. "Zudem werden wir jemanden suchen, der mich im Vertrieb operativ entlastet."

Der einsatzfreudige Anpacker mit grosser Lesermarkt-Erfahrung wird die Entlastung dringend brauchen: Das Print-Geschäft ist knallhart und erfordert auch im Verlagsgeschäft vollen professionellen Einsatz. Vielleicht ist sein neuer Job auch eine Bewährungsprobe der dritten Art. Sigrist zur Frage, ob Kümmerli dereinst sein Nachfolger werden könnte: "Darüber hat noch niemand nachgedacht."

4. Mai 1998

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