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© Foto Ruedi Suter


"Die Touristen kommen und glotzen uns an": Indigene


Die Urvölker im Würgegriff der Tourismus-Industrie


Der Tourismus bedeutet weltweit für Millionen Eingeborene eine tödliche Bedrohung

VON RUEDI SUTER


Urlauber versus Ureinwohner: Die globale Tourismusindustrie ist für die über 300 Millionen Eingeborenen der Welt eine tödliche Bedrohung. Entwurzelung, Menschenrechtsverletzungen und Zerstörung der Lebensgrundlagen gehen auf das Konto der boomenden Ferienbranche und ihrer Nutzniesser. Nun verlangen die indigenen Völker von den Regierungen, in Sachen Tourismus selber bestimmen zu können.

Geht es in den Urlaub, bleibt die Ethik zuhause. «Die Touristen kommen und glotzen uns an, als wären wir Affen. Aber wir Pygmäen sind doch menschliche Wesen!», klagte Ende Juli Kapupu Mutimanwa aus Congo-Zaire an der jährlichen UNO-Versammlung der Urvölker in Genf während des Workshops «Tourismus und Indigene Völker». Das Beispiel des Pygmäensprechers war eines unter vielen, mit denen Ureinwohner die oft existentiellen Probleme ihrer Völker mit der globalen Tourismusindustrie belegten.

Demnach haben Indigene in der Regel keine Rechte, beim Tourismus mitzubestimmen, von ihm zu profitieren oder sich gegen seine zersetzende Folgen zu wehren. Auch fühlen sich Ureinwohner durch den Tourismus gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen oder auch der Tierwelt häufig tiefer gestellt und als reine Schau- und Fotoobjekte für neugierige Urlauber missbraucht.

Zerstörung der Lebensgrundlagen

Die Staaten, in denen Indigene leben, benutzen Ureinwohner zusammen mit der Tourismusbranche als exotische Lockvögel, konfiszieren ihr Land für touristische Projekte, entziehen ihnen die Lebensgrundlagen, vertreiben sie und verweigern überdies jede Entschädigung. Die immer noch kolonisierten, auf über 300 Millionen geschätzten Angehörigen der rund 5.000 Urvölker gelten bei den meisten Regierungen und Tourismuskonzernen als Manipuliermasse.

Der Tourismus wird von der Welttourismusorganisation WTO als die heute grösste und am schnellsten wachsende Industrie eingestuft. Alleine 1997 waren 617 Millionen Menschen für 448 Milliarden Franken unterwegs. Echtes Umweltbewusstsein, Achtsamkeit und Verantwortungsgefühl dem Andersartigen gegenüber werden sind im Ferientaumel rasch vergessen. Die Reisebranche denkt im beinharten Konkurrenzkampf wieder ausschliesslich kommerziell und schiebt die ethische Verantwortung auf ihre Kundschaft ab - mit beschämend wenig Erfolg.

Rauswurf aus den Nationalpärken

Hauptbetroffene sind vielfach die Ureinwohner. Für sie bedeutet Tourismus nicht happige Gewinne und Arbeitsplätze, Erholung und Erlebnisse. Für sie bedeutet Tourismus Verletzung ihrer Menschenrechte, entwurzelte Gesellschaften, zerstörte Lebensräume. Beispiele aus einer langen, zumeist verdrängten Liste:

Um National- und Tierparks in Amerika, Afrika und Asien schaffen zu können, wurden zahllose Indigene wie Indianer, Massai oder Adivasi aus ihren angestammten Gebieten hinausgeworfen. Sie, die ihre Fauna und Flora am besten kennen, gehen leer aus und werden oft nicht einmal als Fremdenführer oder Wildhüter eingesetzt.

Im Nordamerika fischen Touristen aus USA und Europa den für die Indianer lebenswichtigen Lachs weg. In Afrika und anderen wildreichen Weltregionen rotten Jagdtouristen aus den Industrieländern und Arabien den Jäger- und Sammlervölkern das Wild, die wichtigste Nahrungsqülle, aus. Gleichzeitig werden die Indigenen als «Wilderer» verfolgt oder, wie die Hadzabe in Tansania, mit dem Leerschiessen der Gebiete in den Untergang getrieben.

Burma als Horrorbeispiel

Doch den autochthonen Völkern und ihren landschaftlich oft attraktiven Siedlungsgebieten wird auch durch Hotel-, Ferien- und Sportanlagen jeder Art zugesetzt. Schlimmster Fall: Für die Umgestaltung des an indigenen Menschen besonders vielfältigen Burma zum «Urlaubsparadies» wurden in den letzten Jahren zahlreiche Menschenrechte verletzt.

Eisenbahnlinien, Strassen, Flugplätze, Hotelkomplexe, Golfplätze und Stauseen wurden in Rekordzeit aus dem Boden gestampft - vorweg im Süden und im Zentrum, derweil im Norden und Osten die Kämpfe gegen die ethnischen Minderheiten intensiviert oder aber auch via geschickte Waffenstillstandsverhandlungen eingestellt wurden.

Für die Umgestaltung Burmas zum künftigen «Urlaubsparadies» wurden und werden laut UNO und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die Gesellschaft für bedrohte Völker und Asia Watch Hunderttausende von Männern, Fraün und selbst Kindern zur Sklavenarbeit gezwungen. Bei den oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen sind schon Tausende gestorben oder zu Krüppel geworden.

Millionen Menschen deportiert

Den selben Quellen zufolge wurden gegen drei Millionen Menschen deportiert - um beispielsweise Platz für touristische Grossprojekte oder Herzeigeobjekte zu schaffen. überdies lassen die Militärs von Rangoon weiterhin unliebsame Menschen systematisch foltern, verschwinden oder über die Landesgrenzen jagen.

Fakten wie diese sowie das anhaltende Schikanieren der von den Militärs wieder unter Hausarrest gestellten Oppositionführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi bewogen Konzerne europäischer oder nordamerikanischer Herkunft zum Rückzug aus Burma, thematisierte das menschenverachtende Treiben der Junta in der EU und der USA und provozierte weltweit organisierte Aktionen für Tourismus- und Wirtschaftsboykotte Burma gegenüber.

Man übt sich in selektiver Wahrnehmung

Auch in der Schweiz, wo vor zwei Jahren unter der Federführung des Arbeitskreises Tourismus und Entwicklung (AT+E) eine Koalition von Nicht-Regierungsorganisationen ohne grosses Echo die Oeffentlichkeit orientierte. Gleichzeitig gab sie die dringende Bitte der burmesischen Demokratiebewegung und ihrer Führerin Aung San Suu Kyi weiter: Keine Reisen nach Burma, da die Einnahmen vorab in die Kassen des burmesischen Militärapparats oder ausländischer Investoren flössen.

Mit Argumenten dieser Art oder auch mit dem Tod des im Sommer 1996 in burmesischer Haft gefolterten und gestorbenen Schweizer Honorakonsuls James L. Nichols mag sich die grosse Mehrheit der Schweizer und internationalen Reiseorganisationen jedoch nicht auseinandersetzen. Man übt sich in selektiver Wahrnehmung, beschwört die Schönheiten des Landes und ihrer indigenen Bevölkerung oder behauptet, da werde politisch wohl mächtig schwarzgemalt.

Für Golfplätze müssen Friedhöfe weg

Aber auch in verschiedenen Küstenregionen der Welt mussten ansässige Urvölker «Ferienparadiesen» weichen. Auf indigenen Territorien geplante oder realisierte Golfanlagen führten in Asien und Amerika zu verschiedenen Aufständen. Den Mohawk-Indianern in Kanada und den Kanaka Maoi auf Hawaai gelang es ausnahmsweise, mit erbittertem Widerstand Golfplätze auf ihren Grabstätten zu verhindern.

Da touristische Infrastrukturen wie Hotels und Sportanlagen viel Wasser, Holz, Energie und Personal benötigen, sehen sich Indigene häufig auch mit plötzlichem Wassermangel, Staudämmen, Umweltzerstörungen, Abfallbergen, rücksichtslosen Zuzügern und weiteren bedrohlichen Fremdeinflüssen konfrontiert. In Peru wurden die Yagua-Indianer gezwungen, in die Nähe von Hotels zu ziehen und für Touristen zu tanzen. In Burma und Thailand werden die langhalsigen Padaung-Fraün mit ihren zahlreichen Halsringen von Touristen wie Zootiere fotografiert.

Nun auch noch der Sextourismus

Neuerdings werden Urvölker auch Opfer des Sextourismus. Vor allem in Thailand sind die Frauen und Mädchen armer Bergvölker wie die Hmong (Meo, Miao), Lahu, Akha, Lisu und Mien (Yao) im Norden sehr begehrt. Grund: Sie haben noch kein Aids, was sich jetzt rasch ändert.

Als Plage und Bedrohung werden auch zunehmend Oeko-, Alternativ- oder Abenteuertouristen empfunden, die sich in die hintersten Winkel durchschlagen. Auch wenn manche von ihnen auf die sensible Lebensart der dort lebenden Urvölker Rücksicht zu nehmen versuchen, so treten sie doch in Gruppen auf und schleppen Krankheiten ein.

Tourismus als Ausbeutungsindustrie

Die Tourismusindustrie, folgerten die Indigenen zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen "Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung" (AT+E), Burma Peace Foundation und dem Informationszentrum für Indigene (doCip) in Genf, ist etwa gleich zerstörerisch wie die Ausbeutung der Indigenengebiete durch Minengesellschaften, Agrokonzerne oder Holzmultis.

Was tun, angesichts der Zerstörungskraft der wachsenden Touristenfluten? Ureinwohner wie der Massai und Vorsitzende der afrikanischen Indigenenorganisation Ipaac, Joseph Ole Karia, die Leiterin der phillipinischen Cordillera Völkerallianz, Joan Carling, und der Sprecher der San («Buschmänner») Indigenenorganisation Wimsa im südlichen Afrika, Kxao Moses Oma, waren sich in einem für die Staaten heiklen Punkt einig: Die fragilen Urvölker müssen in ihren Gebieten über den Tourismus selbst bestimmen können, insbesondere über Planung, Realisierung, Kontrolle und Einnahmen. Gefordert wurde ausserdem, das bislang ignorierte Menschenrechtsproblem «Tourismus und indigene Völker» u.a. von der UNO-Menschenrechtskommission thematisieren zu lassen.

Den Tourismus generell verdammen, wollten die Vertreter der Indigenen nicht, kann ihnen doch ein geregelter Tourismus unter Umständen auch nützlich sein. Allerdings gibt es riesige Unterschiede: Nordamerikanische Indianer mit Casinos leben vom Tourismus, derweil für abgelegene Regenwaldvölker das Auftauchen nur schon weniger Touristen das Ende bedeuten kann.

Die Kuna-Indianer haben es geschafft

Dass gerechter und kontrollierter Tourismus in den Gebieten autochthoner Völker selbst innerhalb bestehender Staatsgrenzen möglich ist, beweisen (als noch seltene Ausnahme) die eigenwilligen Kuna-Indianer in Panama, welche dem Staat ein weitgehendes Autonomiestatut abringen konnten. Ihr ausgeklügeltes Tourismus-Statut erlaubt den Kuna die vollständige Kontrolle über jede Investition und jeden touristischen Schritt sowie dessen Einfluss auf Gesellschaft, Landschaft und die biologische Vielfältigkeit.

Anderswo, beispielsweise bei den San in Namibia und Botswana, gibt es Ansätze zu einem gerechteren Tourismus mit Selbstbestimmung. «Aber», sagt San-Sprecher Moses Oma, «wir können noch nicht absehen, ob uns der Tourismus mehr nützt oder schadet.»

Es liegt an den Ferienmachern

Die transnationalen Giganten in der vom Norden dominierten Tourismusindustrie scheren sich laut einer Reports-Umfrage kaum um Menschenrechte und Umweltschutz, welche bei den Urvölkern untrennbar sind. Wenige Kleinunternehmen mit ethisch hohen Ansprüchen versuchen jedoch schon ernsthaft, mit Indigenen zusammenzuarbeiten und sie dafür auch zu entschädigen.

Angesichts der erdrückenden übermacht der Touristikkonzerne und der Komplexität der Materie müssten Netzwerke zwischen Indigenen und Unterstützungsorganisationen gebildet werden, erklärte Christine Plüss vom AT+E. Mit Rat, Richtlinien, Informationen und enger Zusammenarbeit sollten aber auch die Vertreter der Tourismusindustrie und schliesslich die Konsumenten selbst sensibilisiert werden. Denn immer noch könne man als Touristin oder Tourist selbst entscheiden, wohin, mit wem und auf welche Kosten die Reise gehe.

25. August 1998

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© by Peter Knechtli