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Strafvollzugs-Chefbeamter Dominik Lehner, digitaler Sender fürs Fussgelenk


Die elektronischen Fesseln stehen bereit

Sieben Kantone wollen schon bald den digitalen Strafvollzug testen / Basel spielt Vorreiterrolle

VON PETER KNECHTLI

Wenn alles rund läuft, starten sieben Kantone schon in wenigen Monaten einen Pilotversuch mit "elektronischen Fesseln" - digital kontrollierter Strafvollzug in der eigenen Wohnstube. Basel-Stadt leistete trotz Kompetenz-Gerangel Schrittmacherdienste.

Am 9. Dezember trafen sich im Bundesamt für Justiz unter der Aegide von Vizedirektor Peter Müller Stafvollzugs-Fachleute aus sieben Kantonen: Basel-Stadt, Baselland, Bern, Zürich, Genf, Waadt und Tessin. Das Traktandum: Electronic Monitoring, der digital überwachte Strafvollzug in der eigenen Wohnstube.

Durchbruch erwartet

Von der Sitzung erhoffte sich Projektleiter Dominik Lehner, im Basler Justizdepartement für Freiheitsentzug und Soziale Dienste zuständig, organisatorisch, finanziell und klimatisch den entscheidenden Sprung nach vorn. Priska Schürmann, Chefin der Sektion Straf- und Massnahmenvollzug im Bundesamt für Justiz: "Es handelt sich um eine weitere alternative Vollzugsform, die ein Pilotprojekt rechtfertigt."

Konkret soll geeigneten Häftlingen die Möglichkeit gegeben werden, einen Teil der Strafe - abends, nachts und an Wochenenden - in ihrer Wohnung und ihrem gewohnten privaten Umfeld absitzen zu können. Dabei darf die Wohnung aber nicht verlassen werden. Um die strikt vorgeschriebene Präsenz zu überwachen, wird dem Häftling eine "elektronische Fessel" um das Fussgelenk gelegt. Dieses Gerät in der Form einer überdimensionierten Armbanduhr - ein Produkt der amerikanischen Firma "Boulders" - sendet via Modem und Telefonleitung alle zehn oder 15 Minuten Impulse an einen Kontrollcomputer. Entfernt sich der Häftling unerlaubterweise aus dem Sendebereich, oder versucht er, das Gerät zu demontieren, löst er einen Alarm aus. Im Ernstfall wird er aus dem Programm genommen und ins Gefängnis zurückversetzt.

Keine Mehrheit für eidgenössische Neuregelung

Zu den - wissenschaftlich begleiteten - Pilotversuchen kommt es, nachdem eine Vernehmlassung des Bundes zur Revision der Verordnung 3 zum Strafgesetzbuch unter den Kantonen keine klare Mehrheit für die Einführung der elektronischen Überwachung ergeben hatte: Zwölf Kantone lehnten sie ab, zehn Kantone stimmten zu, vier enthielten sich einer Bewertung.

Derzeit liegen zwei Gesuche auf dem Bundesamt für Justiz: Eines aus der Deutschschweiz (BS, BL, BE, allenfalls ZH) und eines aus dem lateinischen Landesteil (GE, VD, TI). Laut Dominik Lehner möchte Basel-Stadt das Deutschschweizer Projekt am liebsten schon am 1. März nächsten Jahres lancieren. Realistischer Startpunkt aber ist der 1. Juli, wie Priska Schürmann erklärte: Es sei wünschenswert, dass alle Versuche gleichzeitig starteten.

Modellvarianten abgleichen

Wie sich nämlich zeigt, besteht innerhalb der interessierten Kantone noch einiger Koordinations- und Harmonisierungsbedarf. So muss entschieden werden, ob sich Zürich an das Deutschschweizer Projekt andocken wird. Bern wiederum führt ein Teilprojekt, das vom Basler Modell abweicht: Bern will die digitale Fessel erst für Strafen von drei bis zwölf Monaten einsetzen, die Basler bereits für kurze Freiheitsstafen ab einem Monat (bis 12 Monate) oder auch die letzten zwölf Monate eines längeren Vollzugs.

Zur Koordination gehört letztlich aber auch die gemeinsame Beschaffung der Sendegeräte (Stückpreis 3'500 Franken). Schliessen sich die Kantone zusammen, lassen sich die Anschaffungskosten senken. Das Deutschschweizer Projekt (ohne Zürich gerechnet) geht von jährlich 54 Teilnehmenden aus. Die Kosten für den auf drei Jahre angelegten Versuch belaufen sich auf drei Millionen Franken, wovon der Bund zwischen 65 und 80 Prozent übernimmt.

Ein Fachausschuss, den Priska Schürmann präsidiert, prüft die modifizierten Gesuche und stellt dem Bundesamt für Justiz Antrag. Obschon die betreffende Verordnung keinen Passus darüber enthält, seien die rechtlichen Grundlagen für die Umsetzung der Modellversuche "gegeben", sagte Schürmann auf Anfrage: Die Pilotprojekte würden in Form von Einzelbewilligungen durch Justizminister Arnold Koller sanktioniert.

Angst vor Ueberwachungsstaat

Gegen die digitale Fessel wurde auch schon Kritik laut: Sie bedeute einen weiteren Schritt hin zum Ueberwachungsstaat und beraube die Häftlinge des Persönlichkeitsschutzes. Projektleiter Dominik Lehner kann dieser Optik nicht beipflichten: Das neue Modell habe nicht Dialogüberwachung zum Ziel, sondern ausschliesslich die Präsenzkontrolle. Auch sei es sehr geeignet, der Desozialisierung und Stigmatisierung von Häftlingen entgegenzuwirken. Die Bewährungshilfe werde damit klar aufgewertet.

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SPÄTERE ENTWICKLUNG

Kein Flohnerleben

Sowohl in den USA als auch in Holland, Schweden, England und Italien wird das Electronic Monitoring bereits in unterschiedlichen Formen praktiziert. Die Erfahrungen, so heisst es in einem Konzeptpapier, seien "durchwegs positiv". Zwar werde der elektronisch überwachte Hausarrest ohne Ausgang und Urlaub meist als "realer Freiheitsentzug empfunden" (so Lehner), dem Aufenthalt in der Gefängniszelle jedoch "eindeutig vorgezogen".

Vorteile für den Staat: Kosteneinsparung (Kosten pro Häftling und Tag: 300 Franken), Entlastung von Gefängnissen. Vorteile für die Gesellschaft: Die Häftlinge können ihre Strafe sozialverträglich verbüssen, keine Haftschäden.

In das Programm aufgenommen werden kann nur, wer tagsüber ein Beschäftigungsprogramm (Arbeit, Ausbildung, Therapie) von mindestens 20 Stunden pro Woche absolviert. An den Kosten müssen sich die Häftlinge mit täglich rund 25 Franken beteiligen.

Schwere Jungs haben keine Chance. Denn das Electronic Monitoring wird an eine Reihe Voraussetzungen gebunden, wie ein Reglementsentwurf festhält:
• Die betroffene Person muss das Einverständnis geben und zu einem Kostenbeitrag bereit sein.
• Sie muss über eine Wohnung mit Telefonanschluss verfügen und bereit sein, BewährungshelferInnen Zutritt in die Wohnung zu gestatten.
• Erwachsene Personen, die in gleichen Haushalt leben, müssen ebenfalls ihr Einverständnis geben.
• Die betroffene Person muss körperlich und geistig gesund und in der Lage sein, einem angemessenen Arbeits-, Ausbildungs- oder Beschäftigungsprogramm nachzugehen.
• Die betroffene Person muss eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle haben.
• Sie muss bereit sein, sich einem im voraus mit dem Projekt-Manager vereinbarten Tages- und Wochenablauf zu unterziehen.
• Es darf gegen die Person kein rechtskräftiger Landesverweis ausgesprochen worden sein.
• Falls die betroffene Person aus einer andern Form des Strafvollzugs ins Electronic Monitoring übertritt, muss sie einen Bewährungsnachweis erbringen können.





Basler Kompetenz-Gerangel

Die Projektausarbeitung führte in Basel-Stadt zu einem Kompetenzgerangel zwischen Jörg Schilds Polizeidepartement und Hans Martin Tschudis Justizdepartement: Noch Anfang August war es der Strafvollzugs-Pionier Hans-Jürg Bühlmann, Chef des Gefängniswesens im Polizeidepartement, der das Basler Projekt mit "Electronic Monitoring" vorstellte. Jetzt ist die Projektleitung bei Dominik Lehner im Justizdepartement angesiedelt, Bühlmann sitzt nicht mehr in der Projektorganisation. Laut inoffiziellen Informationen lagen die Differenzen im konzeptionellen Bereich: Bühlmann wollte ursprünglich nur jene Häftlinge für die "digitale Fessel" vorsehen, die eine unbedingte Kurzstrafe bis drei Monate verbüssen. Lehner dagegen will die Methode auch vor der Entlassung von Tätern einsetzen, die eine längere Strafe absitzen. Dies, um die Resozialisierung zu erleichtern.


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10. Dezember 1998

 

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© by Peter Knechtli