Verkommt das Kleinbasel zur Verbrechenszone?


Rauschgift,Schiessereien, Prostitution: Polizeidirektor Jürg Schild beruhigt verunsicherte Bevölkerung

Von Ruedi Suter

Seit einigen Monaten ist im Unteren Kleinbasel der Teufel los: Schüsse fallen, Drogendealer machen die Gegend unsicher, die Rauschgiftszene wächst, Prostituierte betreiben wieder den Strassenstrich. Jetzt hat der Basler Polizeidirektor Jörg Schild zur Beruhigung der verunsicherten Bevölkerung einen Rundgang durch das Basler «Krisengebiet» organisiert. "Reports" marschierte mit.

Verkommt das Kleinbasel zur Verbrechens- und Lasterzone, in die ehrbare Bürgerinnen und Bürger vor lauter Hühnerhaut keinen Fuss mehr setzen mögen? Zwei Schiessereien in den letzten Wochen mit einem Toten und zwei Verletzten, unsichere Strassen, Schutzgeld-Erpressungen, wachsender Drogenhandel, Kämpfe zwischen rivalisierenden Dealerbanden und zunehmende Strassenprostitution schüren Angst und Unsicherheit bei der Bevölkerung im Unteren Kleinbasel.

Nicht ganz unbegründet: Im Matthäus- und Claraquartier hat sich die Situation in den letzten Monaten spürbar verschlechtert. Das kritisiert die Anwohnerschaft und bestätigt die Polizei. Dies veranlasste auch das Polizeidepartement (PMD) am Dienstag, 25. August, in aller Eile mit einer handverlesenen Schar von Quartierbewohnern, Betroffenen und Medienleuten eine abendliche Begehung der kritischen Zonen zu organisieren. Zweck: «Orientierung vor Ort, direkter Erfahrungsaustausch, Präsenz der Behördenvertreter» (vor Ort verteilte Absichtserklärung).

«Mir hat es den Nuggi abgejagt»

Die Aktion zur Beruhigung der Gemüter wurde von Regierungsrat Jörg Schild persönlich geleitet. Nach der zweiten Schiesserei habe es ihm «den Nuggi abgejagt», leitete Schild eingangs vor der Kaserne den Spaziergang zu den Tatorten Kasernenareal, Ecke Müllheimerstrasse/Sperrstrasse, Feldbergstrasse, Matthäus-Kirchplatz und Clara-Matte ein. Man müsse sich «an die Spielregeln halten», was mit dem Einsatz von Waffen klar nicht mehr der Fall sei, meinte der von hochrangigen Polizeioffizieren flankierte Polizeiminister. Einen Grund zur Panik gebe es jedoch nicht: «Die Sicherheit ist gewährleistet.»

Waffen, Drogen, Kampfhunde

Seit Sommerbeginn sei die Drogenszene vor und auf dem Kasernenareal «massiv» gewachsen, gab eine Anwohnerin zu Protokoll. Obwohl man seit Jahren mit der Szene hier konfrontiert werde, sei die Situation jetzt nicht mehr tragbar, zumal sie auch den Kulturbetrieb störe und mit den herumliegenden Spritzen die spielenden Kinder gefährde. Ihre Forderung: «Die Szene muss da weg!»

An der Ecke Müllheimerstrasse/Sperrstrasse entwarf ein direkter Anwohner ein düsteres, für Basel eher neues Bild. In diesen teils schlecht beleuchteten Strassen würden sich vor allem nachts mit Messern und Pistolen bewaffnete oder von Kampfhunden begleitete Kokainhändler tummeln. Komme man bei Dunelheit heim, müsse man sich durch ein angsteinflössendes Spalier aggressiver Junkies und Dealer bewegen. Zudem sei die Szene laut, teils bis in die Morgenstunden. Sobald Polizei auftauche, würden sich diese Leute verteilen. «Dann kann man wieder schlafen.»

«Ich hatte früher nie Angst»

Der besorgte Anwohner erklärte, er wolle nicht polemisieren, sondern nur die Situation aufzeigen. Bei ihm sei auch schon eingebrochen worden, und es gebe bereits Wegzüge. Polizeikommandant Markus Mohler versprach als Sofortmassnahme bessere Beleuchtung. Die Polizeikontrollen seien jetzt schon sehr häufig.

Auch um die Matthäuskirche mit seinen Erholungs- und Spielflächen und dem angrenzenden Bläsi-Schulhaus werden vor allem Kinder mit Drogenkonsumenten und weggeworfenen Spritzen konfrontiert. Der Platz mit seinen vielen unbeaufsichtigten Kindern zumeist ausländischer Herkunft sei für diese gefährlich und allgemein «unberechenbar» geworden, klagte eine Mutter. «Ich hatte früher nie Angst hier», erklärte eine Frau, «doch heute mag ich hier nicht mehr zu Fuss gehen».

Renaissance des Strassenstrichs

Ein weiterer Anwohner erklärte wiederum, subjektiv habe er keine grosse Veränderung in der Gegend wahrgenommen. Eine seit zehn Jahre im Quartier lebende Ausländerin stellte klar, dass auch viele ausländische Menschen unter der in den letzten Monaten schlechter werdenden Situation litten. Das Matthäus-Quartier hat einen Ausländeranteil von gegen 55 Prozent, wobei die Zahlen der Jugoslawen und Kosova-Albaner zunehmen. Die Zahl der Italiener sinkt, jene der kurdischen und türkischen Einwohner ist zurzeit stabil.

Auf der Claramatte wurde die Liste der Quartierprobleme mit dem Lärm (Bau Nordtangente und Mubahallen, Verkehrslärm, vor allem Feldbergstrasse), der sehr hohen Wohndichte und der Prostitution ergänzt. Letztere verlagere sich auch aufgrund der teuren Mietzinse wieder vermehrt auf die Strasse, was wiederum Immissionen durch die mobilisierte Freier hervorrufe. Der Chef des Clara-Polizeipostens, André Geiser, berichtete, junge Frauen würden sich aufgrund der knallharten Konkurrenz bereits für 50 Franken anbieten - und dies erst noch ungeschützt.

Ein Liegenschaftsbesitzer und ein Geschäftsmann demonstrierten aber auch Standfestigkeit und Liebe zum Quartier: «Ich lasse mich nicht vertreiben hier!» Und: «Das Quartier darf nicht zum Ghetto werden!»

Afrikaner und Albaner als Hauptdealer

Die Führung durch die Kleinbasler «Krisengebiete» endete im sicheren Sitzungsraum des Clarapostens, wo Behördenmitglieder wie Thomas Kessler, Delegierter für Migrations- und Integrationsfragen, Martin Kohler, Leiter Sicherheitsabteilung und Thomas Homberger, der neue Chef des Drogendezernats, ihre Analysen präsentierten. Nach Homberger, Mohler und Geiser operieren zurzeit zwei Dealergruppen im Gebiet: Albaner vor allem tagsüber um die Matthäuskirche, und Schwarze vor allem nachts in der Gegend Sperrstrasse/Müllheimerstrasse. Das Kasernenareal dient allen Dealern und Junkies jeder Nationalität, inklusive Schweizern.

Neuster und für die Polizei sehr lästige Trick der Dealer: Man kommt fast nur noch in Wohnungen zur Sache, das offene Geschäftemachen auf der Strasse ist aus der Mode.

Die Zunahme des Drogenhandels seit März ist laut Markus Mohler «nicht überraschend». Sie habe vor allem mit dem Krieg in jugoslawischen Albanien zu tun und diene der Mittelbeschaffung für die Kosova-Albaner. Das sei «dumm», ergänzte Staatsanwalt Alexander Bertolf, weil politisch motivierte Dealerbanden und Schutzgelderpresser schwer «aufzuknacken» seien und die Opfer zumeist schwiegen.

Mohler will «kriminelle Ausländer internieren!»

Ein anderes Kopfzerbrechen bereiten die aus Afrika stammenden Dealer. Diese hätten normalerweise keine Papiere auf sich. Herauszufinden, aus welchem Land sie kommen, um sie zurückschaffen zu können, sei häufig ein Ding der Unmöglichkeit. Überdies: Haben die kriminellen Papierlosen ihre Gefängnisstrafe abgesessen, müssten sie wieder freigelassen werden - um irgendwann wieder wegen Drogengeschäften festgenommen zu werden.

Laut Polizeikommandant Mohler hat die Basler Hermandad deswegen auch schon bei den Bundesbehörden Alarm geschlagen: «Kriminelle Ausländer, die aus der Strafanstalt entlassen werden, müssen interniert werden. Weil sie sonst abtauchen oder neu anfangen.»

Thomas Homberger hieb in die gleiche Kerbe. Die ausländischen Kriminellen profitierten hierzulande von Rechten, die sie daheim niemals hätten. Und Alexander Bertolf untermalte diese Aussage mit der Beschreibung des neuen Basler Gefängnisses, das für viele ausländische Kriminelle ein gemütlicher Ort der Erholung sei. Er habe schon in von Gefangenen geschriebenen Briefen die nagende Frage gelesen: «Bin ich hier im Knast oder in einem Hotel?»

«Frauen und Männer, seid wachsam!»

Auf die Frage eines betroffenen Anwohners, ob man denn nicht wenigstens der persönlichen Aufrüstung und den in Hosenbünden, Taschen und unter den Achseln versteckten Pistolen, Revolvern, Messern, Stahlruten usw. der in- und ausländischen Dealer Herr werden könne, antwortete Mohler: Das Basler Waffengesetz sei, im Gegensatz zum Baselbieter Pendant, sehr streng. Bei den Personenkontrollen werde immer gleich auch nach Waffen abgetastet. Was zum Vorschein komme, werde konfisziert. Zudem dürften Angehörige gewisser Nationalitäten gar keine Knarren tragen.

Major Martin Kohler bat schliesslich die Bevölkerung «um Vertrauen». Sie solle wachsam sein und der Polizei melden, wenn etwas Verdächtiges wahrgenommen werde.

Ueberlebenshilfe und nicht nur Repression

Schliesslich versprachen die vereinigten Behörden der betroffenen Bevölkerung eine imponierende, aber nicht sehr einfach umzusetzende Devise: Hohe Polizeipräsenz, Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Verhinderung offener Drogenszenen, Wiederbelebung der Drogenpolitik, Durchsetzung der Gesetze, Missbrauchsbekämpfung im Sozialbereich, Integration von Grenzgängern, Stärkung der Vereinsaktivitäten, Garantie der Schulqualität und Hebung der Wohn- und Lebensqualität.

Spät, schon gegen 22 Uhr war‘s, als Regierungsrat Jörg Schild die Informationsaktion mit der Aufforderung schloss, die ausgeglichene Drogenpolitik der Vier-Säulen-Strategie (Repression, Prävention, Therapie, Überlebenshilfe) zu verfolgen. Dabei dürfe insbesondere die Überlebenshilfe nicht zu kurz kommen, betonte Schild, um die Anwesenden mit seinem beruhigenden Schimanski-Lächeln zu entlassen. Ins nächtliche Kleinbasel, das so wie eigentlich meistens dalag - ziemlich ruhig und friedlich.

26. August 1998

 

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(c) by Peter Knechtli